Protokoll der Sitzung vom 06.04.2006

Wie war die Situation denn vorher? Die Kommunen als örtliche Träger der Sozialhilfe sind doch unter den Lasten der Sozialhilfe zusammengebrochen. Das, was mit der Hilfe zum Lebensunterhalt einmal für einen marginalen Personenkreis Anfang der 70er Jahre eingeführt worden ist, hat doch dazu geführt, dass letztendlich immer mehr Menschen dauerhaft auf diese Leistungen angewiesen waren und es für die örtlichen Sozialhilfeträger kaum noch zu finanzieren war. Das ist doch die Realität gewesen. Auch die Verschiebung von Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit und der Sozialhilfeträger war eine Geschichte, die keiner sachlichen Orientierung folgte, sondern die letztendlich nur darauf ausgerichtet war, sich wechselseitig die Kosten in die Tasche zu jubeln. Das ist doch die Realität gewesen, die wir mit dem SGB II vom Tisch bekommen haben.

(Zuruf von Reinhard Dankert, SPD)

Auf den unterschiedlichen Zugang zu arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen bin ich schon eingegangen. Dieser stand den Sozialhilfeempfängern, den Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt, vormals nicht zur Verfügung.

Ich möchte noch einmal auf die Zielstellung eingehen, die Hartz IV, also das SGB II, hat. Das kann man an der Überschrift des 1. Kapitels klar erkennen. Die Überschrift lautet: „Fördern und Fordern“. Es bedeutet letztendlich nichts anderes als „keine Leistung ohne Gegenleistung“. Und wenn man sich die gesellschaftspolitische Diskussion einmal ansieht, dann ist dieses Konzept „Fördern und Fordern“, also „keine Leistung ohne Gegenleistung“, auch das, was von den meisten Menschen in unserem Land befürwortet wird. Das ist wohl das, was man will.

(Rudolf Borchert, SPD: Wenn die Förderung auch noch funktionieren würde, dann wäre ich damit einverstanden.)

Ja, die funktioniert in großen Teilen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Vor allen Dingen, darauf würde ich gerne einmal eingehen, wenn man so tut, als wenn die Zustände vorher besser gewesen wären. Die Zustände, was das Fördern betrifft, waren vorher nicht besser.

(Torsten Koplin, Die Linkspartei.PDS: Die waren mal anders. Ich sage dir nachher einmal ein paar Zahlen. – Zuruf von Peter Ritter, Die Linkspartei.PDS)

Natürlich ist es besser, Herr Ritter. Den Zugang zu arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, zu Fördermaßnahmen, zu 1-Euro-Jobs und dergleichen hat es vorher nicht gegeben. Das hat es vorher nicht gegeben.

(Regine Lück, Die Linkspartei.PDS: Den Armuts- bericht, den werden wir ja nachher noch hören. – Torsten Koplin, Die Linkspartei.PDS: Man kann doch nicht leben von dem, was die bekommen. – Peter Ritter, Die Linkspartei.PDS: So viel Billigjobs gab’s noch nie!)

Moment, Herr Ritter, darum geht es doch gar nicht! Es geht doch im Grunde darum, dass das Gesetz in diesem Bereich ein verbessertes Angebot unterbreitet, und zwar ein Angebot, das es vorher nicht gegeben hat.

(Harry Glawe, CDU: Ja, da hat er aber Recht.)

Das kann man nicht vom Tisch diskutieren. Das ist die Realität!

(Torsten Koplin, Die Linkspartei.PDS: Wir haben fünf Millionen Arbeitslose. – Ministerin Sigrid Keler: Und die Versicherungsleistungen.)

Es hat im Grunde, wenn man sich die sozialpolitische Diskussion in der Zeit einmal vergegenwärtigt, zwei Ansätze gegeben: Der eine war, wir bleiben bei dem traditionellen sozialpolitischen Ansatz, durch Transferleistungen die Sache weiter am Laufen zu halten. Diese Transferleistungen hätten aber durch Steuern oder sonstige Geschichten deutlich erhöht werden müssen. Das ist im Grunde genommen der Weg, den wahrscheinlich die PDS vorgeschlagen hat. Nur sie hat nie gesagt, wie die ganze Geschichte finanziert werden soll.

(Regine Lück, Die Linkspartei.PDS: Sie müssen das nur lesen!)

Der andere Ansatz ist im Grunde der Ansatz der Privatisierung des Armutsrisikos.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Jeder ist dafür selbst verantwortlich. Das SGB II bewegt sich also in der Mitte. Es dehnt die Finanzierung von Transferleistungen nicht aus und es individualisiert das Armutsrisiko nicht. Das ist eine Sache, bei der ich sage, das kann ich gut mittragen.

