Protokoll der Sitzung vom 29.06.2011

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 125. Sitzung des Landtages. Die Sitzung ist eröffnet. Die Tagesordnung der heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Wir setzen unsere Beratungen vereinbarungsgemäß fort.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 11: Aktuelle Stunde. Die Fraktion der SPD hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Die Energiewende – Chancen für Mecklenburg-Vorpommern“ beantragt.

Aktuelle Stunde Die Energiewende – Chancen für Mecklenburg-Vorpommern

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Dr. Gottfried Timm für die Fraktion der SPD.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn mir vor einem Vierteljahr jemand erzählt hätte, im Sommer 2011 werden wir in der deutschen Gesellschaft einen übergreifenden energiepolitischen Konsens haben, hätte ich diesen Menschen vielleicht als Träumer bezeichnet. Wenn uns jemand erzählt hätte, im Sommer 2011 würden alle Parteien in Deutschland – jedenfalls im Grundsatz – den Einstieg in die erneuerbaren Energien kraftvoll voranbringen und den Ausstieg aus der Atomenergie betreiben, hätten manche von Ihnen vielleicht diese Leute mit Begriffen belegt, für die man in diesem Hause schnell einen Ordnungsruf einfängt.

(Udo Pastörs, NPD: Ja, das geht manchmal noch schneller.)

Was sich viele Menschen in Deutschland gewünscht haben, das geht nun plötzlich doch, eine klimaschonende und nachhaltige Energiepolitik.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Bitter ist lediglich dabei, dass es dazu dieses furchtbaren Ereignisses in Fukushima bedurft hatte oder anders, dass diejenigen, die vor den Gefahren der Kernkraft gewarnt haben, durch den Gang der Ereignisse leider recht bekommen haben. Explosionsartig hat sich gezeigt, in welchen Gefahren die Menschheit lebt, wenn sie eine Technologie anwendet, die weder sicher betrieben noch sicher entsorgt werden kann.

Genauso bedrohlich ist die schleichende Gefahr, die von den fossilen Kraftwerken weltweit ausgeht. Alle Messungen zeigen derzeit, dass die Veränderungen in der Erdatmosphäre schneller verlaufen, als sie in den wissenschaftlichen Prognosen beschrieben werden.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Die Auswirkungen von Kohle-, Öl- und Gasverfeuerungen sind im Blick auf die Folgen für Gesundheit und Leben der bedrohten Umwelt, auch vor allem des menschlichen Lebens, deutlich gravierender als die Auswirkungen der Katastrophe in Japan. Lediglich die Bilder sind weniger, vielleicht weniger emotional, weil wir uns schleichend an sie zu gewöhnen beginnen, an die Zerstörungen durch Wirbelstürme vor allem in Mittel- und Nordamerika, in Asien und im Pazifikraum, an die Folgen der Sturmfluten, an das Fortschreiten der Wüsten, an Hitzeopfer in Europa und an zerstörte Lebensräume für das Tierreich in arktischen Gebieten. Dies zeigt aber nur, dass die Gefahren größer sind, weil wir sie schleichend weniger wahrnehmen.

Deshalb, meine Damen und Herren, freue ich mich sehr, dass der Einstieg in die erneuerbaren Energien jetzt zu einem zentralen Thema in der deutschen Politik geworden ist und in der deutschen Öffentlichkeit. Völlig klar ist, dass diese Dynamik nicht in erster Linie mit moralischen, sondern vor allem mit ökonomischen Kriterien zu erklären ist. Nachhaltigkeit hat einen ökonomischen Vorteil, das ist die zentrale Erkenntnis der Energiewende.

