Protokoll der Sitzung vom 26.09.2012

Und ich möchte ein praktisches Beispiel Ihnen mal vorrechnen. Das hat mir ein Schulleiter in einem Telefonat mitgeteilt. Sie wissen, ich versuche relativ viel Kontakt auch zu Lehrern zu halten.

(Im Plenarsaal klingelt ein Handy. –

Schönen Gruß! –

Das war

gerade der Minister für Landwirtschaft

und Umwelt und kein Schulleiter. –

Das war

nicht meins. – allgemeine Heiterkeit)

Ich würde Ihnen gerne, damit es mal plastisch wird, vorrechnen, was an unseren Schulen los ist. Wie sieht die Regelung des Ministeriums aus? Die sieht vor, dass wir das Arbeitsverhalten, das Sozialverhalten bewerten und dass wir in dem einen Bereich vier und in dem anderen Bereich fünf Unterkategorien haben, also insgesamt neun Bewertungsdimensionen. Damit gehen jetzt die Schulen sehr unterschiedlich um. Die einen vergeben zwei Zensuren, nämlich eine fürs Arbeits- und Sozialverhalten. Ich hatte aber einen Schulleiter aus Vorpommern, muss ich sagen, an der Strippe,

(Torsten Renz, CDU: Was soll das heißen?)

der sagte mir …

Ich habe heute mich über Schwerin und Rostock bei den Theatern ein bisschen verbreitert, dann mache ich es bei der Schule bei Vorpommern.

(Zuruf von Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da hatte ich einen Schulleiter, einen ganz engagierten Schulleiter, der hat mir Folgendes erzählt, der sagte: Er ist in dem Evaluationsteam und hat schon viele Schulen jetzt sich angeguckt. Seine Schule macht ziemlich schlank beim Arbeits- und Sozialverhalten, die macht es wie folgt: Die hat 15 Bewertungskategorien. Diese 15 Bewertungskategorien werden bei jedem Schüler dreimal im Jahr erhoben, macht 45 Bewertungen für das Arbeits- und Sozialverhalten. Das machen zehn Fachlehrer, das sind 450 Bewertungseinheiten pro Schüler und Jahr. Macht also, wenn man eine Klasse von 20 Schülern hat, nehmen wir eine kleine Klasse, 9.000 Bewertungseinheiten für eine Klasse,

(Vincent Kokert, CDU: Toll! – Simone Oldenburg, DIE LINKE: Ein Lehrer hat aber 120 Schüler und der Religionslehrer noch mehr. – Zuruf von Andreas Butzki, SPD)

9.000 Bewertungseinheiten pro Jahr.

Ich habe es jetzt mal für eine Klasse berechnet und nicht für den einzelnen Lehrer.

Je nachdem wie viel Unterricht sie erteilen, ob sie Mathe haben oder Deutsch oder Geografie,

(Rainer Albrecht, SPD: Sport.)

kann man den Lehrern dann immer nur viel Durchhaltevermögen wünschen bei den Ankreuz- und Benotungsorgien.

Meine Damen und Herren, dieses Modell mit 15 Kategorien ist mit viel pädagogischer Liebe entwickelt. Da hat sich offenbar ein Kollege die Frage gestellt: Wie kann man die menschliche oder die Schülerseele in alle ihre Einzelteile zerlegen und dann gerecht bewerten? Ich glaube trotzdem, dass das nicht angemessen ist, und deswegen sollte man aus meiner Sicht auch im Interesse der Lehrerinnen und Lehrer hier einheitliche Regelungen schaffen. Und ich sage Ihnen ausdrücklich, wir sind noch in der Diskussion, wo wir landen werden. Ich finde, wir brauchen mindestens zwei Noten, eine fürs Arbeits- und Sozialverhalten und maximal vier. Mehr als vier wird es in Zukunft, soweit ich darauf Einfluss habe, nicht geben. Wenn die einen oder anderen von Ihnen sagen, ja, vier, das hatten wir schon mal, das kommt uns bekannt vor, dazu möchte ich mich jetzt nicht äußern. Ich finde, vier ist eine runde Zahl, die lässt sich auch gut abarbeiten.

