Protokoll der Sitzung vom 21.04.2016

Das Wort zur Begründung hat die Abgeordnete Frau Berger von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir uns die Schulwege der Schülerinnen und Schüler jeden Tag im Land ansehen, gibt es zwei große Problemfelder. Das eine Problemfeld sind die Schulweglängen und die Organisation des Schülerverkehrs. Dieses Thema ist auch eng mit den Fragestellungen nach der Schulentwicklungsplanung, den Mindestgrößen von Schulklassen, aber auch dem Erhalt von Schulstandorten verbunden. Das andere Problemfeld im Zuge des Schulwegs unserer Kinder ist die Ungleichbehandlung bei der Kostenübernahme der Schülerbeförderung. Zu den Schulweglängen und zum Schülerverkehr haben wir kürzlich zwei wissenschaftliche Studien vorgelegt. Unsere politischen Konsequenzen und Forderungen

aus diesen Studien werden wir dem Parlament in der Junisitzung vorlegen und dann auch gern mit Ihnen diskutieren wollen.

Der heutige Antrag dreht sich um das zweite Problemfeld, nämlich um die Ungleichbehandlung vieler Schülerinnen und Schüler bei der kostenlosen Schülerbeförderung, die dazu führt, dass die freie Schulwahl in Mecklenburg-Vorpommern immer mehr vom Geldbeutel der Eltern abhängig ist.

Die Ungleichbehandlung bei der Schülerbeförderung betrifft zwei Gruppen im Land, zunächst einmal die Schülerinnen und Schüler in den kreisfreien Städten, sprich Rostock und Schwerin, deren Kosten für den Schulweg nicht übernommen werden, auch wenn der Schulweg länger als zwei beziehungsweise vier Kilometer ist. Das ist eine Ungleichbehandlung gegenüber den Schülern, die in den Landkreisen wohnen. Bereits im Jahr 2013 hat Professor Erbguth von der Rostocker Universität, ein Verfassungsrechtler, im Auftrag des Stadtelternrates der Hansestadt Rostock ein Gutachten vorgelegt, das auf Verstöße gegen die Landesverfassung aufmerksam macht, weil es diese Ungleichbehandlung gibt. Hier endlich für Abhilfe zu sorgen, ist nicht etwa Goodwill der Landesregierung, sondern es ist ihre Pflicht.

Die zweite Gruppe der Benachteiligten stellen die Schülerinnen und Schüler, die ihr Recht auf freie Schulwahl in Anspruch nehmen und eine andere als die örtlich zuständige Schule besuchen. Das kann aus unterschiedlichen Gründen vorkommen. Manchmal ist der Weg zur örtlich zuständigen Schule einfach weiter, weil eine nächstgelegene Schule gewählt werden soll, manchmal entscheiden sich Eltern für das Konzept einer bestimmten Schule. Das können zum einen Schulen in freier Trägerschaft sein, das kann aber auch die pädagogische Ausrichtung einer Schule sein, beispielsweise das naturwissenschaftliche Konzept oder auch eher ein fremdsprachliches.

Manchmal gibt es an den Schulen unter den Schülern untereinander so große Probleme oder auch zwischen Schülern und Lehrern, dass nur ein Schulwechsel für die notwendige Abhilfe sorgen kann. Für diese Schüler werden im Land die Beförderungskosten sehr unterschiedlich übernommen oder eben auch nicht. Das hängt von den Satzungen der Landkreise ab. Hier hat sich die Situation jedoch unlängst verschärft, weil einige Landkreise, die diese freiwillige Aufgabe bisher übernommen haben, sich aus Kostengründen nicht mehr dazu in der Lage sehen und die Unterstützung aus finanziellen Gründen oder aus der eigenen finanziellen Lage heraus inzwischen einstellten.

Wir fordern mit diesem Antrag deshalb eine landesweit verbindliche Regelung, nach der die Kosten für alle Schülerinnen in der Höhe übernommen werden, wie sie für den Weg zur örtlich zuständigen Schule anfallen würden, damit der Weg zur Schule nicht zu einem zusätzlichen Schulgeld wird. Dafür, das ist unsere Meinung, setzen wir uns immer wieder ein. Die freie Schulwahl darf nicht abhängig vom Geldbeutel der Eltern sein.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Bürgerbeauftragte schrieb in seinem unlängst vorgelegten Bericht, dass Fragen rund um die Schülerbeförde

rung das Hauptanliegen der Bürgerinnen und Bürger im Themenfeld „Schule“ waren. Überwiegend ging es dabei genau um die Übernahme der Kosten, die bei dem täglichen Weg zu einer anderen als der örtlich zuständigen Schule anfallen. Wiederholt wandte sich der Bürgerbeauftragte vergebens an den Bildungsminister, diese Ungleichbehandlung zu beenden und damit für eine gesetzliche Regelung zu sorgen.

