Protokoll der Sitzung vom 18.11.2009

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Oh, jetzt wird er ethisch!)

Wie soll sich in diesem System ein familienfreundliches Umfeld entwickeln,

(Zuruf von Dr. Margret Seemann, SPD)

wenn jeder dritte Erwerbstätige in unserem Land gezwungen ist, zur Arbeit in einen anderen Landkreis oder in eine kreisfreie Stadt zu pendeln, wenn sogar jeder achte Erwerbstätige, jeder zehnte Erwerbstätige – in Zahlen 80.000 Bürger – Mecklenburg-Vorpommerns einer beruflichen Tätigkeit in angrenzenden Bundesländern nachgehen muss? Nach dem Motto „Arbeit um jeden Preis“ müssen Pendler heute vieles in Kauf nehmen, bis hin zur Belastung oder gar Zerstörung von sozialen Bindungen wie Familien.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sagen Sie mal einen Gegenvorschlag, wie das anders funktioniert!)

Das sind die Ergebnisse Ihrer Politik.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ah, ja, ja, ja!)

Deshalb möge der Landtag beschließen: „Der Landtag betrachtet es mit großer Sorge,“

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

„dass zwanzig Jahre nach dem Untergang der DDR, Verantwortliche und Handlanger des SED-Unterdrückungsapparates heute wieder vermehrt in führenden Stellungen in der Politik und der Verwaltung zu finden sind.... Soziale Gerechtigkeit ist erst dann hergestellt, wenn die Angleichung der Lebensverhältnisse in Deutschland hergestellt ist“,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Gott sei Dank, die rote Lampe!)

und „die Abwanderung aus Mecklenburg-Vorpommern muss durch eine am Gemeinwohl ausgerichtete Politik gestoppt werden.“ Aber dafür sind die Blockflöten vollkommen ungeeignet.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wen meinen Sie damit?)

Ich beantrage im Namen meiner Fraktion namentliche Abstimmung.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Wir waren darauf eingestellt, Herr Köster.)

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der NPD auf Drucksache 5/2910. Durch den Redner der Fraktion der NPD ist namentliche Abstimmung beantragt worden. Wir werden das jetzt vorbereiten

(Udo Pastörs, NPD: Widerwillig.)

und dann entsprechend durchführen. Ich unterbreche die Sitzung für zwei Minuten.

Unterbrechung: 18.12 Uhr

Wiederbeginn: 18.13 Uhr

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir können die unterbrochene Sitzung fortsetzen. Die Verwaltung hat die entsprechenden Unterlagen vorbereitet.

Wir beginnen nun mit der Abstimmung. Dazu werden Sie hier vom Präsidium namentlich aufgerufen und gebeten, vom Platz aus Ihre Stimme mit Ja, Nein oder Enthaltung abzugeben. Ich bitte den Schriftführer, die Namen aufzurufen.

(Die namentliche Abstimmung wird durchgeführt.)

Ich habe festgestellt, dass noch einige Mitglieder des Hauses anwesend sind, die mit Sicherheit ihre Stimme abgeben wollen. Ich bitte, dies anzuzeigen.

(Die Abgeordneten Dr. Till Backhaus und Rudolf Borchert werden nachträglich zur Stimmabgabe aufgerufen.)

Gibt es weitere Mitglieder des Hauses, die anwesend sind und ihre Stimme noch abgeben möchten? – Das ist nicht der Fall.

Ich schließe die Abstimmung.

Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir unterbrechen die Sitzung für zwei Minuten.

Unterbrechung: 18.17 Uhr

Wiederbeginn: 18.20 Uhr

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.

Ich darf Ihnen das Abstimmungsergebnis zur Drucksache 5/2910 bekannt geben. An der Abstimmung haben 56 Abgeordnete teilgenommen. Mit Ja stimmten 6 Abgeordnete, mit Nein stimmten 50 Abgeordnete, keiner enthielt sich. Damit ist der Antrag der Fraktion der NPD auf Drucksache 5/2910 abgelehnt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 16: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Entschließung – den kulturellen Aufgaben eine neue Gewichtung geben, auf Drucksache 5/2925.

Antrag der Fraktion DIE LINKE: Entschließung – den kulturellen Aufgaben eine neue Gewichtung geben – Drucksache 5/2925 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Koplin für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf Ihnen den kulturpolitischen Antrag unserer Fraktion hier begründen und halte es für bemerkenswert, dass dieser Antrag nach dem Antrag der NPD von vorhin aufgerufen wurde. Ich denke, die Redebeiträge von Herrn Köster haben deutlich gemacht, dass es sich hierbei um einen klaren Angriff auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit handelte,

(Michael Andrejewski, NPD: Und auf die Stasi.)

und dass die Zurückdrängung von Nationalismus, Rassismus und Neofaschismus eine kulturelle Angelegenheit ist, eine kulturelle Aufgabe, der wir uns in dieser Gesellschaft zu stellen haben. Und insofern finde ich es gut, dass es diese Reihung gibt.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Sehr geehrte Damen und Herren, es gehört zu den öffentlichen Aufgaben, und ich erinnere da an den Arti

kel 16 unserer Landesverfassung, eine Vielfalt an Kultureinrichtungen, Theatern, Museen, Orchestern, Musikschulen, Festivals, Bibliotheken, Denkmälern et cetera im Land und in den Gemeinden vorzuhalten und zu fördern und allen Einwohnerinnen und Einwohnern jeden Alters die Teilhabe an dieser kulturellen Grundversorgung in unterschiedlichster Form zu ermöglichen, denn Kunst entwickelt eine nahezu seismografische Empfindsamkeit allem gegenüber, das die Freiheit gefährdet.

