… Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Schutz und Hilfen für Opfer von häuslicher und sexualisierter Gewalt verbessern, Drucksache 6/1498. Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion der NPD auf Drucksache 6/1543 vor.
Antrag der Fraktion DIE LINKE Schutz und Hilfen für Opfer von häuslicher und sexualisierter Gewalt verbessern – Drucksache 6/1498 –
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Häusliche Gewalt ist körperliche Gewalt, aber auch seelische Gewalt zwischen Personen in engsten sozialen Beziehungen. Die häusliche Gewalt zieht sich dabei durch alle Altersstufen, Bildungsschichten, sie betrifft alle sozialen Schichten, Religionen und Kulturen.
Am häufigsten tritt Gewalt innerhalb einer Partnerschaft auf. Die Opfer sind meistens Frauen und die Täter zu 80 Prozent Männer. Dies können beispielsweise die Ehemänner, Lebenspartner oder Expartner, aber auch Söhne und Enkel sein. Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge hat jede vierte Frau mindestens einmal im Leben Gewalt durch den Partner erfahren.
Laut einem Bericht der Landeskoordinierungsstelle „Contra Gewalt gegen Frauen und Kinder in M-V“, kurz CORA, erhielten 3.970 Erwachsene und 3.048 Kinder im Jahr 2011 Beratung und Unterstützung in den Schutz- und Hilfeeinrichtungen für Opfer von häuslicher und sexualisierter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern – 156 Fälle mehr als im Vorjahr.
Diese Beratung und Unterstützung finden Opfer von sexualisierter Gewalt und häuslicher Gewalt in mehr als 20 Beratungsstellen in M-V. Darunter sind zum Beispiel 8 Beratungsstellen für Opfer von häuslicher Gewalt, 5 Beratungsstellen für Opfer von sexualisierter Gewalt, 5 Interventionsstellen mit angeschlossener Kinder- und Jugendberatung sowie die Fachberatungsstelle für Opfer von Menschenhandel und Zwangsverheiratung.
Mecklenburg-Vorpommern weist ein gutes Netz an Beratungs- und Hilfeeinrichtungen auf. Eigentlich könnte man meinen, gut genug. Wir waren jedoch persönlich vor Ort und haben uns ein Bild von der Situation der Schutz- und Hilfeeinrichtungen gemacht und dabei dringende Handlungsbedarfe hinsichtlich der personellen und qualitativen Ausstattung der Einrichtungen festgestellt.
Aber nicht nur die Vor-Ort-Termine belegten den Handlungsbedarf, sondern auch der im Sommer 2012 erschienene Bericht der Bundesregierung zur Situation der Frauenhäuser, Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder belegt den Handlungsbedarf.
Fünf der neuen Frauenhäuser arbeiten nur mit zwei Personalstellen. Wir meinen, das ist zu wenig, denn gewaltbetroffenen Frauen muss zu jeder Tages- und Nachtzeit Aufnahme in die Schutzeinrichtung gewährt werden. Derzeit sieht es aber so aus, dass sich die Frauen teilweise gegenseitig – insbesondere in den Nachtstunden – Einlass in das Frauenhaus gewähren müssen, wenn keine Mitarbeiterin vor Ort ist. Das ist ein großer Unsicherheitsfaktor für die Betroffenen und alles andere als ein einfacher, niedrigschwelliger Zugang.
Auch in den meisten Beratungsstellen ist die Personaldecke sehr dünn. Die meisten Beratungsstellen bei häuslicher oder sexualisierter Gewalt verfügen lediglich über eine Personalstelle in Voll- oder teilweise sogar nur in Teilzeit. Und auch für die Beratungsstelle für Opfer von Zwangsverheiratung und Menschenhandel ist nur eine Personalstelle vorgesehen.
In Ihrer Pressemitteilung von vergangenem Sonntag, Frau Ministerin Schwesig, haben Sie die Fallzahlen dargestellt und die erschwerten, teilweise gefährlichen Bedingungen, unter denen die Beratungsstelle arbeitet. Aber mit keinem Wort erwähnen Sie, dass die ganze sozialpädagogische Arbeit, die Vernetzungsarbeit und
die Öffentlichkeitsarbeit nur von einer Person bewerkstelligt wird – ein weiterer Beleg für zu wenig Personal.
Und kommen wir zu den Kindern. 60 Prozent der gewaltbetroffenen Frauen haben Kinder. Die Kinder werden meistens mit in die Frauenhäuser und Beratungseinrichtungen genommen. Die Zahl der Kinder in den Frauenhäusern ist deutlich angestiegen. Waren es 2011 noch 238 Kinder bei stationären Aufenthalten, wurden bis Juni 2012 bereits 314 Kinder in den Frauenhäusern Mecklenburg-Vorpommerns gezählt.
