Protokoll der Sitzung vom 15.11.2007

Ja, ich wollte Sie gerade fragen.

Bitte, Frau Gramkow, Sie können fragen.

Würden Sie mir vielleicht zusichern, dass Sie Ihre Aussage, die FDP-Fraktion hat unseren Einzelantrag abgelehnt wegen eines Gesamtpakets, noch einmal im Finanzausschuss überprüfen?

Auch das würde ich gerne bei einer Tasse Kaffee mit Ihnen noch einmal besprechen.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der FDP)

Danke schön.

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 5/978. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Danke. Gegenstimmen? – Danke.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktionen der CDU und FDP – Gino Leonhard, FDP: Unglaublich!)

Stimmenthaltungen? –

(allgemeine Unruhe – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: 1:0, was?!)

Damit ist der Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 5/978 bei Zustimmung der Fraktion der FDP, der Fraktion DIE LINKE, der Fraktion der NPD sowie Gegenstimmen der Fraktion der SPD und der Fraktion der CDU abgelehnt.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Wie ist das Stimmverhältnis?)

Da die Abstimmung sehr knapp war, kann ich sagen: 19 Stimmen gehörten der Opposition und 23 Stimmen den Koalitionsfraktionen an.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Danke schön, Frau Präsidentin.)

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 21: Beratung des Antrages der Fraktion der NPD – Opfer des DDRUnrechtsregimes aufklären – Licht in die dunkle Vergangenheit bringen, auf Drucksache 5/984.

Antrag der Fraktion der NPD: Opfer des DDR-Unrechtsregimes aufklären – Licht in die dunkle Vergangenheit bringen – Drucksache 5/984 –

Das Wort zur Einbringung hat der Abgeordnete Herr Borrmann von der Fraktion der NPD.

Frau Präsidentin! Abgeordnete des Landtages! „Voice of the blood“ – „Stimme des Blutes“ lautet der Titel einer Musik-CD, Komposition: Hildegard von Bingen.

(Michael Roolf, FDP: Oh nee! Oh nee!)

Blut: Über Jahrtausende hat kaum ein Gegenstand, kaum ein Begriff wie dieser …

Herr Abgeordneter!

… eine solche Bedeutung im Leben der menschlichen Zivilisation gespielt.

Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, die Zitate vorher bekannt zu geben, damit wir …

(Stefan Köster, NPD: Man kann eine CD nicht zitieren! – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Ich bitte um Entschuldigung, …

Dann können Sie doch bekannt geben, dass es ein Titel von einer CD ist.

Das habe ich doch getan.

Aber erst hinterher. Ich bitte Sie darum, das vorher zu tun. Bitte, Sie haben das Wort.

(Reinhard Dankert, SPD: Das will er ja gar nicht.)

Ist die Blutsverwandtschaft, die den Menschen prägende Bestimmung oder sind es vor allem die äußeren Umstände? Eine jahrtausendealte Frage. Die DDR hat diese Frage mit grausamen Akten zu beantworten versucht: Kinder wurden ihren Eltern entrissen und zu quasi geheimen Adoptionen freigegeben. Nur den Behörden und oft auch nur den adoptierenden Eltern waren die Umstände bekannt. Bluts- oder biologischen Eltern wurde das Schicksal ihrer Kinder verschwiegen. Den zwangsadoptierten Kindern war ihre Adoption meist völlig unbekannt.

Wie bewerten wir Nationaldemokraten diese Vorgänge? Zwangsadoptionen waren ein Mittel des staatlichen Eingriffs in das Leben der Familien. Die pseudosozialitistische Staatsmacht, die DDR-Nomenklatura, versuchte ihre Herrschaft abzusichern, obwohl Stalin und seine Kamarilla, wenn wir heute russischen Militärshistorikern Glauben schenken können,

(Heike Polzin, SPD: Da sitzt jemand im Glashaus und wirft mit Steinen. Ich fi nde das unerträglich!)

den Zweiten Weltkrieg für den Weltkommunismus schon am 22. Juli 1941 durch den verhinderten Angriff auf Westeuropa, der für den 6. Juli 1941 angesetzt war, verloren hatte und der Eiserne Vorhang mitten durch Europa nur das Eingeständnis dieser Niederlage ungeschehen machen sollte. Mauerbau, Stacheldraht und politische Gefängnisse sollten auch in der DDR den inneren Zusammenbruch verhindern. Zwangsadoptionen waren auch ein Instrument zur politischen Verfolgung.

