Protokoll der Sitzung vom 22.10.2015

Ein fiktives Einkommen kommt ansonsten noch im Unterhaltsrecht vor. Es kann vorkommen, dass ein Unterhaltspflichtiger sagt: Meiner Exfrau gönne ich gar nichts, ich lege jetzt mein Abgeordnetenmandat nieder und fange hier beim Landtag als Wachmann an. Dann verdiene ich weniger, aber das ist es mir wert – nee, das habe ich jetzt nicht gesagt, keine falschen Hoffnungen!

(Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD – Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: Wer will Sie schon als Wachmann?!)

Doch, war ich schon, war ich schon.

Dann sagt jetzt mein fiktiver Unterhaltspflichtiger …

(Unruhe vonseiten der Fraktionen der CDU und DIE LINKE – Peter Ritter, DIE LINKE: Welche Frau? Sie haben ja nicht mal eine Frau. Welche Frau wollen Sie denn verlassen?)

Wir sind hier im Bereich des Fiktiven.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Er sah gerade so hoffnungsvoll aus.

(Zuruf von Wolf-Dieter Ringguth, CDU)

Da würde ich Sie aber nicht reinlassen. Da wäre das Drehkreuz zu, Herr Ringguth.

(Beifall und Heiterkeit vonseiten der Fraktion der NPD – Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Jaja, klar. – Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Ja klar, er hat es verdient.

Dann, sagt mein fiktiver Unterhaltspflichtiger, verdiene ich als Wachmann zwar weniger, aber das ist es mir wert, denn so bekommt meine gierige Ex jedenfalls auch weniger.

(Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD)

In solchen Fällen sagt das Familiengericht, du wirst nach dem Einkommen veranschlagt, das du hättest erzielen können, das du leichtfertig aufgegeben hast. Das Bundesverfassungsgericht legte dazu fest, wer aufgrund nachweisbar mangelnder Bemühungen das Einkommen nicht erzielt, das er aufgrund seiner Ausbildung, seines Alters, seines Gesundheitszustandes und so weiter erzielen könnte, dem wird ein entsprechendes fiktives Einkommen zu seinen Lasten zugrunde gelegt,

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

woraus dann der Unterhalt abgeleitet wird, aber aufgrund von Verschulden, aufgrund von Verschulden. Das ist in solchen Fällen, wenn es nachweisbar ist, auch in Ordnung. Aber wo liegt das Verschulden des Selbstständigen, der in seinen konkreten Einnahmen unter der unterstellten Fiktion bleibt? Zur Begründung heißt es im maßgeblichen Kommentar, es müsse dem Versicherungsprinzip Rechnung getragen werden, wonach bei fehlenden oder geringen Einnahmen keine kostenlose Versicherung möglich sein darf. Das darf es einfach nicht geben.

Das Bundesverfassungsgericht hat dazu in einem Beschluss von 2001 mehrere Ausführungen gemacht. Eine Taxifahrerin, eine selbstständige Taxifahrerin hatte geklagt, weil ihre Krankenkasse ihren Beitrag nach dem Durchschnittseinkommen aller angestellten Taxifahrer in der Region festgelegt hatte. Sie nahm aber deutlich weniger ein, sodass es zu einer Ungleichbehandlung kam, denn ein angestellter Taxifahrer, der den gleichen Verdienst erzielte, durfte einen geringeren Krankenkassenbeitrag zahlen. Wegen des fiktiven Einkommens war sie benachteiligt. Ihr zuständiges Landessozialgericht setzte das Verfahren aus und legte den Fall Karlsruhe vor, weil es den Paragrafen 240 Absatz 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V und damit dieses fiktive Einkommen, das auch ich kritisiere, für verfassungswidrig hielt, weil es Artikel 3 Grundgesetz verletze. Das Verfassungsgericht hat diesen Paragrafen allerdings für verfassungsgemäß erklärt, im Wesentlichen mit der Begründung, dass Unternehmerrisiko würde hier auf die Solidargemeinschaft abgewälzt und das dürfe nicht sein.

Aber genau diese Solidargemeinschaft ist eine Phrase und eine Fiktion. Das sind aufgeblähte Verwaltungsapparate der Krankenkassen, Traumgehälter für die Spitzenkader, maximale Profite der Pharmaindustrie. Doch dass zugunsten dieser Cliquen kleine Selbstständige ausgebeutet werden, ist nicht akzeptabel. Diese kleinen Selbstständigen erfüllen auch wichtige Funktionen vor Ort.

(Udo Pastörs, NPD: Ja.)

Wenn es sie nicht gäbe, würden große Teile der Versorgung zusammenbrechen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der NPD)

Dann soll man sie nicht ausbeuten zugunsten von anderen, die Massen von Geld scheffeln.

(Beifall vonseiten der Fraktion der NPD – Udo Pastörs, NPD: Sehr gut.)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 120 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Koplin von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben jetzt sehr viel von Herrn Andrejewski über fiktive Beiträge gehört. Er hat ja auch definiert, was unter fiktiv zu verstehen sei, und darüber gesprochen, dass man anstrebt, tatsächlich erzielte Bruttoeinkommen zugrunde zu legen. So steht es im Beschlusstext. Sie haben dann von der Taxifahrerin gesprochen, wir müssen das aber noch mal abschichten und genauer betrachten. Also wenn wir jetzt so eine Situation haben, und bei den allermeisten Selbstständigen sind die erzielten Erlöse und somit auch die erzielten Überschüsse, wenn es die denn gibt, sehr unstetig, das hätte zur Folge, wenn sie mal monatlich erfasst werden, berechnet werden, dass diese die Verwaltungskosten in die Höhe treiben würden, eine solche Berechnung.

