Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 18: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Landkreise und kreisfreie Städte bei der dezentralen Unterbringung von Ausländerinnen und Ausländern unterstützen, auf Drucksache 6/2245. Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 6/2290 vor.
Antrag der Fraktion DIE LINKE Landkreise und kreisfreie Städte bei der dezentralen Unterbringung von Ausländerinnen und Ausländern unterstützen – Drucksache 6/2245 –
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich den Antrag begründe, möchte ich an dieser Stelle mein Entsetzen und meine Trauer über die Tragödie vom Flüchtlingsschiff vor Lampedusa letzte Woche ausdrücken. Es macht mich unglaublich traurig und betroffen, wie durch eine fehlgeleitete und ignorante EU-Flüchtlingspolitik Menschen auf der Flucht vor Hunger, Diskriminierung, Verfolgung und Folter aus lauter Verzweiflung in den Tod getrieben werden. Dieses Mal waren es schätzungsweise mehr als 300 Todesopfer. Circa 25.000, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind bereits bei den vorherigen Flüchtlingstragödien ums Leben gekommen.
Den Angehörigen möchte ich an dieser Stelle mein Beileid aussprechen. Den Verantwortlichen, und insbesondere meine ich hier den Bundesinnenminister, möchte ich sagen: Legen Sie Ihre Ignoranz ab, setzen Sie sich mit allen Mitteln für eine menschlichere Flüchtlingspolitik auch auf EU-Ebene ein!
In Deutschland wurden 65.000 Flüchtlinge im Jahr 2012 aufgenommen, geschätzt werden in diesem Jahr 100.000. Das ist nicht angemessen und das ist beschämend wenig.
Die EU-Grenzstaaten müssen stärker entlastet werden, indem die Verteilung von Flüchtlingen auf alle EU-Staaten gerechter erfolgt. Das Dublin-II-Abkommen muss geändert werden, sodass sich Staaten wie Deutschland nicht einfach weigern können, mehr Flüchtlinge aufzunehmen.
Nun komme ich zu unserem Antrag. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier geht es um Menschen, die in Deutschland Asyl beantragen. Sie sind geduldet und teilweise unerlaubt eingereist. Es geht um ihre Unterbringungssituation in Mecklenburg-Vorpommern. Diese hat sich in den letzten vergangenen Monaten zugunsten einer Verstärkung der dezentralen Unterbringung entwickelt, und das ist zu begrüßen.
Aber diese Entwicklung hat natürlich mehrere Gründe. Ich nenne die Gründe, liebe Kolleginnen und Kollegen: Zum einen sind es die steigenden Asylbewerberzahlen. Im Zeitraum von Januar bis Juli 2013 wurden durch das Amt für Migration und Flüchtlingsangelegenheiten 989 Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Mecklenburg-Vorpom- mern aufgenommen, verglichen mit 2012 insgesamt 1.200 sind es, auf das ganze Jahr 2013 gerechnet, etwa doppelt so viele Neuzugänge.
Zweiter Grund für die Unterbringung ist: Die Planung der Aufnahmekapazität in den Unterkünften orientiert sich an den niedrigen Zahlen der vergangenen Jahre, weshalb der Bund und die Länder auf den Anstieg der Asylbewer
berzahlen insgesamt zu spät reagieren und deshalb einige Turbulenzen bei der Unterbringung entstanden sind. Die Auslastung der Gemeinschaftsunterkünfte des Landes ist erreicht. Zudem wurde in diesem Sommer die Gemeinschaftsunterkunft in Jürgenstorf zu Recht geschlossen. Wie Sie wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, waren die Lebensumstände dort nicht mehr haltbar.
Aufgrund dieser Situation wurde und wird in den Kommunen verstärkt dezentral untergebracht. Auf viele Kommunen kommen natürlich damit neue Aufgaben zu. Wie die Unterbringung erfolgt, entscheiden die Landkreise und kreisfreien Städte auf Grundlage bestehender Gesetze. Das sind das Asylbewerberleistungsgesetz und das Flüchtlingsaufnahmegesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern.
Im Juni 2012 wurden vom Ministerium für Inneres und Sport Arbeitshinweise herausgegeben, die die dezentrale Unterbringung regeln. Darin steht zum Beispiel: Eltern mit Kindern können nach zwei Jahren Aufenthalt in einer Gemeinschaftsunterkunft dezentral untergebracht werden und alle anderen Asylbewerberinnen und Asylbewerber, Geduldete, unerlaubt eingereiste Ausländerinnen und Ausländer können nach vier Jahren Aufenthalt in einer Gemeinschaftsunterkunft dezentral untergebracht werden, wenn es beantragt wird.
