Protokoll der Sitzung vom 24.10.2012

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

Ziel ist es auch, dass mehr Bürgerbegehren zu echten Bürgerentscheiden führen. Dafür müssen wir die hohe Zahl der unzulässigen Bürgerbegehren reduzieren.

Wie wollen wir das also nun erreichen? Das Bürgerbegehren, für das laut Kommunalverfassung mindestens zehn Prozent der wahlberechtigten Einwohner unterschreiben müssen, ist bekanntlich die Vorstufe zum Bürgerentscheid. Erst wenn genügend Unterschriften gesammelt wurden, prüft – das ist Ihnen sicherlich auch bekannt – die Verwaltung, ob das Bürgerbegehren formal und materiell zulässig ist, also ob zum Beispiel das Anliegen richtig formuliert ist, ob es zum eigenen Wirkungskreis der Gemeinde gehört, ob es einen realistischen

Kostendeckungsvorschlag enthält und, und, und. Wir kennen das alle.

Zwei Drittel aller Bürgerbegehren scheitern an dieser Prüfung und werden daher nicht zur Abstimmung als Bürgerentscheid zugelassen, werden nicht als Bürgerbegehren anerkannt. Dies führt regelmäßig zu Frustrationen bei den engagierten Antragstellern und führt im schlimmsten Fall, ich wiederhole, im schlimmsten Fall zur politischen Resignation bei vielen, vielen Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern.

Wir lösen das Problem mit dem vorliegenden Gesetzentwurf

(Marc Reinhardt, CDU: Nicht.)

auf elegante und einfache Weise. Bürgerbegehren sollen in Zukunft bei der Verwaltung angezeigt werden. Wenn es der Antragsteller wünscht, prüft die Verwaltung im Vorhinein das Begehren auf Zulässigkeit. Erst danach beginnt die Unterschriftensammlung. In Zukunft soll die Zulässigkeitsprüfung nicht nach, sondern vor der Unterschriftensammlung erfolgen. Diese Regelung ist im Übrigen kein Novum, ist keine Regelung, die sich die GRÜNEN haben einfallen lassen, sondern hat sich in Niedersachsen bereits bewährt und steht dort in der Kommunalverfassung.

Wir GRÜNE schlagen hier gleich noch eine Reihe weiterer Änderungen vor, zum Beispiel, dass die Verwaltung den Antragstellern nicht nur beratend bei Fragen zum Kostendeckungsvorschlag zur Seite steht, sondern auch zu allen anderen inhaltlichen und formalen Fragen, um ein Bürgerbegehren zu initiieren.

Mit einer weiteren Änderung wollen wir erreichen, dass die Gemeinde und die Antragsteller im Falle eines Bürgerentscheides in einer gemeinsamen Informationsbroschüre über Vor- und Nachteile des Anliegens informieren. Damit wird unseres Erachtens die Meinungs- und Willensbildung in der Bevölkerung gleichberechtigt und ausgewogen gefördert.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch das finden wir in anderen Bundesländern bereits in der Rechtspraxis.

Interessierte Juristen könnten nun die Frage stellen, ob es eigentlich für eine Legislative, also für uns als Landtag, statthaft sei, per Gesetz in eine Verordnung der Exekutive einzugreifen. Das machen wir ja, weil wir für die Informationsbroschüre hier mit unserem Gesetzentwurf in die Durchführungsverordnung der Kommunalverfassung eingreifen, die das Innenministerium bekanntlicherweise erlassen hat. Ich kann Sie aber alle beruhigen, das ist ein absolut übliches Verfahren im Bundestag wie auch in den Länderparlamenten. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2005 sogar abschließend festgestellt, dass es selbst der sogenannten Entsteinerungsklausel nicht mehr bedürfe. Ich hole hier mal aus, weil das ist ganz interessant.

(Torsten Renz, CDU: Ja, genau.)

