Und, Frau Friemann-Jennert, auch wenn Sie meinen, es sei hierin keine neue Idee enthalten, DGB und BDA haben sich überhaupt mit dem Thema auseinandergesetzt. Das, was ich von den letzten Armutsdebatten hier im Landtag von Ihnen vernehmen konnte, waren Vergleiche mit Indien, dass es in Deutschland keine Armut gibt und einfach nur die Armut heruntergespielt wird.
(Unruhe vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE – Zuruf von Maika Friemann-Jennert, CDU)
Ich bin ja schon mal froh, dass Herr Brodkorb in Vertretung von Frau Hesse heute nicht Armut und insbesonde
re Kinderarmut herunterdefiniert oder wegdefiniert hat, sondern als Herausforderung anerkannt hat. Das war noch bei der Antwort auf unsere Große Anfrage anders. Wir haben danach gefragt, wie viele Kinder und Jugendliche in Mecklenburg-Vorpommern in Armut leben. Dazu konnte uns die Landesregierung keine Aussagen geben. Stattdessen hat sie sich mit Aussagen wie, weder für den Begriff „Kinderarmut“ noch für den Begriff „Armut“ gibt es eine einheitliche Definition, herausgeredet. Die gibt es, man muss es nur wahrhaben wollen.
Im zweiten Schritt – und das konnten wir auch heute wieder hier hören – beteuern Sie, wir machen doch schon alles: Mindestlohn, AQuA, Familiencoach, alles gute Projekte, die wirklich unsere vollste Unterstützung haben.
Aber das sind einzelne Maßnahmen, die gerade nicht beziehungsweise kaum die in dem Antrag angesprochene Zielgruppe der Langzeitarbeitslosen mit Kindern ab sechs Jahren betreffen. Welches Instrument vielleicht noch in die Richtung geht, das ist der Familiencoach, und darauf hatten Herr Heydorn und auch Herr Brodkorb Bezug genommen.
Aber ich frage Sie: Wie viele Familien werden durch diesen unterstützt? Und auf der anderen Seite: Wie viele Familien mit langzeitarbeitslosen Eltern haben wir denn in Mecklenburg-Vorpommern? Wenn ich Herrn Brodkorb richtig zugehört habe, so sprach er von 220 Vermittlungen.
Daran sieht man, es ist ein einzelnes Projekt, ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, aber wenigstens einer, der nur einer von vielen sein kann, um Elternarmut und damit auch Kinderarmut zu minimieren. Es gibt halt nicht die Maßnahme, sondern ich denke, dass es nur ein Bündel von Maßnahmen sein kann,
Und zum Dritten muss ich Ihnen die nackten Tatsachen zur Kinderarmut hier in Mecklenburg-Vorpommern darlegen, weil ja Frau Friemann-Jennert meinte, die Lage der Menschen habe sich verbessert. Es gibt genügend Studien, die das Gegenteil belegen,
dass es in Mecklenburg-Vorpommern Kinderarmut und insbesondere Elternarmut gibt. Die müssten Sie nur lesen.
Ich möchte Ihnen nur einige aufzählen. Da sind zum Beispiel die alle zwei Jahre veröffentlichte Studie der OECD, diese zehnte Shell-Studie vom Oktober 2015,
der jährliche Armutsbericht des Statistischen Bundesamtes, letzter Stand vom 16. Dezember 2014, und die amtliche Sozialberichterstattung der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, letzte Aktualisierung am 27.08.2015.
Und, Frau Friemann-Jennert, wenn man sich mit diesen Ergebnissen der Studien und den Statistiken auseinandersetzt, die weder verzerrt noch beschönigt sind, dann sagen gerade die letzten beiden Quellen aus, dass nach Bremen mit insgesamt 24,1 Prozent zusammen mit Sachsen-Anhalt sich Mecklenburg-Vorpommern auf dem dritten Platz in der Länderwertung zur Armutsgefährdungsquote, gemessen am Bundesmedian, befindet, und bei den Kindern ist jedes dritte Kind und jeder Jugendliche in Mecklenburg-Vorpommern armutsgefährdet.
In Deutschland gibt es rund 580.000 Bedarfsgemein- schaften mit Kindern, die Leistungen des Jobcenters nach dem SGB II beziehen und in denen kein Elternteil erwerbsfähig ist. Für Mecklenburg-Vorpommern hat Ihnen mein Kollege Henning Foerster die Zahlen genannt.
