Wenn diese Fragen beantwortet sind, dann ist ein hundertprozentiges Schengen-Europa auch wieder Realität. Es handelt sich um lösbare Fragen. Grenzen in Europa müssen deshalb nicht wieder hochgezogen werden. Die gemeinsamen Schengen-Regeln müssen genau angewendet werden, das ist keine Frage. Dies ist wichtig, weil die zu Recht geäußerten Sorgen und tatsächlich auftretenden Probleme mit den bereits vorhandenen Regeln gelöst werden können. Wer aber die Freizügigkeit in Europa angreift, der greift die europäische Einigung an, und das machen vor allem Rechtspopulisten, diese Ewiggestrigen. Diesen dürfen wir nicht in die Hände spielen.
Aus der Freizügigkeit im Inneren der Union ergibt sich die Herausforderung, die EU-Außengrenze gemeinsam zu managen. Die Verantwortung für die Außengrenze unter Berücksichtigung humanitärer Aspekte und der Einheit der Freizügigkeit im Inneren sind zwei Seiten derselben Medaille. Die Solidarität in unserem Staatenverbund verpflichtet alle, die Mittelmeerstaaten bei der Rettung und Aufnahme Schutzsuchender zu unterstützen.
Ich wiederhole an dieser Stelle meine Forderung aus der Aussprache im Februar: In Europa müssen für die Mitgliedsstaaten verpflichtende Kontingente definiert werden. Verpflichtend sage ich deshalb, weil der Beschluss, 120.000 Flüchtlinge umzuverteilen, nicht in die Tat umgesetzt wurde. Parallel dazu muss auch eine Residenzpflicht eingeführt werden, sodass die Flüchtenden in den ihnen zugeteilten Ländern bleiben. Das Grundrecht auf Unversehrtheit und Schutz vor Krieg überwiegt in diesem Fall zweifelsohne das Grundrecht auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union.
Unsere Verfassung verpflichtet uns zur Mitarbeit an der europäischen Integration. Gerade in Zeiten wie diesen
Detlef Müller hat bereits auf die Aktivitäten des Landtags in den Parlamentsforen für den Ausbau der zivilgesellschaftlichen Kontakte im Ostseeraum hingewiesen. Lassen Sie uns diese Leistungen und bestehenden Kontakte und Dialoge nicht durch ein Denken und Handeln vergangener Jahrzehnte gefährden! Europa kann sich nur positiv entwickeln, wenn die Bürgerinnen und Bürger vor Ort wahrnehmen, welche Möglichkeiten ihnen Europa bietet.
Lassen Sie mich noch kurz zu Großbritannien Stellung beziehen. Europa und Großbritannien stehen vor einer gemeinsamen Aufgabe, meine Damen und Herren. Unterhält man sich mit Abgeordneten und Kommissionsvertretern aus Brüssel oder auch Bundestagsabgeordneten, wird der schmale Grat aktueller Europapolitik deutlich. Für die Menschen in Großbritannien ist die schnelle Lösung der Migrationsfrage ein entscheidender Punkt für das Abstimmungsverhalten. Andererseits wird von London nach Brüssel kommuniziert, dass man keine voreiligen Entscheidungen treffen soll, die Befürwortern eines Austritts in die Hände spielen. Europa ist in einer Zwickmühle. Wir brauchen die schnelle Entscheidung, können uns aber gleichzeitig die EU nicht ohne dieses wichtige Großbritannien vorstellen.
Schlechte Kompromisse einerseits und Austritte würden die Menschen zu einer Abkehr von Europa bewegen. Die Skepsis gegen Europa ist meines Erachtens in vielen Bevölkerungsteilen besorgniserregend hoch. Wir müssen die Kritik der Bürgerinnen und Bürger an Europa aber kanalisieren. Oftmals, wenn man sich auch die Zeit zum Hinhören nimmt, erfährt man eine grundlegende Skepsis gegenüber Institutionen und politisch endlosen Vorgängen in Europa. Dies bedeutet oftmals aber eben keine Ablehnung der europäischen Errungenschaften wie Freizügigkeit, hohe Arbeitnehmer- und Verbraucherschutzstandards oder Regionalentwicklungsprogramme.
