Protokoll der Sitzung vom 15.09.2010

(Dr. Armin Jäger, CDU: Nö.)

Das verwundert nicht, das sage ich auch sehr deutlich, titelt doch die CDU-Fraktion in einer aktuellen Broschüre mit der Losung „Sicherheit zuerst“. „Freiheit danach“ – es passte wohl nicht mehr drauf auf Ihren Flyer – klingt ja auch nicht so toll.

Meine Damen und Herren, für meine Fraktion gilt: Sicherheit und Freiheit.

(Egbert Liskow, CDU: Auch für die Verbrecher?)

Und eben da unterscheiden wir uns möglicherweise von der CDU.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Die vorgesehene Fünfte Änderung des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes ist aus unserer Sicht nicht ausgewogen. Im Zweifel werden die Rechte der Polizei ausgeweitet, auch dann, wenn die Voraussetzungen für die neuen Eingriffsbefugnisse auch nach Jahren nicht gegeben sind

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

beziehungsweise sich gar nicht nachweisen lassen. Trotzdem, das Innenministerium hält daran fest. Es könnte ja sein, dass die Polizei die Norm doch noch einmal anwenden müsse. Wenn aber andererseits, meine Damen und Herren, die Rechte der Bürgerinnen und Bürger gestärkt werden könnten, geschieht das nur dann, wenn es zwingend erforderlich ist. Wenn man es nicht muss, aber könnte, lässt der Innenminister lieber die Hände davon.

Ich möchte das an einigen Beispielen verdeutlichen. CDU und SPD behaupten, der Wegfall der Möglichkeit von Bildbeobachtungen und -aufzeichnungen gemäß Paragraf 32 Absatz 3 SOG sei nicht hinnehmbar. Zur Erinnerung: Die Befugnis der Polizei, offen Bilder aufzuzeichnen, wurde von Rot-Rot eingeführt, um die Gefahrenabwehr an Orten mit gehäufter Kriminalität zu verbessern.

Paragraf 32 Absatz 3 lautet: „Öffentlich zugängliche Orte dürfen offen mit technischen Mitteln zur Bildüberwachung beobachtet werden, wenn dies zur Aufgabenerfüllung gemäß § 1 Abs. 1 erforderlich ist. Darüber hinaus

dürfen offen Bilder aufgezeichnet werden, soweit an diesen Orten wiederholt Straftaten begangen worden sind und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort künftig mit der Begehung von Straftaten zu rechnen ist.“ Zitatende. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu: „Diese so genannten Kriminalitätsbrennpunkte sind aufgrund von objektiv nachvollziehbaren ortsbezogenen Lageerkenntnissen zu ermitteln.“ Auch da Zitatende.

Meine Fraktion hat die Landesregierung gerade deshalb im letzten Jahr gefragt, wie viele sogenannter Kriminalitätsschwerpunkte es denn in Mecklenburg-Vorpommern überhaupt gebe. Antwort der Landesregierung: keine. So, so, es gibt also keinen einzigen Kriminalitätsschwerpunkt im Land. Genau dazu ist aber diese Norm geschaffen worden. Auch für DIE LINKE ist vorstellbar, dass Bildüberwachungen und -aufzeichnungen in solchen Fällen Sinn machen könnten. Die Landesregierung gibt aber selbst zu, dass wir keine Kriminalitätsschwerpunkte haben. Was soll es also dann? Anstatt diese Befugnis in konsequenter Weise deregulierend zu streichen oder zumindest erneut zu befristen, bleibt diese Norm im Gesetz.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Dieses Beispiel zeigt,

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Zuhören!)

dass CDU und SPD einfach nicht der Versuchung widerstehen können, der Polizei alle möglichen Eingriffsbefugnisse einzuräumen, ohne selbstkritisch zu hinterfragen, ob das alles wirklich erforderlich sei.