Wie sahen solche Adoptionen aus? Stellvertretend möchte ich den Fall von Gisela Mauritz schildern: Die junge Frau hatte sich entschieden, ihren 1970 zur Welt gekommenen Sohn alleine großzuziehen. Und sie hatte noch einen Entschluss gefasst, die DDR, den sogenannten ersten Arbeiter- und Bauernstaat, zu verlassen, ganz unpolitisch. Nur war dieses wegen der Schutzmaßnahmen gegen die als faschistisch angesehene Bundesrepublik Deutschland seit 12 Jahren legal nicht mehr möglich. Ausreiseanträge waren damals noch nicht massenhaft verbreitet. So versuchte sie es mit einer Fluchthilfeorganisation. Ihr Verhängnis war nur, dass die Staatssicherheit fast alle Fluchthilfeunternehmen mit Agenten durchsetzt hatte. Beim dritten Versuch wurde Gisela Mauritz am 13. Juni 1974 verhaftet. Am folgenden Tag wurde ihr noch vor der Abfahrt nach Berlin der vierjährige Sohn weggenommen. 15 Jahre, bis zum ruhmlosen Ende der vermeintlichen Diktatur des Proletariats, sollte sie ihn nicht wiedersehen. Zunächst kam die Verhaftete nach Hohenschönhausen. Man verweigerte ihr jede Auskunft über den Verbleib ihres Kindes. Man behauptete, der Junge sei gut aufgehoben, und auf bohrende Nachfragen von Gisela Mauritz reagierte die Stasi mit erbarmungslos harten, über viele Stunden dauernden Verhören, bis sie schließlich zusammenbrach. Im August 1974 wurde Gisela Mauritz nach Magdeburg verlegt, ihr Prozess für September angesetzt. Die Angeklagte nutzte die Gerichtsverhandlung zu einer befreienden Rede, in der sie die DDR direkt angriff. Sie habe, so ihr Anwalt, die Sache dadurch nur noch schwieriger gemacht. Das Urteil lautete: viereinhalb Jahre Zuchthaus.

War dieses die verheißende Diktatur des Proletariats? Gisela Mauritz schoss in diesem Augenblick nur der Gedanke durch den Kopf: Was wird aus meinem Kind? Eine Woche später wurde sie in das Zuchthaus Hoheneck transportiert. Ende 1974 erhielt sie eine Vorladung zu einem Termin nach Berlin. Das Referat Jugendhilfe beim Rat ihres zuständigen Stadtbezirkes wollte ihr das Erziehungsrecht für den Sohn Alexander entziehen. Noch in Hoheneck fertigte sie Schreiben zu ihrer Verteidigung, doch die Anstaltsleitung verfügte die Wegnahme dieser Unterlagen. Frau Mauritz wurde nach Berlin verlegt. Im März 1975 fand ein Prozess um das Sorgerecht des Sohnes statt. Ein Vertreter des gewählten Anwaltsbüros Vogel war nicht anwesend. Sie wollte sich selbst verteidigen, aber das wurde ihr untersagt. Die eilfertigen Bürokraten des Referates Jugendhilfe beschuldigten die Inhaftierte besonders schwer dafür, dass sie ihren Sohn Alexander mit einer Westspritze beruhigt hatte. Die Richterin warf ihr vor, diese aus der BRD stammende Kanüle hätte auch Zyankali enthalten können – typischerweise für ein faschistisches Regimes, gegen das man sich mit einem eigenen faschistischen Schutzwall ja sichern musste.

(Udo Pastörs, NPD: Dem Sie heute huldigen, Herr Professor. – Zuruf von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE)

Von Gisela Mauritz benannte Zeugen, die das gute Mutter-Kind-Verhältnis bestätigen wollten, durften nicht aussagen. Gisela Mauritz wurde das Erziehungsrecht für ihren fünfjährigen Sohn entzogen. Gisela Mauritz, inzwischen nach Hoheneck zurückgebracht, wollte auf die letzte Chance der Berufung nicht verzichten und hoffte, dass ihr Sohn an die Großeltern gegeben würde. Im Berufungstermin, der bereits im August 1975 stattfand, ließ das Referat Jugendhilfe anklingen, dass Alexander sich bei einer betreuenden Familie befi nde. Noch vor der Urteilsverkündung wurde Gisela Mauritz nach Hoheneck zurückgebracht. Kurz vor Weihnachten 1976 wurde ihr in der Haftanstalt Hoheneck die Zwangsadoption ihres Kindes eröffnet. Die Nachricht löste einen Schock aus. Sie brach zusammen. Die Beruhigungsversuche endeten auf der Krankenstation. Als der Chefarzt ihren schlechten Zustand und ihre seelischen Nöte bemerkte, meinte er nur: Sie müssen das Problem so sehen, wenn ein Ziegel vom Dach fällt, ist er weg. So einfach ist das mit Ihrem Sohn.

