Protokoll der Sitzung vom 18.12.2015

Antrag der Fraktionen der CDU und SPD Wirtschaftsunion statt Schuldenunion – keine Haftung Deutschlands für gesamteuropäische Schulden – Drucksache 6/4847 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Liskow von der Fraktion der CDU.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ah, der Europaexperte! Der will nicht. – Egbert Liskow, CDU: Immer mit der Ruhe!)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe ja vorhin schon etwas Zeit aufgeholt, deswegen sei mir mal gestattet, jetzt ein ganz klein bisschen langsamer nach vorn zu gehen.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Mit dem heute vorliegenden Antrag greifen die Koalitionsfraktionen ein Thema auf, welches aktueller nicht sein könnte. Gerade in der vergangenen Woche war Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zu Gesprächen mit den EU-Finanzministern in Brüssel, um über Pläne der EU-Kommission für eine gemeinsame europäische Einlagensicherung zu sprechen.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ah, der Schäuble war das!)

Worum geht es da? Ganz generell sollen Einlagensicherungssysteme Vertrauen in das Bankensystem schaffen und erhalten. Im Falle des Zusammenbruchs einer Bank sollen sie den Sparern ihre Einlagen erstatten. Damit soll auch verhindert werden, dass im Falle eines Kollapses panische Geldabhebungen erfolgen. Somit kann ein wesentlicher Beitrag zur Stabilisierung des Bankensystems geleistet werden.

Vor dem Hintergrund der Finanzkrise in den 2000erJahren wurden in der Europäischen Union eine Reihe von Maßnahmen ergriffen. So haben sich die Staats- und Regierungschefs zu einer Bankenunion verpflichtet. Die Europäische Bankenunion stellt einheitliche Regelungen und Richtlinien für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bereit, mit dem Ziel, Stabilität im Finanzbereich zu erreichen und zu sichern. Sie besteht aus drei Säulen: einer einheitlichen Bankenaufsicht und Bankenabwicklung sowie einer harmonisierten Einlagensicherung.

Zur Bankenaufsicht: Hier kommt vor allem der Europäischen Zentralbank eine wichtige Rolle zu. Die EZB hat die Verantwortung für den einheitlichen europäischen Bankenaufsichtsmechanismus übernommen und fungiert als zentrale Bankenaufsichtsbehörde im Euroraum. Sie besitzt weitreichende Aufsichts- und Untersuchungsbefugnisse. Beispielsweise überwacht sie bei den von ihr unmittelbar beaufsichtigten Banken die Eigenkapital- und Liquiditätsforderungen und sie kann die Bonuszahlungen an die Bankmitarbeiter begrenzen.

Zur Bankenabwicklung: Ein wichtiges Instrument ist hier die Einführung einer Haftungskaskade, womit dem Grundsatz Rechnung getragen werden soll, dass Risiko und Haftung zusammengehören. Zuerst haften die Eigentümer und Gläubiger, im Anschluss der Abwicklungsfonds, in den die Banken einzahlen. Erst am Ende müsste der jeweilige Staat einspringen. Bankenabgaben werden erst seit 2015 von den Mitgliedsstaaten erhoben, ab 2016 werden sie dem Fonds zugeführt.

Komplettiert werden soll die Bankenunion durch die harmonisierte Einlagensicherung. Das bedeutet, dass auf nationaler Ebene, also in den Mitgliedsstaaten selbst, Einlagensicherungssysteme implementiert werden. Alle Banken sollen einem nationalen Einlagensicherungssystem angehören. Im Entschädigungsfall sollen Bankeneinlagen bis zu einer Grenze von 100.000 Euro garantiert sein. Damit soll auf nationaler Ebene Sicherheit für Sparer geschaffen werden. So weit die Theorie.

In der Praxis ist es jedoch so, dass die getroffenen Beschlüsse der Bankenunion keinesfalls von allen Mitgliedsstaaten umgesetzt worden sind. So haben nicht einmal zwei Drittel der Mitgliedsstaaten die Abwicklungsrichtlinie umgesetzt, obwohl sie dies bereits bis Ende 2014 hätten machen müssen, also es hätte passieren müssen. Deutschland hat im Übrigen als eines von wenigen Ländern vorbildlich gehandelt und die getroffenen Beschlüsse auch umgesetzt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn es nach der EU-Kommission geht, soll – noch bevor die Regelungen zur Bankenunion auf nationaler Ebene überhaupt alle umgesetzt sind – nun jedoch ein europaweit einheitliches, gemeinsames Einlagensicherungssystem eingeführt werden. Die national organisierten Einlagensicherungssysteme sollen also in ein kollektives System umgewandelt werden. Deutsche, belgische und griechische Banken müssen in einen großen europäischen Sparfonds einzahlen und nicht mehr nur die Banken eines Landes in einen nationalen Fonds. Das bedeutet aber am Ende auch, dass deutsche Banken für Banken anderer Länder haften müssten.

