Protokoll der Sitzung vom 28.01.2009

Das Wort zur Berichterstattung hat der Vorsitzende des Innenausschusses, der Abgeordnete Dr. Gottfried Timm.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In seiner 55. Sitzung am 19. November 2008 hat der Landtag den Entwurf eines Gesetzes der Landesregierung zur Änderung von Vorschriften den Verfassungsschutz betreffend in Erster Lesung beraten und zur weiteren Beratung an den Innenausschuss überwiesen. Abschließend hat der Innenausschuss den Gesetzentwurf in seiner 56. Sitzung am 15. Januar 2009 beraten und diesem mit den vom Ausschuss vorgesehenen Änderungen zugestimmt. Der Innenausschuss hat Ihnen dazu auf der Drucksache 5/2161 seine Beschlussempfehlung und seinen Bericht vorgelegt.

Der Gesetzentwurf sieht Änderungen im Landesverfassungsschutzgesetz, im Sicherheitsüberprüfungsgesetz sowie im Kommunalwahlgesetz vor. Basierend auf der Umsetzung des Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes des Bundes sollen für die Landesbehörden für Verfassungsschutz entsprechende Befugnisse, wie der Bund sie auch schon hat, zur wirksamen Bekämpfung des nationalen und internationalen Terrorismus geschaffen werden. Weitere Änderungen des Landesverfassungsschutzgesetzes und des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes stellen die elektronische Aktenführung beim Verfassungsschutz auf eine gesetzliche Grundlage. Darüber hinaus soll im Zusammenhang mit der Vorbereitung von Bürgermeister- und Landratswahlen die Möglichkeit geschaffen werden, dass die Verfassungstreue der Wahlbewerber bereits vor der Wahlzulassung effektiver als bisher geprüft werden kann, indem die Möglichkeit geschaffen wird, die Verfassungsschutzbehörde in diese Prüfung einzubeziehen.

Der Innenausschuss hat zu dem Gesetzentwurf in seiner 55. Sitzung am 12. Januar 2009 im Rahmen einer Sondersitzung eine öffentliche Anhörung durchgeführt, bei der sowohl die kommunalen Landesverbände als auch Staats- und Verfassungsrechtler sowie der Landesbeauftragte für den Datenschutz in Mecklenburg-Vorpommern Stellung genommen haben.

Kontrovers diskutiert wurde der Gesetzentwurf insbesondere hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Änderung des Kommunalwahlgesetzes. Schwerpunkt der Diskussion war hier die Frage, ob der Eingriff in das passive Wahlrecht durch die Entscheidung des Wahlausschusses über die Zulassung von Bewerbern gerechtfertigt und damit verfassungskonform sei oder ob letztendlich immer und ausschließlich der Wähler zu entscheiden habe. Die Koalitionsfraktionen sind zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Wahlausschuss, der ja schon existiert, jetzt die Möglichkeit an die Hand gegeben wird, auch Informationen über Bewerber bei der Verfassungsschutzbehörde einzuholen, und zwar, sobald Zweifel über die Verfassungstreue bestehen. Im Ergebnis der Anhörung und der Beratung hat die Ausschussmehrheit festgestellt, dass der Eingriff in das passive Wahlrecht verhältnismäßig ist und damit keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen.

Seitens der Oppositionsfraktionen wird neben der Verfassungsmäßigkeit der Änderung des Kommunalwahlgesetzes auch die Praktikabilität des Auskunftsverfahrens durch die Verfassungsschutzbehörde über die Rechtsaufsichtsbehörde und den Wahlausschuss bezweifelt, darüber hinaus auch noch die Weisungsunabhängigkeit des Wahlausschusses infrage gestellt. Insofern hat die Fraktion DIE LINKE eine gesonderte Befassung mit der Novellierung des Kommunalwahlgesetzes präferiert.

Weiterhin hat es auch datenschutzrechtliche Bedenken seitens der Fraktion der FDP bei der Änderung der drei Gesetze gegeben. Die FDP hat sich dabei im Wesentlichen auf die Ausführungen des Landesbeauftragten für den Datenschutz bezogen, der bei der Erhebung von Daten ausdrücklich auf die unbedingte Einhaltung der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung hingewiesen hat. Darüber werden wir in der Aussprache noch miteinander diskutieren.

