Drittens, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die fraktionsübergreifende Einmütigkeit dieses Gremiums denkwürdig. Es wurde einstimmig eingesetzt und es gab im NSU-Ausschuss des Bundestages nicht eine einzige Abstimmung, die nicht einstimmig erfolgte. Dadurch wurde das Parlament in die Lage versetzt, die Exekutive in der Tat ein Stück weit und weiter und besser zu kontrollieren. Auch hier können wird von der Bundesebene noch etwas lernen. So könnten wir fraktionsübergreifend stärker Widerspruch einlegen, wenn etwa das Innenministerium meint, bestimmte Informationen nicht dem Landtag, sondern lediglich nur der PKK zur Verfügung zu stellen. Auch hier enthält der Abschlussbericht Erhellendes für Mecklenburg-Vorpommern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn der Direktor unseres LKA im Wege der Amtshilfe Einsicht in das Protokoll über die öffentliche Vernehmung eines Zeugen aus unserem Land beantragt und auch erhält, weil er die PKK des Landtages darüber unterrichten möchte, dann zeigt auch diese Episode den enormen Reformbedarf bei unseren Behörden, nachzulesen auf Seite 52 des Berichtes.
Und viertens schließlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, ob CDU/CSU oder SPD, LINKE oder GRÜNE, fraktionsübergreifend wurde in der Bundestagsdebatte der Appell an die lieben Kolleginnen und Kollegen in den Bundesländern zum Ausdruck gebracht, die Empfehlungen nicht ad acta zu legen, sondern wirksam umzusetzen. Einen ersten Schritt gehen wir heute dazu.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der vorliegende Antrag verkennt ausdrücklich nicht, dass bereits erste Schlussfolgerungen gezogen und Maßnahmen ergriffen wurden – auch in Mecklenburg-Vorpommern. Ich empfehle hier allen einen Blick in den Doppelhaushalt unseres Innenministeriums zu den eingeleiteten Maßnahmen oder auch der Hinweis auf die gemeinsam ausgestaltete Bundesschule des Verfassungsschutzes.
Eines kann und darf aber hierbei jedoch nicht übersehen werden: Ob Maßnahmen und Empfehlungen der IMK oder Schlussfolgerungen der Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus, ob also ein intensiverer Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden oder eine frühere und längere Datenspeicherung, ob neue Zuständigkeiten oder eine Stärkung der Zentralinstanzen, all diese Maßnahmen waren grundsätzlich bereits eingeleitet, bevor nur ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss auch nur ein Stück Papier umgedreht hatte. Es gab also bereits vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss und seinen Erkenntnissen umfangreiche Umbaumaßnahmen in der Sicherheitsstruktur.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb, auch deshalb benötigen wir dringend einen Sachstandsbericht der Landesregierung, denn auch nicht alle Empfehlungen des Bundestagsuntersuchungsausschusses betreffen die Länderebene und somit Mecklenburg-Vorpommern. Lassen Sie uns also diesen Bericht politisch debattieren, auch strittig, und lassen Sie uns vor allem gemeinsam praktische Schlussfolgerungen ziehen und Maßnahmen umsetzen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Zunächst einmal danke ich Ihnen, Herr Ritter, dass Sie den Antrag und auch das Thema der Empfehlungen des NSU-Untersuchungs- ausschusses des Deutschen Bundestages für Korrekturen und Reformen hier in unserem Land auf die heutige Tagesordnung gesetzt haben. Ich denke, dass dieser vorliegende gemeinsame Antrag aller demokratischen Fraktionen ein klares Eingeständnis dafür ist, dass die deutschen Sicherheits- und Ermittlungsbehörden im Kampf gegen den Rechtsextremismus und bei der NSUMordserie versagt haben. Dafür muss allerdings auch die Politik die Verantwortung übernehmen. Mit dem Antrag sprechen wir, die demokratischen Fraktionen des Landtages, den Angehörigen der Mordopfer des rechtsextremen Terrortrios ein tief empfundenes Mitgefühl aus und bitten sie auch um Entschuldigung.
Ich denke, dass die geschlossene Haltung aller demokratischen Fraktionen hier im Landtag ein wichtiges Signal aussendet an die Landespolitik, Reformen und Strukturen für die Polizei, für den Verfassungsschutz und die Justiz zielgerichtet durchzuführen. Ich denke aber auch, dass aufgrund der spezifischen Verhältnisse der einzelnen Länder im Bund, aber auch bei uns sicherlich eine gewisse Gewichtung der Reformen und Korrekturen notwendig ist, denn nicht alle Fehler sind in allen Ländern gleichermaßen gemacht worden. Unstrittig ist allerdings, dass individuelle Fehler, aber auch strukturelle Mängel es verhindert haben, rechtzeitig diese Mordserie der NSU nicht zuzulassen beziehungsweise auch aufzuklären. Unstrittig ist aber auch, dass strukturelle Mängel im Bund länderübergreifend dazu geführt haben, dass kontraproduktiv gearbeitet wurde. Aber es wäre auch kontraproduktiv, im Alleingang unseres Landes die Reformen zumindest strukturell übergreifend alleine anzugehen.
