Protokoll der Sitzung vom 23.09.2015

c) „die Gewährleistung … personenzentrierter Hilfen“.

Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist nicht benannt. Da fragen wir uns natürlich, warum

nicht. Man könnte meinen, es wäre nicht notwendig, dies extra zu erwähnen, ist doch eben von personenzentrierten Hilfen in der Zielsetzung des Gesetzes die Rede. Die UN-Behindertenrechtskonvention besagt, dass Menschen dort leben sollen, wo sie wollen und wie sie es wollen,

(Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD)

und dass sie nicht noch zusätzlich unter Organisationsformen ein- und ausgegrenzt werden sollen. Dieser Anspruch ist weiter gefasst als ein Denken in den Kategorien stationär, teilstationär und ambulant.

Und dass er Ihnen nicht passt, Herr Pastörs, das spricht für den Ansatz, der dahintersteht, das ist nämlich ein menschenfreundlicher.

(Udo Pastörs, NPD: Jaja.)

Während der Veranstaltung,

(Michael Andrejewski, NPD: Den die Stasi entwickelt hat damals.)

während der Veranstaltung der Diakonie,

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

während der Veranstaltung der Diakonie „Teilhabe im Wandel“ in Burg Stargard und Grevesmühlen – dort hatte ich teilgenommen, Frau Gajek war auch beispielsweise wie Herr Schubert in Grevesmühlen –

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

hatte Frau Romanowsky den Anspruch der UN-Behin- dertenrechtskonvention wunderbar illustriert. Sie sagte, es gelte herauszufinden, wie Menschen mit besonderen Bedarfen uneingeschränkt am Leben teilhaben können. Dabei sei es einerlei, ob etwa ein Mensch mit Behinderung in einem Schloss oder in einer alternativen Wohnform, etwa in einem Bauwagen, leben möchte. Allein die Vorstellung des Menschen, um den es gehe, müsse handlungsleitend sein.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Was hat das mit dem Ziel des Gesetzes zu tun? Wir meinen, sehr viel. Die Ziele des Gesetzes benennen nämlich dessen Ausrichtung. Daraus leiten sich alle weiteren Steuerungsmomente ab. Dies lässt sich letztlich dann herunterbrechen bis zur Einzelfallsteuerung und dem Agieren aller an der Teilhabesicherung beteiligten Akteure, in dessen Mitte die Betroffenen stehen. Kurzum: Wir halten die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention für das vorrangige Ziel dieses Gesetzes und wollen, dass dies auch so niedergeschrieben wird, kündigen also in dieser Hinsicht schon mal Änderungsbedarfe am Gesetz an.

Sehr geehrte Damen und Herren, mit dem Gesetzentwurf sind die Bestimmungen des Sozialministeriums zu einer obersten Landessozialbehörde und eines bei dieser eingerichteten Beirats verbunden. Angesichts der Gesamtkonstruktion des Gesetzes ist die Bildung einer obersten Landessozialbehörde durchaus nachvollziehbar.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nicht nachvollziehbar, ja geradezu kontraproduktiv ist mit Blick auf dessen Aufgaben die vorgesehene Zusammensetzung des Beirates. Der soll sich, so will es der Gesetzentwurf, unter anderem über politische, gesellschaftliche und fachliche Entwicklungen verständigen, was ja durchaus gut und richtig ist. Warum aber soll die Legislative dann keinen Zugang zu diesem Gremium bekommen? Vielleicht deshalb, weil darin ja schon die Ministerialbeamten platziert werden sollen? Das Ansinnen der Landesregierung mit diesem Gesetzentwurf wirft ein unschönes Schlaglicht auf deren Politikverständnis. Es lässt sich auf die Formel bringen: Politik – also in der Lesart dieses Gesetzes –, Politik gleich Landesregierung, Abgeordnete stören nur beim Regieren.

Ich bin in dem Zusammenhang gerade daran erinnert worden, dass Herr Kokert auf der heute schon mehrfach zitierten Veranstaltung „20 Jahre Bürgerbeauftragter in Mecklenburg-Vorpommern“ in bemerkenswerter Weise das Verhältnis von Legislative und Exekutive problematisiert hat. Das fand ich sehr interessant, dass es also nicht nur aus Sicht der Opposition so kritisch angemerkt wird, sondern auch aus den Reihen der Koalitionäre.

(Vincent Kokert, CDU: Ja.)

