Protokoll der Sitzung vom 23.09.2015

Das Wort für die Fraktion DIE LINKE hat jetzt die Abgeordnete Frau Borchardt.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat gemeinsam mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur heutigen Landtagssitzung eine Aussprache zum Volksentscheid aufsetzen lassen. Damit haben Sie sicherlich gerechnet, nehme ich an. Und sicherlich haben Sie sich in Ihren Reden auch darauf vorbereitet, wie Sie das Ergebnis des Volksentscheides bewerten. Einiges war ja schon in der Presse zu lesen und zu hören, darauf komme ich zurück.

Aber, meine Damen und Herren, um die Bewertung des Ergebnisses geht es uns in dieser Aussprache nicht in erster Linie, sondern um Fragen, die uns alle in Bezug auf den Ausbau der direkten Demokratie beschäftigen sollten. Insofern ist die Entscheidung für eine verbundene Aussprache mit der Zweiten Lesung des Gesetzentwurfes zum Volksabstimmungsgesetz auch sinnvoll.

Bevor ich allerdings in die Rede einsteige, möchte ich zunächst allen Beteiligten am Volksbegehren und am Volksentscheid herzlich danken,

(Jochen Schulte, SPD: Das kann aber lange dauern, wenn sie allen danken will.)

insbesondere den Initiatoren des Volksbegehrens, die fast vier Jahre alle möglichen außerparlamentarischen und parlamentarischen Möglichkeiten genutzt haben, um das große Reformprojekt der Landesregierung, dessen Ergebnis von Anfang an feststand, zu verhindern. Danken möchte ich auch den vielen Unterstützerinnen und Unterstützern, die mit Tausenden gesammelten Unterschriften während des Volksbegehrens diesen Volksentscheid überhaupt erst möglich gemacht haben, die im Abstimmungskampf Flyer verteilt, Plakate aufgehängt und aufgeklärt haben, was denn ein Volksentscheid sei und welche Konsequenzen er hätte.

Diese Unterstützung war vielfältig und war in den Regionen sehr bunt, was die Parteienlandschaft betrifft. Von SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN war alles vertreten.

(Michael Andrejewski, NPD: Und NPD.)

Danken möchte ich den Bürgerinnen und Bürgern, die dem Volksbegehren und dem Volksentscheid ihre Stimme gegeben haben, und selbstverständlich auch den Wahlhelferinnen und Wahlhelfern, die am Sonntag in den Wahl- lokalen die Wahlen organisatorisch abgesichert haben.

(Unruhe vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Torsten Renz, CDU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie Sie alle wissen, stehen sowohl die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als auch meine Fraktion für den Ausbau der direkten Demokratie in unserem Land.

(Glocke der Vizepräsidentin)

Davon zeugen die zahlreichen Anträge zur Änderung der Verfassung in den letzten Wahlperioden. Wir haben auch zur Kenntnis nehmen müssen, dass insbesondere die CDU dem ganzen Vorhaben sehr skeptisch, zum Teil auch ablehnend gegenübersteht.

(Torsten Renz, CDU: Jetzt haben wir wenigstens einen Schuldigen.)

Unsere Gründe für den Ausbau sind sehr vielfältig und zum Teil auch bekannt. Deshalb will ich mich auf ein paar Punkte konzentrieren.

Mit dem Ausbau der Instrumente der direkten Demokratie wollen wir die Macht besser verteilen, die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger vergrößern, deren Entfremdung von der Politik abbauen, die Menschen ermutigen, sich einzumischen und sich nicht einfach dem Schicksal zu ergeben

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Schicksal!)

sowie die Lernfähigkeit der Gesellschaft stärken.

(Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Große Worte, werden Sie denken. Das mag sein, aber anspruchsvolle Ziele. Wir sind überzeugt davon, dass wir alle gemeinsam gewinnen würden, wenn die Mitbestimmung sich eben nicht nur auf den Wahltag beschränken würde, sondern auch zwischen den Wahlen wahrgenommen werden kann. Denn was passiert am Wahltag? Die Bürgerinnen und Bürger können nur Programmpakete wählen, nach Themen differenzierte Voten sind unmöglich, konkrete Gesetzesvorhaben sind nicht als Wählerauftrag abzuleiten, ganz zu schweigen vom Einfordern von Wahlversprechen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wozu wählen wir denn überhaupt noch?)

