Protokoll der Sitzung vom 30.08.2012

Die Krawalle in Lichtenhagen waren das Resultat der geballten Unfähigkeit der herrschenden Kräfte. Zuerst haben sie eine wirtschaftliche Katastrophe angerichtet, Honeckers Schuldenpolitik ruinierte die DDR, anschließend kamen die Heuschrecken aus dem Westen und machten platt, was ihnen im Weg war und was sie verwerten konnten.

(Beifall vonseiten der Fraktion der NPD – Jörg Heydorn, SPD: Und die Brandstifter von der NPD, die kamen auch aus dem Westen. – Zuruf von Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Das führte zu offiziell 17 Prozent Arbeitslosen in Lichtenhagen 1992

(Jörg Heydorn, SPD: Brandstifter von der NPD kamen auch aus dem Westen, und Sie vorneweg.)

und zu allgemeiner Krisenstimmung

(Zuruf von Stefan Köster, NPD)

und Zukunftsangst in der Bevölkerung.

(Jörg Heydorn, SPD: Und wenn andere in Asche gehen sollen, was sollten Sie dann tun?!)

Dann kam die Bundesregierung auf die Idee, einfach mal 20 Prozent aller Asylbewerber der damaligen DDR, der ehemaligen DDR zuzuteilen – mitten hinein in das Nachwendechaos.

Zur Erinnerung: Im Jahr 1992 fielen 438.191 Asylanträge an. Die Anerkennungsquote betrug 4,25 Prozent.

(Udo Pastörs, NPD: Das war Betrug im großen Stil.)

Selbst etablierten Politikern wurde das unheimlich. Der CDU-Politiker Manfred Kanther sprach damals von Wirtschaftsflüchtlingen und Scheinasylanten. Im Herbst 91 klebte die Bremer CDU sogar Plakate, auf denen sie Bremen, SPD-regiert, als Asylantenparadies titulierte. So weit weg ist das von meinem Flugblatt auch nicht. Das war damals völlig üblich, auch CDU-Ton von einigen Unionspolitikern.

Das hinderte die Verantwortlichen aber nicht daran, schon 1990 die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber mitten ins Lichtenhägener Wohngebiet zu knallen. Zum Ablauf der Ereignisse zitiere ich einmal den linken Journalisten Toralf Staud, der unverdächtig ist irgendwelcher NPD-Sympathien, aus seinem Buch „Neue Nazis“.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Der wird sich sicherlich freuen, dass Sie ihn zitieren.)

Er schildert …

Ja, er wird sich sehr freuen.

Er sagt es folgendermaßen: „Es gibt etliche Indizien dafür, dass die damals CDU-geführte Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern an der Zuspitzung der Lage mitwirkte. Über Monate wurde nichts gegen die Überfüllung des Asylbewerberheims getan, Flüchtlinge campierten unter unzumutbaren hygienischen Umständen davor, was für dauernde Beschwerden von Anwohnern sorgte.“

(Johann-Georg Jaeger, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das rechtfertigt Ihre Brandstiftung?)

„Bei den Ausschreitungen ließ man dann die örtliche Polizei allein. Wasserwerfer wurden verspätet geschickt, zusätzliche Beamte verweigert, moderne Schutzausrüstung nicht ausgegeben. Am Abend des 24. August, dem Höhepunkt der Krawalle, wurden auf Weisung des Landespolizeidirektors sogar noch Kräfte abgezogen.“ Das ist eine korrekte Darstellung.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Alles bekannt, Herr Andrejewski, alles bekannt.)

Dazu müsste man noch Herrn Siegfried Kordus kurz erwähnen, den Polizeiführer, der sich für Stunden absetzte, um sein Hemd zu wechseln, während das Haus der Vietnamesen brannte.

(Zuruf von Dr. Margret Seemann, SPD)

Jede drittklassige Ausländerpolitik und jeder drittklassige Sicherheitsapparat hätten ausgereicht, um Lichtenhagen zu verhindern. Aber leider waren und sind Sie noch nicht einmal drittklassig.

(Udo Pastörs, NPD: Leider.)

Frage: Kann etwas Ähnliches wie Lichtenhagen wieder geschehen?

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Nein!)

Es geschieht ja ständig in vergleichbaren europäischen Industrieländern. London, August 2011: Bei einem Polizeieinsatz wird ein afrikanischstämmiger Mann, ein gewisser Mark Duggan, getötet. Dagegen wird vor einer Polizeistation demonstriert. Ganz schnell kippt die Demonstration in Gewalt um, die sich auf mehrere Stadtteile Londons und auf Städte wie Birmingham, Leeds, Nottingham, Bristol und Liverpool ausbreitet. Löschzüge der Feuerwehr wurden angegriffen – kommt Ihnen das bekannt vor? –, Schul- und Wohnhäuser brannten,

(Udo Pastörs, NPD: Ausländer!)

Innenstädte wurden geplündert. Bilanz laut Premierminister Cameron: 200 Millionen Pfund Sachschaden, 26 obdachlose Familien, 5 Tote. Ursachen: verfehlte Ausländerpolitik plus massive Sparmaßnahmen im Sozialsektor,

(Beifall vonseiten der Fraktion der NPD)

plus Politik- und Polizeiversagen. Später versuchte die Staatspropaganda, die Unruhen zu reiner Kriminalität umzulügen, aber es gab genug Fernsehbilder, die Jugendliche aus der Karibik zeigten, wie sie auf Barrikaden jamaikanische Fahnen schwenkten. Das war ein Migrantenaufstand,

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Migrantenaufstand!)

fehlgeschlagene Integration.

