Protokoll der Sitzung vom 09.06.2016

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Andrejewski von der Fraktion der NPD.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Irgendwoher muss das Geld für die sogenannten Flüchtlinge ja kommen. Die Bundesregierung und hier allen voran die SPD-Arbeitsministerin Nahles hat beschlossen, dass dafür wieder mal die Hartz-IVEmpfänger herhalten sollen. Verabschiedet werden soll ein Neuntes SGB-II-Änderungsgesetz. Allein an der Anzahl dieser Änderungsgesetze seit 2004 zeigt sich, was für ein Pfuschwerk das ursprüngliche SGB II von Anfang an gewesen ist, für jedes Jahr ein Änderungsgesetz – fast für jedes Jahr – und immer zulasten der Leistungsempfänger.

Zum Neunten Änderungsgesetz gab es mittlerweile auch Anhörungen von Sachverständigen. Besonders kritisiert wurde hierbei die Absicht der Bundesregierung, die Rückforderung von Leistungen durch die Jobcenter erheblich zu erleichtern. Bisher können Leistungen zurückgefordert werden, wenn der Leistungsempfänger entweder falsche Angaben gemacht oder das Jobcenter sich schlicht verrechnet hat. Letzteres kommt ziemlich häufig vor, warum auch immer. Wenn der Leistungsempfänger gutgläubig war und Behördenversagen festzustellen ist,

dann kann das dazu führen, dass die Rückzahlungspflicht entfällt. Dann schaut man sich an: Was ist das für einer? Ist das vielleicht ein Aufstocker, der jeden Monat unterschiedliche Bezüge hat? Musste der merken, dass er 67 Euro zu viel hatte? In anderen Fällen, wenn einer 5.000 Euro kriegt statt 500 Euro Aufstockung, muss er das natürlich merken.

All das genügt der Bundesregierung aber nicht. Die Bundesregierung setzt ihren Krieg gegen die Hartz-IVEmpfänger fort. Künftig sollen Leistungen zurückgefordert werden können, wenn das Jobcenter meint, die Hartz-IV-Empfänger hätten sich sozialwidrig verhalten. Das heißt, sie hätten irgendwie ihre Hilfsbedürftigkeit nicht reduziert, sondern erhöht oder aufrechterhalten. Das kann zeitlich unbefristet und in unbegrenzter Höhe geltend gemacht werden. Zehn Jahre nach dem Leistungsbezug eines Betreffenden kann ein Jobcenter einfach mal behaupten, Recherchen hätten ergeben, dass es seinerzeit doch Arbeitsplätze für ihn gegeben hätte, irgendwo in Südtirol oder sonst wo in Norwegen hätte es Arbeitsplätze gegeben, die er sich hätte ansehen müssen, das hätte er aber nicht getan und deswegen wäre er schuld und hätte seine Hilfsbedürftigkeit nicht reduziert.

(Vizepräsidentin Silke Gajek übernimmt den Vorsitz.)

Hätte sich der Leistungsempfänger mehr Mühe gegeben, wird dann gesagt, hätte er Arbeit gefunden. Er hätte es versäumt, diese Arbeitsplätze in Südtirol ausfindig zu machen und von Pasewalk sofort dorthin zu ziehen. Damit hätte er sozialwidrig gehandelt. Die Leistungen werden zurückgefordert.

Faktisch heißt das, anders als die kostbaren Flüchtlinge werden Langzeitarbeitslose in Zukunft ihr Geld nur noch unter Vorbehalt bekommen. Faktisch! Das steht zwar nicht drin in den Bescheiden, aber faktisch ist es so. Sie müssen jederzeit mit Rückforderungen rechnen. Die Voraussetzungen hierfür sind extrem unbestimmt und wolkig formuliert. Sie können unbegrenzt zulasten der Bürger ausgelegt werden. Die windigste Begründung reicht für einen Rückforderungsbescheid.