Wir sind da, was das betrifft, also dicht beieinander, und genau in diesem Gesetzentwurf befindet sich diese zu kritisierende Praxis wieder. Wer in einem Beirat die Verständigung zur politischen Entwicklung will, wer will, dass dieses Gremium der obersten Landessozialbehörde Ratschläge gibt, wer will, dass der Beirat ein Scharnier zum Sozialausschuss und somit zum gesetzgebenden Landtag ist, der sorgt dafür, dass im Beirat gewählte Abgeordnete ebenfalls Sitz und Stimme haben, und zwar paritätisch, eine Abgeordnete beziehungsweise ein Abgeordneter aus den Regierungsfraktionen – oder, falls das mal so eintreten sollte, der Regierungsfraktion – und eine Abgeordnete beziehungsweise ein Abgeordneter der Opposition, meinen wir. Das hat auch etwas mit politischer Inklusion zu tun.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Diskussion um das noch geltende Gesetz und deren Vorläufer verkam zusehends zu einer technokratischen Debatte über Strukturen und Gefeilsche um Geld. Und ich fand es eben zu Beginn der Einbringung durch den Bildungsminister bemerkenswert, dass diese Feststellung aus dem eigenen Haus kommt, darauf hinzuweisen, in welcher Art und Weise mit den Gesetzentwürfen in der Vergangenheit und dann bei der Umsetzung umgegangen wurde.

Auch wenn der personenzentrierte Ansatz bei diesem Gesetzentwurf heraussticht, bleibt dennoch die Auskömmlichkeit der finanziellen Ausstattung die große Unbekannte, aus mehreren Gründen: weil die Bedarfsermittlung bislang eher kostenzentriert als personenzentriert war, weil bei einigen Leistungstypen die Personalschlüssel seit mehr als zehn Jahren unverändert sind, jedoch die Bedarfslagen seither entschiedene Veränderungen erfuhren.

Wer sich darüber mal ein Bild verschaffen möchte, Kollege Ritter und ich waren im Rahmen eines Besuchs der Kreistagsfraktion der LINKEN in den Werkstätten für Behinderte in Demmin jüngst zu Gast und da ist uns das noch mal deutlich vor Augen geführt worden und auch darauf hingewiesen worden, dass es hier Handlungsbedarf gibt.

Und – ich bin immer noch bei der großen Unbekannten Auskömmlichkeit – weil wir vor der großen Herausforderung der Betreuung von aus Altersgründen die Werkstätten für Behinderte verlassende Beschäftigte stehen: allein 800 Personen in den nächsten drei Jahren, für die bislang noch kein Leistungstyp bestand. Ich konnte dem Gesetzentwurf, das mag mangelnde Kompetenz sein, ich konnte in dem Gesetzentwurf nicht erkennen, dass es einen gedanklichen Ansatz gibt, diesen Missstand zu heilen. Wir wissen um ihn schon seit einiger Zeit und wir wissen, dass diese große Herausforderung von den Trägern nicht allein bewältigt werden kann. Dazu bedarf es Rahmenbedingungen, da bedarf es selbstverständlich natürlich auch einer Ausstattung mit den entsprechenden Ressourcen.

Und, letzter Aspekt zur großen Unbekannten Geld, weil perspektivisch im wachsenden Maße Leistungen nachgefragt werden. In den uns vorliegenden Unterlagen für die Behandlung dieses Gesetzesvorhabens gibt es aufschlussreiche Materialien, zum Beispiel den Hinweis, dass im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Firma Konsens GmbH tätig wurde und Bedarfsprognosen angestellt hat, auch für MecklenburgVorpommern im Zeitraum 2014 bis 2020, und auf stattliche Zahlen und Entwicklungen gekommen ist.

Drei will ich mal ganz kurz erwähnen: Es wird in dem besagten Zeitraum von etwa sechs, sieben Jahren voraussichtlich eine Zunahme im stationären Wohnbereich von 7,72 Prozent, im ambulanten Wohnen von 39,94 Prozent und bei den Werkstätten für Behinderte von 12,94 Prozent geben, obwohl angenommen wurde, dass die Bevölkerungszahl sinkt. Da gibt es große Herausforderungen, die es zu meistern gilt.

Aus diesem Grund ist eine Evaluation erst im Jahr 2021, so, wie es im Gesetzentwurf verankert ist, aus unserer Sicht zu spät. Die jährliche Berichtspflicht, die eingebaut ist, ist wichtig, um die Daten überhaupt erst einmal zu erfassen. Das ist schon in Ordnung, aber dann erst in eine Evaluation nach fünf Jahren zu steigen, halten wir für zu spät, aus folgendem Grunde: Wir meinen nämlich, sie sollte bereits nach drei Jahren erfolgen, sodass der nächste Landtag – also der, der in der kommenden Legislaturperiode dann auch die politische Verantwortung trägt – noch während dieser Legislaturperiode steuern kann.

