Protokoll der Sitzung vom 16.03.2012

Das gerät bei all den anderen wichtigen Themen oft in Vergessenheit, weil die Gerichte in der Regel zwar effizient, aber auch geräuschlos funktionieren.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ach, die arbeiten effizient?!)

Nun stehen also die Amtsgerichte im Fokus einer breiten Öffentlichkeit.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie kennen den von der Landesregierung beschlossenen Strategiebericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe „Demografischer Wandel“. Er spricht eine deutliche Sprache. Die Herausforderungen, vor die uns die demografische Entwicklung stellt, sind vielfältig. Eine davon ist, unsere Justiz, insbesondere die Amtsgerichte, auf ein langfristig tragfähiges Fundament zu stellen.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Was ist mit den Bürgern?)

Sehr geehrte Herren und Damen Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE, ich gebe Ihnen Recht, wenn Sie behaupten, die Amtsgerichte arbeiten derzeit effizient. Die Betonung liegt dabei auf dem Wörtchen „derzeit“. Es wäre jedoch ein Fehler, ja geradezu grob fahrlässig, sich auf diesem Befund auszuruhen, denn das hieße, wie die drei heiligen japanischen Affen Augen, Ohren und Mund vor der Wirklichkeit zu verschließen. Es ist eben ein Trugschluss zu glauben, die Gegenwart lasse sich so ein- fach konservieren. Wir sind eben nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.

(Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE: Genau.)

Oder anders gesagt: Wenn wir heute nicht handeln, werden unsere Amtsgerichte morgen nicht mehr effizient arbeiten können.

Der Koalitionsvertrag hat diese demografische Entwicklung im Blick, wenn er das Justizressort beauftragt, langfristig tragfähige Strukturen bei den Gerichten zu schaffen. Unsere Amtsgerichte sollen also nicht nur heute, sondern auch noch morgen und übermorgen effizient und bedarfsgerecht arbeiten können.

Ich verstehe, wenn die in der letzten Zeit in der Öffentlichkeit ausgetragene Diskussion über die Gerichtsstandorte bei einigen Beteiligten auch Ängste auslöst, nicht zuletzt deswegen, weil es immer Leute gibt, die schon jetzt genau wissen oder zu wissen meinen, ob und welche Gerichte mit Sicherheit geschlossen werden sollen. Das haben wir ja gerade mal wieder gehört, und das ist immer wieder interessant.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Da gibt es aber auch Kriterien, Frau Ministerin. Nehmen Sie Ihre Kriterien zur Hand, dann können Sie das ablesen!)

Bisher kennen auch Sie nur den von mir zur Diskussion gestellten ersten Entwurf von Eckpunkten für die zukünftige Amtsgerichtsstruktur. Und ich will damit zum einen zeigen, dass entgegen anderslautender Meinungen im Moment überhaupt noch nichts entschieden ist, und zum anderen, dass es mir wichtig ist, das Vorgehen für die Betroffenen und die Öffentlichkeit so transparent wie möglich zu gestalten.

(Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Leitbild für eine zukunftssichernde Struktur der ordentlichen Gerichtsbarkeit soll „Das Amtsgericht 2025“ sein. Dabei handelt es sich um erste Überlegungen und Vorstellungen, wie die Amtsgerichte in unserem Land in Zukunft aussehen könnten. Für dieses Leitbild haben wir vier Leitgedanken entwickelt. Ein wichtiger Gesichtspunkt, manchmal erscheint er in der Diskussion als einziger, ist dabei die Größe der zukünftigen Amtsgerichte. Es ist eine Tatsache – und vor der kann niemand, der sich ernsthaft um die Zukunft der Amtsgerichte Gedanken macht, die Augen verschließen –, es ist eine Tatsache, dass wir schon im Jahr 2020 nicht mehr den gleichen Personalbestand wie heute haben werden.

(Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE: Da muss man jetzt schon gegensteuern.)