„Sozialwidriges Verhalten“ ist noch unbestimmter als ein unbestimmter Rechtsbegriff, es ist eine Gummiformulierung. Der reinen Willkür ist Tür und Tor geöffnet und so haben sich auch Experten in der Anhörung geäußert. Sobald das Gesetz durch ist, wird man mit diesen Rückforderungen auch beginnen. Die zu erbeutenden Summen sind wahrscheinlich inoffiziell schon im Haushalt eingestellt zur Finanzierung von Integrationskursen für Asylanten. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der NPD)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 120 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Renz von der Fraktion der CDU.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor über zehn Jahren wurde das sogenannte Hartz IV von der damali

gen rot-grünen Bundesregierung auf den Weg gebracht. Seitdem hat sich die Arbeitsmarktsituation merklich verändert. Mit dem SGB II müssen wir darauf reagieren, und das passiert. Seit Einführung hat es neun Gesetzesänderungen gegeben. Statistisch betrachtet haben wir also pro Jahr eine Änderung. Man darf also vollkommen zu Recht den CDU-Politiker Karl Schiewerling zitieren: Das SGB II ist ein lernendes System.

Zugegeben, der jetzige Entwurf für eine Rechtsvereinfachung hat längere Zeit in Anspruch genommen. Der Entwurf geht auf den Bundeskoalitionsvertrag, Seite 66 zurück, basiert aber im Kern auf den Ergebnissen der 2013 gegründeten Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Rechtsvereinfachung im SGB II. Diese Arbeitsgruppe legte 2013 sehr plausibel dar, dass die Rechtsfolgen bei Pflichtver- letzung nach Paragraf 31 SGB II auch nach der Neustrukturierung und Überarbeitung der Sanktionsvorschriften unverändert komplex seien. Deswegen stand er auch unverändert in der Kritik, denn der mit der Feststellung der Sanktionen verbundene Aufwand ist aufgrund der vielen zu unterschiedlichen Fallkonstellationen sehr hoch.

Eines vorweg: Alles, was Jobcentermitarbeitern mehr Zeit für die Vermittlung ihrer Kunden verschafft, wird übrigens von der Bundesagentur für Arbeit begrüßt. Und das gilt ganz explizit auch für den vorliegenden Gesetzentwurf, der am 3. Februar vom Kabinett verabschiedet wurde.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben an dieser Stelle schon das eine oder andere Mal über Anträge der NPD zum SGB II gesprochen, zum Beispiel am 5. September 2013 zur Landtagsdrucksache 6/2132 „Sachleistungen für Empfänger von Arbeitslosengeld II auch bei Sanktionen in jedem Fall gewähren“. Damals ging es um bestehende Regelungen. Ich stelle mich heute inhaltlich abermals auf den Standpunkt, dass wir bei den von Sanktionen Betroffenen von einer verschwindend kleinen Minderheit reden.

(Zurufe von Michael Andrejewski, NPD, und Udo Pastörs, NPD)

Von den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Deutschland erfüllen knapp 97 Prozent alle Voraussetzungen, um die Leistungen unserer Solidargemeinschaft ohne Abstriche in Anspruch nehmen zu können. Bei lediglich 3 Prozent ist dies also nicht der Fall, und zwar aus ganz unterschiedlichen Gründen. Bei Sanktionen handelt es sich also keineswegs um ein Massenphanomen.

(Udo Pastörs, NPD: Phänomen!)

Phänomen, sehr richtig. Es ist ein Randphänomen.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Die immer bessere Arbeitsmarktlage macht es immer stärker genau dazu. Und genau deswegen habe ich Ihnen am 5. September 2013 – lange vor der avisierten Neunten Änderung des SGB II – auch ins Stammbuch geschrieben, dass dieses Thema sich überhaupt nicht für Ihren Populismus eignet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die CDU hat sich im Bund für ein rasches Gesetzgebungsverfahren bei der Neunten Änderung des SGB II ausgesprochen, weil die geplanten Neuregelungen greifen müssen, sobald die Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt gelangen.