Auch zum Gesetzgebungsverfahren selbst haben sich besonders die Oppositionsfraktionen kritisch geäußert. Aufgrund des engen zeitlichen Rahmens konnte eine dem üblichen Gesetzgebungsverfahren entsprechende Befassung mit diesem Gesetzentwurf nicht durchgeführt werden. Es war unmittelbar nach dem Jahreswechsel eine Sondersitzung des Innenausschusses erforderlich.

Der Gesetzentwurf der Landesregierung wurde ohne große Änderungen vom Innenausschuss mehrheitlich angenommen. Zu den dennoch durchgeführten Änderungen des Gesetzentwurfs ist zu sagen, dass die Beschlüsse des Innenausschusses unter anderem herausgestellt haben, dass auch ehrenamtliche Bürgermeister jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und die Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern einzutreten haben. Man hat außerdem entsprechend den Regelungen der Bundes- und Europawahlordnung im Kommunalwahlgesetz künftig die Regelung zur Begründung des Wahlscheinantrages angepasst. Ferner waren sprachliche Anpassungen an die Bundes- und Europawahlordnung erforderlich.

Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, der Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu folgen und den Gesetzentwurf zur Änderung von Vorschriften den Verfassungsschutz betreffend in diesem Hohen Hause anzunehmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der SPD)

Vielen Dank, Herr Dr. Timm.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 120 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Měšťan von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Rahmen der Ersten Lesung zu diesem Gesetzentwurf hat an dieser Stelle mein Fraktionskollege Peter Ritter kritisiert, dass die Landesregierung mit ihrem Gesetzentwurf den Landtag offensichtlich zu einem gesetzgeberischen Blindflug nötigen will.

Meine Damen und Herren, aus heutiger Sicht möchte ich zu Beginn der Zweiten Lesung sagen, es ist noch viel schlimmer gekommen.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Dieses Gesetz markiert einen Tiefpunkt parlamentarischer Arbeit in diesem Haus. Mit diesem Gesetz wurde eine Linie überschritten, die sich der Landtag nicht bieten lassen kann und auch nicht darf. Und damit meine ich Koalition und Opposition gleichermaßen.

Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE LINKE lehnt den vorliegenden Gesetzentwurf ab, und zwar aus inhaltlichen und verfahrensmäßigen Aspekten. Ich will Ihnen das in vier Punkten begründen.

Erstens. Der Titel dieses Gesetzes ist irreführend, um nicht zu sagen, unzulässig. Für den Städte- und Gemeindetag jedenfalls ist dieses Gesetz sprachlich und gegenständlich falsch betitelt. Und das haben uns die Kommunalpolitiker sowohl schriftlich als auch mündlich belegt. Nach Auffassung des Städte- und Gemeindetages wäre es besser und transparenter gewesen, ein eigenes Änderungsgesetz zum Kommunalwahlgesetz vorzulegen, das heißt, auf die Verkleidung mit Verfassungsschutzregelungen zu verzichten. Dieser Auffassung stimmt meine Fraktion ausdrücklich zu.

Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident! Er ist nicht da. Herr Innenminister! Der ist natürlich da.

(Zurufe von Gino Leonhard, FDP, und Michael Andrejewski, NPD)

Der vorliegende Gesetzentwurf der Landesregierung entspricht ganz offensichtlich auch nicht den Richtlinien zum Erlass von Rechtsvorschriften durch die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern, also der Gemeinsamen Geschäftsordnung II.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

In Paragraf 3 dieser Gemeinsamen Geschäftsordnung II – da geht es um die Allgemeinen Leitlinien für Vorschriften – heißt es in Absatz 4 unter anderem, ich zitiere: „Zusammenhängende Sachverhalte sollen in demselben Rechtsetzungsverfahren geregelt werden.“ Zitatende. Das heißt also anders ausgedrückt, ein Gesetz hat miteinander verbundene Sachverhalte zu regeln.

