Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der NPD auf Drucksache 6/2342. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktion der NPD auf Drucksache 6/2342 mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, CDU, DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Zustimmung der Fraktion der NPD abgelehnt.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 22: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Personalschlüssel in der medizinischen Pflege der Krankenhäuser verbessern!, Drucksache 6/2338.
Antrag der Fraktion DIE LINKE Personalschlüssel in der medizinischen Pflege der Krankenhäuser verbessern! – Drucksache 6/2338 –
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE möchte mit Ihnen, den Mitgliedern der demokratischen Fraktionen, die Rahmenbedingungen in der medizinischen Pflege der Krankenhäuser verbessern. Ganz konkret, unser Antrag heißt: „Personalschlüssel in der medizinischen Pflege der Krankenhäuser verbessern!“
Um das Anliegen nahezubringen, zunächst eine Begebenheit, die ich schildern möchte: Ein Atemwegserkrankter kollabiert im Krankenhausbett, sein aufgeschreckter Bettnachbar sieht zunächst Husten, dann eben dieses Rot-Anlaufen und Würgen, sieht, dass derjenige, der da in Not gerät, in akute, sich allein nicht helfen kann. Er betätigt die technische Rufvorrichtung, aber niemand kommt. Auch Rufen hilft nicht, wiederholtes Betätigen dieser Rufvorrichtung hilft nicht. Geistesgegenwärtig nutzt derjenige dann ein Handy und ruft den Rettungs
dienst an, der sich auch im Haus befindet. Der Notdienst eilt durchs Haus und klärt den Fall – erfreulicherweise – ganz im Interesse desjenigen, der da akut in Not geraten ist. Und selbstverständlich, wie es in solchen Situationen gang und gäbe ist, wird das analysiert und ausgewertet. Es stellte sich heraus, die Pflegekräfte auf der Station waren durch andere Interventionen gebunden, und es stellte sich weiterhin heraus, dass auf der Station chronische Personalunterbesetzung herrscht.
Dieser Fall, den ich jetzt hier geschildert habe, hat sich nicht in unserem Land zugetragen, zumindest habe ich ihn aus einem anderen Land mitgenommen und es für zweckmäßig erachtet, ihn zu benennen, weil es durchaus – und vielleicht kennen Sie auch einige Fälle – sorgenvolle Entwicklungen gibt, und Sie selbst oder wir alle Kenntnis haben von problematischen Situationen vor Ort. Dass das so ist, belegen auch Expertinnen und Experten aus der Praxis, belegen Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter von Organisationen oder Journalistinnen und Journalisten.
Ich darf daran erinnern, dass im Februar dieses Jahres die Krankenhäuser und die Krankenhausgesellschaft auf die Straßen gezogen sind. In einer bundesweiten Aktion haben sie deutlich gemacht: „Wir alle sind das Krankenhaus“. Der von uns, denke ich mal, sehr geschätzte Herr Gagzow hat seinerzeit zu Protokoll gegeben, nachlesbar in einer Presseerklärung vom 18. Februar – auch eine Kritik an uns insgesamt –: Politiker „‚ignorieren‘“ sagte er, „‚dass sich die Lage‘“ der Krankenhäuser „‚– durch ihr eigenes Zutun – in den vergangenen Jahren massiv verschärft hat‘“. Und jetzt wörtlich in der Presseerklärung: „Auf den Mitarbeitern lastet inzwischen ein enormer Druck.“ Wer will das bestreiten?
