Protokoll der Sitzung vom 06.12.2006

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja.)

wobei natürlich klar ist, die ärztliche Schweigepfl icht dient dem Wohl des Patienten.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Und hier ist das Wohl des Patienten, des kleinen gefährdeten Kindes, wohl in erster Linie zu sehen. Also da müssen wir etwas machen.

Neben der Schweigepfl icht der Ärzte gibt es in diesem Bereich eine weitere Schwierigkeit, nämlich den Datenschutz, sodass gesagt werden kann, wir können

bestimmte Informationen wegen Datenschutz nicht weitergeben. Ich meine, da dürfen wir nicht stehen bleiben, sondern da muss man wirklich genau hinschauen, was man tun kann. Da muss schon der Kinderschutz vor den Datenschutz gehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU, Gabriele Měšťan, Die Linkspartei.PDS, und Dr. Wolfgang Methling, Die Linkspartei.PDS)

Die Beteiligten im Gesundheitswesen müssten etwas tun, aber auch Kita und Schule. Kita und Schule bekommen sehr viel mit von den Elternhäusern. Auch da muss dieses Umdenken stattfi nden, dass wir sagen, da muss man etwas tun, da muss man eingreifen, da muss man die Eltern kommen lassen, schlimmstenfalls die Eltern aufsuchen oder das Jugendamt ansprechen.

Wie überall gibt es auch in kleinen Fragen Probleme, zum Beispiel bei der Kita. Wenn es der einzelnen Erzieherin auffällt, dann ist es bei uns jetzt so geregelt, dass sie sich nicht an das Jugendamt wendet, sondern dann muss sie über ihre Leiterin gehen, die geht über den Träger und der geht an das Jugendamt. Und da wird mir gesagt: Na ja, so ganz unproblematisch ist das nicht, wenn eine Einrichtung sagt, wir haben solche Fälle.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja, ist klar.)

Ja, das fällt vielleicht der einzelnen Erzieherin leichter.

All diese Probleme müssen wir diskutieren, damit wir diese Hemmnisse überwinden. Also noch einmal: Ich denke, wir brauchen einen Mentalitätswechsel als Gesellschaft, dass wir sagen, der Staat ist verantwortlich für das Wohl der Kinder, auch gegen die Eltern, wenn es sein muss.

Eine weitere Erkenntnismöglichkeit, die im Moment sehr diskutiert worden ist, sind die regelmäßigen Untersuchungen von Kindern. Sie alle kennen das. Die Krankenkassen bezahlen die sogenannten U-Untersuchungen. Die fangen ganz früh an und begleiten die Kinder. Da wird in erster Linie geschaut, wie ist die medizinische Entwicklung, muss man etwas tun, muss man helfen. Diese Untersuchungen sind freiwillig und das Problem ist einfach, dass wir mit freiwilligen Untersuchungen natürlich nicht die hochproblematischen Familien erreichen. Die gehen da nicht hin. Eine Möglichkeit, auf freiwilliger Basis dennoch weiterzukommen, wäre der Vorschlag, dass wir die U-8- und die U-9-Untersuchung – für die Nichtexperten: da sind die Kinder dreieinhalb bis vier Jahre und fünf bis fünfeinhalb Jahre, also die letzten Untersuchungen vor der Schule quasi – in den Kitas durchführen. Wir haben 97,3 Prozent der Kinder in den Kitas. Das ist, glaube ich, ein absoluter Spitzenwert, auf den wir sehr stolz sein sollten. Das ist eine Möglichkeit, wo man arbeiten kann. Wenn wir in den Kitas die Untersuchungen durchführen, haben wir, glaube ich, sehr viele Chancen, mehr Kinder, alle Kinder zu erreichen.

Und was eben schon angeklungen ist, wir brauchen eine weitere Untersuchung. Die letzte U-Untersuchung der Krankenkassen ist bei fünf, fünfeinhalb Jahren und danach kommt die Schuluntersuchung des Gesundheitsamtes. Dazwischen ist eine Lücke, die man, wie ich meine, mit einer Vorschuluntersuchung füllen müsste. Die würde genau zeitlich passen und sie würde auch Sinn machen. Wenn wir alle sagen, wir müssen Kinder in Vorschulen auf die Schule vorbereiten,

(Zuruf von Kerstin Fiedler-Wilhelm, CDU)

dann ist es sehr sinnvoll, zu Beginn eine Untersuchung zu machen und zu fragen: Sind die Kinder reif dafür? Brauchen sie besondere Fördermöglichkeiten? Gleichzeitig würden wir die Erkenntnismöglichkeit in diesem Sinne steigern. Das fi nde ich sehr gut.