Bereits im September 2013 stellten wir hier im Landtag einen Gesetzentwurf zur Abstimmung, der für Abhilfe sorgen sollte. Alle Fraktionen, bis auf unsere, stimmten damals gegen den Antrag. Und noch viel mehr: Sie konnten sich nicht einmal dazu durchringen, dieses Thema zur inhaltlichen Beratung in den Bildungsausschuss zu überweisen. Wenn der Bildungsminister zwar auch noch hier im Parlament gegen unseren Antrag sprach, so stellte er sich doch zumindest am nächsten Tag vor die Presse und kündigte einen eigenen Gesetzentwurf an, damit die Ungleichbehandlung zwischen den Schülerinnen und Schülern in den kreisfreien Städten und in den Landkreisen endlich aufgehoben wird. Nach zweieinhalb Jahren warten wir und vor allem die Schülerinnen und Schüler immer noch auf diesen angekündigten Gesetzentwurf.

In einem dritten Punkt unseres Antrages fordern wir „ein preisgünstiges Azubi-Ticket“ für die Wege zur Berufsschule. Solange die Berufsschulpflicht besteht, soll dieses Azubi-Ticket gänzlich kostenlos sein.

Auf einer Podiumsdiskussion des Landeselternrates zu genau diesem Thema sprach der Bürgerbeauftragte am vergangenen Freitag von einer besonderen Nachdenklichkeit der Parteien und Fraktionen in der Vorwahlzeit und dass es genau in dieser Zeit auch zu einem Überdenken der bisherigen politischen Position kommen kann. Also wir befinden uns gerade in einer sehr sensiblen Zeit. Grund genug für uns, heute diesen Antrag zur Übernahme der Kosten, die durch die Schülerbeförderung anfallen, noch einmal zu stellen. Ich bin gespannt auf die Diskussion.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 150 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Minister für Wissenschaft und Bildung Herr Brodkorb. Bitte schön, Herr Minister.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dank der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN befasst sich der Landtag wieder einmal mit der Situation der Schülerbeförderung hier im Lande.

(Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie verwechseln Ursache und Wirkung.)

Auch dieses Mal wird ein Antrag ohne Substanz präsentiert,

(Marc Reinhardt, CDU: Jawohl. – Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)

der wie immer die Frage offenlässt, wie die Mehrkosten finanziert werden sollen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD und Marc Reinhardt, CDU)

Die Antragstellerin kritisiert, ich darf zitieren, „dass Schülerinnen und Schüler wegen der Inanspruchnahme der freien Schulwahl, des Besuchs einer Schule in öffentlicher Trägerschaft oder ihres Wohnsitzes in einer kreisfreien Stadt von der kostenlosen Schülerbeförderung ausgeschlossen und damit benachteiligt sind“. Zitatende.

Dazu möchte ich Ihnen Folgendes entgegnen: Für jeden Schüler gibt es eine staatliche Schule, die genau für diesen Schüler verantwortlich ist. Für diesen Schulweg dieses Schülers zu dieser Schule organisiert der Staat in den Landkreisen die Beförderung. Das wird gern vergessen, aber auf diesen Hinweis lege ich Wert.

Wenn Eltern entscheiden, dass ihr Kind eine andere Schule besuchen soll, ist das – und das hat diese Koalition erst möglich gemacht – das Recht der Eltern, sie dürfen das und sollen es nutzen. Die Verantwortung für diese Entscheidung tragen dann aber natürlich die Eltern. Sie schlagen das Angebot des Staates, ihr Kind an der zuständigen Schule zu unterrichten, aus. Sie schlagen damit auch das Angebot aus, ihre Kinder kostenlos dort hinbringen zu lassen. Das gehört beides zusammen. Jede Folge ist Teil dieser Entscheidung. Es kann doch keiner ernsthaft verlangen, dass alle anderen, also diejenigen, die ihre Kinder zur staatlich oder örtlich zuständigen Schule bringen, dann für diese Entscheidung der anderen Eltern bezahlen.

(Beifall Andreas Butzki, SPD: Richtig.)

Darauf würde es hinauslaufen, was Sie fordern, Frau Berger.

Freie Schulwahl bedeutet nicht und kann auch nicht bedeuten, dass die Schülerbeförderung für die Eltern und Schüler unter allen Umständen kostenlos ist, egal, welche Entscheidungen getroffen werden. Es gibt keinen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Erstattung von Beförderungskosten zur Schule. Diese Feststellung ist bereits im Jahr 2013 von Professor Dr. Wilfried Erbguth bestätigt worden, der sich zusammen mit Dr. Mathias Schubert im Auftrag des Stadtelternrates Rostock gutachterlich zur Rechtmäßigkeit der Regelung über die Schülerbeförderung in Paragraf 113 des Schulgesetzes geäußert hatte. Mit Paragraf 113 haben die in einem Landkreis wohnenden Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, ohne finanzielle Belastung mit Schülerbeförderungskosten einen Schulabschluss bis hin zur allgemeinen Hochschulreife an der örtlich zuständigen Schule zu erreichen. Mit dieser Regelung steht MecklenburgVorpommern übrigens bundesweit ziemlich gut da. Die Landkreise können, das wissen Sie, jederzeit über diese gesetzlichen Mindestnormen hinausgehen. Richtig ist, dass Schülerinnen und Schüler mit Wohnsitz in einer kreisfreien Stadt – im Moment geht es nur noch um die Städte Schwerin und Rostock – im Vergleich zu Schülerinnen und Schülern, die ihren Wohnsitz innerhalb eines Landkreises haben, derzeit benachteiligt werden.