Richtig gesagt wurde hier heute: Niemand von uns ist wohl in der Lage, aus dem Bericht von über 1.000 Seiten, fast 1.300 Seiten, und aus den 47 Einzelempfehlungen heute die notwendigen, richtigen, zielgerichteten Schlussfolgerungen für Reformen zu ziehen für die Polizei, Justiz und Verfassungsschutzbehörde. Wenn die Reformen gelingen sollen, dann zähle ich – und das ist keine abschließende Aufzählung und auch keine vollständige – insbesondere dazu, dass es zunächst einmal das Eingeständnis gibt in erster Linie von Verantwortlichen und von Vorgesetzten, dass nie wieder die Gefahr des Rechtsextremismus verkannt oder auch verharmlost wird und dass die vertrauensvolle Zusammenarbeit und die Informationsbeziehungen im Bund zwischen den Ländern und auch im eigenen Land auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt werden müssen oder im Land verbindlich geregelt werden müssen und nicht jeder selbst das, was er gerade für wichtig oder nicht wichtig hält, weitergibt an Informationen. Dazu ist es aber notwendig, dass diese Abschottung der Behörden untereinander, das Konkurrenzdenken, die Eitelkeiten und manchmal auch die Überheblichkeiten untereinander überwunden werden.
Nicht der Föderalismus ist schuld an der uneffektiven Arbeitsweise, die hier verrichtet wurde. Und manchmal habe ich es auch so gesehen, dass der Föderalismus
gerade in der Polizeiarbeit an der Ländergrenze schwierig wird. Es war auch schwierig, aber nicht der Föderalismus ist schuld, sondern wie wir mit den Herausforderungen des Föderalismus umgegangen sind. Und daraus ist auch bedingt worden, dass diese Morde nicht verhindert werden konnten.
Eine notwendige Aus- und Fortbildung, die auch in diesem Bericht gefordert wird, kann natürlich zu besseren Ergebnissen führen und muss es auch. Aber ich betone: Die führt zu besseren Ergebnissen, aber nur dann, wenn sie gleichzeitig mit einer gesunden Kontrolle in der Praxis und mit einer Aufgabenkritik begleitet wird. Und wenn wir unsere Gesellschaft so ansehen, dass das Wort „Selbstkritik“ fast zu einem Fremdwort geworden ist und dass wahrscheinlich in der Regel nur noch von oben nach unten kritisiert wird in den meisten Bereichen und von unten nach oben nicht mehr zugelassen wird, dann müssen wir uns nicht wundern, dass auf der Ausführungsebene viele handwerkliche Fehler wie auch in diesem Fall gemacht werden. Denn wenn im Bericht dargestellt ist, dass nach wie vor erfahrende Berichterstatter Suggestivfragen stellen oder nach eineinhalb Jahren vorläufig das Verfahren eingestellt wird, weil nicht genügend Spuren und Zeugenaussagen da sind, dann sind das Anfängerfehler, die man eigentlich in den ersten Stunden der Polizeiausbildung und des Studiums lernt. Das hat mit einer zusätzlichen Aus- und Fortbildung wenig zu tun, sondern mit einer Aufgabenkritik, die so, wie wir uns das vorstellen, schon lange nicht mehr stattgefunden hat.
Dennoch darf ich bei aller Kritik auch gerade des Verfassungsschutzes darauf hinweisen, dass das verlorengegangene Vertrauen in die Notwendigkeit und die Arbeitsfähigkeit wieder zurückgebracht werden muss. Und dennoch erlaube ich mir zu sagen, dass es in dem Land keine Aktenvernichtung gab im Verfassungsschutz, keine Datenlöschungsskandale, kein Hintergehen der Amtsleitungen und keine fragwürdigen exzessiven Einsätze der V-Leute. Dennoch haben natürlich auch der Verfassungsschutz und die Ermittlungsbehörden, das Zusammenwirken in der staatlichen Kernkompetenz, nämlich die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes vor Gewalt und vor rechtsextremen Straftaten und Terror zu schützen, an Vertrauen verloren. Deshalb ist gerade auch ein neues Selbstverständnis des Verfassungsschutzes notwendig. Wir brauchen nicht so sehr einen Geheimdienstler, sondern eher einen Nachrichtendienstleister. In diesem Zusammenhang ist zu überdenken die Personalauswahl, die Aus- und Fortbildung, die Schaffung eines neuen Berufsbildes, Transparenz der Öffentlichkeitsarbeit und so weiter.