Das hat natürlich Auswirkungen auf die Familiensituation und insbesondere auf die Situation der Kinder und Jugendlichen. Das ist nichts Neues für die Landesregierung. In der Antwort auf meine Kleine Anfrage vom Januar 2014 führen Sie doch selbst aus, dass eine Risikogruppe für Kinderarmut Kinder von langzeitarbeitslosen Eltern sind. Die Auswirkungen sind für die Kinder verheerend. Arme Kinder erleben schon früh gesellschaftliche Ausgrenzung und die Zugehörigkeit zu einer unteren, benachteiligten gesellschaftlichen Schicht, die zeitlebens kaum mehr verlassen wird.
Ein Lösungsweg wäre, die Situation der Eltern zu verbessern, so, wie im Aktionsplan des DGB und des BDA angesprochen. Eine Maßnahme wäre die bessere Abstimmung sozialintegrativer Leistungen. Das fordern wir in unserem Antragspunkt 2. Ich kann Ihre Ablehnung,
insbesondere gegen diesen Punkt, nicht nachvollziehen. Sie werden sich doch, und so kann ich es nur hoffen, noch an die vom Sozialministerium in Auftrag gegebene Studie erinnern: „Erfolgsfaktoren und Hemmnisse bei der Einbeziehung junger Eltern in existenzsichernde Formen der Erwerbsarbeit in Mecklenburg-Vorpommern“.
Die Fraktion DIE LINKE hatte letztes Jahr hier im Landtag gefordert, dass diese Unterrichtung des Sozialministeriums dazu in den Sozialausschuss überwiesen werden sollte. Leider lehnten Sie, meine Damen und Herren von SPD und CDU, dieses ab, mit fatalen Folgen, wie man immer wieder sieht, denn hätten wir uns intensiv im Sozialausschuss mit dieser Studie und der Stellungnahme des Sozialministeriums dazu beschäftigt, hätten wir zumindest erst einmal zur Kenntnis nehmen können, dass gerade für die Gruppe der langzeitarbeitslosen Eltern festgestellt wurde, und ich darf zitieren: „Die Interviewpartner verfügen über sehr kleine personale Unterstützerstrukturen, die oftmals nur noch aus Restbeständen des unmittelbaren familiären Umfeldes bestehen.“ Weiter heißt es: „Ferner spielt die umfassende Versorgung von Langzeitarbeitslosen mit Informationen über sie betreffende Bestimmungen, Maßnahmen sowie Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten eine wesentliche Rolle. Es geht aber auch – vor allem im ländlichen Raum – um neue, innovative Modelle der Personenbeförderung, die die Mobilitätsdefizite langzeitarbeits- loser Menschen reduzieren und ihnen dadurch die Möglichkeit bieten, überhaupt am Arbeitsmarkt aktiv zu werden.“
Das ist sehr abstrakt gehalten. Kurz gesagt bedeutet es, die Netzwerke langzeitarbeitsloser Eltern sind kaum bis gar nicht vorhanden. Diese Feststellung übernahm auch die Landesregierung, leider ohne Schlussfolgerungen. Wie können die Netzwerke Langzeitarbeitsloser verbessert werden, verbessert mit der Zielrichtung, dass sie erfahren können, wo ihnen bei der Betreuung ihrer Kinder geholfen wird? Welche Möglichkeiten gibt es, mobil zu sein, wo bekommen sie Hilfe bei Multiproblemen, zum Beispiel bei Sucht- oder Schuldnerberatung in ihrer Nähe? Das sind nur zwei Stichworte.
Setzen Sie sich doch mit den kommunalen Landesverbänden, der Bundesagentur für Arbeit und den Jobcentern zusammen, um genau hier anzusetzen, um zu beraten, wie die Angebote vor Ort weiter vernetzt werden und stärker mit den arbeitsmarktbezogenen Hilfen verzahnt werden können! Ich frage mich immer: Warum scheuen Sie sich vor diesem Schritt? Sind Ihnen die Menschen vor Ort egal? – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 6/4646. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 6/4646 mit den Stimmen der Fraktionen von SPD und CDU, bei Zustimmung der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Stimmenthaltung der Fraktion der NPD abgelehnt.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 22: Beratung des Antrages der Fraktionen der SPD und CDU – Nachhaltigen Tourismus als Chance für die wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern ausbauen, Drucksache 6/4651. Hierzu liegen Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 6/4726 sowie ein Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und CDU auf Drucksache 6/4727 vor.
Antrag der Fraktionen der SPD und CDU Nachhaltigen Tourismus als Chance für die wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern ausbauen – Drucksache 6/4651 –