Ich bin den Koalitionsfraktionen im Bundestag überaus dankbar, dass sie deutlich Stellung bezogen und sich gegen die EU-Pläne ausgesprochen haben. Meine Fraktion teilt uneingeschränkt die Auffassung, dass sich die EU zunächst auf die Umsetzung der getroffenen Beschlüsse konzentrieren sollte. Dies bedeutet, dass in den einzelnen Mitgliedsstaaten die Vereinbarungen zur Bankenunion überhaupt erst einmal umgesetzt und die daraus entstehenden Pflichten erfüllt werden. Ich erinnere daran, dass es bisher kaum die Hälfte der Mitgliedsstaaten geschafft hat, die beschlossenen Vorgaben umzusetzen. Erst wenn in den Mitgliedsstaaten annähernd ähnliche Voraussetzungen herrschen, kann es hier weitgehende Schritte geben.

Für einen gesamteuropäischen Schutz der Gelder sollte es vorher auch ähnliche Risiken in den Mitgliedsstaaten geben, denn weil die Banken in Deutschland bereits hohe Sicherheitsstandards haben, müssten sie den EU-Topf auch weniger in Anspruch nehmen. Wenn die Länder ohne die umgesetzten Regelungen dagegen in Schieflage geraten sollten, könnten sie sich auch darauf verlassen, dass ihnen der gemeinsame EU-Fonds unter die Arme greift.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin gespannt auf die Auffassung der anderen Fraktionen. In der

Aussprache wird mein Kollege Dietmar Eifler noch näher auf die Ausführungen eingehen. Lassen Sie mich jedoch noch einen anderen speziellen Aspekt aufgreifen. Es ist kein Geheimnis, dass wir in Deutschland ein stabiles Bankensystem haben. Ein wesentlicher Bestandteil des stabilen deutschen Bankensektors ist das auch weltweit nahezu einzigartige System aus Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Diese tragen einerseits zum Vertrauen in die Banken bei, andererseits tragen sie an sich einen ungemein hohen Wert insbesondere auch für Mecklenburg-Vorpommern. Im ländlich geprägten Raum sind diese Banken oftmals noch die einzigen für den Bürger vorhandenen Geldinstitute. Ebenso sind Sparkassen und Genossenschaftsbanken für die mittelständische Wirtschaft und das Handwerk von großer Bedeutung.

Bei den seitens der EU vorgestellten Plänen waren Sparkassen und Genossenschaftsbanken zunächst außen vor. Sie sollten von der europäischen Haftungspflicht ausgenommen werden. Schließlich verfügen sie über eigene Einlagensicherungssysteme. Das bedeutet, dass sie den gesamteuropäischen Spartopf also überhaupt nicht nötig hätten. Dafür, dass sie entgegen der ursprünglichen Absicht nun doch in die Pläne einbezogen werden sollen, gibt es in meinen Augen keine schlüssigen Argumente.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke, dass es diesem Hohen Hause gut zu Gesicht steht, wenn wir die Position des Bundestages unterstützen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Aha! Das merken wir uns für andere Fälle.)

Dieser hat den entsprechenden Antrag der Koalitionäre mit großer Mehrheit angenommen. Ich hoffe auch, dass sich GRÜNE und LINKE anders als ihre Fraktionen im Bundestag unserem Antrag anschließen,

(Heiterkeit und Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

vor allem auch vor dem Hintergrund, dass Sparkassen und Genossenschaftsbanken in diesen turbulenten Zeiten der Rücken gestärkt werden sollte.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zuruf von Jürgen Seidel, CDU)

Und jetzt hat Herr Seidel gesagt, ich soll auch noch gesegnete Weihnachten wünschen.

(Jochen Schulte, SPD: Wenn Herr Seidel das sagt.)

Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Finanzministerin Frau Polzin.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung hat die Errichtung einer Europäischen Bankenunion von Anfang an kritisch, aber konstruktiv begleitet. Niemand hier hat in Abrede gestellt, dass eine europäische Bankenaufsicht grundsätzlich sinnvoll ist. Das war eine Lehre aus der Bankenkrise. Wir haben gleichzeitig aber immer auch deutlich gemacht, dass diese Aufsicht sich auf systemrelevante Banken zu beschränken habe, denn es wäre schlicht ungerecht, wenn die Kreditinstitute, die stabil durch die Krise gekommen sind, weil sie auf riskante Geschäfte verzichtet haben, dieselben Auflagen erfüllen müssten wie diejenigen, die diese Krise überhaupt erst verursacht haben. Die Sparkassen und Genossenschaftsbanken waren hingegen sichere Häfen in dieser Zeit. Wenn es überhaupt Institute gab, die gestärkt aus der Finanzkrise hervorgegangen sind, dann dürften das die Sparkassen gewesen sein. Sie haben das Vertrauen ihrer Kunden nicht enttäuscht und damit enorm an Ansehen gewonnen.

Ich bin daher sehr froh, dass die EU-Kommission mit viel Kraft überzeugt werden konnte und schließlich ein Aufsichtssystem einführte, bei dem unsere Sparkassen und Genossenschaftsbanken nicht der direkten Kontrolle der Europäischen Zentralbank unterstellt wurden, sondern unter nationaler Aufsicht bleiben. Das war die einzig richtige Lösung und die hat sich in Deutschland bereits seit Jahrzehnten bewährt.

