Protokoll der Sitzung vom 22.04.2016

So gibt es nach wie vor keine gesamteuropäische Lösung, im Gegenteil, manche Staaten sprechen sich offen für die Wiedereinführung dauerhafter Grenzkontrollen aus. Dies wäre nichts anderes als eine Aufkündigung des Schengen-Abkommens.

(Michael Andrejewski, NPD: Na wenn schon!)

Damit wäre ein integraler Bestandteil der europäischen Integration hinfällig. Schlimmstenfalls könnten das Projekt Europa beziehungsweise wesentliche Teile davon scheitern.

Angesichts dieser besorgniserregenden Entwicklungen haben Ihnen die Koalitionsfraktionen diesen Antrag vorgelegt. Damit wollen wir klar Position beziehen und unsere in die Ostseeparlamentarierkonferenz und das Parlamentsforum Südliche Ostsee entsendeten Abgeordneten beauftragen, in den jeweiligen Gremien eine gemeinsame Position zur Einhaltung des Schengen-Abkommens auszuloten.

Meine Damen und Herren, eine Aufkündigung des Schengen-Abkommens und die damit verbundene Wiedereinführung von Grenzkontrollen hätten fatale Auswirkungen auf uns alle, allen voran negative ökonomische Auswirkungen. Diese würden sich unter anderem in einer Erhöhung von Transport- und Personalkosten oder in längeren Wartezeiten an Grenzübergängen widerspiegeln. Wirtschaftliches Wachstum in Deutschland und Europa würde erheblich gebremst werden, was wiederum zu Wohlstandsverlust führen würde. Zudem würden Importpreise ansteigen und Verbraucher würden durch Kosten- und Preissteigerungen belastet werden. Für Mecklenburg-Vorpommern hätte insbesondere auch der Wegfall der Reisefreiheit negative Auswirkungen. So sind die Wachstumsraten bei internationalen Gästen und den Gästen aus dem EU-Raum in den letzten Jahren überproportional hoch.

Meine Damen und Herren, laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung, auf die wir auch in der Begründung verweisen, wären für die gesamte EU bis zum Jahr 2025 Wachstumsverluste von 470 Milliarden Euro im günstigsten und bis zu 1,4 Billionen Euro im schlimmsten Fall zu erwarten. Allein Deutschland müsste Verluste im Umfang von 77 bis 235 Milliarden Euro hinnehmen. Eine andere Studie vom Münchner ifo Institut hat einen Schaden für die gemeinsame EU in einem Umfang von 30 bis 65 Milliarden Euro errechnet.

Meine Damen und Herren, die Zahlen beider Studien unterscheiden sich aufgrund ihrer anderen Methodik, am Ende jedoch sagen sie Identisches aus: Die Wiedereinführung von Grenzkontrollen kommt uns teuer zu stehen,

egal in welcher Hinsicht, denn neben negativen wirtschaftlichen Folgen wäre auch der gesamte europäische Integrationsprozess in Gefahr. All die Errungenschaften, die sich auf unser tägliches Leben auswirken, könnten hinfällig werden. Das gilt für unsere gemeinsame Währung ebenso wie für das grenzüberschreitende Reisen und es gilt für praktische Dinge wie Austauschprogramme für Jugendliche oder auch das EU-weite Telefonieren. Die Binnengrenzen zu schließen, kann für Europa keine Lösung sein. Daher ist es wichtig, dass wir als Landtag heute ein klares Signal senden.

Ich möchte meine Rede mit einem Appell beenden. Dieser Appell geht in Richtung der Kammern und Wirtschaftsverbände. Ich finde, auch sie sollten klar Position beziehen und deutlich machen, dass die Wiedereinführung von Grenzkontrollen Gift für unsere Unternehmen wäre. Schließlich kann es gar nicht oft genug hervorgehoben werden, wie immens die Bedeutung des freien Grenzverkehrs für uns alle ist.

Zu den beiden Änderungsanträgen von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN: Denen werden wir zustimmen. Wir finden, dass beide Anträge diesen Antrag bereichern könnten, und ich bitte Sie um die Zustimmung für unseren Antrag. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Abgeordnete Frau Gajek.

