Was in den ganzen Prognosen noch gar nicht enthalten ist, ist der zusätzliche Lehrerbedarf für die Flüchtlinge. Gerade in westdeutschen Bundesländern werden dafür Tausende zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer gesucht und auch eingestellt. Deswegen ist es unverantwortlich, sich hier auf vermeintliche Überkapazitäten im Westen zu verlassen.
Und ja, wir verbeamten jetzt. Das hat unsere Chancen verbessert. Aber wir sind doch nicht das einzige Bundesland, das seine Lehrerinnen und Lehrer verbeamtet.
Der bundesweite Wettbewerb um die Lehrkräfte wird in den nächsten Jahren sehr viel massiver sein als im Augenblick. Schon heute braucht Mecklenburg-Vorpommern eine millionenschwere Lehrerwerbekampagne, obwohl der Bedarf derzeit eigentlich noch überschaubar ist. Warum? Weil das Land in den letzten Jahren schon nicht vernünftig vorgesorgt hat. Diesen Fehler begeht die Koalition nun schon wieder, aber der Bedarf schießt dieses Mal völlig durch die Decke.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir GRÜNE fordern deshalb mit unserem Antrag zunächst einmal etwas ganz Einfaches: Wir wollen, dass das Lehrerbildungsgesetz eingehalten wird. Wir wollen unseren eigenen Lehrerbedarf ausbilden. Dafür müssen die Ausbildungskapazitäten an den Hochschulen nicht gesenkt, sondern für fast alle Lehrämter deutlich erhöht werden. Im Übrigen: An Bewerbungen für die Studienplätze mangelt es derzeit nicht. Das Problem haben wir nicht.
Dabei ist natürlich klar, dass nicht alle hier fertig ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer auch bei uns bleiben. Einen gewissen Austausch und einen gewissen Schwund wird es immer geben.
(Andreas Butzki, SPD: Sie sind wirklich ein absolut großartiger hochschulpolitischer Sprecher. Ich verneige mich vor Ihnen.)
Eines steht fest, meine sehr geehrten Damen und Herren: Lehrkräfte, die bereit sind, in zum Teil abgelegene ländliche Regionen zu gehen, kommen bestimmt nicht aus Hamburg, München oder Stuttgart, sondern es sind eher diejenigen, die in diesen Regionen aufgewachsen sind und ausgebildet wurden und dort ihre sozialen und familiären Wurzeln haben.
das gebe ich gerne zu. Wir glauben, es müssen auch mehr Erstsemestler als bisher den Weg bis zum ersten Staatsexamen schaffen. Die Studienabbruchquoten sind in Mecklenburg-Vorpommern im Bundesvergleich sehr hoch. Bei der Lehramtsausbildung gilt dies im besonderen Maße. Wir können es uns einfach nicht leisten, so viele Lehramtsstudierende zu verlieren wie derzeit. Darum brauchen wir dringend eine bessere Betreuung und eine praxisnähere Ausbildung. Wir GRÜNE hatten hier im Landtag im Übrigen schon einmal einen Antrag für ein Praxissemester eingebracht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir müssen vielleicht auch noch darüber reden, ob die Ausbildungsstruktur und die Inhalte des Studiums wirklich den Anforderungen für den Lehrerberuf optimal entsprechen. Andere Bundesländer gehen da ganz andere, schulorientiertere Wege.
Schließlich müssen wir dafür sorgen, dass möglichst viele der erfolgreichen Absolventen den Vorbereitungsdienst in Mecklenburg-Vorpommern antreten. Da gibt es immer noch zu viele ärgerliche und unnötige Reibungsverluste. Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel:
Der Prüfungszeitraum für die erste Staatsprüfung im Bereich „Grundschulpädagogik“ an der Universität Rostock war in der zweiten Maihälfte dieses Jahres. Bewerbungsschluss für den Vorbereitungsdienst war aber Mitte April, das heißt, die Absolventen hängen fast ein halbes Jahr in der Luft für den nächsten Einstellungstermin. Sie wissen auch nicht, ob sie zum nächsten Einstellungstermin überhaupt genommen werden, und bewerben sich deshalb erst einmal woanders. Im Übrigen werden sie vom Arbeitsamt dazu gezwungen, sonst kriegen sie kein Geld. Sie müssen sich irgendwo bewerben, damit sie Geld bekommen. Was für ein Unsinn! So verprellt MecklenburgVorpommern viele Absolventinnen und Absolventen.
Wir sind der Meinung, wer hier seine erste Staatsprüfung erfolgreich ablegt, muss einen nahtlosen Übergang zum Vorbereitungsdienst erhalten. Das ist rechtlich machbar. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.
