Protokoll der Sitzung vom 24.04.2013

__________

Wiederbeginn: 13.26 Uhr

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 4: Zweite Lesung und Schlussabstimmung des Gesetzentwurfes der Landesregierung – Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Sicherungsverwahrung in Mecklenburg-Vorpommern, Drucksache 6/1476, hierzu Beschlussempfehlung und Bericht des Europa- und Rechtsausschusses, Druck- sache 6/1776. Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksa- che 6/1792 sowie ein Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 6/1795 vor.

Gesetzentwurf der Landesregierung Entwurf eines Gesetzes über den Vollzug der Sicherungsverwahrung in Mecklenburg-Vorpommern (Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz Mecklenburg-Vorpommern – SVVollzG M-V) (Zweite Lesung und Schlussabstimmung) – Drucksache 6/1476 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Europa- und Rechtsausschusses (3. Ausschuss) – Drucksache 6/1776 –

Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 6/1792 –

Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 6/1795 –

Das Wort zur Berichterstattung hat der Vorsitzende des Europa- und Rechtsausschusses Herr Müller.

(Beifall Dr. Norbert Nieszery, SPD)

Vielen Dank, Herr Vorsitzender.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ich finde, du solltest noch warten.)

Jetzt scheint es offensichtlich geklappt zu haben mit der Anmeldung der Berichterstattung über die Tätigkeit des Ausschusses, vielen Dank. Insofern gestatten Sie mir, dass ich Ihnen sozusagen nach der Mittagspause mit dem zweiten schwergewichtigen Gesetzentwurf hier komme. Dazu liegt Ihnen eine Beschlussempfehlung des Europa- und Rechtsausschusses auf der Drucksache 6/1776 vor und Ihnen liegt wieder mein ausführlicher Bericht über die Beratungen im Ausschuss vor.

Das Sicherungsverwahrungsgesetz ist heute deshalb unser Thema, weil wir bis zum 1. Juni – Sie wissen das – dieses Gesetz auf den Weg bringen müssen. Es soll ein Gesamtkonzept zur Sicherungsverwahrung entwickelt und normativ festgeschrieben werden. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber in Bund und Ländern in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 aufgefordert. In dem Urteil hat das Gericht die Regelungen zur Sicherungsverwahrung für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt und Vorgaben für eine verfassungsgemäße

Regelung gemacht. Insbesondere hat sich der Vollzug der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vom Vollzug der Freiheitsstrafe deutlich zu unterscheiden. Dieses sogenannte Abstandsgebot musste umgesetzt werden durch Regelungen, die einen freiheitsorientierten und therapiegerichteten Vollzug gewährleisten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Gesetzentwurf wurde dem Europa- und Rechtsausschuss am 30. Januar 2013 federführend überwiesen. Mitberatend war der Finanzausschuss. Der mitberatende Finanzausschuss hat einvernehmlich die unveränderte Annahme des Gesetzentwurfes empfohlen.

Für die Beratung stand uns vergleichsweise wenig Zeit zur Verfügung. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Frühjahr 2011 entschieden und seine Vorgaben gemacht, am 4. Mai. Zwischen diesem 4. Mai 2011 und dem 30. Januar 2013 liegen sage und schreibe 21 Monate. Zwischen dem 30. Januar und dem 24. April, also heute, liegen knapp 3 Monate. Ein Monat wäre noch hinzugekommen, wenn wir die Frist voll ausgenutzt hätten. Das wäre aber wegen der vor dem 1. Juni erforderlichen Verkündung des Gesetzes schwierig geworden. Sie sehen, relativ wenig Zeit für die Beratung.

Dennoch haben wir im Rahmen unserer Beratungen wieder eine öffentliche Anhörung durchgeführt, in der Vertreter aus Wissenschaft und Praxis und der Kirche sich zum Gesetzentwurf positioniert haben. Viele der angehörten Sachverständigen begrüßten die Unterbringung der Sicherungsverwahrten in einem eigenen Komplex auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Bützow. Im Übrigen wurden zu diversen Themengebieten unterschiedliche Meinungen dargelegt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, an dieser Stelle – vorhin habe ich das leider vergessen in der Eile, aber an dieser Stelle will ich das dann hier auch noch mal tun – möchte ich mich sehr herzlich im Namen des Europa- und Rechtsausschusses bei allen Sachverständigen für ihre mündliche und schriftliche Stellungnahme bedanken.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Sehr gut.

Mit der vorliegenden Beschlussempfehlung werden möglichst einheitliche Verhältnisse in der Sicherungsverwahrung in Deutschland geschaffen, denn der Entwurf der Landesregierung geht auf einen mit mehreren Bundesländern gemeinsam erarbeiteten Musterentwurf zurück. Dieser bildet die Grundlage für eine Reihe von Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzen in Deutschland.