Guten Morgen, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal ist es gut, dass sich die Koalitionsfraktionen offen zu den europäischen Binnengrenzen bekennen und deren Schließung ablehnen. Dafür haben sie auch unsere volle Unterstützung und es freut mich zu hören, dass beide Änderungsanträge aufgenommen werden und dass wir eben gemeinsam bei der Ostseeparlamentarierkonferenz um gute Lösungen kämpfen oder werben werden. Ich bin ja jetzt die letzten Jahre immer mitgefahren und habe das als eine sehr angenehme, aber auch sehr konstruktive Einrichtung empfunden. Ich denke, dass wir hier als Mecklenburg-Vorpommern auch immer mit gutem Beispiel vorangehen.

Offene europäische Binnengrenzen sind für uns Bündnisgrüne aber nicht nur weitere Schritte hin zu einer europäischen Wirtschaftsintegration, sondern auch zu einem solidarischen Europa in Zeiten von Krisen. Grenzschließungen bedeuten, dass man Leid und Tod akzeptiert. Dieser Aspekt fehlt leider völlig im Antrag und deshalb haben wir unseren Änderungsantrag gestellt. Wir wollen, dass die Landesregierung darauf hinwirkt, dass wir in einem solidarischen Europa der offenen Binnengrenzen leben, dass es eine gerechte Verantwortungsteilung unter den Mitgliedsstaaten in der Flüchtlingsfrage gibt, dass die Präferenzen der Asylsuchenden in den Mittelpunkt gestellt werden und dass wir das Asylrecht verteidigen. Wir wollen ein System, das auf einer gerechten Verteilung der Asylsuchenden auf alle EU-Mitgliedsstaaten basiert und verbindlich ist für alle Mitgliedsstaaten, ein System, das die Anknüpfungspunkte und Präferenzen der Asylsuchenden für einen bestimmten Mitgliedsstaat berücksichtigt, ein System, das darauf basiert, Anreize für die Asylsuchenden zu schaffen, in ihrem Mitgliedsstaat zu bleiben, statt eine

Abwanderung und sekundäre Migrationsbewegungen in andere Mitgliedsstaaten durch Zwangsmaßnahmen zu verhindern.

Ein integriertes EU-Asylsystem zur besseren Umsetzung der EU-Asylvorschriften in allen Mitgliedsstaaten, das substanzielle Integrationsmaßnahmen beinhaltet, sollte unser Ziel sein, ebenso die positive gegenseitige Anerkennung von Asylentscheidungen, sodass Flüchtlinge ein Jahr nach ihrer Anerkennung als Schutzbedürftige in andere Mitgliedsstaaten ziehen können, um dort zu arbeiten oder zu studieren. Das müssen wir fördern. Ein weiteres Ziel sollte der Ausbau des derzeitigen europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, EASO, zu einer eigenständigen und voll funktionsfähigen EUAsylbehörde sein, sodass es das Funktionieren des präferenzgestützten Verteilungssystems und des EUAsylsystems insgesamt sicherstellt.

All diese Maßnahmen sind Teil der Wahrheit zur Erhaltung der Offenheit der europäischen Binnengrenzen. Es gibt aber noch weitere, die ich hier nennen möchte, und zwar, sichere und legale Wege für Flüchtlinge und Migrant(inn)en zu schaffen. Wir GRÜNE setzen uns für legale Wege der Migration ein, weil diese ermöglichen, dass Migrationsbewegungen abschätzbar, kontrollierbar und vor allem sicherer für Migrantinnen und Migranten werden.

Ich möchte auf die Smart Borders eingehen. Das ist das biometrische Einreise- und Ausreiseregister für Drittstaatenangehörige. Die Kommission will damit sowohl irreguläre Migration bekämpfen – das heißt, die meisten Menschen, die sich irregulär in der EU aufhalten, reisen legal ein, bleiben dann aber länger als erlaubt – als auch den Terrorismus. Weitreichende Eingriffe in die Grundrechte gehören zu den Knackpunkten des Gesetzesvorschlages. Die Fingerabdrücke sollen für fünf Jahre gespeichert werden. Nicht nur Grenzschützer bekommen Zugriff auf diese Daten. Wir GRÜNE haben Smart Borders von Anfang an als nutzlos, völlig überteuert und datenschutzfeindlich kritisiert.

Auch der Neuvorschlag der Kommission ist inakzeptabel. Mit dem Fluggastdatensatz und dem Schengener Informationssystem SIS, der Visa-Datenbank VES und der Datenbank EURODAC werden irreguläre Grenzübertritte und Asylsuchende, hat Europa sie bereits...

Entschuldigung!

(Heinz Müller, SPD: Ja, mach mal langsam!)

Ja, es ist so sehr komplex, ne?