(Rainer Albrecht, SPD: So ist das leider.)

Wir haben in diesem Parlament bereits mehrfach darauf hingewiesen, Frau Berger, dass wir diese Rechtseinschätzung von Professor Erbguth teilen. Mein Haus arbeitet konsequent daran, diese Benachteiligung zu beseitigen.

(Rainer Albrecht, SPD: Ja.)

Mit der jüngsten Änderung des Schulgesetzes im Dezember 2015 sind die kreisfreien Städte nunmehr verpflichtet, Schuleinzugsbereiche festzulegen. Diese Änderung war erforderlich, weil beide Stadtverwaltungen nicht bereit waren, über Jahre hinweg uns eine korrekte Kalkulation vorzulegen. Nur wer dies aber tut, also den Schuleinzugsbereich hier festlegt, kann dann auch eine örtlich zuständige Schule definieren.

(Rainer Albrecht, SPD: Sehr richtig.)

Leider ist es bisher weder in Schwerin noch in Rostock gelungen, diese neue Schulgesetzregelung umzusetzen und uns eine realistische Kostenschätzung zu übergeben. Sobald diese vorliegt, wird die Regierung dem Landtag eine Schulgesetzänderung vorschlagen. Ich stehe auch aktuell in Kontakt mit den beiden Städten mit dem Ziel, einvernehmliche Lösungen zu finden, aber dazu müssen alle mitmachen.

Frau Oberbürgermeisterin Gramkow hat nunmehr die zeitnahe Klärung dieser Frage zugesagt. Das erhoffe ich mir nach drei Jahren auch von einem Gespräch mit Senator Bockhahn, das Anfang Mai stattfinden wird.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn beide Städte dann mitgeteilt haben, mit welchen Mehrkosten sie rechnen auf Basis der Regelungen, die auch in den Landkreisen gilt, wird diese Regierung sofort den Gesetzentwurf auf den Weg bringen.

(Zuruf von Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Allerdings wird er wohl vermutlich erst Anfang der nächsten Legislaturperiode beschlossen werden können.

(Zuruf von Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor einer solchen Klärung kann nicht schon jetzt der nächste Schritt getan werden, nämlich Paragraf 113 Schul- gesetz dahin gehend zu ändern, dass auch kreisfreie Städte eine öffentliche Beförderung zur örtlich zuständigen Schule durchzuführen haben. Ohne Angaben über die voraussichtlichen Kosten gäbe es dann einen Konflikt mit der Verfassung. Die Abgeordneten haben das Recht, vor einem Beschluss über Kostenfolgen informiert zu werden. Die Regierung hat die Pflicht, den Abgeordneten diese Angaben vor Entscheidung zugänglich zu machen.

(Zuruf von Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das können am Ende nur die beiden Städte Schwerin und Rostock für die Landesregierung beziehungsweise den Landtag leisten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, neben den Aufwendungen in mehrstelliger Millionenhöhe nach dem

Finanzausgleichsgesetz zahlt das Land bereits jetzt jährlich fast 2 Millionen Euro, um jene Kosten zu erstatten, die im Zuge der Änderung des Anspruchs auf kostenlose Schülerbeförderung bis zur Jahrgangsstufe 12 entstehen. Mal abgesehen von der Frage, woher das Geld für eine weitere Kostenübernahme kommen soll, eine noch höhere Kostenübernahme durch das Land könnte weitere Verschiebungen gerade im ländlichen Raum nach sich ziehen und durchaus die Schließung weniger frequentierter Schulen zur Folge haben.

Sie, Frau Berger, fordern wieder einmal beides: freie Schulwahl und kostenfreie Beförderung an jede Schule auf der einen Seite und den Erhalt aller Schulstandorte auf der anderen Seite. Sie verschweigen, dass es zwischen beidem einen Konflikt geben könnte. Besonders überrascht hat mich in der aktuellen Debatte, möchte ich einflechten, Frau Berger, die Sie mit angestoßen haben, Ihre öffentliche Forderung danach, im Grundschulbereich freie Schulwahl einzuführen. Zum Glück habe ich drei andere Zeugen dafür – jedenfalls sind Sie so zitiert worden –, falls das falsch ist und Sie doch nicht für die freie Schulwahl im Grundschulbereich sind.

(Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich bin nicht so zitiert worden. Sie haben mir das in den Mund gelegt, Herr Minister.)

Sehr geehrte Frau Berger, ich habe nicht die „OstseeZeitung“ oder andere Dinge irgendwie gefüllt,

(Ulrike Berger, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Natürlich.)

Sie sind zitiert worden. Sie können es ja richtigstellen. Dann können Sie sagen – das wäre noch viel lustiger, wenn Sie jetzt hier ans Mikro treten –,