Deshalb, meine Damen und Herren, sind irreversible Entscheidungen, wie sie beispielsweise bei Schengen möglich scheinen, hochgefährlich für die Entwicklung Europas und die Akzeptanz in breiten Bevölkerungsschichten. Es müssen Herausforderungen jenseits der Grenzkontrolle angegangen werden, um das Vertrauen zu schaffen, das erforderlich ist, um ein uneingeschränktes Funktionieren des Schengen-Raums wiederherzustellen.
Die Kontrollfreiheit an den Binnengrenzen sollte Hand in Hand mit der Entwicklung einer gemeinsamen Politik in den Bereichen Asyl, Einwanderung und Kontrollen an den Außengrenzen gehen, die sich auf die Solidarität der Mitgliedsstaaten gründet und gegenüber Drittstaatenangehörigen angemessen ist. Daher ist es wichtig, dass die europäische Grenz- und Küstenwache beschlossen wird, damit sie ihre Tätigkeit im Sommer aufnehmen kann und gewährleistet ist, dass die Europäische Union der gemeinsamen Verantwortung für den Schutz der Außengrenzen auch nachkommen kann. Wenn diese Maßnahmen beschlossen werden, werden sie die Grundlage dafür schaffen, dass spätestens Ende 2016 wieder zu einem normal funktionierenden Schengen-Raum zurückgekehrt werden kann. So steht es in einer Mitteilung der
Kommission. Dieser kann ich in diesem Bereich zustimmen und hoffe auf die Einhaltung dieses Fahrplans.
Sehr geehrte Damen und Herren, neu aufgezogene Mauern und Grenzen, der beschämende Zustand obdachloser Flüchtlinge, überforderte Behörden und die Versuche, schutzsuchende Menschen schnellstmöglich in ein anderes Land weiterzuleiten, sind kein Aushängeschild für uns Europäer gewesen. Wir müssen uns zurückbesinnen auf unsere Werte und Errungenschaften. Die Koalitionsfraktionen haben Ihnen einen Antrag vorgelegt, der aktueller denn je ist, wenn Sie sich die europäischen Herausforderungen ins Gedächtnis rufen. Aktueller denn je auch deswegen, weil wir diesen Antrag in einer historischen Woche debattieren. Am 18. April 1951 – einige unter Ihnen werden es sicherlich wissen – wurde die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die Montanunion, durch den Vertrag von Paris gegründet. Am 23. Juli 1952 trat dieser Vertrag in Kraft. Knapp sechs Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs haben sich Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Frankreich, Italien und die Bundesrepublik Deutschland über den Zugang zu Kohle und Stahl ohne Zollzahlungen verständigt.
Wenn Sie sich ins Gedächtnis rufen, dass die Montanunion auf den Schuman-Plan zurückging, der die Zusammenlegung der deutschen und französischen Stahl- und Kohleindustrie beinhaltete, war der europäische Gedanke – und dazu zähle ich ausdrücklich auch die damals schon betriebene Vergemeinschaftung – spürbar. Seitdem hat sich in vielen Zwischenschritten die Europäische Union entwickelt, die uns allen täglich Vorteile schafft. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Antrag. Den Änderungsanträgen, das hat mein Kollege Herr Texter schon ausgeführt, der Fraktion der LINKEN und der GRÜNEN werden wir zustimmen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 6/5371 abstimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Gibt es Stimmenthaltungen? – Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 6/5371 mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Gegenstimmen der Fraktion der NPD angenommen.
Ich lasse nun über den Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 6/5372 abstimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Gibt es Stimmenthaltungen? – Damit ist der Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 6/5372 bei gleichem Stimmverhalten angenommen.