Wir in Mecklenburg-Vorpommern leben in einem Bundesland, in welchem wir mit den erforderlichen Rohstoffen, wenn ich das einmal so sagen darf, reich gesegnet sind. Wir sind ein Küstenland und haben inzwischen „Baltic I“ als Offshorewindpark eingeschaltet. Wir sind ein Windland mit beneidenswerten Windeignungsgebieten. Wir sind agrarisch gut ausgestattet für Bioenergie. Wir haben unterirdische Speicherkapazitäten in Kavernen und wir haben geothermische Potenziale. Andere Länder haben diese Rohstoffe – Rohstoffe in Gänsefüßchen – in dieser Fülle nicht. Langfristig hat MecklenburgVorpommern hervorragende Voraussetzungen, um sich wirtschaftlich zu entwickeln. Und die jüngste Studie in der „Wirtschaftswoche“ zeigt, dass sich dieses bereits messbar feststellen lässt.

Meine Damen und Herren, etwas unter diesen Möglichkeiten ist leider das Konzept „Energieland 2020“ geblieben. Ich erinnere daran, dass wir damals im Jahr 2008 in der Koalition, aber auch in der Öffentlichkeit viel,

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Na bitte, das haben wir damals schon gesagt!)

vielleicht zu viel, Herr Kollege Methling, über das geplante Steinkohlekraftwerk in Lubmin gestritten haben.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Natürlich.)

Dadurch sind – das muss ich auch selbstkritisch einräumen, Herr Holter,

(Helmut Holter, DIE LINKE: Ja.)

die Themen der erneuerbaren Energien etwas unterbewertet worden.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Sehr richtig.)

Beispielsweise ist im Erscheinungsjahr des Konzeptes „Energieland 2020“ im Jahr 2009 bereits doppelt so viel Strom aus Biogas erzeugt worden, wie das Konzept selbst für das Jahr 2020 prognostiziert hat.

(Udo Pastörs, NPD: Das macht die Böden kaputt.)

Genau das Gleiche gilt auch für Solarenergie. Auch hier ist bereits im Jahr 2009 mehr als doppelt so viel Strom aus der Sonne erzeugt worden, wie im Konzept selbst für das Jahr 2020 angestrebt wurde.

Über diese tatsächliche ungemein dynamische Entwicklung, meine Damen und Herren, die wir in unserem Bundesland erkennen, können wir uns alle nur freuen. Ich bin sicher, dass die neue Landesregierung nicht nur die Zuständigkeiten für Energie in einem Ministerium bündeln wird,

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Das wird doch nie was. Da glauben Sie doch nicht dran.)

sondern dass auch der nächste Landtag, meine Damen und Herren, noch einmal ganz neu über die energiepolitische Ausrichtung unseres Landes MecklenburgVorpommern entscheiden muss.

In der SPD-Fraktion haben wir seit einiger Zeit einen hohen Rücklauf aus der Wirtschaft, auch aus der Öffentlichkeit, zu den Themen, die wir in unserem Leitbild „Neue Energiepolitik“ formuliert haben, erhalten. Nicht nur die neuen Energien als Chancen für die Wirtschaft, sondern auch ein Paradigmenwechsel in der Beteiligung der Bürger und der Kommunen an der gewünschten und gewollten regionalen Wertschöpfung wird deutlich wahrgenommen. Dabei meint „Beteiligung“ hier nicht nur eine Beteiligung in der Debatte – das halten wir für selbstverständlich –, sondern eine materielle, finanzielle Beteiligung, und zwar deswegen, damit das Prinzip der Nachhaltigkeit sich auch kulturell in unserem Bundesland fest verankert.

Meine Damen und Herren, wenn in diesen Tagen, in denen die Energiegesetze im Bundestag und im Bundesrat intensiv beraten werden, südliche und westliche Bundesländer mit Neid auf uns blicken, dann zeigt das ja etwas, nämlich wir können ökonomische Perspektiven für unser Land eröffnen, die andere Länder so eben nicht haben.

(Udo Pastörs, NPD: Toll!)

Ähnlich wie über viele Jahre der Kumpel an Rhein und Ruhr für Arbeit und Wohlstand und für das Nachziehen anderer Industrien gesorgt hat, werden bei uns im Land Windfahnen und Bioenergiedörfer zukunftsfähige Arbeitsplätze und moderne Technologien nach sich ziehen.