Ich möchte jetzt aber noch auf einen Bereich eingehen, der mir relativ vertraut ist, weil ich mich damit beschäftige. Ich habe gerade die Zielrichtung des SGB II beschrieben, die lautet: „Fördern und Fordern“. „Fördern und Fordern“ ist auf eine gesellschaftliche Integration ausgerichtet, die das Gesetz vorgibt. Wir haben schon mehrfach den Begriff der Unterkunftskosten zu hören bekommen. Das muss man sich einmal näher ansehen, denn Hilfeempfänger haben nach dem Gesetz einen Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten, soweit diese angemessen sind. Was bei dem Thema Angemessenheitsdefinition passiert, das ist schon an der einen oder anderen Stelle näher zu betrachten.

Was sind angemessene Unterkunftskosten? Das ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, den die Arbeitsgemeinschaften oder auch die Optionskommunen heute für sich ausfüllen und definieren. Was dabei herauskommt, das halte ich teilweise für hochgradig bedenklich. Man kann nicht sagen, 5 Euro sind angemessene Unterkunftskosten, ohne sich gewisse Dinge anzusehen. Dabei muss man beispielsweise die Situation am lokalen Wohnungsmarkt betrachten. Gibt es für jeden, dem ich sage, 5 Euro sind angemessene Unterkunftskosten, überhaupt hinreichend Wohnungen am lokalen Wohnungsmarkt?

(Torsten Koplin, Die Linkspartei.PDS: Wichtige Frage.)

Die zweite wichtige Frage, die man zu stellen hat, ist: Führen derartige Festsetzungen von Unterkunftskosten nicht zur Konzentration von Menschen in bestimmten Quartieren? Ich bin aus Schwerin und wir haben solche Konzentrationswirkungen in Schwerin in den Stadtteilen Neu Zippendorf und Mueßer Holz. Die Frage ist Folgende: Wenn wir Unterkunftskosten definieren, segregieren wir nicht, wenn wir das zu niedrig tun, Menschen, die jetzt in anderen Quartieren und anderen Stadtteilen leben, systematisch in Bereiche hinein, wo das Armutsrisiko heute schon deutlich höher ist als an anderer Stelle? Das ist mit dem Gesetz nicht gewollt. Ich kann nur jeden, der hier im Landtag vertreten ist und Verantwortung hat, darauf hinweisen, dass er doch bitte auf der lokalen Ebene einmal guckt, wie das in der eigenen Kommune ist und wie das im eigenen Kreis ist. Werden die Unterkunftskosten, die definiert werden, wirklich so definiert, wie es sachgerecht ist? Betrachtet man dabei die tatsächlichen Verhältnisse am Wohnungsmarkt und verhindert dabei auch das Thema „Soziale Segregation“? Das ist für mich eine wichtige Geschichte.

Ansonsten ist zu dem vorliegenden Gesetzentwurf das Wesentliche gesagt worden. Die neuen Verteilungskriterien folgen in deutlichem Umfang mehr den tatsächlichen Belastungen bei den örtlichen Trägern. Das ist eine wichtige Geschichte. Es war von vornherein das Ziel des Gesetzes, am meisten da zu entlasten, wo die Belastungen am größten sind. Das greift das Gesetz auf. Ich kann Ihnen sagen, unsere Fraktion wird der Überweisung in die Ausschüsse die Zustimmung erteilen. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der CDU)

Danke schön, Herr Heydorn.

Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der Linskpartei.PDS die Abgeordnete Frau Lück. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von Anfang an hat meine Fraktion die Unzulänglichkeiten des Bundesgesetzes SGB II kritisiert.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Dieses Gesetz wurde von der damaligen rot-grünen Bundesregierung eingebracht und von der CDU unterstützt und verschlimmbessert. Für mich hat der Gesetzgeber die Pflicht, sorgsam zu prüfen und deutlich absehbare Probleme und Risiken vorher auszuräumen.

(Karin Strenz, CDU: Das haben Sie ja gestern auch getan.)

Dies hätte auch dem SGB II gut getan, und zwar im Sinne aller Betroffenen. Das sind nämlich Millionen Arbeitslosengeld-II-Bezieherinnen und Arbeitslosengeld-IIBezieher sowie ihre Familien, aber auch der Bund, die Länder und die Kommunen.

(Egbert Liskow, CDU: Wasser predigen und Wein trinken!)

Und um die Kommunen geht es uns heute erneut. Es geht uns um die Arbeitslosen und ihre Familien. Sie leben

in unseren Städten, sie bestimmen unsere Wohnlandschaft und unser Stadtbild mit, sie sind gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger. So sagt es unser Grundgesetz. Wenn wir heute, also gerade einmal nach einem eineinviertel Jahr über die Änderung des Landesausführungsgesetzes zu einem Bundesgesetz beraten müssen, dann hat das vor allem den Grund, dass das Bundesgesetz schlecht gemacht ist und verheerende Auswirkungen für die Betroffenen hat. Mein Kollege Torsten Koplin wird darauf noch genauer eingehen.

