Protokoll der Sitzung vom 16.11.2011

Und warum – genau, das ist die zweite Betrachtungs- weise –, warum nicht jüngere Frauen? Insbesondere Ärztinnen und Ärzte haben uns das mit auf den Weg gegeben, weil Tumorerkrankungen sehr schnell wachsen im jüngeren Lebensalter. Und was ältere Frauen betrifft: Ist es eine Frage der Diskriminierung oder ist es gerechtfertigt? Wir maßen uns kein Urteil an, wir brauchen aber eine Unterrichtung, wir brauchen Faktenmaterial, wir brauchen Argumentationen, um eben zu wissen, wie wirksam ist das, was wir auf den Weg gebracht haben.

Die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion DIE GRÜNEN haben einen Änderungsantrag vorgelegt, den wir mit Interesse zur Kenntnis genommen haben, denn die Kolleginnen und Kollegen weisen auf die kritischen Momente des Themas Mammographie-Screening hin.

In der Tat ist das Mammographie-Screening nicht unumstritten. Wir sind nur der Meinung, dass der Antrag, so, wie er gestellt ist, nämlich den zweiten Satz unseres Antrages zu streichen, zu einem Fehlschluss verleitet. Der zweite Satz, Herr Renz, Sie schauen offensichtlich gerade nach,

(Torsten Renz, CDU: Richtig, ich arbeite inhaltlich.)

beinhaltet, dass wir Handlungsempfehlungen haben möchten, und er unterstellt, wenn man ihn streichen würde, dass wir von vornherein eine Ausweitung der Altersgruppe …

(Torsten Renz, CDU: Was, den von den GRÜNEN sollen wir ablehnen?)

(Torsten Renz, CDU: Und was empfehlen Sie mir?)

Ich habe meinen Kolleginnen und Kollegen der LINKEN empfohlen, ihn abzulehnen, weil er eben das Kind mit dem Bade ausschüttet, nämlich die Handlungsempfehlung. Damit wird er ein Stückchen weit inhaltsleer, und er unterstellt ja, wir wollen von vornherein eine Ausweitung. Das wollen wir nicht! Wir wollen, darum geht es ja,

(Torsten Renz, CDU: Da muss ich mir erst noch die Argumentation der Fraktion DIE GRÜNEN hierzu anhören.)

vor allen Dingen zunächst Daten und Fakten, bevor man Schlüsse ziehen und abwägen kann.

Die jetzigen Daten, die uns zugänglich sind, sind grob und dürftig. Ich verweise auf den virtuellen Ge- sundheitsbericht. Und ich verweise auch darauf, dass in der letzten Legislaturperiode der Landtag sich mit den Fragen des Gesundheitsberichtes beschäftigt

hat. Nachzulesen im virtuellen Gesundheitsbericht

sind vor allen Dingen allgemeine Daten, zum Bei- spiel Daten darüber, wie Früherkennungsuntersu-

chungen allgemein angenommen wurden, unterteilt nach Geschlecht und in einer Zeitreihe. Da wird nicht unterschieden nach Mammographie-Screening oder

Früherkennung in Sachen Darmkrebs oder Lungen- krebs, es wird Früherkennung insgesamt betrachtet. Nicht unterschieden wird also nach Anwendungsver- fahren, nicht unterschieden wird – jetzt mit Blick auf Brustkrebs –, die Häufigkeit nach Screening-Gruppe und Nicht-Screening-Gruppe. Nicht unterschieden

wird die Brustkrebshäufigkeit innerhalb der ScreeningGruppe nach angenommenen und nicht angenom- menen Einladungen und nicht untergliedert wird

nach Altersgruppen. Das ist aber notwendig, wenn man schauen will, was muss besser, was muss anders werden.

All das ist notwendig, meinen wir, deshalb unser Verlangen nach einer Unterrichtung und die Hoffnung, dass Sie das unterstützen mögen.

