Protokoll der Sitzung vom 17.12.2008

nehmen. Aber eines wissen wir natürlich, wenn wir Parlamentarier sind: Bestehende Gesetzeslagen können wir nicht einfach ignorieren

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Aha! Ach so!)

oder sogar offen zum Bruch aufrufen. Das wollen wir nicht und deshalb stimmen Sie unserem Antrag zu.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der CDU – Barbara Borchardt, DIE LINKE: So viel Angemessenheit.)

Danke, Herr Kuhn.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Borrmann von der NPD.

Bürger Präsident! Bürger Abgeordnete! Bürger des Landes! Wer den Charakter der LINKEN in Mecklenburg-Vorpommern kennenlernen möchte, der schaue auf den Antrag 5/2045, den die LINKE heute im Landtag zur Abstimmung stellt. Es geht um die öffentliche Daseinsvorsorge von Regionen und Kommunen.

Was soll der Landtag beschließen?

1. Der Landtag begrüßt Konferenzergebnisse – mit nichts.

2. Der Landtag unterstützt einen dringenden Appell von Ministern – mit nichts.

3. Der Landtag spricht sich dafür aus, er betont – mit nichts.

4. Der Landtag fordert die Landesregierung auf, sich dahin gehend einzusetzen – mit nichts.

5. Der Landtag unterstützt die Landesregierung – mit nichts.

Die ganze Beschlusskraft dieses Parlaments, die Form seiner Willensbekundung, seiner Subjektivität beschränkt sich in nichtssagenden Floskeln, die nicht die geringste Bindungswirkung einer Regierungsstelle an diese Drucksache nach sich ziehen. Solche Beschlüsse fassen unterwürfige Petenten, aber keine selbstbewussten, mit Kompetenzen ausgestattete Gesetzgebungsorgane.

Dann schauen wir, an wen sich die Arie dieses Schmeichlerchores richten soll. Eine Konferenz hat stattgefunden. Minister deutscher Länder haben sich getroffen. Sie haben über öffentliche Daseinsvorsorge deutscher Länder, ihrer Regionen und Kommunen gesprochen. Doch diese Minister haben nicht als deutsche Minister geredet und gehandelt, die deutsche öffentliche Interessen vertreten und diese Interessen gegen fremde ausländische Interessen durchzusetzen versuchen. Es sind Europaminister dieser deutschen Länder und das heißt, sie haben in erster Linie europäische Regeln, die mehr gelten als deutsche Gesetze, umzusetzen. Diese Europa minister haben fremde europäische Interessen durchzusetzen, denn fremde Interessen gelten ihnen mehr als die eigenen deutschen Interessen.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Und diese fremden Interessen sagen: Ihr Deutschen, lasst euch ausplündern! Ihr Deutschen, unterwerft alles den EU-Regeln für Binnenmarkt, Wettbewerb und Beihilferecht, unterwerft die kommunalen Dienstleistungen, die öffentliche Daseinsvorsorge jenen Richtlinien,

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Herr Borrmann, hören Sie mal langsam auf, hier irgendwelche komischen Theorien zu verbreiten. Das steht da überhaupt nicht drin.)

die wir Brüsselokraten euch vorschreiben, damit wir deutsches Volksvermögen nach Europa transferieren können, euch aussaugen können, ohne dass ihr Muh oder Mäh machen könnt!

(Zuruf von Udo Timm, CDU)

Das bringt die deutschen Europaminister in eine Zwickmühle. Ganz offen können sie nicht den Ast absägen, auf dem sie sitzen. Deshalb müssen sie zum Schein abwehren, obwohl sie wehrlos sind, wehrlos, weil deutsche Kompetenzen an ein geldgieriges undemokratisches Konstrukt, EU genannt, verraten wurden.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Nun hilft nur noch jammern und betteln. In der Sprache der Etablierten, zu denen auch die LINKE gehört, heißt das, „unterstreichen“, „stärker zu berücksichtigen“, „dahin gehend einzusetzen“, „schützen“, „stärken“. All diese Floskeln kaschieren die Ohnmacht, in die sich das politische System selbst manövriert hat. Das kann nur eine nationale Kraft ändern. Sie wird es ändern, wenn der Tag kommt.