Dies war für die Ausschussmehrheit wohl auch ein Grund dafür, die 30 Änderungsanträge zum Gesetzentwurf der Landesregierung im Ausschuss, ich sage mal, sehr behutsam zu behandeln. Auch hier hat die Opposition ausdrücklich kritisiert, dass es keine inhaltliche Auseinandersetzung mit ihren Anträgen gegeben hat.

Lassen Sie mich einige der abgelehnten Oppositionsanträge hervorheben. Detaillierte Informationen können Sie meinem schriftlichen Bericht entnehmen. Beispielsweise hat die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beantragt, in Paragraf 9 Absatz 3 Satz 1 die Worte „Rechtzeitig vor dem voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt“ durch die

Worte „Von Beginn der Unterbringung an“ zu ersetzen, da vor dem Hintergrund des Resozialisierungsgrundsatzes bereits vom ersten Tag der Unterbringung an auf die Entlassung hinzuarbeiten sei. Die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN hat außerdem beantragt, Paragraf 12, der den Wohngruppenvollzug betrifft, zu ändern, indem in Absatz 1 das Wort „regelmäßig“ und in Absatz 3 Satz 2 die Wörter „in der Regel“ gestrichen werden. Dieses wurde damit begründet, dass der Vollzug verbindlich als Wohngruppenvollzug ausgestaltet werden müsse.

Die Ausschussmehrheit der Koalition hat im Ergebnis die wenigen Änderungsempfehlungen angenommen, die Ihnen heute vorliegen, und die Änderungsanträge der Opposition allesamt abgelehnt.

Die erste Änderung betrifft die sogenannte Verantwortungsklausel. Die Ausschussmehrheit ist der Auffassung, die Regelung in Paragraf 40 Absatz 2, wonach Lockerungen zu gewähren sind, ich zitiere, „wenn … verantwortet werden kann zu erproben, dass die Untergebrachten sich dem Vollzug nicht entziehen oder die Lockerungen nicht zu Straftaten missbrauchen werden“, Zitatende, auch im offenen Vollzug als Maßstab heranzuziehen. Außerdem müssen nach Ansicht der Ausschussmehrheit die im Rahmen der Vollzugslockerung genannten Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein.

Und drittens soll der Begriff „Untergebrachte“ durchgängig Verwendung finden und nicht von „Gefangenen“ die Rede sein, denn die in der Sicherungsverwahrung untergebrachten Personen haben ihre Strafe bereits verbüßt. Sie werden aufgrund einer prognostizierten Gefährlichkeit zur Verhinderung weiterer Straftaten und zum Schutz der Bevölkerung untergebracht.

Um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes fristgerecht zu erfüllen und einen das Abstandsgebot wahrenden freiheitsorientierten und therapiegerichteten Voll- zug einzurichten, bitte ich Sie nun im Namen der Mehrheit des Europa- und Rechtsausschusses um Ihre Zustimmung zu der Beschlussempfehlung. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Danke schön, Herr Müller.

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 120 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Ums Wort gebeten hat zunächst die Justizministerin des Landes Frau Kuder.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es liegt nun ein weiterer wichtiger Gesetzentwurf, nämlich das Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz Mecklenburg-Vorpommern zur Beschlussfassung vor.