Die aktuelle Ausgabe der Zeitung der Gewerkschaft ver.di „Publik“ titelt: „Vor dem Kollaps. 162.000 … fehlen in Deutschlands Kliniken, das …personal ächzt unter ständiger Überlastung.“
Und die „Ostsee-Zeitung“ gab am 19. Oktober dieses Jahres zur Kenntnis, wörtlich: „Nachtschichten, Überstunden... Eine Hebamme muss parallel zwei oder sogar drei Gebärende betreuen.“
Derartige Befunde sind weder Jammern – das wissen wir –, noch sind sie Panikmache, sondern Konsequenz aus einer sich lange anbahnenden Entwicklung. Schaut man sich die Zahlen an, ist es sehr interessant, mal zu verfolgen, wie sich das in den letzten etwas mehr als 20 Jahren insgesamt entwickelt hat. Die Fallzahlen an den Krankenhäusern haben sich deutlich erhöht, von 1991 mit 14,5 Millionen Fällen – nicht gleichzusetzen mit Patientinnen und Patienten –, also Fällen, die in den Krankenhäusern betreut wurden, zu 2010 mit über 18 Millionen Fällen. Das ist eine Steigerung von 23,7 Prozent. Darauf haben Krankenhäuser reagiert, aber in einer sehr differenzierten Form.
Der ärztliche Dienst erfuhr einen Aufwuchs. Waren es 1991 noch 109.072 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter direkt im ärztlichen Dienst, waren es im Jahre 2010 schon 148.696 – also ein Aufwuchs von 36,3 Prozent. Das ist durchaus eine positive Entwicklung. Beim Pflegedienst jedoch, also in der medizinischen Pflege sieht
es gänzlich anders aus. Hier hat sich die Zahl der im Pflegedienst Beschäftigten bundesweit lediglich um 4,3 Prozent erhöht. Also einer Fallzahlerhöhung von mehr als 23 Prozent steht eine Erhöhung des Per- sonalbestandes bei der medizinischen Pflege von reichlich 4 Prozent gegenüber. Wen wundert es da, wenn die Gewerkschaft ver.di in einer aktuellen Umfrage aus dem Jahr 2013 erhoben hat, dass 74 Prozent der Beschäftigten in der medizinischen Pflege sich nicht mehr vorstellen können, in diesem Beruf die Rente zu erreichen. Im Jahre 2008, also vor fünf Jahren – gar nicht so lange her –, betrug die Anzahl derjenigen, die dieses angaben, 50 Prozent. Das ist doch ein sehr deutlicher Unterschied.
Was sind also die Hintergründe, sollten wir uns fragen. Da gibt es einige zu nennen. Ein – mir wichtig – zu benennender Hintergrund ist, dass das Gesundheitswesen systemisch in Marktmechanismen eingebunden ist, folglich kommt es zu Renditeerwartungen der mehr und mehr auch privaten Träger von Krankenhäusern.
Es ist zu lesen, dass Renditeerwartungen von 15 Prozent keine Seltenheit sind. Was aus einer solchen Rendite- erwartung folgt, beschrieben schon vor fast 170 Jahren Marx und Engels in „Lohnarbeit und Kapital“. Ich darf mal zitieren: „Eine rasche Zunahme des Kapitals ist gleich einer raschen Zunahme des Profits. Der Profit kann nur rasch zunehmen, wenn der Preis der Arbeit, wenn der relative Arbeitslohn“, nicht der absolute, der kann durchaus steigen, „wenn der relative Arbeitslohn ebenso rasch abnimmt.“
Ein weiterer Hintergrund für die vorhin an den Zahlen dargelegte Entwicklung sind die Mechanismen des Fallpauschalengesetzes.
Herr Heydorn, als Spezialist, der Sie sind, wissen Sie selbstverständlich, dass das Fallpauschalengesetz keine unmittelbar gültigen Mindestanforderungen an Struktur und Ergebnisqualität der Krankenhäuser hat. Die Krankenhäuser werden also nach der Formel „Preis mal medizinische Leistungen“ abgerechnet. Es liegt also in der Systematik des Fallpauschalengesetzes, dass die Zahl der Ärzte zu- und die Zahl der medizinischen Pflegekräfte abnimmt, und das kann ja wohl nicht gut sein. Hinzu kommt der von den einen gewollte und von den anderen beklagte Kostendruck. Der wiederum hat aber etwas mit Renditeerwartung, auch mit der Situation öffentlicher Haushalte zu tun.