(Unruhe bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und FDP – Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Scheint die Sonne noch so schön, einmal muss sie untergehn.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Dr. Linke von der Fraktion DIE LINKE.

Ja, mir tut ja der Heinrich Heine leid, der hier immer so herhalten muss für dieses dumme Gerede.

(Vincent Kokert, CDU: Ja, das hat er wirklich nicht verdient. Das stimmt.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Frau Abgeordnete Borchardt hat es in ihrer Einbringungsrede sehr klar herausgearbeitet: Im Rahmen der EU-Vereinbarungen kennt man die in Deutschland grundgesetzlich garantierte kommunale Selbstverwaltung beziehungsweise die öffentliche Daseinsvorsorge so nicht. Stattdessen stehen im EG-Vertrag Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem und nicht wirtschaftlichem Interesse im Mittelpunkt.

Wir wissen: Gegenwärtig hat die EU keine gesundheitspolitischen Kompetenzen. Nach bisherigem Selbstverständnis bleiben die Mitgliedsstaaten souverän. Allerdings fördert die Gemeinschaft nach Artikel 152 des EG-Vertrages die Zusammenarbeit und Unterstützung der Mitgliedsstaaten bei der Verbesserung der Gesundheit ihrer Bevölkerungen, aber auch bei der Bekämpfung weitverbreiteter schwerer Krankheiten. Artikel 152 des EG-Vertrages betont, dass in den genannten Bereichen die Verantwortung der Mitgliedsstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Umfang gewahrt bleiben.

Dennoch, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, die EU gestaltet zu einem erheblichen Teil die Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Aktivitäten und die Arbeitswelt.

(Udo Pastörs, NPD: Sie gestaltet nicht, sie befiehlt. Sie legt fest!)

Diese Rahmenbedingungen gelten für alle Bereiche, auch für das Gesundheitswesen. Damit setzt die EU der gesundheitspolitischen Gestaltungsfreiheit der Mitgliedsstaaten Grenzen.

(Udo Pastörs, NPD: Unfreiheit.)

Ein Beispiel ist die EU-Wettbewerbspolitik. So sind inzwischen Privatkliniken in Deutschland der Auffassung, dass staatliche Ausgleichszahlungen an öffentliche Krankenhäuser beihilferechtlich unzulässig seien. Die EU-Kommission, so die Forderung des Bundesverbandes der privaten Krankenanstalten, müsse die Praxis unterbinden, dass Städte, Gemeinden und Kreise Defizite öffentlicher Häuser aus dem Steuertopf ausgleichen. Die Privaten berufen sich dabei auf Artikel 87 Absatz 1 des EG-Vertrages. Hier heißt es:

„Soweit in diesem Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“

Da die Kommission der genannten Forderung nicht nachkam und vielmehr feststellte, dass Ausgleichszahlungen an öffentliche Krankenhäuser, die Dienstleistungen von allgemeinem öffentlichem Interesse erbringen, keine unzulässigen Beihilfen darstellen, erhoben private Kliniken eine Untätigkeitsklage gegen die EU-Kommission, unter anderem die Asklepios Kliniken GmbH, die auch in Mecklenburg-Vorpommern agiert.

Der Europäische Gerichtshof hat im Juli letzten Jahres die Klage zurückgewiesen, allerdings rein aus formalen Gründen. Damit ist das Problem in seinem Kern immer noch offen. Eine Finanzierung öffentlicher Krankenhäuser, wie es bisher üblich ist, ist aus europarechtlicher Sicht alles andere als sicher.

Hinzu kommt, dass die EU-Kommission erwägt, ein Beihilfeverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten – so war es unter anderem in der „Passauer Neuen Presse“ im Juli dieses Jahres zu lesen. Es ist zu befürchten, dass die Kommission entsprechend ihrer bisherigen Liberalisierungspraxis die Interessen der privaten Krankenhausträger stärker berücksichtigen wird. Erinnern Sie sich nur, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, an die Debatten um die EU-Dienstleistungsrichtlinie. Hier wurde letztendlich in letzter Minute verhindert, dass auch das Gesundheitswesen in diese eingeschlossen wird. In diesem Zusammenhang müssen wir berücksichtigen, dass die Europäische Union nach wie vor das Ziel eines grenzenlosen Marktes für Dienstleistungen verfolgt.