Diese Entsteinerungsklausel war immer an Legislativbeschlüsse angehangen worden, damit eben die veränderte

Verordnung nicht Gesetzesrang erhält und dem Ministerium für alle Zeiten entzogen wird. Aber wie gesagt, das Bundesverfassungsgericht hat 2005 entsprechend geurteilt, dass davon auszugehen sei, dass aus Gründen der Normenklarheit auch solche Teile von Rechtsverordnungen Verordnungsrang haben und behalten, die durch förmliches Gesetz geändert worden sind. Deswegen, so schlau sind wir, haben wir die Entsteinerungsklausel auch gleich weggelassen.

Zurück zum Antrag: Wir wollen auch das Zustimmungsquorum bei Bürgerentscheiden von bisher 25 Prozent ganz moderat auf 20 Prozent senken. Der Bürgerentscheid soll also erfolgreich sein, wenn sich die Mehrheit der teilnehmenden Wählerinnen und Wähler dafür ausspricht und wenn diese Mehrheit mindestens aus 20 Prozent aller Wahlberechtigten in der Gemeinde besteht. 20 Prozent, das entspricht etwa der absoluten Mehrheit bei Bürgermeisterwahlen, an denen meist nur noch, wir wissen es leider, 40 Prozent aller Wahlberechtigten teilnehmen. Wir halten das also für ein angemessenes Quorum.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Außerdem machen es uns andere Bundesländer wieder einmal vor. In Schleswig-Holstein und in Rheinland-Pfalz liegt das Zustimmungsquorum ebenfalls bei 20 Prozent. Bayern, Thüringen und Nordrhein-Westfalen haben sogar nach Einwohnerzahlen abgestufte Prozentzahlen zwischen 10 und 20 Prozent. In Hamburg gibt es auf Bezirksebene gar kein Zustimmungsquorum mehr.

Wir schlagen auch vor, die aufschiebende Wirkung eines erfolgreichen Bürgerbegehrens klar und deutlich zu regeln. Dieser Rechtsschutz musste in der Vergangenheit immer umständlich, aber meistens erfolgreich, wir wissen das, über eine einstweilige Verfügung per Gericht erwirkt werden. Ist die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt, soll bis zur Durchführung des Bürgerentscheids eine dem Begehren entgegenstehende Entscheidung der Gemeinde nicht mehr getroffen oder mit dem Vollzug einer derartigen Entscheidung nicht mehr begonnen werden, es sei denn – das ist die Einschränkung –, zu diesem Zeitpunkt haben rechtliche Verpflichtungen der Gemeinde bereits bestanden.

Meine Damen und Herren, Sie brauchen da auch keine Angst zu haben, dass durch diese aufschiebende Regelung, die der aktuellen Rechtspraxis ja schon entspricht, nun alles lahmgelegt wird.

(Torsten Renz, CDU: Da bin ich ja beruhigt.)

Die aufschiebende Wirkung beginnt – und da kann ich Sie beruhigen – nach unserem Gesetzentwurf nämlich nicht nach der erfolgreichen Vorprüfung der Zulässigkeit, sondern die aufschiebende Wirkung beginnt erst nach Vorliegen und Erfüllung aller Zulässigkeitsbedingungen, also erst nach Einreichung der Unterschriften. Erst dann beginnt nach unserem Gesetzentwurf die aufschiebende Wirkung. Alles in Ordnung!

(Marc Reinhardt, CDU: Ist das so? Da, die rote Lampe!)

Gut, meine Damen und Herren, ich sehe die rote Lampe, ich führe meine Ausführungen nachher in der Aussprache fort.

(Manfred Dachner, SPD: Schade, schade!)

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit, möchte aber schon mal den Antrag einbringen, dass wir gerne diesen Gesetzentwurf federführend in den Innenausschuss überweisen möchten und mitberatend in den Europa- und Rechtsausschuss. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Torsten Renz, CDU: Das ist doch selbstverständlich Innenausschuss. Wo soll das sonst hin?)

Im Ältestenrat ist vereinbar worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Minister für Wirtschaft, Bau und Tourismus Herr Glawe in Vertretung für den Minister für Inneres und Sport. Bitte, Herr Minister.

(Marc Reinhardt, CDU: Und Stadtpräsident von Grimmen.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

(Zuruf von Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Ich sehe den Bedarf für die von Ihnen geforderte Änderung der Kommunalverfassung nicht.

(Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: Wir sind total überrascht! – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Es ist seit Erlass der Kommunalverfassung im Jahre 1994 Grundkonsens gewesen, die Kommunalverfassung nicht jeweils wegen Einzelaspekten neu zu fassen, und dem hat auch immer DIE LINKE zugestimmt. Das ist auch wichtig, damit das Gesetz, das wie kein anderes von der Rechtsanwendung durch ehrenamtliche Rechtsanwender lebt, nicht zu einer Dauerbaustelle gemacht wird. Die Kontinuität von Regeln ist im Bereich der Kommunalverfassung ein Wert an sich.

(Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einmal geändert, nie mehr geändert?)

Der von Ihnen angegebene Grund rechtfertigt nicht, diese Kontinuität zu unterbrechen.

Der Gesetzentwurf greift ein Ranking des Vereins „Mehr Demokratie“ auf, der versucht, den Eindruck zu erwecken, dass der bei Bürgerbegehren von MecklenburgVorpommern eingenommene Platz 11 einen Missstand offenbare.

(Zuruf von Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Sichtweise lehne ich ab. Die Zahl von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden kann kein Qualitätsmerkmal von Demokratie sein!

Der Gesetzentwurf will es Initiatoren eines Bürgerbegehrens ermöglichen, in einer Gemeinde ein auf einen Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtetes Verwaltungsverfahren zu erzwingen, bevor sie auch nur einige Einzelunterschriften gesammelt haben. Darin sollen dann auch die Rechtsaufsichtsbehörden einbezogen werden und im Streitfall würden die Verwaltungsgerichte unmittelbar befasst.

Nach den jetzigen Regelungen werden Behörden und Gerichte dagegen nur eingeschaltet, wenn ein Bürgerbegehren auch den Rückhalt in der Bevölkerung findet. Diese Hürden zu verändern, ginge gegen die Bemühungen um eine Verschlankung von kommunaler und staatlicher Verwaltung.

(Zuruf von Johannes Saalfeld, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein weiterer Bestandteil des Gesetzentwurfes, den ich kritisch sehe, ist eine Einführung einer Sperrwirkung für zulässige Bürgerbegehren ohne jegliche Güter- oder Interessenabwägung. Eine solche Regelung ist abzulehnen. Die Initiatoren können eine solche Sperrwirkung bei Gericht bereits heute beantragen. Das Gericht ist dann in der Lage, nach einer fundierten Abwägung über den Antrag zu entscheiden, statt automatisch ein Bürgerbegehren, dem ja noch keine Mehrheit der Bürger gefolgt ist,

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Aber wir wollen ja auch nicht immer die Gerichte belasten. Die haben doch gar keine Zeit mehr dazu.)

über die Entscheidung der gewählten Gemeindevertretung zu stellen. Ein Automatismus würde die Arbeit der demokratisch legitimierten Gemeindevertretungen über Gebühr erschweren. Außerdem haben die Gemeindevertretungen die Möglichkeit, den Vollzug ihrer Entscheidung in Anbetracht des Bürgerbegehrens auszusetzen.

Auch die vorgesehene Absenkung des Erfolgsquorums eines Bürgerbegehrens von 25 auf 20 Prozent ist nicht sachgerecht. Wir leben in einer repräsentativen Demokratie. Bürgerentscheide sind nach unserer Verfassung eben nicht automatisch wertvoller als Entscheidungen einer demokratisch legitimierten Vertretung. Daher ist ein stabiles Quorum nach wie vor gerechtfertigt. Das 25Prozent-Quorum lässt überdies alle Möglichkeiten weiter offen. Wenn man die Erwartung hat, dass eine Mehrheit der Bürger selbst entscheiden will und von dieser abstimmenden Gruppe die Mehrheit die Entscheidung trifft, dann landet man automatisch genau bei 25 Prozent.

Meine Damen und Herren, aus all diesen genannten Gründen kann ich nicht empfehlen, dem Antrag der GRÜNEN zu folgen. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 6/1231 zur federführenden Beratung an den Innenausschuss sowie zur Mitberatung an den Europa- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer stimmt für diesen …