Und auch die Einlagensicherung ist in Deutschland sehr weitreichend. Wie Sie wissen, sollte auch in diesem Bereich eine EU-weite Harmonisierung erfolgen, sprich gleiche Regeln für alle Mitglieder des EU-Wirtschafts- raumes. Konkret geht es darum, dass die Sparguthaben bis zu einer Höhe von 100.000 Euro pro Kunde und Bank garantiert gesichert sind. Allerdings ist diese Regelung längst nicht in allen Mitgliedsstaaten umgesetzt worden. Herr Liskow wies bereits darauf hin.

Und nun, noch bevor alle EU-Länder diese Regelung in nationales Recht umgesetzt und einen entsprechenden Topf zur finanziellen Absicherung haben, will die EUKommission schon wieder einen Schritt weiter gehen. In einem Ende November vorgelegten Verordnungsvorschlag sind die Schritte benannt, die dazu führen sollen, dass bis 2024 ein europäisches Einlagensicherungssystem geschaffen wird, das auf einer Vollversicherung basiert. Das Ziel der Europäischen Union, mit dieser Maßnahme zusätzliches Vertrauen zu schaffen, dürfte nicht nur bei deutschen Sparern eher ins Gegenteil umschlagen, denn bei einem solchen System würden die Folgen politischer Entscheidungen in anderen Ländern auf alle Sparer im Euroraum abgewälzt. Sie müssten haften für spanische, italienische und griechische Banken.

Und in einem solchen System müssten sich dann auch die Sparkassen und Genossenschaftsbanken beteiligen, jene Institute also, die im Zuge der europäischen Finanz- und Bankenkrise enorm an Vertrauen gewonnen haben. Das ist umso bedenklicher, weil die Sparkassen selbst im Falle eines Ausfalls mit keinerlei Hilfe der EU rechnen könnten, da es seit Jahren ein eigenes wirksames Institutssicherungssystem gibt. Sie müssten dann in zwei Systeme einzahlen, gleichwohl sie nur von einem in der Not auch Hilfe erwarten könnten. Und dass die zusätzliche finanzielle Belastung die bestehende Institutssicherung gefährdet, da möglicherweise nicht mehr genügend Mittel zur Verfügung stehen, ist ein weiteres Problem solch einer einheitlichen Lösung.

Ich bin daher der Meinung, dass dieser Schritt eindeutig zu weit geht, und mit dieser Position bin ich im Kreise meiner Kolleginnen und Kollegen in den anderen Ländern glücklicherweise nicht allein. Erst vor zwei Wochen haben wir daher im Finanzausschuss des Bundesrates einen Beschluss gefasst, in dem wir unsere Kritik zusammengetragen haben und den Bundestag auffordern, auf eine sachgerechte Lösung bei der EU-Kommission hinzuwirken. Die EU-Kommission wäre also gut beraten, auf die konsequente Umsetzung der Einlagensicherung in den Nationalstaaten zu drängen. Dieses Verfahren sollte eigentlich schon Anfang Juli abgeschlossen sein, aber immer noch fehlen entsprechende nationale Regelungen in zahlreichen Ländern.

In einer solchen Situation einen nächsten weitgehenden Eingriff in die Bankenstruktur der Mitgliedsstaaten, insbesondere in das historisch gewachsene dreistufige System in der Bundesrepublik, unternehmen zu wollen, ist nicht gut durchdacht, und ich versichere Ihnen, dass wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln eine Umsetzung verhindern werden.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Sie sehen also, nicht nur der Bundestag ist mit Mehrheit in diesem Sinne unterwegs, auch im Bundesrat gehen wir davon aus, dass wir weitestgehend einig sind, und das über Parteigrenzen hinweg, denn jeder, der für ein Land verantwortlich ist und für seine Sparkassen, wird diese Situation so einschätzen. Wir sind also, denke ich, da gut, harmonisch und fast im Gleichschritt unterwegs. Bis jetzt haben wir mehrere Attacken, die es nach und nach gab, schon verhindern können, und ich bin auch hier zuversichtlich, dass man wieder einen vernünftigen Weg findet.

In diesem Sinne bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit, nicht ohne Ihnen zu wünschen, dass Sie das Jahresende mal fernab von irgendwelchen Finanzdebatten erleben können,

(Heinz Müller, SPD: Ah! – Heiterkeit bei Dietmar Eifler, CDU)

denn Harmonie, menschliche Zuwendung und Frieden kann man völlig unabhängig von Geld – und sollte man sogar mal wieder – in den Blick nehmen.

(Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Sollte man, ja.)

Man hat manchmal sowieso das Gefühl, dass dabei viel zu wenig auf Menschlichkeit geachtet wird. Das wäre mein Wunsch für Sie, für mich selbst auch. Jetzt verabschiede ich mich wirklich für heute.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Brie von der Fraktion DIE LINKE.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Bei europapolitischen Themen fühle ich mich im Allgemeinen den Positionen der SPD und der CDU durchaus nah,

(Beifall und Zuruf von Manfred Dachner, SPD)