Das Allerwichtigste aber: Das alles ist in diesem Landtag keineswegs neu. Vor ziemlich genau drei Monaten haben wir an dieser Stelle über einen Antrag der Fraktion DIE LINKE mit dem Titel „Hartz-IV-Rechtsverschärfung im Bundesrat nicht zustimmen“ debattiert. Auch damals ging es um den Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des SGB II, also um die Rechtsvereinfachung. Heute soll es um die Teilaspekte des damaligen Antrages gehen. Eine Positionierung der Fraktionen ist damals erfolgt und bedarf somit heute keiner erneuten Aufwärmung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ansonsten möchte ich den Landtag gerne über die zwischenzeitlichen Veränderungen auf Bundesebene seit der letzten Debatte unterrichten. Das Gesetz war im ersten Durchgang im Bundesrat, nämlich am 18. März. Die Erste Lesung im Bundestag fand am 15. April statt. Uns ist bekannt, dass in den Bundestagsausschüssen aktuell über Änderungen beraten wird: Eingliederungsvereinbarungen, Erstattungsregelungen und die Stärkung des örtlichen Beirates sowie weitere technische Änderungen.

Die Zweite und Dritte Lesung im Bundestag wird in den nächsten Wochen, wahrscheinlich am 23. oder 24. Juni, erfolgen. Das Gesetz muss dann ein zweites Mal in den Bundesrat, nämlich am 8. Juli, und wird zeitnah in Kraft treten. Daran wird auch der aufgewärmte NPD-Antrag nichts ändern. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE)

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Andrejewski von der Fraktion der NPD.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Herr Renz, ich kann mich irren, aber ich hatte den Eindruck, dass der Text Ihnen ziemlich neu war, dieser Redetext, weil Sie ständig mit den Augen an den Buchstaben geklebt haben. Vielleicht mussten Sie ja für Ihren aus der CDU-Fraktion ausgestiegenen Kollegen einsteigen. Wenn ja und wenn der diese Rede geschrieben hat, ist er kein Verlust für Ihre Fraktion, so viel kann man schon mal feststellen.

(Heiterkeit und Beifall vonseiten der Fraktion der NPD)

Das Gute an der ganzen Sache ist – die sozusagen „weiße Seite“ des Schwarzen –, dass das nicht klappen wird, was sich hier Ihre Bundesregierung vorgestellt hat. Sie wollen ja eine Rechtsvereinfachung. Eine Rechtsvereinfachung kriege ich aber nicht dadurch, dass ich eine Regelung einführe, die einen Rattenschwanz von Prozessen mit sich führt, denn was man vielleicht nicht bedacht hat, ist, wenn ich Rückforderungsbescheide als Behörde verabschiede, dann hat der Widerspruch aufschiebende Wirkung. Und gegen den Widerspruch hat auch die Klage noch mal aufschiebende Wirkung. Das ist jetzt schon so – nicht bei Sanktionen, aber bei Rückforderungen schon.

Wenn jetzt Geld zurückgefordert wird, weil die Hartz-IVBehörde sich wieder mal verrechnet hat, dann geht das vor Gericht und der Sachverhalt muss erörtert werden und dort auch erforscht werden. Das dauert fröhliche

zwei Jahre, selbst bei einfachen Fällen. Und das sind jetzt noch relativ einfache Fälle. Denn es geht darum, wie ich schon sagte: Hat sich das Jobcenter wirklich verrechnet? Musste der Leistungsempfänger das bemerken? War die Überweisung so auffällig anders, dass er es bemerken musste? War er gutgläubig oder nicht? Jetzt gehts um ganz andere, noch viel schwierigere Sachverhalte. Denn da das zeitlich unbegrenzt sein soll, die Rückforderung bei sozialwidrigem Verhalten, bei nicht wahrgenommenen Jobangeboten, ist es möglich, dass sie es genauso machen, wie sie es jetzt bei der Erbenhaftung machen, der Hartz-IV-Erbenhaftung. Da wurden – und das habe ich durch eine Anfrage beim Kreistag Ostvorpommern schon vor Jahren erfahren – Todesanzeigen gelesen. Dann werden die Todesanzeigen abgeglichen mit ehemaligen Hartz-IV-Empfängern und es wird geguckt, ob man von den Erben vielleicht noch das Geld zurückkriegen kann. Das geht bis zu zehn Jahre.

