Protokoll der Sitzung vom 26.04.2012

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Oooh, oooh, oooh!)

jedes fünfte Kind hat Übergewicht.

(Zuruf von Heinz Müller, SPD)

Ich könnte die Aufzählung noch Stunden fortsetzen – wir wollen es dabei belassen.

Instinktiv versuchen Eltern, ihre eigenen Kinder vor all den üblen Einflüssen zu beschützen. Alleine stehen sie den krankhaften Auswüchsen Ihrer Politik hilflos gegenüber.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ach Quatsch!)

Auch der geforderte Aktionsplan wird die Situation für die in Armut lebenden und die von Armut gefährdeten Kinder nicht ändern, solange sich Ihre kinder- und familienfeindliche Geisteshaltung nicht ändert beziehungsweise solange diese nicht vom Erdboden verschwindet.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Wie soll das denn gehen?)

Es sind diese kapitalistische Wirtschaft und die Gesellschaftsordnung,

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

die zu der weitverbreiteten Armut führen. Und DIE LINKE ist fester Bestandteil dieser Unordnung, weil Sie in diesem System so fest verankert sind und es mit Ihrer Kapitalismuskritik auch nicht wirklich ernst nehmen.

(Michael Andrejewski, NPD: Die wurden billig eingekauft.)

Anstatt sich der Probleme der Bürger im eigenen Land, in unserer Heimat anzunehmen, spielen Sie das Sozialamt der ganzen Welt. Vermeintlich systemrelevante Banken, Zocker und Betrüger sowie selbstverschuldet in Not geratene Pleitestaaten

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir reden über Kinderarmut!)

sind Ihnen wichtiger als das eigene Volk. Es wird Zeit, dass der Wind sich in unserem Land dreht.

(Beifall vonseiten der Fraktion der NPD – Dr. Norbert Nieszery, SPD: Gott sei Dank nicht in Ihre Richtung!)

Das Wort hat nun für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Herr Koplin.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bevor ich zu der vorgesehenen Rede komme, möchte ich fünf Punkte ansprechen, die sich insbesondere aus der Rede von Frau Ministerin Schwesig ergeben haben.

Wissen Sie, es ist mitnichten so, dass wir das, was geschehen ist seit 2006 und wertschätzenswert ist, nicht honorieren würden,

(Egbert Liskow, CDU: Na, dann machen Sie das doch!)

wir wissen nur zu differenzieren. Und wenn Sie, das will ich mal so ein bisschen bildhaft wiedergeben, wenn Sie in dieser Situation sagen, das Glas ist halb voll, wir haben da viel gemacht, sagen wir, es ist halb leer, wir geben uns mit dieser Situation nicht zufrieden.

(Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

Sie auch nicht. Wir haben nur einen kritischeren Blick, denke ich mal.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Das ist jetzt aber eine Unterstellung!)

Zweitens, Sie haben mehrfach betont, Sie haben auch Beispiele dafür genannt, wo wir Initiativen Ihrerseits – Gesetzentwürfe oder auch Haushaltstitel – nicht mitgetragen haben, und haben das gegeißelt.

(Egbert Liskow, CDU: Ganze Haushalte nicht!)

Ich habe mich auch noch mal kundig gemacht, wie ist da die Situation gewesen. Wir haben in jedem Fall, wo wir Ihre Überlegungen nicht mitgetragen haben, was Sie uns heute vorhalten, immer wieder vorhalten, wir haben es immer mit einer fachlichen Kritik unterlegt, warum wir hier nicht mitgehen können, und haben immer auch gesagt, wie wir uns das anders vorstellen können. Dass Sie das wiederum anders sehen, liegt in der Natur der Sache.

Und drittens, das sage ich mit aller Souveränität, wir haben in unserer Regierungszeit vieles Gute gemacht, wir haben auch manche Fehler gemacht. Und wenn Anklam hier eine Rolle gespielt hat, sage ich, das war ein Fehler. Das einzugestehen, da brechen wir uns gar keinen Zacken aus der Krone. Beim nächsten Mal machen wir es besser, weil wir aus unseren Fehlern auch lernen.

(Egbert Liskow, CDU: Hoffentlich gibt es kein nächstes Mal.)

Und ein vierter Punkt, den ich ansprechen möchte, weil hier noch mal Bezug genommen wurde auf die Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter, darf ich Sie daran erinnern, Herrn Dr. Nieszery auch: Jugendschulsozialarbeiter, damals im Koalitionsvertrag für die Jahre 2006 bis 2011 ist enthalten gewesen, für jede weiterführende Schule ein Schulsozialarbeiter. Dieses Ziel ist nicht erreicht worden und Expertinnen und Experten sagen uns heute, wenn es nicht das Bildungs- und Teilhabepaket geben würde, wären wir unter 400 Schulsozialarbeiter.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: 120.)

Das ist eine Tatsache, das würde ich nicht unbedingt auf die Habenseite nehmen.