(Udo Pastörs, NPD: Das warten wir mal ab. Das sind Wunschvorstellungen.)

Das alles, meine Damen und Herren, ist Neuland, ist spannend.

(Udo Pastörs, NPD: Märchenerzähler.)

Hier mag es auch diesen oder jenen Fehler geben, es erfordert aber vor allem einen neuen Politikstil, nämlich eine Beteiligungskultur, die die Menschen bei ihren Interessen packt. Die Menschen wollen mitmachen, aber sie wollen vor allem ernst genommen werden, wie zuletzt das Beispiel „Stuttgart 21“ zeigt. Wenn wir daraus die richtigen Schlüsse ziehen, dann werden wir auch den richtigen Weg finden. – Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Vielen Dank, Herr Dr. Timm.

Das Wort hat jetzt der Ministerpräsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern Herr Sellering.

(Udo Pastörs, NPD: Alles ist schön.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir erleben derzeit beim Thema Energie in Deutschland eine rasend schnelle Entwicklung, und zwar hin zu einer jetzt wirklich von nahezu allen politischen Kräften getragenen Energiewende. Diese Entwicklung birgt enorme Chancen für die wirtschaftliche Entwicklung bei uns in MecklenburgVorpommern,

(Udo Pastörs, NPD: Toll!)

und diese Chancen wollen wir nutzen. Wir müssen alles tun, den sehr raschen und sehr umfangreichen Prozess, der jetzt abläuft zur Umsetzung der Energiewende, damit

wir diesen Entscheidungsprozess in unserem Sinne positiv mit beeinflussen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sehr richtig.)

Jetzt werden entscheidende Weichen gestellt und wir wollen natürlich, dass diese Weichenstellungen einen guten Weg für uns in Mecklenburg-Vorpommern eröffnen. Deshalb habe ich schon damals, am 16.03.2011, als wir hier unmittelbar nach Beginn der furchtbaren Ereignisse in Japan in einer Aktuellen Stunde über das Thema Energie diskutiert haben, im Landtag ein 5-Punkte-Programm für die Energiewende vorgeschlagen.

Ich habe das dann später zum Gegenstand der Konferenz der Regierungschefs der norddeutschen Länder Ende März hier im Land gemacht. Wir norddeutschen Länder haben bei diesem Thema – Dr. Timm hat die unterschiedlichen Interessen in Deutschland angesprochen – weitgehend gleiche Interessen und da ist natürlich ein gemeinsames Vorgehen in Deutschland wirkungsvoller. Wir haben dann auch auf dieser Konferenz entsprechende Beschlüsse gefasst und sind mit diesen Beschlüssen in das weitere Verfahren gegangen. Die Landesregierung hat sich natürlich auch bei den beiden Energiegipfeln auf Bundesebene eingebracht, im Bundesrat und in den Folgegesprächen im Bundeskanzleramt. Mit Erfolg: Auf diese Weise sind für uns in Mecklenburg-Vorpommern wichtige Punkte von Anfang an in die Planung eingeflossen.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, es ist sehr viel passiert seit unserer letzten Diskussion hier im Landtag.

(Udo Pastörs, NPD: Es ist viel geredet worden.)

Ich denke, so viele weitreichende Entscheidungen in so kurzer Zeit sind selten getroffen worden in der Bundesrepublik Deutschland. Wir aus Mecklenburg-Vorpommern konnten nur deshalb so wichtige Beiträge zu diesem Prozess leisten, weil wir so gut vorbereitet waren hier im Land, weil wir bereits lange vor Fukushima auf den Ausbau der erneuerbaren Energien gesetzt haben, zum Beispiel mit dem Gesamtkonzept „Energieland 2020“ und mit dem Aktionsplan Klimaschutz.

(Zuruf von Wolfgang Griese, DIE LINKE)