Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 45. Sitzung des Landtages. Ich stelle fest, dass der Landtag ordnungsgemäß einberufen wurde und beschlussfähig ist. Die Sitzung ist eröffnet.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, vor etwas mehr als 75 Jahren wurde Johannes Stelling von nationalsozialistischen SA-Schergen feige und brutal ermordet. In der Nacht vom 21. zum 22. Juni 1933 hatten SA-Schläger das 56-jährige Mitglied des Deutschen Reichstages und des SPD-Parteivorstandes zunächst verschleppt und anschließend zu Tode gequält. Sein Leichnam war so zugerichtet, dass die Angehörigen nur an Monogrammen in Trauring und Taschentuch den Gatten und Vater erkannten. Er gehört zu den bisher bekannten 25 Todesopfern eines frühen und besonders grausamen Naziverbrechens, der sogenannten „Köpenicker Blutwoche“.
Wir haben gerade in der heutigen Zeit besonderen Anlass, dieses Mannes zu gedenken, nicht nur, weil Johannes Stelling Mitglied des Mecklenburgischen Landtages und Ministerpräsident dieses Landes war, sondern auch, weil die Nachfolger der Kräfte, die seinen Tod zu verantworten haben, heute wieder in Parlamenten und Volksvertretungen sitzen und das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus als Schuldkult verhöhnen. Gleichzeitig gibt es Orte, in denen auch heute Schlägertruppen, Kameradschaften genannt, Angst und Schrecken verbreiten wollen.
Johannes Stelling wurde 1877 in Hamburg geboren. Schon in seinen Jugendjahren engagierte er sich in der gewerkschaftlichen Arbeit und wurde Vorsitzender der Gewerkschaft der Handels- und Transportarbeiter. Im Jahr 1905 zog er in die Lübecker Bürgerschaft ein, womit die ununterbrochene Abgeordnetentätigkeit von Johannes Stelling begann. Bereits 1919 bis 1920 war Johannes Stelling Innenminister des Landes. Von 1921 bis 1924 war er Mitglied des Landtages im Freistaat Mecklenburg-Schwerin und bekleidete die Ämter des Innenministers, des Außenministers sowie des Ministerpräsidenten. Von 1924 bis 1933 war Johannes Stelling Mitglied des Reichstages.
Als überzeugter Anhänger demokratischer Verhältnisse setzte er sich vehement für das parlamentarische System ein. Als der Parteivorstand der SPD nach Prag emigrierte, blieb er entgegen der Warnung seiner Freunde in Deutschland und versuchte, Widerstand zu organisieren. Er fuhr nach Prag, um über die Lage in Deutschland zu informieren. Unter anderem übermittelte er Erkenntnisse über die Teilnahme von Köpenicker SA-Leuten am Reichstagsbrand. Für die Nazis und die SA wusste er zu viel. Er war ihnen als profilierter und aufrechter Sozialdemokrat so verhasst, dass sie ihn bereits im ersten Jahr ihrer Herrschaft ermordeten. Sein Andenken ist in Mecklenburg-Vorpommern nicht in Vergessenheit geraten, was nicht nur dadurch deutlich wird, dass hier in Schwerin die Stellingstraße nach ihm benannt worden ist.
Ich bitte Sie, sich für eine Gedenkminute zu Ehren des vor 75 Jahren ermordeten Johannes Stelling von Ihren Plätzen zu erheben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich stelle fest, dass die Abgeordneten der NPD-Fraktion dem Gedenken des von den Nationalsozialisten ermordeten ehemaligen Ministerpräsidenten und Abgeordneten von Mecklenburg-Schwerin ferngeblieben sind. Ich gehe davon aus, dass dies ein bewusster Akt war.