Oder nehmen wir die Rasterfahndung. Diese Regelung soll nach dem Willen der Koalitionäre unangetastet bleiben. Paragraf 44 findet man im Gesetzentwurf nicht. Dabei schlug der Landesdatenschutzbeauftragte in seiner Unterrichtung vom 11. September 2008 vor, doch ähnlich wie bei der Wohnraumüberwachung einen Richtervorbehalt einzuführen. Kann man machen, sagt die Landesregierung, muss man aber nicht – also kein Richtervorbehalt.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Weil kein Bedarf wahrscheinlich.)

Sollten nicht wenigstens alle gerasterten Personen benachrichtigt werden, bei denen sich Folgemaßnahmen anschließen? Was meint die Landesregierung?

Und auch hier zitiere ich noch einmal aus Ihrer Unterrichtung: „Diese Regelung wurde zwar durch das Bundesverfassungsgericht in seiner Beschlussbegründung im Hinblick auf die Eingriffstiefe der Maßnahme erörtert“, dabei ging es um eine Regelung in NRW, „es trifft jedoch keine allgemeinen Festlegungen bezüglich einer gesetzlich festzuschreibenden Benachrichtigungspflicht, sodass diese folglich nicht zwingend umzusetzen war.“

Also da haben wir es wieder. Nicht zwingend, kann man machen, muss man aber nicht, also lassen wir es so – so der Innenminister. Diese und andere Regelungen werden wir in der öffentlichen Anhörung zum SOG einer kritischen Betrachtung unterziehen.

Meine Damen und Herren, für öffentliche Aufregung – deswegen hat ja Herr Renz eben seine Ausführungen noch etwas erweitert –, für öffentliche Aufregung hat bereits die Absicht von CDU und SPD gesorgt, die Distanz-Elektroimpulsgeräte, auch Taser genannt, einführen zu wollen. „Taser“, so die Koalitionäre in ihrer Gesetzesbegründung, „wirken aus der Distanz heraus durch

das Verschießen von Pfeilen (ggf. durch Drähte mit dem Gerät verbunden) derart auf eine Person ein, dass die Person aufgrund eines schwachen, hochfrequenten Stroms mit hoher Spannung einen kurzen heftigen Schmerz verspürt und daraufhin regelmäßig kurzzeitig bewegungs- und damit handlungsunfähig ist.“ Zitatende.

Spezialeinheiten, hat Herr Renz eben gesagt, sollen damit ausgestattet werden, etwa bei Suizid- oder Geisellagen. Ja, es ist so, zwölf Bundesländer haben bereits eine solche Regelung. In neun wird der Elektroschocker angewandt, in gut 80 Prozent der Fälle sei es erfolgreich gewesen. Die Innenministerkonferenz fand das Ganze auch noch ganz toll. Ach ja, letztlich stünde mit dem Elektroschocker der Polizei ein gegenüber Schusswaffen milderes Mittel zur Verfügung.

(Vizepräsidentin Renate Holznagel übernimmt den Vorsitz.)

Nur Positives fiel den Koalitionären zur Anwendung der Taser ein.

Es ist schon bezeichnend, dass Folgendes in der Gesetzesbegründung nicht erwähnt wird, Herr Renz, und das finde ich auch makaber: Der Umgang mit den Tasern ist nach dem Waffengesetz für Normalbürger verboten, und, ich denke, das nicht ohne Grund. Die Bundespolizei findet diese Taser gar nicht so toll und hat sich gegen die Anschaffung ausgesprochen. Soweit ich weiß, plant auch der Justizvollzug keine Verwendung von Tasern, und da frage ich nur: Gibt es etwa in Gefängnissen keine Geiselnahmen und keine Suizide? Die Bundeswehr erprobt die Taser immer noch. Warum eigentlich, wenn die Dinger doch so sinnvoll sein sollen?

Meine Damen und Herren, ich konnte in Ihrer Gesetzesbegründung auch nichts von zahlreichen Todesfällen lesen. Lapidar steht bei Ihnen, dass es Vorfälle gab. Wenn ich mich auf Kanada beziehe, dann kann ich ganz deutlich hier sagen, in Kanada starben allein zwischen 2003 und 2007 18 Menschen nach Anwendung der Taser. Und gucke ich mir eine Kleine Anfrage aus dem Bundestag an, so wird insgesamt schon von 290 Todesfällen in Amerika und Kanada gesprochen. Der UN-Ausschuss gegen Folter, der die Einhaltung der UN-Antifolterkonvention der Vereinten Nationen überwacht, hat den Einsatz eines Tasermodells in Portugal gar als eine Form der Folter bezeichnet. Was sagt eigentlich der UNAusschuss gegen Folter zu den Geräten, die der Innenminister jetzt anschaffen will?