Im Übrigen, Mammographie-Screening kann und darf man nicht losgelöst von anderen Dingen sehen. Wir schließen uns als LINKE insbesondere den Forderungen und Auffassungen des Arbeitskreises Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e. V. an. Sechs Forderungen sind aufgelistet, drei halte ich für besonders bemerkenswert:

1. nämlich die Forderung, neben dem Mammographie

Screening im Blick zu haben die öffentliche, geförderte und transparente Forschung zu Ursachen der Krebsentstehung,

2. die Vermeidung von Brustkrebs und anderen Krebs

erkrankungen, und Schwerpunkt dabei muss endlich der Abbau von Umweltbelastungen und Umweltgefährdungen sein – ein ganz wichtiger Punkt aus unserer Sicht –,

3. – und damit möchte ich schließen – die Berücksichti

gung von Brustkrebs als einem großen sozialen Problem für erkrankte Frauen und ihre Familien sowie angemessene wirtschaftliche Absicherung von an Krebs erkrankten Frauen.

Das alles wollte ich zur Einbringung unseres Antrages sagen, werbe noch mal für die Zustimmung und bedanke mich sehr für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Koplin.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst die Sozialministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern Frau Schwesig.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung der Frau. In jedem Jahr erkranken in Deutschland etwa 70.000 Frauen daran und hinter jedem dieser Krankheitsfälle steckt ein ganz persönliches Schicksal, mit den schlimmen Rahmenbedingungen, wie Herr Koplin sie schon skizziert hat.

Auch wenn es durch Fortschritte in der Therapie gelungen ist, die Sterblichkeit kontinuierlich zu senken, geht von dieser Erkrankung eine erhebliche Bedrohung aus. Es sind immer noch 17.000 Frauen, die in Deutschland jährlich an Brustkrebs sterben. Da sich die Aus- sicht auf vollständige Heilung mit einer Früherkennung erheblich verbessert hat, bietet das MammographieScreening eine große Chance, die Sterblichkeit weiter zu senken. Ein ganz wichtiger Effekt ist auch, dass die frühere Diagnose den Einsatz von Therapieverfahren ermöglicht, die für die Betroffenen weniger belastend sind.

(Minister Harry Glawe: Sehr richtig.)

Und deshalb finde ich es gut, dass mit dem Antrag der Fraktion DIE LINKE das Thema hier im Landtag aufgegriffen wird, und bin gerne bereit, schon heute über Entwicklungen und erste Ergebnisse des MammographieScreenings zu berichten.

Ich möchte aber auch sehr deutlich darauf hinweisen, dass nach Einschätzung der Wissenschaftler der Kooperationsgemeinschaft Mammographie fundierte, wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse zur eigentlichen Zielerreichung der Senkung der Brustkrebssterblichkeit frühestens nach 10 Jahren zu erwarten sind. Das zeigen auch die Erfahrungen aus anderen Ländern. Eine Langzeitstudie in Schweden, die sich auf einen Zeitraum von 29 Jahren erstreckt, ergab, dass sich die Brustkrebssterberate durch das Mammographie-Screening langfristig um etwa 30 Prozent senken ließ. Der Rückgang der Sterblichkeit setzte allerdings erst 10 Jahre nach dem Start des Programms ein und nahm dann im Verlauf der Zeit zu.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass Mammographie-Screening erfolgt auf der Grundlage der Krebsfrüherkennungs-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses. Ihm gehören Vertreter der Selbstverwaltung der Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen an.

(Minister Harry Glawe: Also die Fachleute.)

Die Krebsfrüherkennungs-Richtlinie ist seit 2004 um das Mammographie-Screening erweitert worden. Grundlagen waren dafür unter anderem europäische Leitlinien für die Qualitätssicherung des Brustkrebsscreenings. Heute gibt es bundesweit in Deutschland 94 Screening-Einheiten, die es allen Frauen im Alter von 50 bis 69 ermöglichen, alle zwei Jahre am Mammographie-Screening teilzunehmen. Die Koordination und Qualitätssicherung des Mammographie-Screenings erfolgt durch die Kooperationsgemeinschaft Mammographie mit fünf Referenzzentren. Diese Einrichtung befindet sich in gemeinsamer Trägerschaft der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der gesetzlichen Krankenkassen und ist bundesweit

auch für die wissenschaftliche Begleitung des Screenings zuständig.

In Mecklenburg-Vorpommern konnten wir durch großes Engagement aller Partner im Sommer 2006 mit dem Mammographie-Screening starten. Der vollständige Aufbau war in Mecklenburg-Vorpommern 2007 abgeschlossen, bundesweit erst 2009. Damit waren wir eines der ersten Bundesländer, das Frauen im Alter von 50 bis 69 das Screening anbieten konnte, und ich darf mich ganz herzlich bei allen Beteiligten bedanken, die das damals angestoßen haben, dass wir damit Vorreiter waren, weil ich als Gesundheitsministerin damit die Möglichkeit habe, auf diese Vorreiterrolle von Mecklenburg-Vorpommern aufzubauen – was wir in der Vergangenheit dann auch schon getan haben.