Am 13. Dezember 1978 wurde Gisela Mauritz in die DDR entlassen. Für sie ein fürchterlicher Schlag. Bis zuletzt hatte sie gehofft, nach Westdeutschland abgeschoben zu werden. Mit ihrer Haftentlassung war ein Aufenthaltsverbot für die Hauptstadt der DDR verbunden. Schließlich fuhr Gisela Mauritz auf Vorladung von Rechtsanwalt Vogel 1979 selbst nach Ostberlin, wohl wissend, dass sie sich wegen der gegen sie verhängten Aufl age nach DDRGesetz erneut strafbar machte. Vogel forderte sie auf, im Nachhinein ihr Einverständnis zur Zwangsadoption zu geben. Für diesen Fall stellte er das ersehnte Wort „Ausreise“ in den Raum. Sie gab Vogel die geforderten Erklärungen und Zusagen und kehrte nach Döbeln zurück. Auf eine positive Reaktion wartete sie vergeblich. Im Gegenteil, im Dezember 1980 wurde sie erneut verhaftet. Während der Haft erreichte sie die wiederholte Aufforderung Vogels, der Zwangsadoption ihres Kinder nachträglich zuzustimmen, der sie mit großen Bedenken zum zweiten Mal nachkam.

Nach Verbüßung der vollen zweiten Haftzeit wurde Gisela Mauritz wieder in die DDR entlassen, brach aber bald zusammen und kam in eine Nervenklinik. Sie war Ärzten ausgeliefert, die besonders im Fall dieser Politischen eng mit der Stasi kollaborierten. Als Gisela Mauritz ein Fazit ihrer bisherigen Bemühung zog, kam sie zu einem niederschmetternden Ergebnis: Nach zehn Jahren hatte sie weder ihr Kind wiedergefunden noch die Ausreiseerlaubnis in die Bundesrepublik erhalten. Noch einmal musste sie fünf Jahre warten. Am 8. Juli 1988 durfte sie endlich ausreisen. Sie suchte erneut nach ihrem Sohn. Der Durchbruch kam mit einer Sendung von „Report München“ im Januar 1989. Zwei Tage nach der Sendung erhielt Gisela Mauritz einen Anruf aus dem Innerdeutschen Ministerium, das ihr den Namen und die Adresse der Adoptiveltern mitteilen konnte.

Kurze Zeit später fand eine Begegnung bei Rechtsanwalt Vogel statt. Gisela Mauritz, gezeichnet von den Erfahrungen dieser Jahre, konnte kaum sprechen. Alexander, der keine Erinnerungen an seine leibliche Mutter mehr hatte, zeigte sich hilfl os. Schließlich durfte auch Alexander ausreisen. Nach endlos schlimmen Erfahrungen konnte Gisela Mauritz ihren Sohn in die Arme schließen. Die Freude wich aber bald bitterer Enttäuschung. Es zeigte sich, dass die vom SED-Regime erzwungene fast fünfzehnjährige Trennung die Basis für eine normale Beziehung zwischen Mutter und Sohn zerstört hatte. Während die vielen Unrechtstaten, die im

und durch das DDR-Regime geschahen, verheilen oder zumindest wie bei Stasi- und Opferrenten offen in ihrer Ungerechtigkeit weiterbestehen, ist dieses Unrecht weitgehend unter dem Schleier der Unkenntnis geblieben.

Zusammenfassend lässt sich feststellen:

Erstens. Nur Kinder und Adoptiveltern haben einen Rechtsanspruch darauf zu erfahren, wer die leiblichen Eltern sind.

Zweitens. Die meisten Kinder wissen überhaupt nicht, dass sie zwangsadoptiert sind, können damit auch gar nicht ihre Rechte wahrnehmen.

Drittens. Die leiblichen Eltern haben derzeit keinen Rechtsanspruch zu erfahren, wo sich ihre zwangsadoptierten Kinder unter welchem Namen aufhalten und wer die Adoptiveltern sind.

Viertens. Was nützt ein Anspruch auf Informationen, wenn die Opfer keine Kenntnis von den Vorgängen in der Vergangenheit haben? Was nützt die Kenntnis von den Vorgängen in der Vergangenheit, wenn die Opfer kein Recht auf Informationen geltend machen können?

Dieser Zustand muss sich ändern und dem dient unser Antrag. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Danke, Herr Borrmann.