Sehr geehrte Damen und Herren, alles in allem will ich dann doch sagen, dass unsere Fraktion in dem Gesetzentwurf gegenüber dem geltenden Gesetz einen Fortschritt sieht. Wir werden uns konstruktiv in die Debatte einbringen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Schubert.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf liegt vor.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ach?!)

Wir haben uns über den Verfahrensweg zu dem Gesetz verständigt und es wird dazu eine entsprechende Anhörung geben. Und da werden dann auch noch mal diese kritischen Punkte, die Herr

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Koplin.)

Koplin angeführt hat, natürlich noch mal beraten werden. Auch wir als CDU haben da so einige Fragen und Punkte, die wir dann in die Anhörung mit einbringen wollen, und zwar der Rechtsweg für Verhandlungen des Landesrahmenvertrages, der ja auch in dem Zusammenhang zu sehen ist, ein weiterer Punkt ist die Umsetzung der überörtlichen und örtlichen Kontrollfunktion, ein weiterer Punkt die Funktion der zentralen Stelle sowie Rolle und Funktion des Landesbeirats für Sozialhilfe. Uns geht es nicht um die Verteilung und um die Sitze, uns geht es einfach darum, welche Rolle und Funktion soll dieser Landesbeirat einnehmen.

Insofern bin ich mir sicher, dass zu diesen Fragen in der Diskussion mit den Anzuhörenden entsprechende Vorstellungen unterbreitet werden. Wie Herr Koplin schon sagte, habe ich auch teilgenommen in Grevesmühlen und da gab es noch andere Diskussionspunkte. Ich denke nur an die Begriffe „personenzentriert“ und „einrichtungszentriert“. Wie kann das Gesetz dem folgen? Ansätze sind hier drin und wir sind auch dafür, dieses so umzusetzen, damit ein selbstbestimmtes Leben, wie es in der UN-Behindertenrechtskonvention dargestellt ist, ermöglicht werden kann. Ich bin mir aber sicher, dass das mit diesem Gesetz möglich ist.

Und auf die anderen Fragen, die ich eingangs genannt habe, denke ich mal, werden wir auch die entsprechenden Antworten bekommen. Wir warten die Anhörung ab und in der Zweiten Lesung werden wir dann über das Endergebnis abstimmen. – Danke schön.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Abgeordnete und Vizepräsidentin Frau Gajek.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, dass das SGB XII jetzt in den Landtag kommt, ist

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Toll, wa?!)

sehr gut.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Toll!)

Herr Brodkorb, eine erste Entschließung gab es bereits am 15. September 2010. Also das ist so etwas, was wir jährlich immer mit uns mittragen. Und ich denke, Frau Hesse – so, wie Sie sagten – als ehemalige Landrätin weiß eben schon um bestimmte Nöte.

Wir haben uns als Bündnisgrüne in den letzten Jahren immer wieder eingebracht und haben uns sehr stark für die personenzentrierte Förderung ausgesprochen. Und in dem Zusammenhang gab es ja immer die Diskussion über stationär, teilstationär und ambulant und es gibt den Slogan „ambulant vor stationär“.

(Minister Harry Glawe: Das ist kein Slogan.)

Jedoch, und das ist der Unterschied, bei Personenzentriertheit geht es zunächst um die Person und das, was sie braucht, und dann ist der Umkehrschluss „ambulant

vor stationär“ nicht immer der richtige. Ich hoffe, wir werden im Zuge der Anhörung, die am 14. Oktober stattfinden wird, hier die Möglichkeit haben, anzuschauen, wie sich das Sozialhilfefinanzierungsgesetz dann auswirken wird.

Die Frage der Anreize, die ja immer wieder genannt werden, bringt offensichtlich ein paar Irritationen, und zwar, wenn man sich den ersten Entwurf jetzt anschaut, geht es nämlich um die Erstattungssummen, und da gibt es Unterschiede, einerseits für die Kreise, die derzeitig mit 82,5 Prozent angelegt werden und die kreisfreien Städte mit 72 Prozent. Sie haben eine unterschiedliche Kalkulation. Seitens Schwerin und Rostock gibt es da bereits Kritik, aber ich denke, das wird eine Aufgabe sein, hier in der Anhörung nachzufragen.