Meine Damen und Herren Abgeordnete, ich eröffne die unterbrochene Sitzung und gebe das Abstimmungsergebnis bekannt.
An der Abstimmung haben insgesamt 52 Abgeordnete teilgenommen. Mit Ja stimmten 6 Abgeordnete, mit Nein stimmten 46 Abgeordnete. Damit ist der Antrag der Fraktion der NPD auf Drucksache 5/3750 abgelehnt.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 33: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Gut vorbereitet auf den Eintritt der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit ab dem 1. Mai 2011, Drucksache 5/3740.
Antrag der Fraktion DIE LINKE: Gut vorbereitet auf den Eintritt der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit ab dem 1. Mai 2011 – Drucksache 5/3740 –
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 30.04.2011 endet die Begrenzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union, eine Begrenzung auf Zeit, mit der ein Grundrecht der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union eingeschränkt wurde. Die Fraktion DIE LINKE hat dieses Thema nicht zum ersten Mal auf die Tagesordnung des Landtages setzen lassen, und das aus gutem Grund. Unsere Anträge diesbezüglich wurden abgelehnt, auf Ihre Begründung komme ich an anderer Stelle zurück.
Nur so viel: 2007 wollten wir Sie auffordern, die Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Interesse unseres Landes vorzeitig zu beenden. Und bevor Sie darauf verweisen – ja, die rot-rote Landesregierung hat sich 2006 für eine Verlängerung der Übergangsfristen ausgesprochen. Grundlage für diese Entscheidung war damals die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt. Es wurde befürchtet, dass es durch die Aufhebung zu noch mehr Verwerfungen kommen könnte, das Land auf eine bevorstehende Zuwanderung von Arbeitskräften, insbesondere aus Polen, auch wegen der unterschiedlichen Rahmenbedingungen nicht vorbereitet sei.
Schon sehr schnell hat sich herausgestellt, dass Mecklenburg-Vorpommern nicht das bevorzugte Ziel einer Migration, insbesondere aus Polen, werden würde. Einig war sich die rot-rote Landesregierung in der Auffassung gemeinsam mit den Sozialpartnern, dass die Verlängerung der Übergangsfrist nicht in einer bloßen Fortführung des Status quo und in einem Abwarten erschöpft werden dürfte. Vielmehr sollte die Übergangsregelung dazu genutzt werden, dass man die notwendigen Rahmenbedingungen für den Zeitraum nach Ablauf der Übergangsregelungen schaffen sollte. Eine Forderung innerhalb dessen war zum Beispiel die Ausweitung des Entsendegesetzes auf weitere Branchen einschließlich der möglichen Einführung von Mindestlöhnen, ja, auch ein Landestariftreuegesetz wurde gefordert. Das können Sie in der Unterrichtung der Landesregierung aus dem Jahre 2006 nachlesen.
Dass die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden müssten, wurde aber nicht nur von der rotroten Regierung gefordert. Auch Sie, Herr Minister Sei
del, forderten in der Debatte zu unserem Antrag aus dem Jahre 2007, ich zitiere: „Arbeitnehmerfreizügigkeit schnellstmöglich herstellen“ – oh Entschuldigung, jetzt beginnt das Zitat –, dass „eine exakte Prüfung und aus meiner Sicht eine bestmögliche Vorbereitung der Unternehmen vorzunehmen sowie in gewisser Weise auch die Beschäftigten und Arbeitslosen auf diesen Prozess vorzubereiten“ seien. Weiter sagten Sie in der Debatte: „Es sind... Maßnahmen notwendig, die sicherstellen, dass es nicht zu Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt und auch in den sozialen Sicherungssystemen kommt.“ Zitatende. Und Sie trugen damals vor, dass es bei Kammern, Verbänden und Behörden noch keinen einheitlichen Meinungsbildungsprozess gegeben habe und Sie benötigen noch entsprechende Daten und Fakten. Diese Argumente führten Sie zu Ihrer Entscheidung, unseren Antrag abzulehnen.
Heute stehen wir vor der Tatsache, dass die Begrenzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit unwiderruflich 2011 endet. Diese Tatsache wird auch durch eine im September 2010 verabschiedete Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates zu diesem Thema deutlich. Hier heißt es: „Die Freizügigkeit ist ein Grundrecht der Arbeitnehmer und ihrer Familien...“ Und ich betone „Familien“. Dass sich allein aus dieser Tatsache heraus Handlungsbedarf ergibt, das liegt wohl auf der Hand. Es geht also nicht nur um die Rahmenbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es geht um die Schaffung von Rahmenbedingungen für die Familien und insbesondere für die Kinder. Und wir fragen uns ernsthaft, ob wir darauf gut vorbereitet sind. Wie werden wir die Unterbringung der Kinder sichern, wie die schulische Bildung und ihren Einstieg in das Berufsleben?