Mehr direkte Demokratie würde auch bedeuten, dass über die zu treffenden Entscheidungen ungleich mehr in der Öffentlichkeit diskutiert,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

nachgedacht und vor allem auch zugehört werden müsste, nicht, Herr Renz?! Regierung und Parlamentarier müssten viel mehr in die Gesellschaft hineinhören, viel mehr Überzeugungsanstrengungen auf sich nehmen – eine Kultur, von der wir leider weit entfernt sind.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Sie vielleicht, wir nicht.)

Aber was wäre das für ein Kulturgewinn! Direkte Demokratie könnte also sowohl Bremse als auch Motor sein,

(Manfred Dachner, SPD: Wen meint sie denn jetzt eigentlich?)

aber – und das hat der erste Volksentscheid in unserem Land gezeigt – Instrumente der direkten Demokratie müssen rechtlich und verfahrensmäßig sorgfältig ausgestaltet werden.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Das ist in unserem Land eindeutig nicht der Fall. Das Volksabstimmungsgesetz hat erhebliche Lücken, die bereits im Vorfeld des Volksentscheids deutlich geworden sind. Hier sollte im Interesse aller nachgesteuert werden. Herr Suhr hat in seiner Einbringung schon darauf hingewiesen.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Herr Suhr hat das eingebracht?)

Aber die Lücken im Volksabstimmungsgesetz beschränken sich ja nicht nur auf die drei Gegenstände, die Teil dieses Gesetzentwurfes sind. So ist das Verfahren bei Rechtsbehelfen gegen Entscheidungen der Landeswahlleiterin nicht geregelt, es gibt keine aufschiebende Wirkung eines erfolgreichen Volksbegehrens, die Regelungen der Vertreter im zuständigen Fachausschuss sind nicht sachgerecht und auch die Verweise in nicht mehr existierende Gesetze müssen korrigiert werden. Diese Liste ließe sich fortführen. Fest steht aus unserer Sicht, hier muss dringend etwas passieren. Das ist das Mindeste, was man aus diesem Gesetzgebungsverfahren mitnehmen sollte.

Trotz alledem ist es zu einfach, sich lediglich auf das lückenhafte Volksabstimmungsgesetz zurückzuziehen.

Es hätte durchaus in der Macht des Landtages gestanden, bestehende Lücken durch eigene Beschlüsse zu füllen. Und wenn zum Beispiel eine aufschiebende Wirkung des Volksbegehrens nicht im Gesetz verankert ist, wäre es dem Landtag unbenommen gewesen, diese faktisch per Beschluss herzustellen.

(Heinz Müller, SPD: Tja.)

Diese Chance hatten Sie, wir haben sie Ihnen mehrfach gegeben. Es wurde uns dann entgegnet, das sei rechtlich nicht möglich. Alles Unfug! Selbstverständlich kann der Landtag jedes von ihm beschlossene Gesetz ändern,

(Marc Reinhardt, CDU: Aber er muss nicht.)

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wenn er denn die Mehrheit hat.)

oder eben auch aufschieben.

(Heinz Müller, SPD: Wenn Mehrheiten dafür sind.)

Man hat nur nicht den Mut zu sagen, dass man diese aufschiebende Wirkung nicht will,

(Heinz Müller, SPD: Oder ist das auch undemokratisch, das mit der Mehrheit? – Zurufe von Marc Reinhardt, CDU, und Torsten Renz, CDU)

weil man gerne vollendete Tatsachen schaffen möchte, um die Erfolgschancen des Volksentscheides zu senken. Genau das ist doch der Punkt.

(Heinz Müller, SPD: Demokratisch ist, wenn Frau Borchardt recht hat.)

Es ist doch klar, dass mit jedem Tag, der verstrich, und mit jedem Gericht, das geschlossen wurde, die Kosten für eine Rückabwicklung immer höher wurden. Das hat selbstverständlich auch die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger beeinflusst.

(Torsten Renz, CDU: Das glaub ich nicht. Das glaub ich im Leben nicht.)

Ähnlich verhält es sich mit der von uns geforderten Infobroschüre.

(Zuruf von Manfred Dachner, SPD)

Wenn diese nicht im Volksabstimmungsgesetz gestanden hat, hätte es uns als Landtag frei gestanden,

(Glocke der Vizepräsidentin)