Protokoll der Sitzung vom 20.04.2016

Die rot-schwarze Koalition besitzt nicht die Souveränität, eine parlamentarische Beratung zu ermöglichen, die der Demokratie und dem Parlamentarismus würdig ist, und dazu gehört auch, die Fragen der Abgeordneten fristgemäß zu beantworten.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Sehr richtig.)

Doch nun zur Sache. Problematisch sind bei dem vorliegenden Gesetzentwurf im Wesentlichen drei Aspekte:

Erstens. Der Verfassungsschutz erhält die neue, aber leider völlig konturlose und schwammige Befugnis zur verdeckten Aufklärung des Internets.

Zweitens. Der Verfassungsschutz darf auch verurteilte Verbrecher als V-Leute in Anspruch nehmen und muss einen Einsatz auch dann nicht abbrechen, wenn V-Leute während ihres Einsatzes Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen.

Drittens. Der Verfassungsschutz darf auch bei Gefahr für Leib, Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person eigenmächtig darüber entscheiden, ob er seine diesbezüglichen Erkenntnisse an die Polizei weitergibt oder nicht.

Kurz zum ersten Problemkreis: Eine allgemein anerkannte Definition, was unter der Aufklärung des Internets zu verstehen ist, existiert bislang nicht. Infrage kommen damit sämtliche Ermittlungsmöglichkeiten der Verfassungsschutzbehörde – von den Besuchen auf bestimmten Internetseiten über die Teilnahme an offenen Diskussionsforen bis hin zur auf Dauer angelegten Teilnahme an zugangsbeschränkten Chats. Regelungen zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung enthält der Gesetzentwurf jedoch nicht. Weil Sie nicht einmal ansatzweise absolute Grenzen der Informationserhebung benennen, ist die geplante Regelung nach Einschätzung des Sachverständigen Professor Roggan, Zitat, „verfassungsrechtlich unzu

länglich“, Zitatende. Wir beantragen daher die Streichung dieser Regelung.

Zum zweiten Problemkreis: Nach dem neuen Landesverfassungsschutzgesetz soll ein V-Leute-Einsatz beendet werden, „sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen“, dass V-Leute „rechtswidrig“ eine Straftat „von erheblicher Bedeutung verwirklicht haben“. Die Regelung stellt die Beendigung des Einsatzes damit in das Ermessen der Verfassungsschutzbehörde. Das kommt aus unserer Sicht nicht infrage. Nach unserem Änderungsantrag ist der Einsatz zu beenden, wenn V-Leute im Einsatz strafbare Handlungen begehen. Zudem erhält der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter die Möglichkeit einer Fortsetzung des Einsatzes. Auf Empfehlung des Sachverständigen Professor Aden beantragen wir auch hier die Streichung dieser Ausnahmeregelung.

Zum dritten Problemkreis: Nach dem neuen Gesetz darf – wohlgemerkt „darf“ – die Verfassungsschutzbehörde personenbezogene Daten an die Staatsanwaltschaft und die Polizei übermitteln, soweit dies erforderlich ist zur „Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Gefahr … für Leib, Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person“. Der Sachverständige Professor Hartmut Aden hatte hierzu gefordert, dass eine klare Übermittlungspflicht ohne Ermessen vorgeschrieben wird. Nur so könne verhindert werden, dass der Verfassungsschutz Informationen aus taktischen Gründen zurückhält und es zu schwersten Straftaten kommt.

Mit dieser Kritik habe ich die Landesregierung im Innenausschuss konfrontiert. Unter anderem habe ich darum gebeten, dass man mir abstrakte Beispielfälle nennt, die illustrieren, warum die Übermittlung solcher Daten in das Ermessen des Verfassungsschutzes gestellt werden soll. Hierauf habe ich nur eine ausweichende Antwort erhalten: Beispielfälle gab es keine, dafür aber den mahnenden Hinweis des Staatssekretärs, dass die Forderung des Sachverständigen Professor Aden gegen das Trennungsgebot zwischen Verfassungsschutz und Polizeibehörde verstoße.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das wiederum ist doch blanker Unsinn. In seinem Urteil zur Antiterrordatei hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass ein Austausch von Daten zwischen Nachrichtendienststellen und Polizei zulässig ist, wenn er einem herausragenden öffentlichen Interesse dient. Dies muss durch hinreichend konkrete und qualifizierte Eingriffsschwellen auf der Grundlage normenklarer gesetzlicher Regelungen gesichert sein. Der Verweis auf das Trennungsgebot ist hier also nur eine bloße Ausrede des Staatssekretärs.

Die Landesregierung hat uns nicht nur einen verfassungswidrigen Gesetzentwurf vorgelegt – was wir durch unseren Änderungsantrag zu korrigieren versuchen –, sondern hat auch die Forderung des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages ignoriert. Unser Antrag schlägt hierzu vor, dass die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission durch Fraktionsmitarbeiter/innen unterstützt werden können. Auch soll nach unserem Antrag für die Beauftragung des Landesdatenschutzbeauftragten mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit einzelner Maßnahmen künftig eine qualifizierte Minderheit von einem Viertel der Mitglieder ausreichen, ebenso wie für die Beauftragung eines Sachverständigen.