Kunst- und Kultureinrichtungen müssen als Sammlerinnen, Bewahrerinnen, Forscherinnen und Vermittlerinnen von Qualität, von Bildung, als Stätten von Kreativität, künstlerischer Ausdruckskraft und auch regionaler Identität mehr denn je gefördert werden. Dabei geht es nicht um staatlich alimentierte Künstlerinnen und Künstler und erst recht nicht um staatliche Bevormundung von Kultur. Es geht um Kultur im weitesten Sinne, also um die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen. Und eine wesentliche Frage ist die danach, wie Landespolitik künftig mit Kunst und Kultur umgehen will.

Da will ich, vielleicht als Referenz an die Koalition und auch die FDP, Dr. Bernhard Freiherr Loeffelholz von Colberg zitieren. Er war Bankdirektor, Geschäftsführer des Vorstandes des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft, Präsident des Sächsischen Kultursenats und Mitglied der Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages. Er schreibt in der neuesten Ausgabe von „politik und kultur“, ich darf zitieren: „Der Mensch steht heute in einer viel größeren Verantwortung als alle Generationen vor ihm. Mehr denn je ist er auf kulturelle Kräfte angewiesen. Wir brauchen im Prozess der Globalisierung daher Kunst und Kultur nicht nur vordergründig mit Blick auf ihre Nützlichkeit für den Wirtschaftsstandort, sondern vor allem zur Stärkung und Entwicklung unserer mentalen und seelischen Kräfte, damit wir den Herausforderungen unserer Zeit als verantwortliche Menschen gewachsen bleiben.“ Zitatende.

Er appelliert also an unsere Vernunft im Umgang mit Kunst und Kultur, an deren Förderung in Respekt vor deren Freiheit. Förderung ist, wer wüsste das nicht, an finanzielle Mittel geknüpft. Und die geraten zusehends in Gefahr, für Kunst und Kultur bereitgestellt zu werden, eine Gefahr, zu der im März dieses Jahres der Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages eine Anhörung durchführte, und zwar konkret zu den Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise auf den Kulturbereich.

Alle Expertinnen und Experten sprachen davon, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise starke Auswirkungen auf den Kulturbereich haben wird. Der Ausschussvorsitzende Hans-Joachim Otto, FDP, gab den Rat, die Kulturszene müsse sich – Zitat – „sturmfest machen“. Der CDU-Abgeordnete Wolfgang Börnsen forderte, Zitat, „eine breite Kampagne für die Bedeutung der Kultur in einer krisenhaften Zeit.“ Zitatende. Michael Roßnagel vom Kulturkreis der deutschen Wirtschaft verwies darauf, überall seien bereits, Zitat, „die Buchhalter unterwegs, um alle Sparmöglichkeiten auszuleuchten.“ Zitatende.

Damals, im Frühjahr, war davon noch nicht so viel zu spüren. Jetzt, im Herbst, wird es konkreter. In den Rathäusern unseres Bundeslandes herrscht Frust, das wissen Sie selbst. Wir haben heute und auch in der vergangenen Sitzungswoche des Landtages viele Argumente hierzu ausgetauscht. Die durch neoliberale Poli

tik verursachte umfassende Krise, insbesondere die Finanz- und Wirtschaftskrise, und obendrauf auch noch das novellierte FAG der SPD-CDU-Regierung im Land sorgen für große Löcher in den Haushalten der Kommunen. Die Stadtoberhäupter sehen sich stärker als jemals zuvor gezwungen, den Rotstift in die Hand zu nehmen. Unausgeglichene Haushalte werden von der Kommunalaufsicht, sprich, dem Innenminister, mit Auflagen zur sogenannten Konsolidierung vor allem zulasten der sogenannten freiwilligen Aufgaben belegt.

„Aber“, so der Strasburger Bürgermeister Herr Raulin Ende Oktober, Zitat, „auch die Streichung aller freiwilligen Aufgaben würde nicht reichen, um den finanziellen Ausgleich durch die FAG-Regelung zu kompensieren.“ In Goldberg, so die dortige Rathausspitze Anfang November, sind vor allem die freiwilligen Leistungen auf dem Prüfstand, namentlich die Bibliothek, das Museum, der Jugendklub. Eine Ferdinandshoferin beklagte Mitte Oktober in einem Leserbrief den Beschluss des Nachtragshaushaltes durch den Kreistag Uecker-Randow. Dadurch würden keinerlei Fördermittel mehr für Kulturprojekte und Veranstaltungen zur Verfügung stehen. Aus Mangel an Fördergeldern stellte der Neubrandenburger Verein Latücht den Betrieb des kommunalen Kinos ein mit Auswirkungen auf das Europäische Dokumentarfilmfestival „dokumentART“, ebenso auf die Vereinsprojekte „Offene Medienwerkstatt“ und „Jugendmedienfestival“.

Der Landesrechnungshof sieht in seiner Ende Oktober vorgestellten Prüfberichterstattung für die Hansestadt Greifswald neben den Personalkosten Einsparpotenzial vor allem im Kulturbereich in Höhe von 2,45 Millionen Euro, darunter beim Theater 1,5 Millionen Euro. Bei mehr als 400 Theatern in Deutschland liege, so der Generalintendant des Staatstheaters Schwerin, Joachim Kümmritz, Ende Oktober, sein Theater mit seinem Einspielergebnis von etwa 5 Millionen Euro jährlich auf Rang 16 hinter solch großen Häusern wie Semperoper oder Staatsoper Berlin. Beschlüsse der Landesregierung brächten das renommierte Haus jedoch in eine finanzielle Schieflage. Darüber, dass die Landespolitik die Theater krank mache, ist hier schon vielfach gesprochen worden.

(Egbert Liskow, CDU: Und finanziert.)