Dann haben Sie gesagt, wir würden nur reden, Sie handeln. Das ist nun mal die Situation von Regierung, von Koalition und Opposition. Unsere Aufgabe ist es, Ihr Handeln zu kontrollieren, Sie zu kritisieren, da, wo wir es für angebracht halten, und mit eigenen Vorschlägen und Konzepten zu kommen. Und was das betrifft, zum Beispiel in Sachen Gesundheitspolitik, ist unser Ehrgeiz

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ungebrochen.)

mehr als geweckt worden. Da will ich jetzt aber nicht ins Detail gehen und mich nun auf die Rede konzentrieren, die Jacqueline Bernhardt gern gehalten hätte, und möchte darauf verweisen, dass Sie aus unserer Sicht die Augen vor der Realität verschließen und das Thema Kinderarmut schlicht und ergreifend verharmlosen. Aber das war schon Anfang des Jahres zu erahnen.

Im Januar 2012 hat die Bundesagentur für Arbeit voller Stolz verkündet, dass die Zahl der Kinder in Hartz-IVFamilien gesunken ist. Dies trifft bundesweit und auch für Mecklenburg-Vorpommern zu. In diesem Papier wurde zu Recht nicht der Zusammenhang zwischen Armut und Hartz IV aufgemacht. Dieser Zusammenhang wurde danach aber von der Bundesarbeitsministerin Frau von der Leyen konstruiert und dann in der Folge auch von der Sozialministerin unseres Landes übernommen. Am 26. Januar 2012 verkündete sie dann freudig, ich zitiere: „Kinderarmut ist in Mecklenburg-Vorpommern gesunken.“ Doch genau das ist nochmals der Beleg dafür, dass der Armutsbegriff völlig falsch angewendet wird, aus unserer Sicht unzulässigerweise eingeengt wird.

In der EU und damit auch in der Bundesrepublik Deutschland wird Armut am durchschnittlichen nationalen Medianeinkommen gemessen, Herr Lindner.

(Egbert Liskow, CDU: Genau.)

Erhält jemand weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens, dann gilt sie oder er als armutsgefährdet. Bekommt jemand weniger als 50 Prozent des nationalen Medianeinkommens, so gilt er oder sie als arm. Auch wer keine Sozialleistungen bezieht, kann in Armutsverhältnissen leben, wenn sein oder ihr Einkommen unter 50 Prozent des Medianeinkommens liegt. Das ist die Logik. Ich verstehe nicht, warum Sie das ignorieren, warum Sie Armut lediglich an dem Bezug von Hartz IV festmachen. Das ist unser Kritikpunkt. Ist es Unwissenheit? Doch wohl kaum. Ist es Schönreden? Ja, wohl eher, zumal selbst in dem von Ihnen in Auftrag gegebenen Bericht zur sozialen Lage von Haushalten mit Kindern mit diesem von der EU anerkannten Armutsbegriff gearbeitet wurde. Also drehen Sie sich die Zahlen zurecht. Kinderarmut bemisst sich am Einkommen und nicht am Erhalt von Hartz IV, das möchten wir hier noch mal betonen.

In diesem Bericht wird mit Bezug auf den Mikrozen- sus 2007 dargestellt, dass 31 Prozent aller Haushalte mit Kindern in Mecklenburg-Vorpommern über weniger als 60 Prozent des bundesdeutschen Medianeinkommens verfügen und somit armutsgefährdet sind. In 2010 wies Mecklenburg-Vorpommern immer noch die höchste Armutsgefährdungsquote aller Bundesländer auf. Das heißt, mehr als jeder/jede fünfte Einwohner/Einwohnerin unseres Bundeslandes war armutsgefährdet.

Das alles sind keine grundlegend neuen Erkenntnisse, es sind lediglich bekannte Sachverhalte, die mit aktuellen Zahlen belegt werden können. Also tun Sie etwas dagegen! Wir brauchen bessere, armutsfeste und teilhabesichere Löhne für alle Beschäftigten!

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Auch in der Pflege, Herr Koplin.)

Auch in der Pflege.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja.)

Das haben wir nicht, Frau Stramm hat es noch mal dargestellt. Wir werden das Thema aber noch mal behandeln, da kommen wir noch mal drauf zurück.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Ja, das will ich gerne.)

Wir brauchen bedarfsgerechte Hartz-IV-Regelsätze, wir brauchen freien Zugang zu medizinischen Leistungen und eine gute Gesundheitsversorgung, die nicht vom Einkommen abhängig ist. Es ist Ihrem Bericht beispielsweise zu entnehmen, dass Kinder aus Familien mit einem Durchschnittseinkommen von unter 80 Prozent Freizeitangebote, wie Bibliotheken, Kino, Theater, Sportvereine, weniger nutzen können, als Kinder aus besserverdienenden Familien. Also alles altbekannte Probleme, die jedoch aktueller denn je sind.

Und was ist zu deren Lösung passiert? Nicht viel – und mittlerweile sind fünf Jahre vergangen. Und ziehen Sie sich nicht auf das Bildungs- und Teilhabepaket zurück. Das „Bildungspäckchen“, wie es Ihre Parteikollegin Frau Tegtmeier zutreffend nannte, ist weder ein Ersatz noch der richtige Ansatz, und es kommt vor allem auch nicht bei den anspruchsberechtigten Familien an und vor allem ist es ein Bürokratiemonster.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Na, das sind jetzt aber richtige Fakten, die Sie hier vortragen.)

Also handeln Sie endlich!