Das sind konkrete Maßnahmen, mit denen sich die Arbeit des Kontrollgremiums entscheidend verbessern ließe. Das

sind auch keine Maßnahmen, die die Sicherheit unseres Landes beeinträchtigen würden, immerhin gelten vergleichbare Regelungen bereits in anderen Bundesländern. Wir fordern nichts, was nicht geht. Unser Änderungsantrag enthält keine Zumutungen, sondern nur Selbstverständlichkeiten. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag.

Ein Entschließungsantrag wie der von SPD und CDU, mit dem eine Reform der Kontrollkommission auf die nächste Legislaturperiode verschoben wird, ist aus meiner Sicht nur peinlich.

(Peter Ritter, DIE LINKE: So ist es.)

Sie haben offensichtlich selbst gemerkt, dass Sie nichts aus dem NSU-Skandal gelernt haben und der Gesetzentwurf ungenügend auf die Empfehlungen des NSUUntersuchungsausschusses im Bundestag eingeht. Dann schicken Sie den Gesetzentwurf doch zurück in die Ausschüsse, wenn er nicht zu Ende gedacht ist, aber legen Sie hier nicht eine dünne Absichtserklärung vor, nach der das nächste Parlament die Hausaufgabe machen soll, an der die aktuelle Koalition gescheitert ist!

(Peter Ritter, DIE LINKE: Wissentlich gescheitert.)

Offensichtlich haben Sie das Regieren schon eingestellt, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Och! Herr Saalfeld, was Sie hier erklären oder nicht, das ist doch völlig egal.)

Da erkenne ich eine gewisse Regierungsmüdigkeit, denn es steht nichts im Wege, dass Sie die Entschließung ins Gesetz einarbeiten. Wir haben noch genügend Zeit in dieser Legislaturperiode.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich fasse mich kurz: Dem Gesetz können wir keinesfalls zustimmen.

(Zurufe von Manfred Dachner, SPD, und Torsten Renz, CDU)

Zu der Entschließung werden wir uns allerdings enthalten. Sie geht in die richtige Richtung, aber sie hätte ins Gesetz eingearbeitet werden sollen,

(Zurufe von Manfred Dachner, SPD, und Torsten Renz, CDU)

und zwar noch in dieser Legislaturperiode. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Silkeit von der CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 25. März wertete der Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Novelle zum Bundesverfassungsschutzgesetz als einen „essenziellen Baustein“ bei der Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses.

Das Gesetz intensiviere den Informationsfluss zwischen den Verfassungsschutzbehörden und regle klar den für unsere Sicherheit unverzichtbaren Einsatz von V-Leuten. Bund und Länder haben sich gemeinsam neue Regeln erarbeitet beziehungsweise die bereits bestehenden verbessert. Maßstab waren die behördlichen Lehren aus dem NSU, die Erkenntnisse aus dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages und die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Anschläge von Paris und Brüssel haben uns mehr als deutlich vor Augen geführt, dass eine funktionsfähige Sicherheitsarchitektur für eine freiheitliche Demokratie überlebenswichtig ist. Mit dem novellierten Verfassungsschutzgesetz wird auch zukünftig die Handlungsfähigkeit unseres Verfassungsschutzes sichergestellt. Zugleich tragen wir damit den Herausforderungen wie der aktuellen Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus Rechnung.

Der vorliegende Gesetzentwurf zeigt deutlich, dass Mecklenburg-Vorpommern nicht auf V-Leute verzichten will und nicht verzichten kann. Wenn wir Informationen aus einer extremistischen Vereinigung erhalten wollen, dann ist der Einsatz von V-Leuten nach wie vor unverzichtbar.

(Zuruf von Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es muss aber auch Regeln und Grenzen für diesen Einsatz geben und diese sind jetzt gesetzlich besser und transparenter normiert. So dürfen weder Minderjährige noch Teilnehmer eines Aussteigerprogramms als VLeute eingesetzt werden. Vor allen Dingen dürfen VLeute von ihrer Tätigkeit nicht ihren Unterhalt bestreiten. Straftäter können nur ausnahmsweise und dann nur befristet eingesetzt werden. Wer wegen Mordes, Totschlags oder Sonstigem zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ist ausnahmslos als ungeeignet anzusehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich exemplarisch auf einige Neuerungen des vorliegenden Gesetzentwurfes eingehen.

In Paragraf 10, der Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln, wird als eigenständige Rechtsnorm die Beobachtung und Aufklärung des Internets aufgenommen. Damit schaffen wir nicht nur Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, sondern wir reagieren auch auf die besorgniserregende aktuelle Entwicklung.