Welche Konsequenzen erwachsen aus unzureichender Personalausstattung in der medizinischen Pflege? – Zunächst Qualitätsmängel in der medizinischen Versorgung und damit verbunden Gesundheitsgefahren für Patientinnen und Patienten. Auch das wollen wir ausdrücklich, davon gehe ich einmal aus, nicht. Und weil die Pflegerinnen und Pfleger dies abwenden wollen, weil sie eben keine Gesundheitsgefahren für die ihnen anvertrauten Patientinnen und Patienten heraufbeschwören wollen, arbeiten sie mehr, arbeiten sie intensiver und arbeiten sie schneller. In der Fachliteratur nennt man das
Arbeitsverdichtung. Ich sage, das ist Ausbeutungserhöhung, und zwar in Form der Selbstausbeutung, und eine Form der Ausbeutung an sich.
Aber, sehr geehrte Damen und Herren, bekanntlich geht der Krug so lange zu Wasser, bis er bricht. So viel und immer schneller zu arbeiten, immer intensiver, immer mehr Fälle zu betreuen, das führt mit logischer Konsequenz in höherem Maße zu einem Krankenstand des medizinischen Personals und mangelndem Arbeitsschutz. Das sind die Folgen.
Nun gibt es verschiedene Lösungsmöglichkeiten, wie man dem begegnen kann. Drei möchte ich aufzeigen. Die erste Lösungsmöglichkeit ist die, dass man über eine bundesgesetzliche Regelung, über das Sozialgesetz- buch V eine entsprechende Regelung schafft, die zur Qualitätssicherung der Leistungserbringung führt, die letztendlich dazu führt, dass eine gesetzliche Regelung, den Personalschlüssel betreffend, ins Gesetz eingepflegt wird.
Im Übrigen hat es solch eine bundesweite Regelung bereits zwischen 1993 und 1997 gegeben. Damals wurden 21.000 Arbeitsplätze in der medizinischen Pflege geschaffen. Das waren – man höre und staune – der damaligen Regierung zu viele. Sie wollte mit einem entsprechenden Programm 13.000 medizinische Pflegekräfte einstellen. 21.000 waren zu viel. Man ließ das dann 1996 auf Eis legen und 1997 gänzlich streichen. Aber das nur am Rande.
Eine zweite Möglichkeit, dem Problem zu begegnen, ist eine untergesetzliche Regelung innerhalb der Selbstverwaltung. Ich komme gleich zum Schluss.
Und die dritte Regelung, das ist das, was wir Ihnen vorschlagen, damit konnten Sie sich vertraut machen: eine Landesregelung. Wir sehen eine Möglichkeit entweder über das Landeskrankenhausgesetz Paragraf 26 oder über Feststellungsbescheide, die an die Krankenhäuser ergehen.
Ich bin gespannt auf die Diskussion und werbe an dieser Stelle noch mal um Zustimmung. – Schönen Dank.
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Ums Wort gebeten hat zunächst der Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Vertretung für die Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales.
Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe erneut die Ehre, für meine Kollegin Schwesig eine Rede vorzutragen.
Die Landesregierung dankt den Pflegerinnen und Pflegern für ihre verantwortungsvolle und hoch professionelle Arbeit.
(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Vincent Kokert, CDU: Sehr gut. – Torsten Renz, CDU: So ist es.)
spenden Trost und stehen ihnen bei, kurz: Sie vor allem verkörpern das Menschliche in einem von immer mehr Technik beherrschten Krankenhaus.
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeord- nete, die beste Bedarfsplanung – und das haben wir ja bereits diskutiert – und die besten Strukturen im Gesundheitswesen nützen nichts, wenn uns die Fachkräfte ausgehen.
In der Pflegeausbildung ist es uns gelungen, bisher die Zahl der Auszubildenden trotz sinkender Schülerzahlen konstant zu halten.
(Heiterkeit vonseiten der Fraktion der CDU und Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vincent Kokert, CDU: Wo ist das denn geschrieben worden?)