Daran, dass die dezentrale Unterbringung tatsächlich gelingen kann, sind natürlich Bedingungen gebunden, zum Beispiel die Anbindung an funktionierende Infrastruktur, eine umfassende soziale Betreuung der Menschen, eine gute Zusammenarbeit auf allen Ebenen sowie eine Öffentlichkeitsarbeit, die ein kritisches, aber positives Bild zeichnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erfahrungen der letzten Monate und Gespräche in den Kommunen haben gezeigt, die dezentrale Unterbringung ist leider nicht so gut gelaufen. Hier muss nachgesteuert werden. Eine gute Abstimmung zwischen dem Land und den Kommunen ist unabdingbar. Gemeint ist eine frühzeitige und umfassende Information über geplante Neuzugänge.
Diese Informationen müssen an alle beteiligten Gemeinden weitergeleitet werden. Die Einwohnerinnen und Einwohner müssen rechtzeitig informiert werden, denn so, liebe Kolleginnen und Kollegen, können demokratische Mitwirkungsprozesse in Gang gesetzt werden und so kann die braune Gefahr und ihre menschenverachtende Hetze eingedämmt werden.
Die Landkreise und kreisfreien Städte müssen bei der Ausgestaltung und Umsetzung des Managements stärker vom Land unterstützt werden. Dazu gehören Maßnahmen wie zum Beispiel Wohnungssuche, Erstbezug, Erstattung der finanziellen und personellen Aufwendungen, zum Beispiel bei Räumung, Reinigung, Renovierung von Wohnungen und Abwicklung von Umzügen. Nach der Erstattungsrichtlinie in Paragraf 5 Absatz 3 des Flüchtlingsaufnahmegesetzes bleibt vieles im Bereich der dezentralen Unterbringung offen. Die Kosten werden damit auf die Kommunen abgewälzt.
Nun komme ich zu einem Punkt in unserem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, die soziale Betreuung. Die
soziale Betreuung ist ein wichtiger Faktor dafür, wie sich Betroffene in der Gesellschaft orientieren und sich auch im Wohnumfeld und im Alltag zurechtfinden können. Der aktuelle Betreuungsaufwand mit einem Schlüssel von 1 : 96 beziehungsweise 1 : 56 bei denen, die direkt aus der Erstaufnahmeeinrichtung kommen, ist nicht realisierbar für eine wirkungsvolle Beratung und Betreuung der Betroffenen gerade im ländlichen Raum.
Erstens. Die Fahrzeiten der mobilen Betreuerinnen und Betreuer müssen angemessen berücksichtigt werden und müssen separat von der Beratungszeit berechnet werden.
Mit unserem Antrag fordern wir die Landesregierung auf, erstens, die Landkreise und kreisfreien Städte im Sinne eines reibungslosen Ablaufs bei der Planung, Koordinierung und Finanzierung der dezentralen Unterbringung zu unterstützen, und zweitens, ein wichtiges Augenmerk auf den Informationsaustausch sowie Öffentlichkeitsarbeit zu legen.
Und nun lassen Sie mich abschließend, liebe Kollegen, die Worte von dem Landesbischof der Nordkirche Herrn Gerhard Ulrich am 26. September in der „Schweriner Volkszeitung“ unter der Überschrift „Eine Willkommenskultur ist nötig“ zitieren: „Es braucht mehr Wohnraum, mehr Angebote für alle, damit eine inklusive Gesellschaft wirklich gelebt werden kann. Flüchtlinge werden auch künftig nach Europa streben. Dies ist kein akutes Thema der Unterbringung allein, es ist ein Thema, mit dem wir auch die Zukunft positiv gestalten können …“
In diesem Sinne, liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie unserem Antrag zu! Den Änderungsantrag von den Kollegen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nehmen wir an. – Danke schön.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Werter Herr Dr. Al-Sabty, was die Ereignisse in Lampedusa betrifft, stimmen wir in der Betrachtung überein, im Rest nicht.
Dr. Friedrich hat keine ignorante Haltung, wir müssen Dublin II nicht verändern, Deutschland muss sich nicht schämen für seine Ausländerpolitik, wir nehmen mit 23 Prozent der Asylbewerber die meisten Asylbewerber in Gesamteuropa auf.