Für Kinder ist es einschneidend, existenzbedrohend und häufig dramatisch, wenn sie Gewalt zwischen den Eltern oder in ihrer Familie erleben müssen. Es ist außerordentlich wichtig, dass auch die Kinder in den Frauenhäusern und Beratungsstellen pädagogisch und psychologisch, umfassend und separat betreut werden. In den möglichen Altersstufen von 0 bis 15 Jahren treten ganz unterschiedliche Bedarfe und Problematiken auf. Darauf muss gezielt eingegangen werden.
Das Frauenhaus Rostock ist hier vorbildlich und beschäftigt eine Kinder- und Jugendberaterin mit Hochschulausbildung in der Schutzeinrichtung, speziell für die Betreuung und Beratung der Minderjährigen. Andere Frauenhäuser helfen sich, indem sie eng mit Kinder- und Jugendberaterinnen in den Interventionsstellen kooperieren. Allerdings wird bei der schlechten Personalausstattung in den meisten Häusern schon deutlich, dass die Betreuung der Minderjährigen nicht im notwendigen Umfang erfolgen kann. Das muss sich ändern.
Wir fordern die Landesregierung auf, darauf hinzuwirken, dass am Vorbild von Rostock spezielle Kinder- und Jugendberater oder -beraterinnen mit einer entsprechenden Qualifizierung in allen Schutzeinrichtungen eingesetzt werden.
Fakt ist auch, dass Frauen mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen sowie Frauen mit Migrationshintergrund in besonderem Maße von häuslicher oder sexualisierter Gewalt betroffen sind. Umso wichtiger ist es, auch für sie den Zugang zu den Schutzeinrichtungen niederschwellig sicherzustellen.
Der Bericht der Bundesregierung zeigt, dass alle Frauenhäuser und die meisten Beratungseinrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern nicht barrierefrei sind. Die Frauenhäuser sind nicht rollstuhlgerecht, nicht altersgerecht, nicht blindengerecht, für Mütter mit Kleinkindern in Kinderwagen nur schwer zugänglich. Zudem gibt es auch noch keine barrierefreien Internetseiten für das Beratungsangebot.
Frauen mit Migrationshintergrund bringen zusätzliche Problematiken mit, auf die gesondert eingegangen werden muss. Das sind Sprachbarrieren oder aber auch vermehrt Probleme bei der Existenzsicherung mit ausländerrechtlichen Beschränkungen und je nach Herkunftskultur muss mit äußerst tradierten Rollenmustern gekämpft werden.
Es ist eine ganze Menge, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bewältigen müssen. Umso wichtiger ist es, die Finanzierung auf eine verlässliche Grundlage zu stellen. Neben den Landesmitteln finanzieren sich Frauenhäuser durch kommunale Zuschüsse und Drittmittel. Die Finanzierungsmodelle sind in den Bundesländern
und den Kommunen sehr unterschiedlich. Neben einer Verbesserung der finanziellen Ausstattung der Frauenhäuser sind bundeseinheitliche gesetzliche Regelungen erforderlich, die die Finanzierung auf sichere und verlässliche Beine stellen. Es muss eine Einheitlichkeit her, damit bedarfsgerecht und objektbezogen finanziert und langfristig geplant werden kann.
Und auf ein Thema bin ich jetzt noch nicht zu sprechen gekommen, es hat aber auch zunehmende Bedeutung in der Opferhilfe. Auch Männer sind Opfer von häuslicher Gewalt, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Das wurde lange ausgeblendet. Männer erfahren körperliche, verbale und psychische Gewalt durch Lebenspartnerinnen oder Lebenspartner, aber auch durch andere männliche Täter wie Väter, Stiefväter, Söhne oder Brüder. Die offiziellen Zahlen liegen bei zehn Prozent der Betroffenen, die Dunkelziffer ist weitaus höher.
Männer als Opfer von häuslicher Gewalt suchen nur selten Hilfe und Unterstützung, auch aus Angst vor dem Gesichtsverlust und gesellschaftlicher Ächtung. Auch wissen sie oft gar nicht, wo sie Hilfe bekommen können. Deshalb ist es wichtig, das Thema an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Öffentlichkeit muss aber weiter – zum Beispiel durch Informationsflyer und Fachtagungen – auf das Thema aufmerksam gemacht werden. Das Tabu bei dem Thema Männer als Opfer von häuslicher Gewalt muss gebrochen werden.
Was es aber nicht in Mecklenburg-Vorpommern gibt, sind Schutzeinrichtungen, in denen Männer als Opfer von häuslicher Gewalt übernachten können. Angeboten werden kann ihnen höchstens eine Unterbringung im Obdachlosenheim. Dies ist aber keinesfalls adäquat, da somit auch gleich eine soziale Abwertung erfolgt und dort auch keine entsprechende Betreuung gewährleistet werden kann.