Ich will an dieser Stelle nicht über Moral, sittlichen Anstand und Würde referieren, aber dieses sind Werte unserer Gesellschaft, die für ein demokratisches Miteinander unerlässlich und wichtig sind. Offensichtlich gelten diese Werte nicht für alle Abgeordneten dieses Hauses, gelten sie nicht für die Abgeordneten der NPD. Ich denke, dass die Menschen in unserem Land sich an dieses Verhalten der Abgeordneten der NPD-Fraktion erinnern werden, wenn von Politikern Moral und Anstand eingefordert werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer seine Vergangenheit verleugnet, beweist, dass er nichts aus ihr gelernt hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die vorläufige Tagesordnung der 45., 46. und 47. Sitzung liegt Ihnen vor. Im Ältestenrat ist vereinbart worden, abweichend von der vorläufigen Tagesordnung die Tagesordnungspunkte 22 und 24 am Donnerstag nach der Mittagspause vor Tagesordnungspunkt 18 zu beraten. Wird der Tagesordnung widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Damit gilt die Tagesordnung der 45., 46. und 47. Sitzung gemäß Paragraf 73 Absatz 3 unserer Geschäftsordnung als festgestellt.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich an dieser Stelle dem Minister Jürgen Seidel ganz herzlich nachträglich zu seinem 60. Geburtstag gratulieren.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde. Die Fraktion DIE LINKE hat gemäß unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Das Land braucht seine Zeitungen“ beantragt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ende letzten Jahres haben der Deutsche Journalistenverband, der Deutsche Gewerkschaftsbund und ver.di gemeinsam eine Initiative auf den Weg gebracht, die unter dem Motto „Unser Land braucht seine Zeitungen – Qualität und Vielfalt sichern“ auch noch heute hochaktuell ist.
Die Initiatoren der Aktion waren und sind voller Sorge, dass in Mecklenburg-Vorpommern ein Verlust der Pressevielfalt droht. Sie haben Sorge, dass die Qualität der Berichterstattung im Land leiden wird. Und sie haben Sorge vor einem Abbau der regionalen Identität bei den
drei Regionalzeitungen des Landes. Hintergrund sind die Entwicklungen bei der „Ostsee-Zeitung“, dem „Nordkurier“ und der „Schweriner Volkszeitung“ in den vergangenen Monaten, die bis heute anhalten und sich weiterhin zuspitzen. Die Fraktion DIE LINKE teilt diese Sorgen und unterstützt deshalb auch diese gemeinsame Aktion, die unter anderem folgende Ziele hat:
Meine Fraktion unterstützt die seit Langem vom DJV und den Gewerkschaften, insbesondere ver.di, erhobene Forderung nach einer Reform des Landespressegesetzes, die uns vor wenigen Tagen von Rüdiger Timmermann, ver.di Landesbezirk Nord – ich gehe davon aus, alle Fraktionen haben einen solchen Brief bekommen –, erneut übermittelt wurde.
Mit einer Gesetzesnovelle soll die innere Pressefreiheit in den Redaktionen gestärkt, also Redaktionsstatuten zwischen Verlag und Redakteuren vereinbart werden, die die Arbeitsbeziehungen vernünftig regeln, wie es in vielen Redaktionen bundesweit bereits üblich ist. Darüber hinaus ist ebenfalls seit Jahren in der Diskussion, die Besitzverhältnisse der Verlage transparenter zu gestalten. Obwohl es in der jetzt geltenden Koalitionsvereinbarung der rot-schwarzen Landesregierung heißt: „Die Koalitionspartner prüfen eine Novellierung des Landespressegesetzes“, stehen die Chancen dafür offensichtlich denkbar schlecht, denn der Chef der Staatskanzlei Reinhard Meyer hat am außerordentlichen Pressetag im Februar 2008 in Schwerin gesagt: „Ich kann Ihnen keine Hoffnungen machen, dass es“ – das Landespresse gesetz – „in dieser Legislaturperiode novelliert wird, denn vor allem für ein Redakteursstatut, das auch in den Redaktionen nicht ungeteilte Zustimmung findet, gibt es in der Koalition keine Mehrheiten.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in Mecklenburg-Vorpommern erscheinen gegenwärtig drei Regionalzeitungen, die eine Gesamtauflage von knapp 400.000 haben. Es ist die „Ostsee-Zeitung“, mit einer Auflage von 177.000. Sie gehört je zur Hälfte dem Springer Verlag und den „Lübecker Nachrichten“, wobei Letztere ebenfalls durch Springer dominiert werden. Die „Ostsee-Zeitung“ und die „Lübecker Nachrichten“ haben eine neue Firma „Regionalservicegesellschaft“, RSG, mit Sitz in Lübeck gegründet. Darin soll ab Juli der gemeinsame Mantel von „Ostsee-Zeitung“ und „Lübecker Nachrichten“ produziert werden. Der Verlag verspricht sich davon Synergieeffekte.