Und – das möchte ich als Ergänzung hinzufügen – das vorgelegte Gesetz entspricht wohl auch nicht den Empfehlungen des Bundesministeriums der Justiz zur einheitlichen rechtsförmlichen Gestaltung von Gesetzen. Zum Inhalt eines Mantel- und Artikelgesetzes heißt es hier, Zitat: „Die Form des Mantelgesetzes muss gewählt werden, wenn verschiedene Hauptänderungen, die in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen, verschiedene Stammgesetze betreffen.“ Zitatende.

Ich will es bei diesem Beispiel belassen, meine Damen und Herren. Der vorliegende Gesetzentwurf regelt Gegenstände, die alles haben, nur keinen inhaltlichen Zusammenhang. Erklären Sie uns bitte: Was hat der Einsatz des sogenannten IMSI-Catchers mit einer Änderung des parteiinternen Verfahrens der Kandidatenaufstellung zu tun? In welchem inhaltlichen Zusammenhang steht das Ende der Wahlzeit von Kreistagsmitgliedern mit der Personal- und Sachausstattung der PKK? Was haben Wahlen aus besonderem Anlass mit Befugniserweiterungen der Landesverfassungsschutzbehörden inhaltlich gemeinsam? Ich könnte weitere Fragen nennen.

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

Rechtsförmlich ist also dieses Gesetz äußerst kritikwürdig, zumal das federführende Innenministerium innerhalb der Landesregierung für diese Problematik zuständig ist.

Meine Damen und Herren, meine zweite kritische Anmerkung gilt selbstverständlich dem Gesetzgebungsverfahren. Auch hier sollte, ich muss eigentlich deutlicher

sagen, muss der Landtag der Landesregierung hier die Gelbe, wenn nicht gar die Rote Karte zeigen. Und warum betone ich das? Eine Zweite Lesung in diesem Hohen Haus ohne Protokoll der Ersten Lesung, ohne Protokoll also der Einbringungsdebatte, eine abschließende Beratung im Innenausschuss ohne Protokoll der Anhörung –

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

da hilft dann auch nicht der Zwischenruf im Innenausschuss, ich hätte das ja beantragen können. Wenn es nicht mehr zum normalen Geschäftsgebaren in diesem Haus gehört, dass uns die Dokumente, die für ein Gesetzgebungsverfahren wichtig sind,

(Zuruf von Raimund Frank Borrmann, NPD)

rechtzeitig vorgelegt werden können, dann müssen wir darüber nachdenken, ob wir das so laufen lassen können.

Und ich füge auch noch mal hinzu, was der Ausschussvorsitzende eben genannt hat. Um überhaupt eine Anhörung durchzuführen, musste eine Sondersitzung gleich unmittelbar nach der parlamentsfreien Zeit Weihnachten und Silvester durchgeführt werden.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Aber darauf hatten wir uns geeinigt. – Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist nicht so ganz ungewöhnlich.)

Und noch einen Fakt füge ich hinzu: Die Ladungsfrist zur Anhörung, die der Hälfte der benannten Sachverständigen nicht ermöglichte, sich schriftlich oder mündlich zu äußern, verbunden mit dem Zwang, den wir ihnen auferlegt haben, Weihnachten daran zu arbeiten, das ist ein Fakt, der einfach nicht so stehen bleiben kann.

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Ja.)

Meine Damen und Herren, ich hebe an dieser Stelle hervor, dass das vordergründig keine Kritik am Innenausschuss ist, auch nicht an der Landtagsverwaltung. Die Kritik – und diese Deutlichkeit möchte ich hier auch nennen – an diesem unmöglichen Verfahren der Gesetzgebung zielt ganz eindeutig in Richtung Landesregierung. Und ich habe auch erleben können, dass diese Kritik offensichtlich von den Koalitionsfraktionen geteilt wurde.

Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident! Herr Innenminister! Auch in diesem Zusammenhang muss ich die Koalitionsregierung an die Rechtsgrundlagen ihrer Arbeit erinnern. Die Gemeinsame Geschäftsordnung II regelt auch das Verfahren zur Vorbereitung von Gesetzen. Und in Paragraf 2 dieser Gemeinsamen Geschäftsordnung ist klar geregelt, dass jedes Ressort zur mittel- und langfristigen Planung einen Gesetzgebungsplan vorbereitet und die Staatskanzlei für die Koordinierung Verantwortung trägt.