Und ich kann insofern den Ausführungen von Frau Malmström, der EU-Kommissarin, zustimmen, die darauf aufmerksam gemacht hat, dass die Lasten gerecht verteilt werden müssen. Derzeit entfallen in der Frage die Lasten auf 6, maximal 7 Staaten im Wesentlichen, Europa besteht aber aus 28 Staaten. Und insofern sehe ich keine Veranlassung, dass Deutschland für das, was es dafür tut, in irgendeiner Form sich hier zurücknehmen muss. Ich glaube, wir machen da eine richtige und eine gute Politik.
Das ändert nichts an der Situation, dass wir uns der Verantwortung und der Aufgabe gemeinsam stellen müssen.
Jetzt zu Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von der Linksfraktion. Bei Ihrem Antrag zur dezentralen Unterbringung ist mir jetzt das Anliegen nicht ganz klar, denn vieles von dem, was in Ihrem Antrag untergebracht ist, ist seit einem beziehungsweise zwei Jahren Realität, insbesondere da wir die dezentrale Unterbringung in unserem Bundesland bereits erfolgreich betreiben und auch voranbringen. Und so muss dann auch dieser Antrag gesehen werden. Es stehen viele Ideen drin, die schon längst umgesetzt worden sind.
Sie verweisen selbst darauf und in Ihren Ausführungen haben Sie auch darauf verwiesen, mit den Arbeitshinweisen zur zentralen und dezentralen Unterbringung des Ministeriums für Inneres und Sport vom Juni 2012 können Asylbewerber, Geduldete und unerlaubt eingereiste Ausländer nach spätestens vier Jahren dezentral in Wohnungen untergebracht werden. Was Sie nicht im Antrag erwähnen, ist, dass die dezentrale Unterbringung natürlich auch in anderen Regelfällen vorgesehen ist. So gilt dies auch, wenn bei Familien und Alleinstehenden mit mindestens einem Kind ein ununterbrochener Aufenthalt in Gemeinschaftsunterkünften von zwei Jahren vorliegt, ebenso wenn medizinische Gründe eine Unterbringung außerhalb von Gemeinschaftsunterkünften erfordern, und bei Personen, die ein dauerndes sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis haben, gilt dies auch bereits.
Sie sehen also, dass wir hier ein – aus meiner Sicht – breites Spektrum von vernünftigen Gründen aufgenommen haben, die auch vor dem Ablauf von vier Jahren dezentrale Unterbringung ermöglichen. Deshalb hat sich die Zahl der dezentral Untergebrachten auch merklich erhöht. Letztendlich hat die Entwicklung im Ergebnis dazu geführt, dass aktuell rund die Hälfte aller den Kommunen zugewiesenen Asylbewerber bereits in Wohnungen und somit dezentral untergebracht wird.
Aufgrund der steigenden Asylbewerberzahlen wurden außerdem die Landkreise und kreisfreien Städte mit Schreiben des Ministeriums für Inneres und Sport vom 15. Oktober 2012 aufgefordert, die dezentrale Unterbringung von bislang in den Gemeinschaftsunterkünften lebenden Personen voranzutreiben, damit zügig freie
Plätze für die Unterbringung von neu einreisenden Asylbewerbern zur Verfügung gestellt werden können.
Und parallel zu dieser Aufforderung wurden den Kommunen mit den Arbeitshinweisen zur sozialen Betreuung dezentral untergebrachter Ausländer vom 04.12.2012 unter anderem Vorgaben zu den Betreuungsschwerpunkten, zur beruflichen Qualifikation und zum Betreuungsaufwand gemacht. Danach ist für zwölf zu betreuende Personen ein Betreuungsaufwand von einer Stunde pro Tag vorgesehen. Das ist gut und ausreichend, wie wir meinen, denn bei diesen Personen handelt es sich um Menschen, die bereits über einen längeren Zeitraum in der Gemeinschaftsunterkunft Integrationsmaßnahmen nutzen konnten, die eine dezentrale Unterbringung erleichtern.
Dennoch ist es wichtig, diese Menschen im gebotenen Rahmen in ihren neuen Lebenssituationen zu unterstützen. Genau das tun wir, auch ohne diesen Antrag. Allerdings gibt es auch Asylbewerber, die aufgrund vorhandener Integrationsfähigkeit direkt dezentral untergebracht werden können. Da aber dennoch der Betreuungsaufwand bei sofortiger dezentraler Unterbringung wesentlich höher ist als bei der dezentralen Unterbringung nach einem vorherigen Aufenthalt in einer Gemeinschaftsunterkunft, wurde bereits mit den Arbeitshinweisen vom 21. März dieses Jahres ein erhöhter Schlüssel von einer Stunde pro Tag für sieben zu betreuende Personen festgelegt.