Das liegt zum einen an der demografischen Entwicklung und natürlich zum anderen auch am Personalkonzept 2010, was darauf abgestellt ist. Und dieses sieht vor, dass das Justizressort jährlich ein Prozent der Personalkosten einzusparen hat, also auch Richterplanstellen. Schon heute haben wir Amtsgerichte im Land, die mit nur vier oder fünf Richterplanstellen arbeiten.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Die sehr effizient arbeiten.)

In einigen Jahren werden es dann möglicherweise nur noch zwei oder drei Richter an dem Amtsgericht sein.

(Zurufe von Barbara Borchardt, DIE LINKE, und Karen Stramm, DIE LINKE)

Jetzt erklären Sie mir, wie eine ordnungsgemäße Vertretung dann noch möglich sein soll!

Sehr geehrte Damen und Herren und Abgeordnete von der Fraktion DIE LINKE, ich kann mir auch bei Ihnen nicht vorstellen, dass Sie sich ein Amtsgericht wünschen, an dem ein Richter montags Mietstreitigkeiten, am Dienstag Strafsachen,

(Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE: Wir wünschen uns Bürgernähe.)

am Mittwoch Familiensachen, am Donnerstag Ordnungswidrigkeiten und freitags Betreuungssachen entscheidet. Mit solch einem Generalisten, selbst wenn er für die Bürgerinnen und Bürger zu Fuß erreichbar ist, ist niemandem gedient.

(Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE: Bürgernähe ist nicht zu Fuß.)

Ein Amtsgericht hat, wie Sie alle wissen, vielfältige Aufgaben zu bewältigen. In allen Arbeitsbereichen verlangen die Bürgerinnen und Bürger zu Recht qualitätsvolle Arbeit und Rechtsschutz in angemessener Zeit. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, soll das Amtsgericht 2025 daher nach unseren Überlegungen in Zukunft eine gewisse Mindestgröße haben.

Deshalb gehen wir in unseren Überlegungen von heute 10 Richterplanstellen aus. Diese Zahl ist nicht etwa aus der Luft gegriffen, sondern stützt sich auf eine KienbaumStudie. Danach liegt die beste Größe für ein Amtsgericht bei 10 bis 25 Richterstellen. Und mit „Amtsgericht“ ist nicht das einzelne Amtsgericht, sondern der gesamte Amtsgerichtsbezirk gemeint, also inklusive möglicher Zweig- oder Nebenstellen. Dies übersieht im Übrigen der Richterbund, wenn er die öffentliche Diskussion damit befeuert, mit einer Mindestgröße von 10 Richtern würden nur 5 Amtsgerichte überleben.

Ein weiterer Aspekt, der in der öffentlichen Diskussion einen breiten Raum einnimmt, ist die Zahl der zukünftigen Amtsgerichte. Der Koalitionsvertrag sieht zwar vor, die Zahl der Gerichtsstandorte der Kreisgebietsreform anzupassen, eine Aussage über die zukünftige Zahl der Amtsgerichte ist damit jedoch noch nicht getroffen. Ob letztlich tatsächlich acht oder auch mehr Gerichte bestehen bleiben, wird erst am Ende des Findungsprozesses feststehen.

Das Gleiche gilt für die Frage, ob und gegebenenfalls welche Standorte als Zweig- oder Nebenstellen erhalten bleiben können. Wir zäumen ja nicht das Pferd von hinten auf.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Doch.)

Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass zuerst ein tragfähiges Konzept erstellt wird und erst dann über die Anzahl und die Orte der zukünftigen Amtsgerichte entschieden wird. Und an diesem Konzept arbeite ich zurzeit mit Hochdruck.

Unser Ziel ist es, für alle verschiedenen Aufgaben, die ein Amtsgericht abzudecken hat, tragfähige und bedarfsgerechte Lösungen zu finden. Selbstverständlich habe ich dabei auch die Belange der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an den Gerichten und die Belange der Rechtsuchenden im Blick.