Und auch, um das gleich vorwegzunehmen: Selbstverständlich kennen wir die vielen Projekte im Landkreis Uecker-Randow. Auch das wissen Sie, das ist erst ein Anfang, der nicht flächendeckend abgesichert werden kann. Und auch das ist bekannt, bereits 2002 wurden in der Grenzregion Projekte gefördert, die insbesondere dazu beitragen sollten, dass in den Bereichen „Betreuung von Erwerbslosen“, der gemeinsamen Berufsausbildung zwischen den Woiwodschaften in Polen und unserem Land eine gemeinsame Strategie gefahren wird. Das war gut und sollte ausgebaut werden und vor allem ausgewertet werden. Es wird Sie sicherlich nicht wundern, dass wir der Auffassung sind, dass unser Land bei einer guten Vorbereitung von der Arbeitnehmerfreizügigkeit profitieren wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht erst heute beklagen wir in Mecklenburg-Vorpommern den demografischen Wandel, das Fehlen von Fachkräften in unserem Land. In der Region Pasewalk/Anklam bis hin zu Szczecin wurde eine Studie in Auftrag gegeben, die zum Ziel hatte, für mögliche Investoren die Frage der Sicherung von Arbeitskräften zu untersuchen. Die Ergebnisse zeigen nicht nur, dass die betreffenden Regionen einen Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen haben, sondern in einigen Bereichen gemeinsame Probleme vorhanden sind. Das beginnt bei den Sprachkenntnissen, der unterschiedlichen Art und Weise der Berufsausbildung, die in Polen viel enger mit der Schulbildung verknüpft ist, bis hin zu Fragen der Unterbringung von Hochschulabsolventen in den unterschiedlichsten Fachrichtungen.
Interessant sind auch die Ergebnisse im Hinblick auf die Analyse des Fachkräfteüberschusses in den entsprechenden Regionen, die unbedingt genutzt werden sollten. Und auch das sei an dieser Stelle gesagt: Wir sind
fest davon überzeugt, die Schaffung von guten Arbeits- und Lebensbedingungen ist die beste Voraussetzung für eine Integration, das will ich am Rande erwähnen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ja, es gibt auch Ängste von Bürgerinnen und Bürgern, nicht nur in unserem Land. Auch deshalb sollten wir dafür sorgen, dass wir Bürgerinnen und Bürgern in einem transparenten Verfahren diesen Prozess erklären, was auf sie zukommt und wie wir uns auf diesen Prozess vorbereitet haben. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass die NPD mit ihrem nicht nachlassenden Fremdenhass
(Stefan Köster, NPD: Die können Sie ja alle bei sich zu Hause aufnehmen. – Udo Pastörs, NPD: Aber mit einem hohen Zaun darum.)
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Ja, in der Tat, Frau Borchardt, es ist so, dass wir jetzt unmittelbar vor der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit zum 1. Mai des kommenden Jahres stehen. Und es ist wie eigentlich immer im Leben, dass man, wenn eine neue Situation eintritt, von gewissen Risiken ausgehen muss, aber eben auch immer wieder neue Chancen in jeder neuen Situation bestehen.
Die Risiken werden von vielen – und das kann man auch nicht generell von der Hand weisen – gesehen in Wettbewerbsverzerrung, in einem möglichen Lohndumping. Und die Chancen, dazu würde ich doch etwas mehr neigen, weil ich glaube, die sind am Ende tatsächlich größer, sehe ich zum Beispiel – ich habe das herausgehört, dass Sie das eigentlich auch so vom Grundsatz her sehen – in der Entwicklung des gesamten Landesteils Vorpommern, denn ich glaube fest daran, dass dieser Landesteil seine Chancen überhaupt nur entfalten kann, wenn man an dieser Grenze, die ja doch schon relativ durchlässig geworden ist, noch mehr gegenseitige Begegnung zulässt und darauf aufbaut, letztlich wirtschaftliche Aktivitäten gründen kann. Und ich glaube, Sie sind mit mir einer Meinung, dass die Ausstrahlung, die zum Beispiel Stettin als ein oder als eigentlich das Oberzentrum in dieser Region hat, wenn man es mal raumord nerisch sieht, durchaus für die Entwicklung auch in unserem Lande von großem Nutzen sein kann.
Und so gesehen ist es in der Tat so, dass wir über die Zeit jetzt einen sehr intensiven Austausch gepflegt haben. Auf meiner letzten Reise – ich weiß gar nicht, vor drei Wochen ungefähr – nach Danzig hat dieses Thema noch mal eine große Rolle gespielt. Ich habe dort mit dem Woiwoden und mit dem Marschall gesprochen. Und wir haben uns gerade diesem Thema noch einmal sehr intensiv zugewandt. Man merkt, dass es ganz unterschiedliche Haltungen zu dem Thema doch gibt. Die polnische Seite hat dort betont, dass wir kaum damit zu rechnen haben, dass Menschen hier zu uns kommen werden. Gut, nun sind das alles ein bisschen Annahmen, das weiß jeder, und die reale Situation werden wir dann erst im Mai wirklich sehen,
aber wir haben uns vorgenommen – es hat, glaube ich, vor einem Monat in Stettin ein diesbezügliches Gespräch mit Wirtschaftsvertretern stattgefunden –, so schnell, wie es geht, eine Konferenz mit möglichen Workshops wie auch immer mit Fachleuten noch mal zu machen zu diesem Thema, was denn dort real anzunehmen ist, um vielleicht Ressentiments und Ängste abzubauen, die, denke ich, da sind, die man ernst nehmen muss. Auf der anderen Seite sind auch Erwartungen da, die, ich glaube, so nicht erfüllt werden können. Also insofern ist hier Transparenz durchaus angebracht und wir sind dabei, eine solche Konferenz vorzubereiten.