Privatisierungsdruck auf das Gesundheitswesen der Bundesrepublik geht gegenwärtig allerdings nicht nur von der EU, sondern ganz maßgeblich auch von der deutschen Wirtschaft und vom Bund aus. Sprechen wir über den Sozialstaat, dann war für uns das Gesundheitswesen über Jahrzehnte natürlich eine seiner stärksten Säulen. Hier werden jährlich etwa 250 Milliarden Euro

umgesetzt, davon etwa 150 Milliarden Euro der GKV. Und hier sind bundesweit circa 13 Prozent der Beschäftigten tätig.

Das Gesundheitswesen ist also ein Bereich von vielfältiger gesellschaftlicher Bedeutung – sozialpolitisch, arbeitsmarktpolitisch und eben auch wirtschaftspolitisch, denn der wissenschaftlich-technische Fortschritt in der Medizinforschung, umgesetzt in den unterschiedlichsten Branchen der Industrie, sichert den Industrieunternehmen eine stabile Nachfrage. Menschen werden nun einmal regelmäßig krank und das GKV-System der Finanzierung garantiert eine kontinuierliche Abnahme der Produkte und sichert Umsätze.

Welche Unternehmerin, welcher Unternehmer möchte nicht gern auf Dauer eine stabile Nachfrage, gesicherte Umsätze und hohe Gewinne realisieren? Und hier sind wir beim Kernpunkt des sich wandelnden Sozialstaatsverständnisses auch in Deutschland, bei der zunehmenden Dominanz marktradikaler Wirtschaftsinteressen in einem Bereich, der sich dem Markt und damit dessen Interessen entziehen sollte. Denken Sie an den Bericht der Monopolkommission, der in diesem Jahr vorgelegt wurde, denken Sie an das Klageverfahren vor dem Bundeskartellamt im Zusammenhang mit der Kooperation der Krankenhäuser Wolgast und Greifswald.

Die Tendenzen dieser Entwicklung des Gesundheitswesens in der Bundesrepublik werden durch die Grundausrichtung der gegenwärtigen EU-Politik begünstigt. Diese EU-Politik definiert sich maßgeblich über die vier Grundfreiheiten – freier Warenverkehr, Freizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit, freier Kapital- und Zahlungsverkehr – und eben nicht über eine soziale Ausrichtung. Wir haben also in der EU keine sozialen Rechte wie entsprechend Freiheitsrechte. Die Bundesrepublik aber hat sich mit ihrer Gründung als Sozialstaat definiert. Im Artikel 20 Absatz 1 heißt es: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Dieses Staatsziel hat Ewigkeitsgarantie nach dem Artikel 79 Absatz 3.

Daneben garantiert die Bundesrepublik über Artikel 14 Absatz 1 selbstverständlich die Freiheit des Eigentums, aber eben nicht grenzenlos.

Artikel 14 Absatz 2, ich zitiere ihn: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Und hier ordnet sich auch der Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge ein, die nämlich, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, dem Prinzip der Bedarfsdeckung und Bedarfsplanung folgt. Wettbewerb hingegen folgt der wirtschaftlichen Nachfrage. Nicht ohne Grund setzen sich daher auch Gewerkschaften und Parteien wie DIE LINKE und inzwischen auch die SPD für eine soziale Fortschrittsklausel als bindendes Protokoll zum Vertrag von Lissabon ein.

(Detlef Müller, SPD: Ja. Das stimmt, sehr genau.)

Deshalb ist es wichtig, heute laut und deutlich zu sagen: Wir wollen keinen europäischen Wettbewerb für die kommunale Daseinsvorsorge, auch nicht für Krankenhäuser. Wir wollen aber gleichwertige Lebensverhältnisse in der gesamten Bundesrepublik, so, wie es auch im Grundgesetz verfassungsrechtlich verankert ist.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)