Die andere Seite ist, selbst wenn wir jetzt mehr erreichen, wird die Frage der Verbindlichkeit diskutiert. Müssen wir verbindlich machen, dass Kinder zu diesen Untersuchungen gebracht werden? Ich meine, ja, das muss verbindlich sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und CDU)

Man muss sich nur darüber klar werden, wir haben einen Missstand, einen ganz schweren Fall, den wir lösen müssen, und wir dürfen nicht sagen, wir machen jetzt ein Gesetz, mit dem wir etwas verbindlich machen, und wunderbar, nun ist alles gelöst, sondern man muss sich fragen: Was bedeutet denn so ein Verbindlichmachen? Bedeutet das, wer das nicht macht, der wird bestraft? Werden die Eltern bestraft, wenn sie mit den Kindern nicht kommen? Oder fi nden wir andere Sanktionsmöglichkeiten? So etwas Abenteuerliches wie Kürzung des Kindergeldes wurde diskutiert. Das fi nde ich völlig abwegig.

(Harry Glawe, CDU: Das ist ja verworfen.)

Wenn man das beim Wort nimmt, will man dem Kind Geld wegnehmen. Und wenn man sagt, nein, das ist das, was die Eltern fürs Kind bekommen, das kürze ich ihnen, damit sie Bescheid wissen, dann weiß jeder, der sich in solchen Problemfamilien auskennt, dass alle Kürzungen nicht bei den Eltern ankommen, sondern die werden beim Kind vorgenommen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist richtig.)

Also das ist unsinnig. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, was wir tun, wenn dieser Verbindlichkeit nicht nachgekommen wird. Ich meine, wir müssen einfach ein bestimmtes Regime einrichten, dass wir alle Kinder erreichen, alle Eltern, die Kinder haben, und sagen: So, ihr müsst kommen. Wer nicht kommt, wird noch einmal gemahnt, und wer beim zweiten Mal nicht kommt, den muss das Jugendamt aufsuchen. Ich denke, das hört sich vielleicht jetzt ein bisschen wenig hart an, aber ich glaube, das ist genau der richtige Weg, dass das Jugendamt die Eltern besucht, bei denen wir ein Problemkind vermuten, und dann alle Möglichkeiten nutzt, die das Jugendamt hat. Ich denke, dann sind wir auf dem richtigen Weg zu sagen, wer sich solchen U-Untersuchungen entzieht, weckt ein gewisses Misstrauen, und dann schicken wir das Jugendamt da hin und wollen feststellen, was da eigentlich los ist.

(Zuruf von Heike Polzin, SPD)

Ich denke, dass das ein guter Weg ist.

Hier ist aber auch schon angesprochen worden, dass der Grund für solche Misshandlungen ganz häufi g darin liegt, dass die Eltern überfordert sind. Und wenn man wirklich etwas tun will, langfristig tun will, dann müssen wir natürlich auch Hilfen geben und anbieten, den Kindern, den Eltern, die überfordert sind, zu helfen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Harry Glawe, CDU: Richtig.)

Ich meine, dazu ist eine ganz intensive Begleitung notwendig, vor allem in der Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr. Alle Erfahrungen zeigen, dass auch Frauen

aus Problemfamilien während der Schwangerschaft empfänglich sind für Gespräche, für Rat, dass sie offen dafür sind, das werdende Leben zu beschützen, dass sie das eigentlich wollen und dann auch Hilfen annehmen.

Wir haben in diesem Bereich eine sehr gute Möglichkeit – die Hebammenhilfe. Sie kann die Schwangerschaft begleiten, kann helfen während der Wochenpfl ege. Wir haben über die Kassen eine Möglichkeit, denn bei medizinischen Indikationen kann die Hebamme bis zu einem Jahr helfen. Ich meine, das müssten wir dahin gehend erweitern, dass das nicht nur bei einer medizinischen Indikation möglich ist, sondern auch bei einer sozialen Indikation.

(Heike Polzin, SPD: Ja.)

Wenn klar ist, dass die Familie weiter Hilfe braucht, dann muss es eine Familienhebamme geben, die das machen kann. Wir führen hier im Land Fortbildungen zur Familienhebamme durch.

