Protokoll der Sitzung vom 16.12.2010

(Matthias Mantei, CDU: Deswegen muss es ja nicht richtig sein, Herr Koplin, nicht?!)

Die Frage, die sich unsere Fraktion stellte, war gerade in Blickrichtung CDU-Fraktion, ob Sie unserem Antrag zustimmen können. So habe ich mir das zumindest hier aufgeschrieben. Sie haben das schon beantwortet, Herr Mantei, ohne hinreichend zu begründen,

(Zuruf von Matthias Mantei, CDU)

auch zu begründen, warum Sie eine Normenkontrollklage für nicht zielführend halten.

(Irene Müller, DIE LINKE: Weil er nicht weiß, was das ist.)

Also wir haben uns überlegt, ob Sie zustimmen könnten. Wenn ja, haben wir gesagt, ist es im Interesse der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, wenn nicht, dann ist es eine gewisse machtpolitische Treue zur Bundespolitik und zur CDU-Ministerin auf Bundesebene, die in einem Teilfazit zumindest über die Ermittlung der Hartz-IV-Regelsätze sogar richtig gelegen hat, als sie sagte, so viel Transparenz wie bei der jüngsten Berechnung der Regelsätze gab es noch nie. Diese Aussage von Frau von der Leyen, es gebe so viel Transparenz wie

noch nie, schließt allerdings nicht automatisch ein, dass tatsächlich so viel Transparenz wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert wurde und damit notwendig ist, auch umgesetzt wurde.

Gleichzeitig sagte Frau von der Leyen am 3. Dezember im Bundestag, dass transparent und sauber gerechnet wurde. Das setze ich zunächst einmal als Mindestanforderung an die Arbeit einer jeden Regierung voraus, aber auch hier schließt sich folgerichtig die Frage an: Wurde so transparent und so sauber gerechnet, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert?

Beide Aussagen von Frau von der Leyen sind also im Zusammenhang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus unserer Sicht völlig wertlos.

Viele Stellungnahmen, Frau Müller hat bereits darauf hingewiesen, und nicht zuletzt die öffentliche Anhörung im Deutschen Bundestag, konkret im Ausschuss für Arbeit und Soziales am 22. November, haben ein völlig anderes Bild ergeben.

Die Stellungnahme des Paritätischen vom 5. Oktober dürfte Ihnen bekannt sein. Und auch die Diakonie stellt in ihrer Stellungnahme vom 18. November die fachlich gebotene Gründlichkeit in Zweifel. Ich darf aus der Stellungnahme der Diakonie zitieren, wörtlich: „Das … Verfahren zur Ermittlung der Regelsätze weist zahlreiche Schwächen auf und setzt die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil formulierte Kritik nicht voll um.“ Zitatende.

Weitere Stichworte in der Stellungnahme lauten: „teils willkürlich“ erscheinende Veränderungen, „im Detail widersprüchliche oder unklare“ Regelungen, zum Beispiel bei der Festlegung der Referenzgruppen auf 15 oder 20 Prozent der untersten Einkommenshaushalte bei Abzügen von den Ausgaben dieser Referenzgruppe oder bei der Anrechnung von Einkommen.

Frau Müller hat vorhin darauf hingewiesen, dass es heute Mittag um zwölf, halb eins etwa eine Stellungnahme der Bundesregierung dazu gab. Wenn Sie sich die mal durchlesen und diese Stellungnahme wirklich nachvollziehen und verstehen können, dann können Sie sich wirklich auf die Schulter klopfen. Wir, Frau Müller und ich, haben uns das eingehend durchgelesen, vorgelesen und versucht zu interpretieren, wir sind aus der Erklärung der Bundesregierung nicht schlau geworden.

Das ist auch die Stelle, an der ich wie auch Frau von der Leyen am 3. Dezember im Bundestag auf die SPD eingehen muss, denn die Worte von Frau Tegtmeier habe ich hier mit großem Interesse aufgenommen

(Irene Müller, DIE LINKE: Thema Transparenz.)

und bin auch dankbar für die Positionierung, aber was wir vermissen seitens der LINKEN, ist ein bisschen, zumindest ein bisschen Selbstkritik. Die wäre nämlich angebracht an dieser Stelle, schließlich hat das Bundesverfassungsgericht ihr Gesetz, also das von der SPD und den Grünen seinerzeit auf den Weg gebracht wurde, kritisiert.

Meine Damen und Herren, meine Fraktion hat sich an der Stelle nichts vorzuwerfen. Meine Fraktion und meine Partei haben die Hartz-Gesetze – übrigens alle vier – von Anfang an abgelehnt und die Grundgesetzwidrigkeit von Hartz IV von Anfang an argumentiert und dazu auch schon im Herbst 2004 eine Studie vorgelegt.

Und noch eines hat Frau von der Leyen, um noch mal auf Frau von der Leyen zurückzukommen, das mache ich ungern, aber es ist geboten, am 03.12. im Bundestag unterschlagen, denn seit dem 30.11. liegt eine eigene Berechnung der Bundestagsfraktion DIE LINKE zu den Regelsätzen vor. Die Ministerin hat diese Berechnungen in der öffentlichen Darstellung am 3. Dezember im Bundestag ebenso unterschlagen wie auch die Berechnung vom Paritäter und der Diakonie, die bereits vor dem 03.12. vorlagen, als sie im Bundestag den Kritikern an ihrem Gesetzentwurf entgegnete, ich zitiere: „Sie kommen immer mit Schleifen und Prozenten und mit Hin und Her, sagen aber nie konkret, was Sie haben wollen.“ Das ist also nicht korrekt. Diese Aussage spricht für sich, meine ich und will nur hinzufügen: „Geschicktes Weglassen“ sei eines ihrer vermeintlichen Erfolgsrezepte, wie die „taz“ schon am 16. April 2007 feststellte.