Zur Umsetzung des Screenings sind in MecklenburgVorpommern 4 Screening-Einheiten für die Regionen Neubrandenburg, Greifswald, Rostock und Schwerin gegründet worden. Daran sind insgesamt 18 Mammographie-Einheiten mit besonders qualifizierten Ärzten beteiligt. Die für die Einladung zuständige zentrale Stelle ist beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen eingerichtet worden.

Das Mammographie-Screening findet in MecklenburgVorpommern zunehmend Akzeptanz. Das zeigen die wachsenden Teilnehmerzahlen. In den Anfangsjahren hat nur etwa die Hälfte der eingeladenen Frauen die Möglichkeit genutzt, am Screening teilzunehmen, 2010 lag die Teilnehmerquote schon bei etwa 60 Prozent. Auch wenn das im bundesweiten Vergleich ein sehr guter Wert ist, haben wir damit die in den europäischen Leitlinien für die Qualitätssicherung des Brustkrebsscreenings geforderte Quote von 70 Prozent noch nicht erreicht.

Das gemeinsame Krebsregister der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen hat im Juni 2011 Daten zur Häufigkeit der Diagnose Brustkrebs und zu Krankheitsverläufen zusammengestellt, die im Zusammenhang mit dem Mammographie-Screening stehen. Danach ist die Erkrankungsrate erwartungsgemäß mit dem Beginn des Screenings um etwa 40 Prozent gestiegen. Das macht deutlich, dass durch das Screening zunächst einmal mehr Erkrankungen erkannt werden. Das ist ein Effekt, den wir bundesweit beobachten und der auch zu erwarten war. Das hat man sich ja erhofft von dem Screening.

Auch der Vergleich der Verteilung der Krankheitsstadien vor und nach der Einführung des MammographieScreenings zeigt eine interessante Entwicklung. Die Zahl der entdeckten sogenannten T1-Tumore hat sich in der Altersgruppe 50 bis 69 im Vergleich der Jahre 2003 bis 2005 und 2008 um 12,3 Prozent erhöht. Das Stadium T 1 umfasst die Tumore, die nicht größer als zwei Zentimeter sind und sich nicht außerhalb der Brust ausgebreitet haben.

Noch deutlicher wirkt sich die Einführung des Screenings auf den Anteil der diagnostizierten Densito-Tumore, also der Tumore in einem Vorstadium aus. Durch das Screening hat sich der Anteil im gleichen Zeitraum um etwa 63 Prozent erhöht. In dieser Tatsache sehen einige Wissenschaftler auch ein Problem.

(Vizepräsidentin Beate Schlupp übernimmt den Vorsitz.)

Eine große Zahl dieser Tumore entwickelt sich nicht und wenn, dann nur sehr langsam zu invasiven Tumoren weiter. Hier steht also im Einzelfall auch die Frage einer möglichen Übertherapie.

Damit bin ich bei der Debatte um die Risiken, die auch zu so einem Bericht gehören und auf die ja der Antrag der GRÜNEN hinweist. Es gibt Risiken, auf die Wissenschaftler hinweisen: zum einen die Übertherapie, verbunden mit erheblichen Belastungen durch das Erkennen kleinster Vorstufen, die sich ohne Behandlung vielleicht nie zu invasiven Tumoren entwickelt hätten, zum anderen die Strahlenbelastung, die nicht unterschätzt werden darf, und falsch positive und falsch negative Befunde.

Alle, die sich genauer mit diesen Fakten beschäftigen möchten, können den Bericht des Gemeinsamen Krebsregisters auf der Internetseite des Gemeinsamen Krebsregisters lesen. Im Laufe dieses Jahres wird das Gemeinsame Krebsregister der neuen Länder und Berlin außerdem einen Bericht zu Krebs in MecklenburgVorpommern vorlegen. Er wird ebenfalls Entwicklungen zum Thema Brustkrebs enthalten. Ich biete Ihnen gerne an, dass dieser Bericht nach Erscheinen dem Sozialausschuss des Landtages zugeleitet wird, um dort gegebenenfalls das Thema noch einmal aufzurufen.

(Minister Harry Glawe: Sehr gut.)