Das SGB II sieht unter Berücksichtigung der Einsparung der Länder die jährliche Entlastung der Kommunen um 2,5 Milliarden Euro vor.

(Karin Strenz, CDU: Sie sollen zum Thema reden! – Egbert Liskow, CDU: Thema!)

Für das Jahr 2005 wurde ein Bundesanteil in Höhe von 29,1 Prozent der Kosten für Unterkunft gezahlt.

(Michael Ankermann, CDU: Ganz falsches Thema!)

Dies sollte durch Revisionen am 1. März vergangenen Jahres und auch am 1. Oktober überprüft werden. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat durch die Landesregierung und die sie tragenden Koalitionspartner SPD und Linkspartei.PDS den gesetzlichen Auftrag erfüllt und als eines der ersten Bundesländer überhaupt ein Landesausführungsgesetz auf den Weg gebracht und auch beschlossen. So wurde sichergestellt, dass die Arbeitslosen und die Kommunen das notwendige Geld pünktlich erhielten und erhalten.

Schon im Verlaufe des vorigen Jahres mussten wir feststellen, dass die im Bundesgesetz festgeschriebene Märzrevision nicht stattfand und auch die Oktoberrevision selbst ohne die Bundestagswahlen wahrscheinlich nicht stattgefunden hätte. Dann wollte der Bund seinen Zuschuss selbst ohne Revision kürzen oder sogar rückwirkend ganz und gar streichen. Wir haben das alles verfolgen können und uns im Dezember 2005 hier an gleicher Stelle schon einmal zu dieser Situation auseinander gesetzt. Die Revision im Land ergab, dass die Landkreise stärker entlastet wurden als die kreisfreien Städte und einige kreisfreie Städte nach dem festgelegten Verteilungsschlüssel mit plus/minus null herauskommen. Doch auch die Zahlen im Land sind umstritten. Nach der Änderung am Landesausführungsgesetz zum SGB II müssen wir also entscheiden, ob wir eine gerechte Verteilung der Mittel im Land wollen und welche Bemessungsgrundlage wir dafür zurate ziehen.

Der Gesetzesentwurf der Landesregierung sieht die Bildung von zwei Regelkreisen vor, die die Bundes- und Landesmittel zunächst im Verhältnis 70 Prozent für die Landkreise und 30 Prozent für die kreisfreien Städte verteilen sollen. Er stellt dabei auf die Bevölkerungsanteile ab. Dann sollen bei der Aufteilung innerhalb der Regelkreise die Kosten der Unterkunft und die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften im Verhältnis 50:50 Berücksichtigung finden. Dazu gibt es schon Diskussionen, aber ich meine, dass wir diese in den Ausschüssen führen sollten. Die Entlastungen der früheren Belastungen aus der Sozialhilfe sollen weitestgehend keine Rolle mehr spielen. Das Verhältnis der Auszahlungsstufen soll von 85,7 Prozent zu 14,3 auf 96 Prozent in der ersten Stufe, zu 4 Prozent in der zweiten Stufe verändert werden.

Was mir Sorgen bereitet, ist, dass wir uns scheinbar hier im Land nicht auf eine belastbare Basis, also eine ein

heitliche Datenlage einigen können. In diesem Punkt müssen wir uns noch einmal intensiv mit allen Beteiligten auseinander setzen. Eine von der Bundesregelung unabhängige Verteilungsregelung kann im Moment nur hilfreich sein. Ob diese auf Dauer auch Bestand hat, das hängt natürlich vom Bundesgesetzgeber ab. Wir alle hier, meine Damen und Herren, sollten aber über Parteigrenzen hinaus darauf achten, dass die Kommunen und das Land Mecklenburg-Vorpommern nicht noch über das bisherige Maß hinaus zum Verlierer beim SGB II werden.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Eine Bemerkung möchte ich zum Schluss meiner Rede noch in Richtung Kommunen machen. Ich wende mich an Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie in den Stadtvertretungen, in den Kreistagen und möglicherweise auch in den Arge-Beiräten Sitz und Stimme haben. Vor dem Hintergrund der drohenden Kürzung des Regelsatzes von zurzeit noch maximal 331 Euro beziehungsweise 345 Euro für Alleinstehende oder Alleinerziehende warne ich vor möglichen Überlegungen in den Kommunen, den Langzeitarbeitslosen die Leistungen für Unterkunft und Heizung zu kürzen, wenn kein anderer kostengünstigerer Wohnraum zur Verfügung steht. Das, meine ich, müssen wir verhindern, darüber sollten wir uns einig sein. Eine Gesellschaft muss sich daran messen lassen, wie sie mit den Schwächsten umgeht. Damit meine ich vor allen Dingen diejenigen, die unverschuldet in Not geraten sind.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Wir als Linkspartei werden nicht nachlassen im Kampf um soziale Gerechtigkeit und natürlich auch um Solidarität. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der Linkspartei.PDS)

Danke schön, Frau Lück.