Wer dem Antrag der Fraktionen der SPD und CDU auf Drucksache 6/5306 mit den soeben beschlossenen Änderungen zuzustimmen wünscht, den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Gibt es Stimm
enthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktionen der SPD und CDU auf Drucksache 6/5306 mit den soeben beschlossenen Änderungen mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Gegenstimmen der Fraktion der NPD angenommen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 37: a) Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Steuergerechtigkeit herstellen – große Vermögen stärker besteuern, Steuerschlupflöcher schließen, Drucksache 6/5302, in Verbindung mit b) Beratung des Antrages der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Panama Papers: Geldwäsche und Steuerhinterziehung endlich wirksam bekämpfen, Drucksache 6/5310.
Antrag der Fraktion DIE LINKE Steuergerechtigkeit herstellen – große Vermögen stärker besteuern, Steuerschlupflöcher schließen – Drucksache 6/5302 –
Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Panama Papers: Geldwäsche und Steuer- hinterziehung endlich wirksam bekämpfen – Drucksache 6/5310 –
Das Wort zur Begründung des Antrages auf Drucksache 6/5302 hat für die Fraktion DIE LINKE die Abgeordnete Frau Rösler.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 50 Milliarden Euro im Jahr, manche Studien sprechen sogar von bis zu 100 Milliarden pro Jahr – das ist die Summe, die der Bundesrepublik Deutschland jedes Jahr an Steuern verloren geht, weil große Unternehmen und Vermögende alle Schlupflöcher und Tricks nutzen, möglichst wenig oder gar keine Steuern in Deutschland zu zahlen. Wir bezeichnen dies als Diebstahl am Gemeinwohl, wenn eine Unmenge an Geld bewusst am Fiskus vorbeigeschleust wird.
Erst kürzlich haben die Panama Papers ein gigantisches Geflecht von Briefkastenfirmen aufgedeckt. Und es ist ja nicht das erste Mal, dass ein Blick hinter die Kulissen des großen Geldes möglich wurde. Ich erinnere an die Enthüllungen der Lux-Leaks und Offshore-Leaks.
Auch in der EU und in den USA gibt es bestens organisierte Strukturen, ausländisches Vermögen unbemerkt vor dem Fiskus und den Strafverfolgungsbehörden zu verstecken und zu bunkern. Dabei, meine Damen und Herren, ist der eigentliche Skandal der, dass die Verschleierung von Vermögen im Ausland noch immer nicht illegal ist. Über Briefkastenfirmen ist das systematisch möglich. Manager, Unternehmer, Banker und andere nutzen alle Schlupflöcher, weil der Gesetzgeber zu viele Grauzonen belässt, Grauzonen, wo unklar ist, was strafrechtlich relevant ist oder was eben nicht. Zu wenig wurde getan in den letzten Jahren, um Steuerflucht und Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Wir haben riesige Mängel in der deutschen Gesetzgebung, die Steuervermeidung oft noch begünstigen.
Meine Damen und Herren, ein ganz entscheidender Aspekt in diesem Kontext ist natürlich die immer stärkere Konzentration von Vermögen in wenigen Händen, also die schreiende Ungleichverteilung auch hier in Deutschland. Während die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung nach neuesten Studien mehr als 60 Prozent des gesamten Nettovermögens besitzen, haben die deutlich weniger vermögenden 70 Prozent gerade mal 10 Prozent des Gesamtvermögens. 30 Prozent der Erwachsenen verfügen über gar kein Vermögen oder haben gar Schulden und müssen zusehen, wie sie von Monat zu Monat kommen. Die Bundesregierung aber scheut sich – wie sprichwörtlich der Teufel das Weihwasser –, eine Vermögensabgabe oder die Vermögenssteuer wieder einzuführen. In keinem größeren Industriestaat der OECD werden Vermögen so stark geschont wie in Deutschland. Das Gesamtvermögen beläuft sich hierzulande auf sage und schreibe 8 bis 9 Billionen Euro und ist damit viermal so hoch wie das jährliche BIP.