Seit geraumer Zeit stellen Experten fest, dass Terrororganisationen dabei sind, die digitale Welt zu erobern. So zielt zum Beispiel die Medienstrategie des IS darauf ab, per Internet potenzielle Dschihadisten aus aller Welt zu rekrutieren. Die Zurschaustellung unfassbarer Brutalität mit menschenverachtenden Tötungsvideos beispielsweise garantiert in den sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook nicht nur die weltweite Verbreitung der Botschaft der Dschihadisten, sondern übt auch einen perfiden Reiz auf Jugendliche aus.

Aber damit noch nicht genug. Ich zitiere aus einem Tagungsbericht der Hanns-Seidel-Stiftung: „Seit 2012 zeichnet sich dabei eine neue Ära der Jihad-Rekrutierung ab. Inzwischen geht es nicht mehr primär darum, dass Terrororganisationen Propaganda verbreiten und direkt neue Mitglieder rekrutieren. Es sind vermehrt von Terror

organisationen unabhängige Individuen, die über Soziale Netzwerke Handlungen und Ideologie des IS und affiliierter“ – also angegliederter oder gleichgeordneter – „Terrororganisationen rechtfertigen und damit zur OnlineRadikalisierung von jungen Menschen weltweit beitragen, die dann ihren Weg in die Jihad-Gebiete finden. Es ist primär dieser Art der Rekrutierung zuzuschreiben, dass inzwischen 25.000 bis 30.000 Ausländer aus rund 90 Ländern in Syrien und Irak für die IS-Milizen kämpfen. Es könnten … deutlich mehr sein.“ Ende des Zitats.

Bei der von mir beschriebenen Änderung des Paragrafen 10 geht es ausschließlich um eine niederschwellige Erkenntnisgewinnung. Der Schutzbereich des Artikels 10 Grundgesetz, Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, wird zu keinem Zeitpunkt berührt und damit bewegen wir uns übrigens auch klar im Rahmen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil zur Onlinedurchsuchung vom 27. Februar 2008.

Entgegen der Behauptung zum Beispiel vom Kollegen Saalfeld – wo ich mich sehr gut erinnern kann, dass ein Professor Aden dagegen votiert hat in der Anhörung vor dem Innenausschuss – muss ich feststellen, dass Niedersachsen genau die gleiche Regelung hat. Professor Aden hat insbesondere auf dieses Gesetz abgestellt und hat unsere Regelung hier in Mecklenburg-Vorpommern, die wortgleich ist mit Niedersachsen, angegriffen. So viel zu dem Thema. Man kann sich auch als Experte offensichtlich mal an einem bestimmten Tag irren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass der Einsatz von V-Leuten zukünftig besser und transparenter normiert wird. Das erfolgt über einen eigenständigen, neu geschaffenen Paragrafen 10a mit dem Titel „Vertrauensleute und verdeckte Mitarbeiter“. Der vorliegende Gesetzentwurf orientiert sich dabei, wie übrigens alle Gesetzesnovellen der Länder, eng an den Regelungen des Bundes in dem Paragrafen 9a „Verdeckte Mitarbeiter“ und 9b „Vertrauensleute“ des Bundesverfassungsschutzgesetzes.

In Paragraf 10a geht es im Wesentlichen um die planmäßige und systematische Informationsbeschaffung durch verdeckt arbeitende Personen. Dass dabei vorrangig Vertrauensleute zum Einsatz kommen, begründet sich schon durch die personelle Ausstattung unserer Verfassungsschutzabteilung und die mit einer solchen Maßnahme verbundenen Kosten. Beim Paragrafen 10a sind aber zwei Aspekte noch einmal deutlich hervorzuheben:

Erstens. Vertrauensleute und verdeckte Mitarbeiter dürfen sich nicht an Bestrebungen, die gegen die freiheitlichdemokratische Grundordnung und den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, beteiligen.

Zweitens. Ihr Einsatz wird unverzüglich beendet, soweit tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass sie rechtswidrig an Straftaten von erheblicher Bedeutung beteiligt sind.

Ich will das jetzt hier nicht in epischer Breite vortragen. Wen es interessiert, was Straftaten von erheblicher Bedeutung sind, auch das hat das Bundesverfassungsgericht geregelt. Das kann jeder der anwesenden Kolleginnen und Kollegen durchaus selbstständig nachlesen.

Die dritte und wesentliche Änderung des Landesverfassungsschutzgesetzes Mecklenburg-Vorpommern finden

wir im Paragrafen 20 Absatz 4. Dort geht es um die Grundsätze der Übermittlung personenbezogener Daten an Behörden. Im Absatz 4 findet sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.04.2013 zum Antiterrordateigesetz wieder. Kurz gesagt, führt uns der Leitsatz 2 noch einmal das informationelle Trennungsgebot vor Augen, das einen Austausch von Informationen zwischen Geheimdienst und Polizei – und das Wort hat Herr Saalfeld Ihnen vorhin unterschlagen – nur „ausnahmsweise“ zulässt.

(Zuruf von Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)