Es gibt natürlich noch weitere Instrumente, die für die Deckung des Einstellungsbedarfes wichtig sind. Was ist zum Beispiel mit der Attraktivität des Lehrerberufes, mit
der Höhe der Pflichtstundenzahlen, mit der ungerechten Bezahlung der Grundschullehrkräfte? Ja, das ist alles wichtig, darüber können wir heute auch reden. Wir haben aber erst mal dort angefangen, wo das Problem beginnt, nämlich bei der Lehramtsausbildung. Alles Weitere bespreche ich dann in der Aussprache. – Ich danke Ihnen bis hierhin für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Dr. Hikmat Al-Sabty, DIE LINKE – Torsten Renz, CDU: Mehrheitlicher Applaus in der Fraktion!)
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Sehr geehrter Herr Abgeordneter Saalfeld, das Thema, das Sie aufrufen, ist unbestreitbar wichtig. Es ist aber auch genauso unbestreitbar komplex. Deswegen würde ich dafür plädieren, dass wir an der Stelle wie beim Plädoyer mal nicht versuchen, uns gegenseitig irgendwie anzuschießen, sondern einfach die Sachfragen, die wirklich sehr strittig sein können, erörtern.
Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, es gibt im Lehrerbildungsgesetz die Pflicht, eine Lehrerbedarfsprognose aufzustellen, und auch die Pflicht für die Hochschulen, die- sen Kapazitäten zu entsprechen. Wenn ich mich recht entsinne, haben wir das in der letzten Legislaturperiode eingeführt. Herr Tesch hat bei der KMK in Stralsund den Grundsatzbeschluss herbeigeführt, dass jedes Land sich orientieren soll an seinem Lehrkräftebedarf im Hinblick auf die Studienplatzkapazitäten. Wir haben das hier in einer Art und Weise umgesetzt – ich durfte zum Glück an dieser Sache mit beteiligt sein –, wie das in wenigen Ländern der Fall ist.
Wie war es früher? Früher war es so, dass die Hochschulen ohne in irgendeiner Form sich die Frage zu stellen, welchen Bedarf das Land hat, die Kapazitäten gesteuert haben oder eben nicht gesteuert haben. In Greifswald war es teilweise so, dass 80 Prozent der Lehramtsstudierenden gymnasiales Lehramt studiert haben, von diesen 80 Prozent – jetzt übertreibe ich etwas polemisch – noch mal 80 Prozent Deutsch, Englisch und Geschichte, und das funktioniert natürlich nicht.
Das Dilemma bei der Sache, das haben Sie jetzt nicht so deutlich hervorgehoben, ist aber, dass wir es mit einem unglaublich großen Tanker zu tun haben. Sie brauchen, wenn Sie die Lehramtskapazitäten verändern, etwa acht Jahre, bis die Eingang finden ins Beschäftigungssystem. Sie haben im Schnitt sechs Studienjahre im Lehramt. Fünf Jahre sind die Regelstudienzeit, der Durchschnitt beträgt sechs, statistisch. Dann haben sie eineinhalb bis zwei Jahre Referendariat mit Übergangsproblemen und so weiter. Dann haben sie im Schnitt acht Jahre – und das ist das Kernproblem an Ihrem Antrag.
Ich finde, man kann berechtigt ganz unterschiedlicher Meinung sein, ob die Prognose auskömmlich ist, ob man das anders machen muss, weil es da unzählige Möglichkeiten gibt, das zu berechnen und Annahmen zu treffen. Darüber – da würde ich Ihnen recht geben – kann man sicher streiten.
Ein Beispiel, warum eine fächerspezifische und schulartengenaue Prognose so kompliziert ist: Das Komplizierteste ist, dass ein Lehrer extrem flexibel einsetzbar ist. Wenn er Mathe-/Physiklehrer ist, dann gibt es eine sehr große Anzahl von kombinatorischen Möglichkeiten des Unterrichtseinsatzes. Er kann 27 Stunden Mathe machen, 27 Stunden Physik, 12 Stunden Mathe, 15 Stunden Physik und so weiter. Je nachdem, wie das in einer großen Schule bei den einzelnen Lehrern – das gilt für jeden Lehrer – kombiniert wird, können Sie den Bedarf an Mathematiklehrern in dem System hoch- oder runterrechnen. Das heißt, es sind unglaublich viele Steuerungsmöglichkeiten in der Schule, und das erschwert unglaublich die Prognose.
Das Problem ist, es funktioniert deshalb nicht, weil wir kein statisches System haben zum Beispiel bei der Schülerzahl. Sie müssen in ein solches System gehen, weil die Schülerzahl nicht statisch ist. Deswegen reicht es nicht aus, einfach die Qualifikation der ausscheidenden Lehrkräfte zu nehmen, zumal darunter auch viele Lehrkräfte sind, die im Rahmen des Lehrerpersonalkonzeptes innerhalb von drei Jahren eine andere Lehrbefähigung erworben haben ohne wirkliche Ausbildung. Das heißt, sie haben ein anderes Fach übernommen, unterrichten das und sind darin mitnichten ausgebildet.