Steuereinnahmen auf Vermögen dagegen wurden seit Mitte der 90er-Jahre immer geringer. Würden Vermögen nur ähnlich besteuert werden wie Anfang der 90er, hätten wir Mehreinnahmen von jährlich circa 6 Milliarden Euro.
Meine Damen und Herren, meine Fraktion fordert die Wiedereinführung der Vermögenssteuer seit Jahren und in diesem Zusammenhang auch mehr Initiative unseres Landes gegenüber dem Bund.
Frau Polzin, Sie haben in der letzten Debatte, die wir zum Thema Vermögenssteuer hatten, gesagt, dass Sie nicht die Macht hätten, an den Umständen etwas zu ändern.
Ich sage das hier mal mit meinen Worten, Sie waren dabei natürlich eloquenter und hatten ein Gebet bemüht. Sie sagten, dass die Welt sich vielleicht auch ändern werde, und alle würden in dieselbe Richtung argumentieren. Ja, die Welt hat sich geändert und die Chancen stehen nicht schlecht, dass es nachhaltige Änderungen geben kann. Die Studien und Enthüllungen der letzten Wochen und Monate haben etwas verändert. Erneut wurde deutlich, wie extrem die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderdriftet. Parallelstrukturen sondergleichen und Abgründe tun sich auf in Hinblick auf Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Steuervermeidung, woran auch deutsche Banken kräftig mithalfen und noch mithelfen. Dies muss doch an der Einstellung deutscher Politikerinnen und Politiker etwas ändern!
Allerdings reichen die Progrämmchen von Herrn Schäub- le und Herrn Maas bei Weitem nicht aus. Zu jedem Haushalt wird im Bundestag, aber auch bei uns im Land aufs Neue darum gestritten, was können wir uns leisten, wo können und müssen wir sparen. Genau wie Herr Dr. Schäuble im Bundestag argumentieren Sie, Frau Polzin, hier im Landtag, dass man nur das ausgeben kann, was man tatsächlich auch zur Verfügung hat. Das ist natürlich richtig,
wenn endlich die Möglichkeiten auf der Einnahmeseite tatsächlich genutzt und große Vermögen und große Kapitaleinkünfte endlich angemessen an der Finanzierung des Allgemeinwesens beteiligt würden.
Die Wiedererhebung der Vermögenssteuer kann einen großen Teil dazu beitragen. Sie ist in Artikel 106 des Grundgesetzes auch ausdrücklich vorgesehen. Dem überwiegenden Teil der Bevölkerung, der derzeit die Steuerlast in Deutschland stemmt und einen Großteil seiner Einkünfte zur Finanzierung von öffentlichen Einrichtungen und öffentlicher Infrastruktur überlässt, ist es kaum noch zu vermitteln, dass die Bundesregierung keine echten Anstrengungen unternimmt, ihn tatsächlich zu entlasten, während sie große Kapitaleinkünfte und große Vermögen weitgehend unangetastet lässt.
Setzen Sie sich also auf Bundesebene mit all Ihrem Einfluss und mit Nachdruck für eine bundesweite Vermögensabgabe oder eine Vermögenssteuer ein! Genauso wichtig ist es aber auch, Steuerbetrug einzudämmen, Steuerschlupflöcher konsequent zu schließen und Steueroasen Stück für Stück auszutrocknen.
Meine Damen und Herren, auch wenn das zuallererst Aufgabe des Bundes ist, können auch wir hier in Mecklenburg-Vorpommern die richtigen Signale setzen. Personalabbau im Bereich des Steuervollzugs und der Betriebsprüfung ist da definitiv kein richtiges Signal.
Wir brauchen nicht erst nach Panama zu schauen, um ein Steuerparadies für große Vermögen zu finden. Auch Deutschland ist eine Steueroase. Panama ist zwar zurzeit in aller Munde, allerdings rangiert Panama nur auf Platz 13 der Weltrangliste der Steueroasen. Deutschland hingegen wird vom Netzwerk Steuergerechtigkeit bereits auf Platz 8 der schlimmsten Schattenfinanzplätze geführt.