(Wolf-Dieter Ringguth, CDU: Zu komplex, zu komplex! – Zuruf von Heinz Müller, SPD)

Och nö, ich glaube, es würde einigen ganz guttun, mal diese Sachen zu verstehen.

(Unruhe vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE – Heiterkeit bei Minister Harry Glawe)

Es gibt bereits eine ganze Reihe von Datenbanken und hier nun ein neues System zu schaffen, halten wir für überflüssig. Smart Borders werden vor allem dazu führen, dass sich die Wartezeiten für Reisende an den eu

ropäischen Flughäfen und Außengrenzen erheblich verlängern. Darauf sind Herr Texter und auch Herr Dr. Brie schon eingegangen. Ich denke, es gibt hier viele Vorschläge. Es ist gut, dass wir Ergänzungen gefunden haben und dass wir dieses Jahr in Riga einvernehmlich die Verhandlungen führen werden. Ich danke für die konstruktive Debatte.

Wir hatten in der vergangenen Woche ein europäisches Gespräch, wo Ska Keller und Reinhard Bütikofer hier waren, also unsere Europaabgeordneten, die dazu regelmäßig Gespräche führen.

(Zurufe von Jürgen Seidel, CDU, und Michael Andrejewski, NPD)

Sie haben gerade noch mal auf die Smart Borders hingewiesen, und von daher wollte ich auch diesen Aspekt hier einbringen. Wie gesagt, wir werden dem Antrag zustimmen und auch dem Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE. – Danke.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der NPD der Abgeordnete Herr Andrejewski.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Errungenschaften der europäischen Integration – das erinnert an die angeblichen Errungenschaften des Sozialismus im SED-Sprachgebrauch, die gab es auch nur in der Fantasie. Was für Errungenschaften sollen das heute eigentlich sein? Bequemlichkeiten für Konsumidioten,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oh, jetzt reichts!)

die nur, um sich das Reisen noch etwas angenehmer zu machen, die Sicherheit ihres Landes aufs Spiel setzen?! So schlimm war das nun auch nicht, wenn Italienurlauber früher an der Grenze zu Österreich und dann zu Italien vielleicht ein bisschen warten mussten. Aber das war einigen verwöhnten feinen Herrschaften wohl zu viel. Also weg mit den Grenzen, auch wenn das organisierte Verbrechen und der Terrorismus dadurch volle Bewegungsfreiheit in Europa gewonnen haben. Die Anschläge in Paris und Brüssel wären wesentlich schwerer auszuführen gewesen, wenn es zwischen Belgien und Frankreich vernünftige Grenzkontrollen gegeben hätte. Aber das ist den verantwortungslosen Vergnügungsreisenden egal.

Lästig war beim Reisegenuss auch das Eintauschen der D-Mark gegen andere Währungen. Also wurde der Euro eingeführt, mit folgenden Nebenwirkungen: Die Südeuropäer kontrollieren die in Deutschland gültige Währung. In den Führungsgremien der EZB werden die deutschen Vertreter regelmäßig niedergestimmt. Draghi benimmt sich wie ein italienischer Agent und sorgt mit seiner Nullzinspolitik dafür, dass Italien und die anderen Südländer sich auf deutsche Kosten günstig verschulden können. Dafür werden die deutschen Sparer um ihre Zinsen gebracht. Die Altersvorsorge vieler Deutscher ist gefährdet. Das sind keine Errungenschaften!

Großbritannien könnte jetzt eine Errungenschaft verbuchen, wenn der Austritt aus der EU tatsächlich funktionie

ren würde. Das wünschen wir uns sehr. Hoffentlich setzt damit der Zerfall dieses Monsters EU ein, SchengenRaum inklusive. Weg damit! Was Deutschland braucht, ist absolute Souveränität mit absoluter Kontrolle über seine Grenzen und wieder eine eigene Währung.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Und einen Führer! Einen Führer brauchen wir auch noch!)

Und das, was Sie hier erzählen, ist alles nur blöde Fantasie.

(Beifall Stefan Köster, NPD)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der SPD die Abgeordnete Frau Drese.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Der Leiter des ARD-Studios in Brüssel hat sich vor einigen Jahren sinngemäß folgendermaßen zur Berichterstattung über die Europäische Union geäußert: Wenn ich mit einem Bericht über die Sitzung des Europäischen Rates in die 20-Uhr-Tagesschau kommen will, müssen sich die Bundeskanzlerin und der Kommissionspräsident schon öffentlich an die Gurgel gehen. – Seit Kurzem sieht das ganz anders aus.