Weggelassen, meine Damen und Herren, wurden bei der Neuermittlung der Hartz-IV-Regelsätze künftig nicht nur Ausgaben für Tabak und Alkohol, gestrichen wurden auch die Ausgaben für Haustiere, Gartengeräte, Treibstoff, Schnittblumen, chemische Reinigung, Freizeit und Kultur sowie Essen außer Haus. Das ist grundsätzlich zulässig, verstößt aber im gewählten Umfang gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, denn diese Ausgaben können nicht intern ausgeglichen werden. Für langlebige Verbrauchsgüter liegen keine validen Zahlen vor, was eine Pauschalierung ausschließt. Das Stichwort aus dem Urteil vom 9. Februar dazu lautet: Schätzung ins Blaue.

Auf die Kinderregelsätze will ich nur insofern eingehen, als dass die CDU in diesem Landtag die Bundesregierung am 16. Januar 2008 aufgefordert hat, kinderspezifische Regelsätze auf der Grundlage einer konkreten Bedarfsermittlung zu schaffen. Sie können sich sicherlich seitens der CDU daran erinnern. Heldenhaft und sozial wie Sie sind, taten Sie das zwar erst zwei Monate, nachdem sich die Arbeits- und Sozialministerkonferenz dazu bereits verständigt hatte, aber immerhin. Diese Anforderung ist bis heute nicht erfüllt und die Diakonie findet es „misslich“, ich zitiere, „dass aufgrund der erfolgten Abschläge bei den Kinderregelsätzen de facto eine Verlagerung der Regelleistung in ein Gutscheinsystem erfolgt.“ Das ist etwas, das Sie umtreiben sollte, meine Damen und Herren.

Zusammengefasst und vereinfacht muss man sagen, die neuen Regelsätze stehen in mehrfacher Hinsicht gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar und werden wieder vor diesem landen. Und lassen Sie mich dies hinzufügen: Sie werden der erneuten Prüfung ebenfalls nicht standhalten.

Meine Damen und Herren, die fachliche Kritik liegt erneut von den verschiedensten Seiten auf dem Tisch.

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Sie wurde und wird von der Bundesregierung ignoriert und kann auch mit kurzfristigen und punktuellen Nachbesserungen nicht behoben werden. Die Bundesregierung ist entweder nicht willens oder aber nicht in der Lage, das Urteil vom 9. Februar zu den Regelsätzen umzusetzen. Beides ist völlig inakzeptabel und wirft ein bezeichnendes Licht auf die CDU/CSU-FDP-Bundesregierung.

Um aber, ich komme zum Schluss, den betroffenen Hilfe bedürftigen in unserem Land so schnell wie möglich das zu gewähren, was ihnen für ein Leben in Würde

zusteht, und um weiteren Schaden für die Demokratie in diesem Land abzuwenden, fordere ich Sie auf: Stimmen Sie unserem Antrag zu! – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 5/3977. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 5/3977 bei Zustimmung der Fraktion DIE LINKE und der NPD, Gegenstimmen der Fraktion der SPD, der CDU und der FDP abgelehnt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf Sie darüber informieren, dass der Tagesordnungspunkt 33, der ursprünglich nach Tagesordnungspunkt 28 aufgerufen werden sollte, von den Antragstellern zurückgezogen wurde.

Ich rufe jetzt auf den Tagesordnungspunkt 25: Beratung des Antrages der Fraktion der FDP – Inklusion befähigt, auf Drucksache 5/3956.

Antrag der Fraktion der FDP: Inklusion befähigt – Drucksache 5/3956 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete und Vizepräsident Kreher für die Fraktion der FDP. Bitte schön.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die UN-Behindertenrechtskonvention ist ein bedeutender Schritt für die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben. Wir werden uns morgen ja bei einem anderen Tagesordnungspunkt noch einmal mit diesem Thema beschäftigen.

Dieser Teilhabeanspruch wird unter dem Begriff der Inklusion besonders deutlich. Das heißt, wir lösen das Problem für Menschen mit Behinderungen nicht in erster Linie mit Sondereinrichtungen. Und wenn wir die Überschrift gewählt haben „Inklusion befähigt“, dann heißt das auch, es geht darum, dass wir die Chancen, die wir mit dieser Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen haben, auch in unserer Gesellschaft insgesamt nutzen sollten, und das ist also eine große Chance für unsere Gesellschaft.

Menschen mit Behinderung sind Teil der Vielfalt des menschlichen Lebens. Sie gehören zu uns und in die Mitte unserer Gesellschaft. Auch sie sollten ihr Leben so selbstbestimmt und frei leben können, wie es irgend möglich ist.

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

In der UN-Menschenrechtskonvention wird dieses Inklusive, also dieses einschließende Verständnis, bereits zum Auftrag für unser Bildungssystem. Schritt für Schritt werden wir diesem Anspruch nachkommen, Schritt für Schritt, und jedem Menschen eine freie Wahl der Bildungseinrichtung ermöglichen. Das wird ein langer Weg sein, darüber müssen wir uns im Klaren sein. Der Anspruch...

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das wissen wir doch alles, Herr Kreher.)

Ist ja schön.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja.)

Dann können Sie unserem Antrag auch zustimmen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Nee, mit Sicherheit nicht.)

Der Anspruch einer inklusiven Gesellschaft darf aber nicht an der Schultür enden, Herr Dr. Nieszery.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, Herr Kreher.)

Wir müssen den Willen haben, eine gleichberechtigte Teilhabe auch im Arbeitsleben umzusetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)

Hier sind eine Menge Reserven vorhanden, die wir bisher nicht ausschöpfen.

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Die FDP-Fraktion möchte diese Reserven freisetzen. Wir...