Wir haben neben diesen Entlastungen, die wir beabsichtigen, bereits eine Reihe von Entlastungen vorgenommen oder in Vorbereitung, bei der Berufsreife mit Leistungsfeststellung, bei der Mittleren Reife, beim Abitur. Das habe ich alles der Öffentlichkeit schon bekanntgegeben. Ich werbe natürlich dafür, dass Sie sich mit diesem Gesetzentwurf beschäftigen und ihn überweisen und nach Möglichkeit auch zügig beschließen, damit die Eltern und Schüler in diesem Lande Klarheit haben über die Schulwahlfreiheit.

Und ich möchte zum Schluss auf einen öffentlichen Debattenbeitrag eingehen, und der ist von Frau Oldenburg. Frau Oldenburg hat, nachdem ich die Öffentlichkeit über diesen Gesetzentwurf informiert habe, eine Pressemitteilung herausgegeben, überschrieben mit der Überschrift „Freie Schulwahl ist gut – Luftbuchungen des Ministers helfen aber nicht“, und ich trage diese Pressemitteilung wie einen Orden. Ich werde sie mir in mein Büro hängen, diese Pressemitteilung, deshalb, …

(Marc Reinhardt, CDU: Wir wollen aber auch eine da hängen haben. – Helmut Holter, DIE LINKE: Mit Rahmen und mit Bild.)

Ohne Bild.

… weil darin findet sich der Satz, und ich bin mir sicher, es ist ein wörtliches Zitat von Frau Oldenburg – mehr Lob werde ich niemals von ihr bekommen als diesen einen

Satz und deswegen ist das für mich jetzt schon die Maximalleistung –, Zitat: „,Es ist gut, wenn Lehrerinnen und Lehrer entlastet werden‘“, Zitatende. Das sagt sie zu dem Gesetzentwurf. Dem kann ich nur zustimmen. Und mir ist klar, mehr kann ich von Ihnen nicht erwarten,

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

da Sie in der Opposition sind. Aber ich muss sagen, das reicht mir schon.

Jetzt muss ich bloß was zu Ihren Luftbuchungen sagen, denn die kommen gleich da hinterher. Was meint Frau Oldenburg mit Luftbuchungen?

(Helmut Holter, DIE LINKE: Das wird sie gleich erklären.)

Das erkläre ich Ihnen jetzt, was Sie damit meint.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Wir haben mal Folgendes gemacht:

(Zuruf von Helmut Holter, DIE LINKE)

Wir haben mal die Frage gestellt, wenn wir die Entlastung bei der Berufsreife, bei der Mittleren Reife, beim Abitur, bei den Förderplänen, bei der Bewertung des Arbeits- und Sozialverhaltens, wenn wir das alles mal versuchen in Arbeitszeit zu beschreiben, wie viel Arbeitszeitersparnis gibt es für Lehrer, wie viel Freiheit für den Unterricht bekommen Lehrer dann zurück? Und da sind rausgekommen 66 Vollzeitäquivalente an Stellen, macht viereinhalb Millionen Euro.

Und da meint Frau Oldenburg: Das sind doch Luftbuchungen. Und dann sagt sie wörtlich, ich darf zitieren: „,Herr Brodkorb erweckt den Eindruck, dass dieses Geld zukünftig tatsächlich zur Verfügung steht. In Wahrheit sind dies Luftbuchungen, da die Lehrkräfte nach ihren Pflichtstunden vergütet werden.‘“ Zitatende.

Dies enthält eine Unterstellung und eine Falschbehauptung. Die Unterstellung ist, dass Sie es für möglich halten, dass ich so geistig schlicht oder moralisch uninteger bin, dass ich den Eindruck erwecken würde, wenn ich unnützen Arbeitsaufwand in der Schule streiche, dass das zu mehr Geld führt. Das hat keiner gesagt, das hat keiner behauptet und diesen Eindruck hat auch niemand erweckt. Es mag sein, dass Sie den Eindruck erwecken wollen, ich hätte diesen Eindruck erwecken wollen, aber dem ist nicht so. Das habe ich in jeder Pressemitteilung gesagt und in jeder öffentlichen Stellungnahme.

Falsch ist, absolut falsch ist, dass die – nun wundert mich, dass das eine Lehrerin sagt –,

(Helmut Holter, DIE LINKE: Eine sehr gute Lehrerin. – Zuruf von Rainer Albrecht, SPD)

falsch ist, dass die Lehrkräfte nach Pflichtstunden vergütet werden. Das ist falsch! Lehrer sind Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, Lehrer haben 30 Tage Urlaub und eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 40 Stunden über das Jahr gerechnet. Sie werden nicht bezahlt für

ihre 27 Unterrichtsstunden, sondern für 40 Stunden in der Woche über den Jahresdurchschnitt. Und von nichts anderem hängt die Arbeitszeit ab. Das kann man, glaube ich, sich sehr leicht klarmachen.