Ich glaube, ähnlich verhält es sich auch mit europapolitischen Anträgen. Es ist richtig und wichtig, dass wir hier im Plenum vermehrt Europapolitik in den Mittelpunkt stellen.

Sehr geehrte Damen und Herren, eine verbindliche Lösung der europäischen Flüchtlings- und Migrationsfrage auf Europaebene steht ganz oben auf der Agenda der politischen Herausforderungen. Ich möchte jedoch an dieser Stelle alle politischen Akteure bitten, sauber zu definieren, wen sie meinen, wenn sie davon sprechen, dass Europa keine Lösung für diese drängenden Fragen findet. Die Kommission und vor allem das Parlament sind die treibende Kraft bei der Skizzierung europäischer Lösungsansätze. Bislang scheiterten Lösungen vor allem an den nationalen Blockadehaltungen im Europäischen Rat. Wir sind klug beraten, die Schuld nicht reflexartig Brüssel in die Schuhe zu schieben.

In diesem Zusammenhang teilt meine Fraktion die Befürchtungen des Europäischen Parlaments hinsichtlich der Auswirkungen der Migrationsfrage auf Schengen. Der Rat hat im Februar Empfehlungen zum SchengenGrenzkodex angenommen. Mit diesem sollen schwerwiegende und seit Langem bekannte Mängel durch sehr präzise Empfehlungen binnen drei Monaten behoben werden. Vor allem ist es unabdingbar, dass die Mitgliedsstaaten Griechenland unterstützen, personell und finanziell. Die zum größten Teil in Italien und Griechenland ankommenden Flüchtlinge müssen mit europäischer Unterstützung flächendeckend registriert werden. Die eingerichteten Hotspots müssen funktions- und arbeitsfähig ausgestattet werden. Auch Frontex muss personell aufgestockt werden, um die Außengrenzen sichern zu können.

Es ist absolut richtig, dass in diesem Zusammenhang von einem Schengen-Schutzverfahren die Rede ist. Ich rufe an dieser Stelle aber zu höchster Wachsamkeit auf, weil ein Ergebnis dieser Empfehlungen sein kann, an einigen Punkten im Schengen-Raum wieder Kontrollen

an Binnengrenzen einzuführen. Das darf aber nur die Ultima Ratio sein. Die Schließung der Binnengrenzen kostet Geld, hat Auswirkungen auf den Güterverkehr und die Logistikbranche, aber auch viele indirekte Kosten wären die Folge. An dieser Stelle sei beispielsweise die Fremdenverkehrsindustrie genannt.

Wir haben nach der Finanz- und der darauf gefolgten Wirtschaftskrise endlich wieder positive Entwicklungen auch in Südeuropa zu verzeichnen. Binnengrenzen sind eine ganz reale Gefahr für eine positive Entwicklung des Binnenmarktes. Die hohen Flüchtlingszahlen sind eine ganz außerordentliche Bewährungsprobe für Europa und auch für Deutschland. Dass in dieser Zeit geordnete Wanderungsbewegungen sichergestellt werden müssen, ist uns allen längst bewusst, aber ich warne davor, dass hier ein Prozedere eingeläutet und Tatsachen geschaffen werden, die irreversibel sind und europäische Arbeitsplätze zerstören, die wir heute dringender denn je benötigen.

Deshalb, meine Damen und Herren, ist eine Lösung der Migrationsfrage im Europäischen Rat das Gebot der Stunde. 79 Prozent der Europäer meinen, dass die EU eine gemeinsame Migrationspolitik verfolgen sollte, 87 Prozent meinen, dass die EU eine gemeinsame Verpflichtung hat, ihre Außengrenzen zu schützen, und 79 Prozent meinen auch, dass Asylbewerber gerecht auf alle Mitgliedsstaaten verteilt werden sollen. Das sind eindeutige Handlungsaufträge.

Wenn diese Fragen beantwortet sind, dann ist ein hundertprozentiges Schengen-Europa auch wieder Realität. Es handelt sich um lösbare Fragen. Grenzen in Europa müssen deshalb nicht wieder hochgezogen werden. Die gemeinsamen Schengen-Regeln müssen genau angewendet werden, das ist keine Frage. Dies ist wichtig, weil die zu Recht geäußerten Sorgen und tatsächlich auftretenden Probleme mit den bereits vorhandenen Regeln gelöst werden können. Wer aber die Freizügigkeit in Europa angreift, der greift die europäische Einigung an, und das machen vor allem Rechtspopulisten, diese Ewiggestrigen. Diesen dürfen wir nicht in die Hände spielen.