Wie Sie alle wissen, hat das Bundesverfassungsgericht im Mai 2011 den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 1. Juni 2013 eine gesetzliche Grundlage für den Vollzug der Sicherungsverwahrung zu schaffen. Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist, die Beratungen innerhalb der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Frist abzuschließen. Dafür möchte ich Ihnen ausdrücklich danken.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die wesentlichen Eckpunkte des vorliegenden Gesetzentwurfes habe ich Ihnen bereits im Rahmen der Ersten Lesung dargelegt. In den Beratungen, insbesondere der Sachverständigenanhörung, wurde eine Reihe von Detailfragen zur weiteren Besserstellung der Sicherungsverwahrten gegenüber regulären Strafgefangenen diskutiert. Im Ergebnis hat dies jedoch zu keinen Änderungen im Gesetzentwurf geführt. Eine Anregung aus der Sachverständigenanhörung wurde jedoch aufgegriffen. Wie bereits bei den Strafgefangenen wurden nun auch für die Sicherungsverwahrten die Voraussetzungen für die Verlegung in den offenen Vollzug konsequenter festgeschrieben. Jetzt gilt der bereits für Lockerungen geltende positive Prüfungsmaßstab einer verantwortbaren Erprobung auch für die Verlegung in den offenen Vollzug. Im Übrigen wurden im Zuge der Beratungen lediglich kleinere sprachliche und redaktionelle Änderungen vorgenommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit dem Gesetzentwurf werden wir den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes konsequent gerecht und auch in baulicher Hinsicht werden wir den aus Karlsruhe gesetzten Zeitrahmen einhalten. Bis zum 1. Juni 2013 wird der Neubau eines Unterbringungsgebäudes für die Sicherungsverwahrten auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt Bützow fertiggestellt sein. An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal ausdrücklich beim Finanzministerium sowie beim Betrieb für Bau und Liegenschaften für die hervorragende Zusammenarbeit bedanken. Ohne deren zügige Planung und Bauausführung wäre die fristgerechte Umsetzung des Bauvorhabens nicht möglich gewesen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der vorliegen- de Gesetzentwurf versetzt uns in Mecklenburg-Vorpom- mern in die Lage, fristgerecht eine verfassungskonforme Sicherungsverwahrung vorzuweisen. Darauf bin ich sehr stolz, denn der Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern hat für mich oberste Priorität. Ich bitte Sie deshalb auch hier: Stimmen Sie dem Gesetzentwurf zu! – Herzlichen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion DIE LINKE die Abgeordnete Frau Borchardt.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bevor ich zum vorliegenden Gesetz etwas sage, gestatten Sie mir ein paar Bemerkungen. Es war im Europa- und Rechtsausschuss immer gang und gäbe, dass wir eine sehr sachliche Debatte geführt haben. Getragen wurde diese Kultur des Umgangs durch das Bemühen, gemeinsam etwas auf den Weg zu bringen, ungeachtet der unterschiedlichen Positionen zu einzelnen Fragen. Dementsprechend haben wir im Landtag nicht nur einmal eine gemeinsame Beschlussempfehlung vorlegen können. Leider, und das bedauere ich sehr, ist das in dieser Wahlperiode so gut wie nicht mehr möglich. Die uns heute vorliegenden Gesetzentwürfe wären diesbezüglich gut geeignet gewesen, einen gemeinsamen Konsens zu finden.

Wir haben ebenso wie die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Vorfeld darum gebeten, eine gemeinsame Beschlussempfehlung auf den Weg zu bringen. Leider hat es an dem Willen der Koalitionsfraktionen gelegen, dass es uns nicht gelungen ist. Es ist müßig zu fragen,

wer da der treibende Keil ist. Ich denke nur, dass eine solche Arbeitsweise uns nicht weiterbringt. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns zu Recht, dass wir um gemeinsame Lösungen streiten. Ich hoffe, dass wir zu unserer vorhergehenden Arbeitsweise zurückfinden.

Kommen wir nun zum Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz. Ich könnte jetzt eigentlich meine Rede zum Strafvollzugsgesetz nehmen und sie beinahe identisch übernehmen.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Zumindest würde ich dann in etwa das tun, was das Justizministerium mit den Gesetzentwürfen von Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz und Strafvollzugsgesetz gemacht hat. Ich denke, genau hier liegt das maßgebliche Problem.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte ja in der Vergangenheit kritisiert, dass in Deutschland die Sicherungsverwahrung genauso wie der Strafvollzug vollzogen werde, und das, obwohl die Insassen ihre Haftstrafe bereits verbüßt hätten und formal unschuldig seien.

Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, diese Kritik wird auch unser neues Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz treffen.

Wie ich bereits in der Ersten Lesung sagte, handelt es sich bei dem hier vorliegenden Gesetz lediglich um eine abgespeckte Version eines Strafvollzugsgesetzes. Insofern war es dann doch wohl passend, dass im Europa- und Rechtsausschuss zumindest sprachlich angepasst wurde und aus den „Gefangenen“ die „Untergebrachten“ gemacht wurden. Zumindest dieser Fauxpas des Justizministeriums wurde dann also doch korrigiert. Es ist bedauerlich, dass es darüber hinaus zu keinen nennenswerten Änderungen kam. Zumindest hätte man in dem Zusammenhang auch den unsinnigen Paragrafen 80 streichen können, wie es Professor Dr. Dünkel in der Anhörung empfahl. Dabei geht es um die sichere Unterbringung der Insassen – eine Regelung, die offenbar aus dem Strafvollzugsgesetz einfach übernommen wurde, ohne dass sie vom Sinn her in das Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz passt. Aber ich denke, die Ursprungsformulierung zeigt ganz deutlich, wes Geistes Kind dieses Gesetz ist.

Natürlich wäre es der leichtere Weg, die Gefangenen auf Dauer wegzusperren. Aber das ist nicht der richtige Weg und das ist nicht der Weg, den der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesverfassungsgericht gehen würden. Auch in der Sicherungsverwahrung steht die Resozialisierung der Untergebrachten im Vordergrund.