Meine Damen und Herren, nun ist es aber so, dass – und da kommen jetzt doch wieder die unterschiedlichen Auffassungen zum Ausdruck – in Ihrem Antrag Lösungen angeboten werden. Und da sind wir dann wieder bei der Forderung nach Lösungen – ich meine jetzt in Anführungsstriche gesetzt –, da sind wir dann wieder bei der Forderung nach Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen und, ich glaube, Sie meinen auch, branchenübergreifenden Mindestlohns. Und ich werde Ihnen zum wiederholten Mal sagen, dass ich das nicht für das richtige Mittel halte.
Die Ausweitung des gesetzlichen Mindestlohnes, das kennen Sie aber auch alles, greift in die Tarifautonomie ein und ist kritisch deshalb zu sehen, weil es durchaus beschäftigungspolitisch kontraproduktiv wirkt und – und das, finde ich, ist genau das Thema –
gerade die Beschäftigungschancen von vielleicht nicht so gut qualifizierten Menschen doch sehr verschlechtern kann. Ich will das nur vorsichtig ausdrücken.
Wir gehen davon aus, das ist die Haltung meines Ministeriums, dass das Aushandeln von Löhnen grundsätzlich Aufgabe der Sozialpartner bleiben muss, schlichtweg auch, weil sie die Experten, die eigentlichen Kenner der Situation wirklich sind und wissen, was man dem Unternehmen zumuten kann, was man auf der anderen Seite tun muss, um den Menschen die Chance zu geben, ihre Aufgaben überhaupt noch erfüllen zu können und ihre Perspektiven oder die jeweiligen Perspektiven zu sichern. Das, glaube ich, sollte so bleiben, das ist auch richtig.
Sie kennen meine Haltung und insofern ist natürlich dieser erste Punkt schon mal wieder etwas, wo Sie genau wissen, was kommt. Aber man versucht eben noch mal ein bisschen, in die Wunde zu stochern.
Ja, das ist ja auch ein Recht der Opposition, aber Sie werden mir gestatten müssen, dass ich das als solches benenne. Ich glaube, es ist jedenfalls kein besonderer Beitrag zur Lösung des Problems.
Ich will dann auch eingehen auf das Arbeitnehmerentsendegesetz, das haben Sie ja hier angesprochen. Das ist ein Gesetz, das in Deutschland in bestimmten Branchen Mindeststandards für Arbeitsbedingungen festlegt,
die sich übrigens dann auch gründen auf die Auffassung, auf den Sachverstand der jeweiligen Sozialpartner. Und hier steht in der Tat den Tarifpartnern, auch aus meiner Sicht, ein Instrument zur Verfügung, das die Möglichkeit bietet, Gefahren, wenn man sie denn sieht, in der Arbeitnehmerfreizügigkeit auch abzuwenden. Und deswegen will ich Ihnen klar sagen, ich stehe einer Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf Branchen zunächst mal offen gegenüber, aber nur dann, wenn diese Ausweitung von den Tarifparteien der jeweiligen Branche auch gewollt ist. Die müssen nämlich hier eine entsprechende Rolle einnehmen.
Nun fordern Sie das Landestariftreuegesetz. Ich glaube, auch da wissen Sie – das habe ich zumindest öffentlich gesagt, ich vermute, das haben Sie irgendwo gelesen –, wir werden ein solches Landestariftreuegesetz erarbeiten. Aber das, was Sie fordern …
(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Das erzählen Sie uns aber schon lange. – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das macht er auch.)
Dass es nicht so aussehen wird, wie Sie es fordern, das wird Sie jetzt auch nicht wundern, wenn ich das sage.
Eine nämlich allgemeine, undifferenzierte Regelung ist eben, wie man weiß, europarechtlich auch ausgeschlossen. Da verweise ich dann noch mal auf das bekannte Urteil des EuGH zum niedersächsischen Landesvergabegesetz. So gesehen sind die Spielräume, die den Mitgliedsstaaten danach verbleiben, entsprechend realistisch anzuschauen, und hier geht es dann, wenn man sich das nüchtern einmal zu Gemüte führt, um den öffentlichen Personennahverkehr, und so werden wir das Gesetz auch letztlich ausgestalten.