So, und dann wird man natürlich jetzt auch zusehen, man wird wahrscheinlich Mitarbeiter mit der Aufgabe betrauen, sich noch mal anzusehen, welche Arbeitsangebote es in irgendeiner Region gab und welche Hartz-IV-Empfänger. Und dann wird man sagen, vor fünf Jahren hat es da aber in Ihrer Nähe irgendein Angebot gegeben, das Sie hätten annehmen müssen. Dann muss das allerdings im Gerichtsverfahren nachgeforscht werden und je älter der Sachverhalt ist, desto schwieriger wird es. Da muss genau geguckt werden: Musste er davon wissen? War es fahrlässig oder grob fahrlässig, dass er nicht davon wusste? Warum hat er sich nicht beworben? War es ihm zumutbar?

Und vor allen Dingen muss der Begriff „sozialwidriges Verhalten“ ausgelegt werden, denn der wird ja jetzt in einem völlig neuen Zusammenhang hier ins Spiel gebracht. Was ist eigentlich „sozialwidrig“ und unter welchen Umständen? Das werden verdammt lange Prozesse. Also ich könnte mir vorstellen, dass die Anwaltskammern demnächst Bilder von Andrea Nahles aufhängen bei sich in den Geschäftszimmern, weil so hat noch nie einer das Geschäft der Anwälte befeuert wie diese Dame. Es wird einfach nur eine Flut von weiteren Prozessen geben. Und Sie können auch schon mal den Jurastudenten, die jetzt gerade im zweiten Examen sind, die fröhliche Botschaft vermitteln,

(Udo Pastörs, NPD: Gibt Arbeit!)

dass die Anstellung als Richter wesentlich einfacher wird, weil sie dafür auch neue Sozialrichter brauchen, sobald das durchgeht.

Das ist ja nicht die einzige Rechtsverschärfung, die Sie sich hier leisten. Es kommt auch noch eine richtig schön familienfeindliche BRD-Regelung dazu. Wenn nämlich ein alleinerziehender Hartz-IV-Empfänger einen Expartner hat, der Umgangsrecht hat und der das Kind ab und zu mal kriegt, wenn es ein, zwei Wochenenden sind im Monat, dann wird akribisch ausgerechnet,

(Jochen Schulte, SPD: Hat sich doch schon erledigt.)

welcher Anteil des Regelsatzes dann davon …

(Jochen Schulte, SPD: Die Koalitionsfraktionen haben doch schon erklärt, dass das nicht kommen wird.)

Das hat sich erledigt?

(Zuruf von Jochen Schulte, SPD)

Das trauen Sie sich also nicht! Dann wollen wir mal sehen! Jedenfalls ist es geplant gewesen.

(Jochen Schulte, SPD: Ja, Vergangenheitsform!)

Es mag ja sein, dass angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl die Herrschaften noch bei der einen oder anderen Sache kalte Füße bekommen. Wobei es allerdings sicher bleibt, das ist die Zwangsverrentung mit 62. Da will man ja noch mehr Druck machen, dass da also noch mehr vorher aus der Statistik rausfliegen.

Alles in allem: Eine Rechtsvereinfachung wird es nicht geben, es wird nur zusätzliche Ungerechtigkeiten geben, wenn die Leute sich nicht wehren. Und dann wird es eben nötig sein, sie darauf hinzuweisen, dass Widersprüche und Klagen aufschiebende Wirkung haben, dass Verfahren vor den Sozialgerichten nichts kosten und dass man auf diese Weise dem System den Schneid abkaufen kann, wenn es nur genug Widersprüche und Klagen gibt.

(Beifall vonseiten der Fraktion der NPD)

Ich schließe die Aussprache.