Meine Damen und Herren, dass in diesem Jahr Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern stattfinden, war gerade der Landesregierung frühzeitig bekannt. Und im Falle eines geordneten Regierungshandelns dürfte der Kommunalwahltermin aber nicht ohne Einfluss auf den Gesetzgebungsplan der Landesregierung geblieben sein. Und genau an dieser Stelle habe ich meine Zweifel an einem durchgehend geordneten Verfahren innerhalb dieser Landesregierung. Entweder, Herr Innenminister, macht in diesem Kabinett jeder, was er will und wann er will,

(Zurufe von Michael Andrejewski, NPD, und Raimund Frank Borrmann, NPD)

oder aber, Herr Ministerpräsident Sellering, trägt die gesamte Landesregierung dafür Verantwortung, dass sie den Landtag mit diesem Gesetz in eine unmögliche Situation gebracht hat.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Das habe ich mir nicht aus den Fingern gesaugt, sondern das geht auch aus der Tatsache hervor, dass die kommunalen Spitzenverbände jedenfalls ihre Stellungnahmen zum Referentenentwurf zu diesem Gesetz bereits im April 2008 der Regierung zugesandt haben. Ich wiederhole: April 2008! War die Landesregierung in den folgenden sieben Monaten handlungsunfähig?

Meine Damen und Herren, die dritte kritische Anmerkung bezieht sich auf Artikel 2 des vorliegenden Gesetzentwurfs, also auf die Änderung des Landesverfassungsschutzgesetzes. Unsere Anhörung hat verdeutlicht, dass dieser Gesetzentwurf möglicherweise noch rechtmäßig, keinesfalls aber zweckmäßig ist. Er bewegt sich aber auf der seit 15 Jahren zu verzeichnenden Welle einer tendenziellen Verschärfung der Sicherheitsgesetze ohne wirksame Kontrolle. Solange sich aber das Bundesverfassungsgericht lediglich in kosmetischen Korrekturen übe, so war zu hören, solange sei auch dieser Gesetzentwurf wahrscheinlich auf der sicheren Seite. Ich halte das für äußerst fraglich.

Meine Damen und Herren, schärfere Strafen, verstärkte Überwachung, ausufernde Kontrollen und verringerter Datenschutz – eine so verstandene Politik der inneren Sicherheit betrachtet den Einzelnen nicht als Bürger, sondern als Risiko, und das sollten wir gemeinsam ablehnen.

Meine Damen und Herren, die vierte und letzte Anmerkung gilt dem Artikel 3, also der Änderung des Kommunalwahlgesetzes, und hier speziell dem Paragrafen 61. Liegen dem Wahlausschuss künftig tatsächliche Anhaltspunkte vor, die Anlass zu Zweifeln an der Verfassungstreue eines Kandidaten geben, so geht die Prüfung dieser beamtenrechtlichen Wählbarkeitsvoraussetzung auf die zuständige Rechtaufsichtsbehörde über. Die im Wahlvorschlag enthaltenen Daten des Wahlbewerbers werden an die Verfassungsschutzbehörde übermittelt. Deren Antwort fließt dann in das Prüfergebnis der Rechtsaufsichtsbehörde ein und bildet neben anderen Bescheinigungen die Grundlage der Entscheidung des Wahlausschusses über die Wahlzulassung.

Meine Damen und Herren – und da richte ich mich besonders an meinen geschätzten Kollegen Heinz Müller –, genau an dieser Stelle kommt es zu einer kritischen Verknüpfung von Verfahren und Inhalt dieses Gesetzgebungsprozesses, die in ihren möglichen Folgen noch gar nicht absehbar ist. Die Anhörung hat doch übergreifend, so habe ich sie jedenfalls verstanden, deutlich gezeigt: Das Ziel ist gut, aber das Mittel problematisch. Die Regelung ist möglicherweise nicht eindeutig verfassungswidrig, birgt aber ganz klar ein hohes Risiko. Die praktische Umsetzung ist dann noch problematischer.

Meine Damen und Herren, jeder Ausschuss in diesem Landtag hätte in dieser Situation innegehalten. Er hätte die aufgezeigten Probleme strukturiert, die vorgesehenen Lösungen kritisch hinterfragt und nach weniger riskanten Alternativen gesucht, ja suchen müssen.