Wir müssten aber auch weitere Maßnahmen anbieten zur Stärkung der Erziehungskompetenz, Stichworte: Familienbildung, Modellprojekte, „Eltern stark machen“ gibt es da. Das muss auf örtlicher Ebene passieren. Notfalls muss das Land Anreize schaffen dafür, dass die Kommunen das tun, und auch dafür, dass es wahrgenommen wird. Darüber muss man, glaube ich, nachdenken. Dann ist man weniger bei Sanktionen als vielmehr bei Anreizen. Auch wenn wir Hilfen anbieten, müssen wir, glaube ich, dieses Ziel verfolgen, dass wir aufsuchen müssen. Wir müssen nicht warten auf die, die kommen. Die Eltern, die in Elternkurse kommen, haben häufi g die sogenannten Luxusprobleme. Das sind Eltern, die ohnehin schon ein sehr waches Bewusstsein dafür haben, dass Eltern besonders leistungsfähig sein müssen. Die, die wir erreichen wollen, kommen da nicht hin. Auch da wäre die Kita ein guter Anknüpfungspunkt, dass man in den Kitas die Eltern irgendwie erreicht, zu Elternabenden lädt. Da gibt es schon Schwellen, die müssen überschritten werden. Ich denke, da muss man etwas tun.

Ein ganz wichtiges Projekt ist, dass wir versuchen, die Hilfen, die Familien bekommen können, die vielfältig sind, es gibt ganz viele Bereiche, zusammenzufassen.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Von sogenannten Familienhäusern wird da gesprochen. Frau von der Leyen nennt das in einer bestimmten Weise.

(Harry Glawe, CDU: Das hatten wir doch auch schon.)

Wir in Mecklenburg-Vorpommern, das möchte ich noch sagen, nennen das Familienzentren. Wir machen das seit 1993. Das war das erste. Ich glaube, wir waren die Ersten in Deutschland.

Meine Damen und Herren, ich denke, bei diesem wichtigen speziellen Thema „Schutz von Kindern“ sind wir gut aufgestellt. Wir werden aber trotzdem noch weiterarbeiten müssen. Das Sozialministerium wird dranbleiben. Das Sozialministerium – das darf ich Ihnen nach drei Wochen schon sagen – hat sehr engagierte und sehr gute Mitarbeiter, die mit Herz bei der Sache sind, sodass ich sicher bin, dass von da viel kommt.

(Harry Glawe, CDU: Gut, dass Sie das mal sagen.)

Das muss mal gesagt werden.

Ich freue mich darauf, wenn wir hier weiter zusammenar

beiten können. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU und Torsten Koplin, Die Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Herr Minister Sellering.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Müller von der Fraktion der NPD.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst ist einmal zu fragen, was Sie von den etablierten Parteien, meine sehr verehrten Damen und Herren, unter „beschützte Kindheit“ verstehen. Ist es doch nicht so, dass gerade die real existenten Rahmenbedingungen für unsere Kleinen Anlass größter Sorge sind? Ich meine damit ganz besonders die unhaltbaren Zustände sowohl in den Kinderkrippen als auch in den weiten Bereichen der schulischen Einrichtungen. Immer mehr Kindertagesstätten in unserem Land werden geschlossen oder personell so ausgedünnt, womit eine wohnortnahe Förderung unserer Kinder fast unmöglich gemacht wird. Damit überhaupt noch Plätze für die ohnehin schon immer weniger werdenden deutschen Kinder fi nanzierbar bleiben, werden die Eltern kräftig zur Kasse gebeten.

Nicht wenige von Ihnen hier beklagen Effekt haschend jene Zustände, für die Sie von den Altparteien die Verantwortung tragen. Ich empfehle Ihnen daher, zunächst einmal grundsätzlich darüber nachzudenken, was Sie, meine Damen und Herren der Altparteien, denn in den vergangenen Wahlperioden praktisch für eine bessere Betreuung geleistet haben. Ihr Versagen auf diesem Feld ist offenkundig und der letzte Kinderarmutsbericht spricht hier Bände. Die Verwahrlosungserscheinungen besonders in den größeren Städten – auch unseres Bundeslandes – schreien regelrecht zum Himmel.

Und es ist nicht übertrieben, wenn ich feststelle, dass Sie hier in diesem Land seit 1989 systematisch eine sozial ungerechte Kinder- und Familienpolitik gemacht haben. Eine beschützte Kindheit beginnt nämlich nicht erst in der Schule oder im Kindergarten, sondern im Elternhaus. Und was haben Sie für kinderreiche Familien getan? Reinweg gar nichts! Ihr Nichtstun hat dazu geführt, dass es kaum mehr Familien in unserem Land gibt. Man kann auch sagen, dass Ihr Unterlassen maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass von weiten Teilen unserer Bevölkerung Kinder als Last und nicht als Glück empfunden werden.

Dass Sie, meine Damen und Herren von der SPD und der CDU, in Ihrem Koalitionsvertrag von der schrittweisen Förderung der vorschulischen Ausbildung und Erziehung sprechen, interessiert die Menschen bei uns in Mecklenburg und Pommern überhaupt nicht.

(Peter Ritter, Die Linkspartei.PDS: Vorpommern!)