Meine Damen und Herren, selbst wenn wir diese Einwände alle entkräften könnten, es bleibt ein weiteres Problem bestehen. Der Gesetzgeber soll nach dem Willen von CDU und SPD nur entscheiden dürfen, dass diese Distanz-Elektroimpulsgeräte eingesetzt werden können. Haben Sie schon mal über die Folgen nachgedacht? Durch wen und wann diese eingesetzt werden, entscheidet dann allein der Innenminister, also am Gesetz vorbei und somit ein Gesetzesfreibrief. Geplant ist die Ausrüstung von Spezialeinheiten, so die Gesetzesbegründung.

Ich möchte an dieser Stelle nur darauf hinweisen, dass es bereits Länder gibt, wo sogar bei Verkehrskontrollen die Taser mitgeführt und angewendet werden dürfen. Wenn diese Norm so in Kraft tritt, könnten die Innenminister bereits morgen den Anwendungsbereich weiter ausweiten. Ich unterstelle ausdrücklich Herrn Caffier als unserem Innenminister diese Absicht nicht.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Fest steht aber, und da wird mir Herr Caffier zustimmen, dass der Gesetzgeber auf die weitere Verwendung dieser gefährlichen Geräte mit einer solchen Formulierung, wie sie jetzt enthalten ist, keinen Einfluss mehr hat. Und das, denke ich, muss ganz dringend verändert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Da halte ich es dann eher mit Lenin – „glaube nicht aufs Wort, prüfe aufs Schärfste“ (Band 20, Seite 258) oder im Volksmund: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE – Zurufe von Egbert Liskow, CDU, und Michael Andrejewski, NPD)

Danke schön, Frau Měšťan.

Das Wort hat jetzt der Innenminister Herr Caffier.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete!

Frau Měšťan, um es zunächst vorauszuschicken: Ich bin meinem Vorgänger, meinem Kollegen Timm, sehr dankbar,

(Udo Pastörs, NPD: Jawohl.)

dass er es 2006 geschafft hat, und zwar gegen den Widerstand Ihrer Fraktion, es hat ja viel Überzeugungskraft gekostet,

(Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

diese Regelung einzuführen, denn letztendlich haben wir auch eine Verpflichtung. Sie müssen sich im Leben irgendwann mal entscheiden, ob Sie, was Sie auch immer in der Öffentlichkeit fordern,

(Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

sich auch vor die Polizisten stellen wollen, die ihren täglichen Dienst tun, oder ob Sie das nur als Sprechblasen tun wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU – Udo Pastörs, NPD: Sie vor die Polizisten stellen! Da lache ich doch drüber.)

Insofern ist die Entscheidung von 2006 konsequent gewesen und konsequent ist damals auch gewesen, dass man die sogenannte Experimentierklausel einführt, die nun ausläuft, und dann die Entscheidung so trifft, wie man sie trifft.

(Zuruf von Gabriele Měšťan, DIE LINKE)

Die Koalitionsfraktionen haben uns für die heutige Landtagssitzung den Entwurf des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes zur Ersten Lesung vorgelegt. Erst jetzt ist der Gesetzentwurf als Drucksache für die Öffentlichkeit zugänglich. Doch wie ich schon in mehreren Reden erwähnte, noch bevor das Gesetz den Landtag erreicht, hat es erhebliche Diskussionen in der Öffentlichkeit gegeben, was wollen wir regeln, was soll geändert oder konkretisiert werden.

Es wurden einige der neuen Vorschläge in der vergangenen Woche schon in den Medien sehr heftig diskutiert. Lassen Sie mich nur einige Schlagzeilen zitieren. So stand in der „Schweriner Volkszeitung“ vom 3. September 2010, ich zitiere: „Datenschützer warnt vor Polizeige