Warum haben wir diese Berechnung trotzdem gemacht? Das kann ich Ihnen sagen, aus zwei Gründen:

Erstens, um mal zu zeigen, wie viel Entlastung man in einem System schaffen kann einfach nur durch vernünftige Verwaltungsarbeit, ohne Geld, was da alles an Ineffizientem im System ist. Und wir können es – wir müssen es nicht in Stellen ausrechnen, damit Frau Oldenburg nicht den Eindruck gewinnt, ich würde den Eindruck erwecken wollen zu behaupten, wir hätten dort jetzt Stellen und Geld reingegeben – einfach in Stunden ausdrücken: Über 100.000 Arbeitsstunden werden in Zukunft an unseren Schulen nicht mehr mit sinnloser Bürokratie verbraucht, sondern entweder widmen sich die Lehrer ihrer Lehrergesundheit, weil sie vielleicht schon mehr arbeiten, als sie eigentlich müssen, oder sie widmen sich noch mehr als bisher den Kindern. Und ich glaube, das ist die entscheidende Botschaft, um die es geht.

Frau Oldenburg, ich werde in Zukunft, damit Sie nicht mehr den Eindruck erwecken können, ich würde den Eindruck erwecken wollen, Luftbuchungen zu machen, das also in Gesamtarbeitsstunden ausweisen, die Arbeitsentlastungen für Lehrer sind. Allerdings, wenn man 66 Stellen hat, dann kann man, indem man mal 41 Arbeitswochen und 40 Stunden in der Woche multipliziert, auch selber auf diese 108.420 Entlastungsstunden kommen.

Der zweite Grund, warum ich das gemacht habe, ist folgender: Aus meiner festen Überzeugung heraus ist genau das seriöses Verwaltungshandeln. Wir haben einmal vorgeführt, was man hätte tun müssen eigentlich, als die Pflicht zur Führung von Förderplänen eingeführt wurde. Eigentlich hätte in dem Moment, wo das Parlament und die Regierung sich verständigt haben, wir führen die Förderschulpflicht für alle Kinder ein, sich jemand hinsetzen und durchrechnen müssen: Was ist denn das für eine Mehrarbeit für Lehrerinnen und Lehrer? Wie viel Zeit kostet das denn? Wie viele zusätzliche Stellen und Geld müssen wir in das Schulsystem geben, damit diese Arbeit überhaupt geleistet werden kann, oder welche Entlastung müssen wir an anderer Stelle schaffen, damit diese Arbeitsentlastung gegengerechnet werden kann? Und hätte man das vor ein paar Jahren gemacht, dann hätte man diesen Beschluss vielleicht gar nicht gefasst, ich im Übrigen auch nicht. Ich habe das ja auch immer gesagt.

Im Übrigen war das damals kein Punkt, der auf die Kritik der Linksfraktion gestoßen ist, das will ich ausdrücklich sagen, das kann man in den Analen und Archiven nachlesen. Hätten wir das damals gemacht, hätte ich wahrscheinlich den Beschluss nicht gefasst, andere auch nicht. Und deswegen darf ich Ihnen ankündigen: Das, was Sie Luftbuchungen nennen, das werden wir in Zukunft konsequent bei jeder Verwaltungsmaßnahme machen. Wir werden bei jeder Maßnahme, die Schulen betrifft, vorher ausrechnen, führt das zu einer Mehrbelastung, ja oder nein. Und wenn es zu einer Mehrbelastung führt, dann werden wir als gute Arbeitgeber, die wir in der Landesregierung und in den Koalitionsfraktionen sind, uns die Frage stellen, a) müssen wir mehr Geld und mehr Stellen bereitstellen, um diese Aufgabe zu bewälti

gen, oder können wir an anderer Stelle eine äquivalente Entlastung schaffen, damit Lehrer durch unsere Maßnahmen nicht zusätzlich belastet werden, sondern ihren Arbeitsalltag vernünftig gestalten können, nämlich im Interesse der Schülerinnen und Schüler. Und deswegen, meine Damen und Herren, das sind keine Luftbuchungen, das ist seriöse Verwaltungsarbeit, auch wenn sie politisch völlig unerotisch daherkommt. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 120 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst für die Fraktion DIE LINKE die Abgeordnete Frau Oldenburg.