Die Beschäftigten fürchten dagegen einen Qualitätsverlust. Davon konnte ich mich bei einer Betriebsversammlung erst kürzlich überzeugen. Es droht, dass die Lübecker Sicht auf die Dinge in der „Ostsee-Zeitung“ dominieren wird, auch weil das Gros der Mantelredakteure aus Lübeck stammt. So hat beispielsweise Schleswig-Holstein bestimmt eine andere Wertung zu EU-Agrarsubventionen als die Mecklenburger und Vorpommern. Zudem wird befürchtet, dass es zu einem weiteren Arbeitsplatzabbau und zu einer weiteren Arbeitsplatzverlagerung kommt. Positiv im Falle der „Ostsee-Zeitung“ ist, dass es nach langen schwierigen Verhandlungen den Gewerkschaften gelungen ist, für die Beschäftigten der neuen Mantelgesellschaft einen Tarifvertrag abzuschließen.
Das sieht beim „Nordkurier“ anders aus. Der „Nordkurier“, mit einer Auflage von 104.000, hat drei Gesellschafter: die „Kieler Nachrichten“, die „Augsburger Allgemeine“ und die „Schwäbische Zeitung“. Tarifflucht und Ausgliederung der Lokalredaktionen in eigenständige Gesellschaften prägen die Entwicklung beim „Nordkurier“. Das Ziel ist eindeutig: Redaktionskosten runter, und zwar zulasten des Personals und der Gehälter. Neben dem Mutterverlag existieren jetzt sieben weitere Firmen, darunter vier Regionalverlage sowie drei weitere Firmen. Der Verlag argumentiert, dann sei man näher am Leser und dichter bei den Anzeigenkunden. Das scheint zunächst einmal nachvollziehbar, ob es sich bewahrheitet, muss sich erst noch herausstellen.
Seit Mai 2007 besteht eine Mitgliedschaft im Verlegerverband ohne Tarifbindung. Volontäre werden weit unter Tarif eingestellt und jeder neu eingestellte Redakteur wird untertariflich bezahlt werden. Haustarifverhandlungen stagnieren, der Betriebsrat wurde zerschlagen und in den vier Regionalverlagen müssen neue Mitarbeitervertretungen gewählt werden. Das ist in jedem Fall eine Schwächung der Arbeitnehmervertretung, wenn es denn überhaupt in Bälde dazu kommen wird.
Und die „Schweriner Volkszeitung“ einschließlich der „Norddeutschen Neuesten Nachrichten“ hat eine Auflage von 116.000. Sie ist in Besitz des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages aus Flensburg. Bereits mit der Übernahme durch den Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag wurde ein massives Sparprogramm eingeleitet. Am Standort Schwerin sind über 100 Arbeitsplätze verschwunden. Die Redakteure mussten zusätzliche Aufgaben übernehmen und sich zu einer Art „eierlegenden Wollmilchsau“ als Journalisten entwickeln. Die Arbeitsverdichtung, in Anführungsstrichen, nimmt immer weiter zu. So wurden die Sekretariate zusammengestrichen und das Archiv gar geschlossen. Eigentlich ist das für eine Redaktion ein Unding, dass das Archiv, das Gedächtnis der Zeitung, geschlossen wird. Selbstverständlich werden unentgeltlich geleistete Überstunden, also Selbstausbeutung von den Mitarbeitern, erwartet. Aktuell verdichten sich Gerüchte, dass der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag verkauft werden soll. Einige Verlage sollen interessiert sein, darunter die Zeitungsgruppe der „Westdeutschen Allgemeinen“, die WAZ-Gruppe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht zu übersehen, die Sorgen zur Aktion „Unser Land braucht seine Zeitungen – Qualität und Vielfalt sichern“ haben handfeste Gründe. Die Entwicklungen bei den drei Regionalzeitungen in Mecklenburg-Vorpommern lassen befürchten, dass durch Vorgaben aus den westdeutschen Mutterhäusern die Eigenständigkeit der Blätter leiden wird. Die Pressevielfalt und die Qualität der Berichterstattung sind in der Tat bedroht.
Die Presse und alle anderen Medien haben, wie wir wissen, eine zentrale Rolle in der Demokratie. Sie machen auf Probleme und Missstände aufmerksam, sie regen zur Diskussion an und sind damit maßgeblich an der Meinungsbildung beteiligt, auch wenn uns nicht in jedem Falle die Meinung gefällt, die von den Redaktionen wiedergegeben wird. Dies sind alles Wesensmerkmale der Demokratie, die es zu stärken und zu fördern gilt, auch und gerade vor dem Hintergrund der Ausbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts.