Bei der Bekämpfung verfassungsfeindlicher und terroristischer Bestrebungen können wir auf menschliche Quellen nicht verzichten. Wollen wir also Informationen haben aus extremistischen und terroristischen Organisationen, dann brauchen wir diese menschlichen Quellen, also V-Personen – und ich betone „V“ – und nicht Vertrauensperson. Das Wort ist mir schon lange suspekt. Entweder sind es Verbindungspersonen oder Informanten,
Ich halte es auch nicht für sinnvoll, in den Reformen einzelne Paragrafen des Verfassungsschutzgesetzes zu
regeln oder neu zu regeln, sondern es ist zu überdenken, ob wir nicht generell ein neues Verfassungsschutzgesetz benötigen. Aber da will ich mich hier an dieser Stelle heute natürlich am Anfang der Reformen, die wir gemeinsam als demokratische Fraktionen durchführen, nicht festlegen.
Meine Damen und Herren Abgeordnete, das staatliche Versagen muss nun zu Veränderungen bei der Arbeit von Polizei, Justiz und Verfassungsschutz führen. Der begonnene Reformprozess in Mecklenburg-Vorpommern ist fortzuführen. Ich denke, dass die 47 Einzelempfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages uns gemeinsam genügend Anregungen dafür geben. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag stellt eine wirklich dreiste Verharmlosung und Verniedlichung des Totalversagens des Verfassungsschutzes dar oder gar seiner Verstrickungen in diese dem NSU zugerechneten Taten, als ob wir es hier mit ein paar Büroversehen zu tun hätten.
Was sollen denn nach dieser Beschlussvorlage die Konsequenzen für den Verfassungsschutz sein? Ein bisschen neu ausgerichtet soll er werden, Unterstützung soll er bekommen von Hobbyspitzeln aus der Antifa-Szene, die im Antrag „zivilgesellschaftliche Akteure“ genannt werden, und ein bisschen mehr Personal soll er erhalten. Das kann doch nicht die Reaktion auf Totalversagen sein?!
Wie so eine Reaktion aussieht, hat der US-Präsident Obama nach der Katastrophe um die Ölplattform „Deepwater Horizon“ vorgeführt, indem er die zuständige nationale Aufsichtsbehörde komplett dichtmachte und auflöste wegen absoluter Unbrauchbarkeit. Er hat sie total plattgemacht und gesagt, weg damit. Das müsste man mit dem Verfassungsschutz machen und genauso mit dem MAD und dem BKA und einigen Landeskriminalämtern.
Auf der Höhe ihres Fachwissens und mit Anspruch auf Unfehlbarkeit haben Sicherheitsbehörden und die Politik, die dahintersteht, elf Jahre lang die Meinung vertreten, die Morde seien dem organisierten Verbrechen zuzurechnen. Seit 2011 verkündigen Sie dann wieder auf der Höhe ihres Fachwissens und mit Anspruch auf Unfehlbarkeit was ganz anderes: Der sogenannte NSU soll die Taten begangen haben. Ich glaube das nicht. Aber das ist die These des NSU-Untersuchungsausschusses, auf die sich, …
muss man auch ihm Totalversagen bescheinigen. Zu den wesentlichen Fragen, die auch die Angehörigen der Opfer beschäftigen, hat der Ausschuss gar nichts herausgefunden.
Zum Beispiel: Wie ist es möglich, dass ein Abiturient, ein Bauhelfer und eine Gärtnerin über Jahre hinweg aus dem Stand heraus ohne Anfängerfehler perfekte Verbrechen begangen haben sollen,
Morde am helllichten Tag, keine Zeugen, keine DNASpuren hinterlassen, keine Hautpartikel, keine Haare, seit 2001 noch nicht einmal Patronenhülsen?
Polizisten vermuten, dass dabei ein Profikillertrick an- gewandt wurde: Man schießt durch eine Plastiktüte, die die Patronenhülsen nach dem Feuern auffängt. Die Schmauchgase beim Abfeuern blasen die Tüte beim ersten Schuss aber auf wie einen Ballon. Dadurch kann der Schütze aber sein Ziel nicht mehr sehen und kann nicht mehr über den Lauf zielen.
Das muss man erst mal wissen. So was kann man nicht einfach googeln unter „perfekter Mord ohne Zurücklassen von Patronenhülsen“. Und da muss man auch erst mal trainieren, um unter diesen erschwerten Bedingungen trotzdem treffen zu können. Frage: Wer soll diesem Abiturienten und dem Bauhelfer das beigebracht haben? Wo sollen sie die nötige Ausbildung erhalten haben? Sie müssen professionelle Hilfe gehabt haben.
Das sagen viele Menschen aus der türkischen Gemeinde auch und fragen sich: Wer steckt dahinter? Das können die nicht allein gemacht haben.
Um ein Beispiel zu nennen: Die Entwicklung der BaderMeinhof-Gruppe war nachvollziehbar. Das waren auch Amateure – eine Germanistikstudentin, eine Journalistin, ein Rechtsanwalt, ein Kleinkrimineller.