Im August 2012 kam es zu Krawallen im nordfranzösischen Amiens – Auslöser: eine Polizeikontrolle. Resultat: 3 öffentliche Gebäude niedergebrannt, 16 verletzte Polizisten, auf einen wurde mit Schrotflinten geschossen. In diesem Fall verbrachten die gleichgeschalteten Medien wahre Wunder in der Kunst des Totschweigens. Nir

gendwo gab es auch nur den kleinsten Hinweis auf den ethnischen Hintergrund der Aufständischen. Aber auch hier handelte es sich um einen Migrantenaufstand.

(Dr. Norbert Nieszery, SPD: Migrantenaufstand!)

Und was ich noch mal kurz anmerken möchte, trotz roter Lampe: Sie hätten ja durchaus mal ein Wort sagen können zu dem Rabbi, der gestern niedergestochen wurde. Sie hätten garantiert, wenn das deutsche Täter gewesen wären, hier sofort einen überfraktionellen Antrag gemacht, um das zu verurteilen,

(Beifall vonseiten der Fraktion der NPD)

aber es waren arabische Jugendliche …

(Der Abgeordnete Michael Andrejewski spricht bei abgeschaltetem Mikrofon. – Beifall vonseiten der Fraktion der NPD)

Herr Andrejewski, ich habe wirklich versucht, Ihnen noch Zeit einzuräumen, um Ihren Satz zu Ende zu bringen, aber so weit geht meine Toleranz dann doch nicht.

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Silkeit.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach den Ausführungen des Herrn Andrejewski habe ich auf jeden Fall mitbekommen, dass die Baustelle „Aufarbeitung Lichtenhagen, Aufarbeitung rechts, Aufarbeitung Rassismus“ noch lange nicht geschlossen werden kann und wir hier wohl noch ein sehr großes Programm haben werden.

(Udo Pastörs, NPD: Tja, da ist noch ein Riesenberg abzuarbeiten.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zahlreiche Veranstaltungen erinnerten in den letzten Tagen an die Ereignisse vom August 1992 und damit an die schlimmsten ausländerfeindlichen Ausschreitungen der deutschen Nachkriegsgeschichte.

„Die Geschehnisse vor 20 Jahren dürfen nicht ausgeblendet oder gar vergessen werden.“ Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist nicht nur eine sehr knappe Zusammenfassung einer Podiumsdiskussion der Landeszentrale für politische Bildung vergangene Woche in Rostock, sondern auch meine innere Überzeugung. Wer im August 1992 wie ich vor Ort war, der kann zu keinem anderen Ergebnis kommen. Wer die Hass- und Gewaltattacken erleben musste, die traurige Erfahrung machte, dass immer dort, wo Menschenwürde nichts mehr gilt, auch Menschenleben nichts mehr wert sind, der ist für immer geprägt. Am allerschlimmsten übrigens waren diejenigen, die schwiegen, oder diejenigen, die wegsahen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, RostockLichtenhagen steht nicht nur für die schlimmsten ausländerfeindlichen Gewaltexzesse der Nachkriegszeit, sondern ist auch ein trauriger und leider nur vorläufiger Höhepunkt einer Vielzahl von Gewaltakten gegen Ausländer in Deutschland. Die Gewalt erfuhr nach Rostock-Lichtenhagen eine neue Qualität, sie erhielt eine neue Dimension.

Der damalige stellvertretende GdP-Bundesvorsitzende Klaus Steffenhagen stellt im Dezember 92 fest: „Wie eine Seuche haben sich Anschläge auf Ausländer ausgebreitet. Es hat Tote gegeben. 16 Menschen wurden in diesem Jahr“ – also im Jahr 1992 – „Opfer eines sinn- und hirnlosen Hasses. Hoyerswerda und Hünxe, Rostock und Mölln: Wie eine blutige Spur zieht sich die Gewalt gegen ausländische Mitbürger durch das ganze Land. Nach den Brandanschlägen in Rostock ist die Gewalt geradezu explodiert.“

Es gilt, die damaligen Ereignisse „immer wieder zu betrachten, zu analysieren, um aus den Fehlern und Versäumnissen … zu lernen“, so unser Bundespräsident Joachim Gauck anlässlich einer Gedenkfeier in Lichtenhagen. Der Innenminister und meine anderen Vorredner, mit einer Ausnahme, haben bereits ausführlich ihre Erinnerungen und Sichtweisen auf die Ausschreitungen von Lichtenhagen dargelegt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir bitte, Ihnen einen weiteren Aspekt Lichtenhagens in Erinnerung zu rufen, der häufig ausgeblendet oder höchstens peripher behandelt wird. Ich spreche von den über 200 Polizistinnen und Polizisten, die während der gewalttätigen Auseinandersetzungen vor dem Rostocker Sonnenblumenhaus auch zum Teil schwer verletzt wurden. Ich denke, nur weil gravierende Fehler der Polizeiführung gemacht wurden – und das muss hier deutlich hervorgehoben werden –, dürfen wir nicht einfach ausblenden, dass Polizistinnen und Polizisten im Hagel der Steine und Molotowcocktails standen und ihr Leben und ihre Gesundheit riskierten.

Ein Skinhead beschrieb in den „Lübecker Nachrichten“ damals die Strategie wie folgt: „Erst müssen wir den BGS platt machen, dann können wir das Heim stürmen.“ Aber es war ja nicht nur der BGS, der dort stand. Es standen da ehemalige Volkspolizisten ohne Körperschutzausstattung, wie die Frisöre. Ich erinnere allein an die Brücke zur S-Bahn. Ich habe noch die Funksprüche eines Polizeiführers eben da auf dieser Brücke im Ohr, der immer wieder nach 16 Stunden Dienst verzweifelt nach Verstärkung rief. Und ich sehe die Täter zwischen der jubelnden Menge, zwischen den jubelnden Zuschauern verschwinden.