Lassen Sie uns, die demokratischen Fraktionen, ein deutliches Zeichen setzen, dass unser Land seine Zei
tungen braucht! Vielleicht kann jeder, der eine solche Zeitung mithat, diese Regionalzeitung einmal zeigen. Wir brauchen diese Zeitung. Wir brauchen sie mindestens in ihrer bestehenden Qualität, in der Vielfalt, die in unserem Lande existiert. Lassen Sie uns von hier aus ein deutliches Zeichen setzen! Lassen Sie uns ein deutliches Signal geben an die Journalistinnen und Journalisten in unserem Lande sowie an die anderen Beschäftigten in den Redaktionen und Verlagen, die tagtäglich engagiert und mit großer lokaler Kompetenz in den Redaktionen an unseren Tageszeitungen arbeiten, nicht zuletzt, damit wir Politikerinnen und Politiker uns jeden Morgen informieren können, hin und wieder freuen oder oftmals ärgern, das gehört zum Zeitungsstudium dazu.
Die Landesregierung ist aufgefordert, sich mit den Verlagsleitern und Vertretern der Beschäftigten in den Redaktionen an einen Tisch zu setzen. Wir brauchen Lösungen im Interesse des Erhalts der Qualität und der Vielfalt unserer Presselandschaft. Ich bin davon überzeugt, dass Sie auch diese Auffassung vertreten. – Herzlichen Dank.
Ums Wort gebeten hat jetzt der Ministerpräsident des Landes Mecklenburg-Vorpommern Dr. Harald Ringstorff.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mecklenburg-Vorpommern braucht seine Zeitungen
(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE – Ministerpräsident Dr. Harald Ringstorff zeigt drei Zeitungen. – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Oh, drei Zeitungen!)
und, Herr Methling, alle drei, „Nordkurier“, „Ostsee-Zeitung“ und „Schweriner Volkszeitung“ mit den „Norddeutschen Neuesten Nachrichten“, gehören zur journalistischen Vielfalt in unserem Land und diese Vielfalt ist eine wichtige Voraussetzung für Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit, wertvolle Grundrechte, die den unmittelbaren Schutz unserer Verfassung genießen und die für eine gelebte Demokratie unerlässlich sind.
Der Landesregierung ist es wichtig, dass die Zeitungsleserinnen und Zeitungsleser in allen Gegenden unseres Landes die Gewissheit haben, so dicht wie möglich am politischen Geschehen dran zu sein. Man kann vielleicht sagen, Regionalzeitungen übersetzen Politik in den Alltag der Menschen. Demokratie funktioniert nicht ohne breite Information und von der Leistung der Journalistinnen und Journalisten hängt zu einem großen Teil ab, in welchem Maße die Bürger Zugang zur Politik finden. Sie sind mit dafür verantwortlich, wie gut die Bürgerinnen und Bürger informiert sind, wie es um ihre Urteilsfähigkeit bestellt ist, und davon hängt letztlich ab, ob und in welchem Maße die Menschen in unserem Land am Prozess der politischen Willensbildung teilnehmen können. Die Demokratie braucht informierte, orientierte und handlungsbereite Bürgerinnen und Bürger, und das, glaube ich, heute mehr denn je.
Die Landesregierung setzt sich ausdrücklich für eine starke Presse in Mecklenburg-Vorpommern ein. Und mit „stark“ meine ich nicht nur die publizistische Qualität, sondern auch das wirtschaftliche Ergebnis. Das darf man nämlich nicht ganz außen vor lassen.
Zeitungen müssen sich selbst tragen. Tun sie das nicht, verschwinden sie langfristig vom Markt, und damit ist keinem gedient,
Zeitungsverlage sind Wirtschaftsunternehmen, die konkurrenz- und marktfähig sein müssen. Aus einer ganzen Reihe von Gründen haben seit einiger Zeit deutschlandweit Verlage mit sinkenden Abonnenten- und Verkaufszahlen zu kämpfen. Die besondere demografische Situation in Ostdeutschland und die im Vergleich zum Westen niedrige Binnenkaufkraft machen es für die Verlage nicht einfacher und es ist gut, dass die Verantwortlichen nach Wegen suchen, die Regionalzeitungen zu erhalten. Beispiele aus anderen Bundesländern zeigen, dass die länderübergreifende Kooperation von Zeitungen innerhalb eines Verlages Synergien bringt und ein breiteres Informationsspektrum für alle Leser liefern kann, ohne dass dabei die regionale Identität aufgegeben wird.