Alle unsere Forderungen finden sich auch in der „Evaluation des Beratungs- und Hilfenetzes im Aufgabenbereich der Parlamentarischen Staatssekretärin für Frauen und Gleichstellung“ vom 19. Mai 2011 wieder. Die Erkenntnisse liegen auf dem Tisch. Die Handlungsbedarfe sind klar angezeigt. Wir fordern die Landesregierung auf, dem Landtag bis zum 1. Juli 2013 über Lösungsansätze zu unterrichten. Entwickeln Sie das Hilfenetz für Opfer von häuslicher Gewalt weiter! Stimmen Sie unserem Antrag zu!
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich danke der Fraktion DIE LINKE für diesen Antrag,
weil sie mir die Gelegenheit gibt, Ihnen erneut zu versichern, dass die Landesregierung gegenüber anderen Ländern weiter dafür sorgt, dass wir über ein flächendeckendes Beratungs- und Hilfenetz für Opfer von häuslicher und sexualisierter Gewalt verfügen und dass wir uns dafür einsetzen, dass auch die drei Täterberatungsstellen – in denen sowohl Männer als auch Frauen, die häusliche oder sexualisierte Gewalt verübt haben, beraten werden – natürlich auch weiter bestehen. Dass Männer ebenfalls Opfer sein können, berücksichtigen wir selbstverständlich auch.
Ich finde es gut, heute noch mal vorzustellen, welche gute Beratungslandschaft es gibt. Dass immer mehr möglich und nötig ist, das ist klar. Aber, sehr geehrte Frau Bernhardt – da hinten, genau –, das Problem ist, dass Sie jetzt gerade das Geld ausgeben wollen, was schon Frau Oldenburg bei Bildung ausgegeben hat, was Herr Foerster schon mit einem Landesarbeitsmarktprogramm ausgegeben hat
dass ein bisschen finanzpolitische Verantwortung auch da sein müsste zu sagen, wenn man mehr will, wo konkret und woher es kommen soll. Man kann den Euro nur einmal ausgeben, auch wenn die Linkspartei das oft noch nicht hören will.
Ich will hier ausdrücklich vorwegschicken, wenngleich ich über das gute Beratungsnetz verfüge, dass diese Sache nicht meine Leistung ist, sondern vor allem die Leistung von Frau Margret Seemann, die als Parlamentarische Staatssekretärin dieses gute Netz in den letzten Jahren aufgebaut hat, natürlich mit Unterstützung zunächst der rot-roten Koalition, dann der Großen Koalition, und dass ich als Ministerin, die für die Jugend- und Familienministerkonferenz am Runden Tisch sexuelle Gewalt in Berlin tätig war oder immer noch beteiligt bin, einschätzen kann, wie es auch in anderen Ländern ist. Viele andere Länder haben dieses verbindliche Beratungsangebot nicht und ich denke, das ist eine Leistung, die sich sehen lassen kann, ohne zu sagen, dass man die Dinge nicht auch immer noch besser machen kann.
Es kann auch nicht die Rede davon sein, dass Männer, die häusliche oder sexualisierte Gewalt erfahren haben, nicht hinreichend mit Beratungsangeboten im Land versorgt sind, noch dass im gegenwärtigen Beratungs- und Hilfenetz Versorgungslücken bestehen, die es zu schließen gilt.
Ich möchte noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass Mecklenburg-Vorpommern das einzige Land ist, in dem die Interventionsstellen bei häuslicher Gewalt für Gefahrenabwehr tätig werden. Wir nehmen proaktiv Kontakt zum Opfer auf und bieten Unterstützung an.
Und vielleicht erinnern Sie sich auch noch daran, dass in 2003 zwei namhafte Wissenschaftlerinnen der Uni Osnabrück die Interventionsstellen begleitet haben. Sie stellten fest, dass die proaktive Kontaktaufnahme in einem hohen Prozentsatz erfolgt, und ich denke, dass es hier auch gute Beispiele gibt, die Sie sicherlich vor Ort gehört haben. Wenn einer ein konkretes will, dann würde ich das noch mal ausführen.
Wir brauchen insgesamt eine gute personelle Ausstattung der Beratungs- und Hilfeeinrichtungen, da haben Sie recht. Und was die personelle Ausstattung der Beratungs- und Hilfeeinrichtungen betrifft, so hat der Landtag mit den Stimmen der SPD- und CDU-Fraktion bereits für den Doppelhaushalt 2012/2013 mehr Haushaltsmittel für die Aufstockung des Personals zur Verfügung gestellt. Leider fehlte es jedoch an der Kofinanzierung seitens der Landkreise.