Neben dem Leitbild habe ich auch einen ersten Entwurf für eine Reihe von Standortkriterien erarbeitet und zur Diskussion gestellt. Ich will noch einmal deutlich machen, damit ist noch keine Aussage für oder gegen einen bestimmten Standort verbunden. Mir ist wichtig, dass die Leitgedanken und der Kriterienkatalog sowohl innerhalb der Justiz als auch mit den anderen Betroffenen diskutiert werden, und zwar schon jetzt in diesem frühen Stadium. Das verstehe ich unter Transparenz. Ich werde alle Anregungen und Hinweise ernst nehmen und bei der Erstellung des Konzeptes berücksichtigen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Da bin ich aber gespannt.)

Auch Sie, meine Damen und Herren, sind aufgerufen, sich an der Diskussion zu beteiligen.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Das machen wir ja gerade.)

Ich denke, es besteht Einigkeit, dass Handlungsbedarf besteht. Es hilft niemandem, wenn alle immer nur dagegen sind.

(Udo Pastörs, NPD: Ooh!)

Alle sind aufgerufen, sich mit konstruktiver Kritik an der Diskussion zu beteiligen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Hat Frau Borchardt eben gemacht.)

Nach meiner derzeitigen Planung soll der Entwurf eines Konzeptes bis Mitte des Jahres 2012 vorliegen. Daran soll sich ein weiteres umfassendes, zweistufiges Beteiligungsverfahren mit allen Betroffenen anschließen. In der ersten Stufe umfasst dies die frühzeitige Ressort- und Verbandskonsultation, in der zweiten Stufe die Verbandsanhörung nach der ersten Kabinettsbefassung. Der entsprechende Gesetzentwurf soll dann dem Landtag voraussichtlich zum Ende des Jahres 2012 zur Beratung und Entscheidung vorgelegt werden.

Meine Damen und Herren Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE, wenn Sie mir aufmerksam zugehört haben, werden Sie all Ihre Anregungen und Aufforderungen bereits in den Planungen des Justizministeriums wiedergefunden haben. Wo Sie noch auffordern, handele ich be- reits. – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Fraktionsvorsitzende Herr Suhr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Man kann durchaus annehmen, dass mit der prognostizierten demografischen Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern auch bei der Justiz Handlungsbedarf besteht. Frau Ministerin, da bin ich ganz bei Ihnen. Man kann auch annehmen, dass dieser Handlungsbedarf die logische Folge der gerade umgesetzten Kreisgebietsreform ist und dass man nun die Struktur der Amtsgerichte anpassen müsse. Da bin ich wiederum nicht bei Ihnen. Und man kann sicher auch annehmen, dass auch der Justizbereich angesichts der prognostizierten Entwicklung für den Landeshaushalt einen Beitrag leisten muss, der zu den erforderlichen Einsparungen führt.

Doch das, was aus diesen Annahmen folgt, sind jetzt vorgelegte Leitlinien für eine Gerichtsstrukturreform. Sie resultieren allerdings nicht aus einer gründlichen Analyse der bisherigen Arbeit unserer Gerichte, sondern die Landesregierung nähert sich diesem Prozess, indem sie Vorgaben und Zielgrößenordnungen definiert, ohne dass diese zunächst einen Bezug zur Arbeit unserer Gerichte haben.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von Helmut Holter, DIE LINKE)

Frau Ministerin Kuder, ich begrüße dabei – das will ich hier ausdrücklich sagen –, dass Sie derzeit auf Grundlage der von Ihnen definierten Leitlinien die Stellungnahmen vieler Beteiligter einholen. Wir werden uns da sicherlich auch beteiligen.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Wir auch.)

Was ich nicht nachvollziehen kann, ist an dieser Stelle die Kritik am Antrag der LINKEN. Ich kann das deshalb nicht nachvollziehen, weil ich glaube, dass Sie geradezu davon ausgehen müssen, dass in dem Moment, wenn Sie Leitlinien auch in einer bestimmten Priorität vorlegen, dass auch gerade die Oppositionsfraktionen hier an dieser Stelle reagieren und dass sie sich ein Bild machen zu der Frage, wie sie sich an welcher Stelle einmischen.

Ich will also an zwei Beispielen deutlich machen, wir haben in diesem Zusammenhang immer von einem sogenannten Top-down-Prozess gesprochen.

(Udo Pastörs, NPD: Toll.)