(Heiterkeit bei Udo Pastörs, NPD)

Die Anwendung, diese Erhöhung der Verwaltungskosten geißeln Sie aber auch. Und was ist, wenn es negative Einkünfte gibt? Dann hätten die betroffenen Selbstständigen nach Ihrer Lesart das Anrecht, aus der solidarischen Krankenversicherung als einzige Personengruppe wieder Gelder entnehmen zu können. Die von Ihnen dargestellte fiktive Ungerechtigkeit würde durch eine neue Ungerechtigkeit nach Ihrer Lesart abgelöst werden.

Aber das nur als Vorbemerkung, weil ich denke, das Problem, was hier aufgezeigt wird, verdient eine genauere Betrachtung. Und das, was Sie in der Begründung zu Ihrem Antrag schreiben, ist viel entlarvender, worum es denn wirklich geht.

(Michael Andrejewski, NPD: Oh! Ich hab doch die Ausländer gar nicht erwähnt.)

Aber nehmen wir erst einmal die Gesetzeslage, die Sie nur rudimentär wiedergeben und so tun, als würde da eine Ungerechtigkeit und gar Willkür bestehen.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Tatsächlich ist es so, dass der Beitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung sich nach dem Einkommen richtet. Selbstständige und Freiwillige können zwischen allgemeinen Beitragssätzen und ermäßigten Beitragssätzen wählen.

Sie unterstellen eine Undurchsichtigkeit der Berechnungsgrundlagen in Ihrer Begründung. Dem ist nicht so. Jeder, der sich freiwillig versichert als Selbstständiger, als Künstler, hat eine Beitragsbemessung von 2.935 Euro zugrunde zu legen und erhält dann in der Beitragssatzberechnung einen Abschlag von 25 Prozent. Dann werden 75 Prozent von der Beitragsbemessungsgrenze in Ansatz gebracht. Das wären 297 Euro, die haben Sie vermerkt. Was Sie nicht vermerkt haben in Ihrem Antrag, Sie haben es hier zwar als Zahl, aber dann nicht mehr für die Selbstständigen aufgeführt in der Begründung, ist, dass für bedürftige Existenzgründerinnen und Existenzgründer nur ein Beitragssatz von 50 Prozent gilt. Grundlage wären dann 1.417 Euro brutto, bleiben 198,45 Euro. Und wer auch das nicht kann, kann über das SGB II Paragraf 16c zeitweise Hilfen bekommen. Wenn es auch dann nicht mehr reicht, stellt sich eigentlich die Frage der Grundlage der Geschäftsausübung.

Sie wollen doch wohl mit Ihrem Antrag – denn vorhin hatte, glaube ich, Herr Müller, die Armut gegeißelt –, mit Ihrem Antrag wollen Sie doch nicht sozusagen hier dem das Wort reden, dass Menschen in Selbstständigkeit sich arm arbeiten.

(Udo Pastörs, NPD: Nur wenn sie nichts anderes finden.)

Oder wollen Sie das? Das müssten Sie mal deutlich machen. Was heißt, wenn ich nichts anderes finde? Wenn ich nichts anderes finde, ist ja nicht. Hier findet man in diesem Antrag und in der Begründung Ihre eigentliche Zielrichtung und darauf möchte ich gern eingehen.

Die eigentliche Zielrichtung findet sich dann in dem Absatz, es geht zunächst um die undurchsichtige Weise der Festlegung der Beiträge. Ich habe Ihnen eben dargelegt, dass sie alles andere als undurchsichtig, sondern sehr nachvollziehbar ist. Was interessant ist, ist, dass Sie, das machen Sie ja immer, ein Feindbild aufbauen. Davon lebt Ihre ganze Ideologie, davon lebt Ihre ganze Politik, dass immer ein Feindbild aufgebaut wird,

(Stefan Köster, NPD: Verfolgungswahn. – Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

in diesem Falle sind es die Krankenkassen. Ich habe mich gefragt, warum sind es die Krankenkassen. Was kann die NPD dagegen haben?

(Zuruf von David Petereit, NPD)

Ja, sie hat ein Problem, und zwar ein Problem mit der Selbstverwaltung,

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Ja, mehrere, Torsten.)

mit der Selbstverwaltung.

Dann habe ich mal geschaut, wie war denn das eigentlich früher. Wie haben denn die Idole der NPD das mit der Krankenkasse gehandelt.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktion der NPD)

Ja, ich will mal den Spiegel vorhalten.

(David Petereit, NPD: Wahnsinn! – Zuruf von Stefan Köster, NPD)

In der Geschichte der deutschen Sozialversicherung findet sich zwischen 1933 und 1945 …

(Heiterkeit vonseiten der Fraktion der NPD – David Petereit, NPD: Wenn man nicht mehr weiter weiß, spricht man übers Dritte Reich.)