Protokoll der Sitzung vom 30.01.2014

eine nachhaltige Implementierung müssen wir uns vor Augen führen. Das wird ohnehin immer wichtiger, auch in anderen Bereichen. Die Enquetekommission „Älter werden in Mecklenburg-Vorpommern“ wird sich dem Thema Gesundheit noch widmen und da könnte die Problematik auch eine Rolle spielen. Dort werden Handlungsempfehlungen erarbeitet und dort gehört das Thema mit Sicherheit auch beleuchtet. Die Enquetekommission ist in ihrem Selbstverständnis zudem ein Gremium, das über Parteigrenzen hinweg zielorientiert arbeitet.

(Unruhe bei Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber das hast du jetzt wieder überhört, ne?

Angesichts der von Experten erwarteten Zunahme der Suchterkrankungen im Alter tut man gut daran, sich mit den Gründen und mit den Möglichkeiten der Behandlung, Rehabilitation und Prävention auseinanderzusetzen. Sucht im Alter entzieht sich weitestgehend oder weitgehend der Wahrnehmung. Häufig spielt sie sich hinter verschlossenen Türen ab, wird von Betroffenen und Mitbewohnern oder Mitbetroffenen, aber auch von Ärzten und Pflegekräften nicht erkannt, geleugnet oder bagatellisiert. Sichtbare Hinweise auf eine Suchtproblematik werden leicht fehlinterpretiert. So wird sie zum Beispiel fälschlicherweise dem hohen Lebensalter zugeschrieben oder mit Symptomen alterstypischer Erkrankungen verwechselt. Die große Bandbreite der Risikofaktoren, der Muster kritischen Konsums und der Situationen, in denen Sucht im Alter zum Problem wird, erfordert ein entsprechend differenziertes Spektrum an Interventionsmaßnahmen.

Für mich ist das Anliegen Ihres Antrages zwar nachvollziehbar, Sie sehen es mir aber nach, dass gerade Sucht als Teilthema der Gesundheit und Prävention ganzheitlich betrachtet werden muss.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Och!)

Soviel ich weiß, werden in unserem Modellprojekt die Altenhilfe und die Suchthilfe für das Thema „Sucht im Alter“ durch wechselseitigen Wissenstransfer der Mitarbeiter sensibilisiert sowie auf regionale Vernetzung und Kooperation der Dienste und Einrichtungen gesetzt.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Genau.)

Allerdings geht der Radius der notwendigen Interventionen darüber hinaus. Angesichts der besonderen Gefährdung alter Menschen durch Medikamentenmissbrauch sind vor allem auch Akteure des Gesundheitssystems einzubeziehen. Wir lehnen es deshalb ab, an dieser Stelle bereits Feststellungen und Forderungen oder Handlungsempfehlungen zu unterstützen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU – Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das war aber eine ein bisschen dünne Argumentation.)

Das Wort hat nun die Abgeordnete Frau Stramm von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Es gibt zahlreiche Beratungsmöglichkeiten für suchtkranke Menschen. Sie können rund um die Uhr die bundesweite Hotline „Sucht und Drogen“ anrufen. Diese Beratung kostet allerdings mindestens 14 Cent pro Minute. Sie können die Infotelefone der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nutzen. Diese konzentrieren sich auf die Suchtvorbeugung, die Raucherentwöhnung und die Glücksspielsucht. Diese Telefone sind teilweise kostenfrei.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktion der NPD – Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt die Bundesprojekte zu „Sucht im Alter – Fortbildung hausärztlicher Einzelpraxen“ und für „Ältere Drogenabhängige“. Und in Mecklenburg-Vorpommern gibt es, wir haben es schon gehört, die Landesstelle für Suchtfragen, die in einem vom Bund geförderten Modellprojekt in den Modellregionen Rostock und Greifswald Fachkräfte in der Alten- und Suchthilfe für die Probleme von Sucht im Alter qualifiziert hat.

Hilfe im Notfall müsste demnach greifen. Das ist aber nicht immer der Fall, zum einen, weil die Hilfen und die Unterstützungsangebote nicht flächendeckend bekannt sind, zum anderen, weil Sucht im Alter immer noch weitgehend tabuisiert wird. Wer redet schon gern den Großeltern, die bereits am Vormittag zu viel Alkohol getrunken haben und herumtaumeln, ins Gewissen? Wer möchte das mit seiner Mutter oder Schwiegermutter machen, wenn sie meint, nur noch mit Schmerz- und Schlaftabletten leben zu können, und kaum mehr sie selbst ist? Die Sucht der Eltern und Großeltern ist für Angehörige zutiefst problematisch. Sie rührt an Familienrollen und etablierten Mustern. Man will keinen Ärger und versucht, die Abhängigkeit zu ignorieren oder herunterzuspielen.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

So verhalten sich auch viele professionelle Helfer. Damit lösen wir aber kein gesellschaftliches Problem. Um den Betroffenen und ihren Familien zu helfen, muss die Sucht im Alter von der Gesellschaft anerkannt werden. Sie muss aus der Tabuzone heraus, sie muss thematisiert werden. Familien und professionelle Helfer müssen zur Hilfe befähigt werden. Hierzu taugt die geforderte bessere Kooperation von Alten- und Suchthilfe als erster Schritt. Eine Informationskampagne, aufsuchende Hilfen, die nicht stigmatisieren, und ein Ausbau der anonymen Beratung sind sinnvolle Ergänzungen, ebenso wie Angebote für Freizeit- und Begegnungsstätten wie beispielsweise die Mehrgenerationenhäuser.

Wir müssen die bereits gewonnenen Erfahrungen der Suchtprävention und der Suchttherapie für ältere Menschen in Mecklenburg-Vorpommern verbreiten. Deshalb unterstützt die Linksfraktion den vorliegenden Antrag. – Danke.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Barlen von der Fraktion der SPD.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zweifelsohne leben wir in einem Bundesland, das deutlich stärker und das vor allen Dingen auch deutlich früher mit den Folgen einer älter werdenden und auch schrumpfenden Bevölkerung umzugehen hat, und, wie Frau Friemann-Jennert es schon treffend angesprochen hat, nicht nur im Rahmen von Landtagssitzungen, sondern auch in der Enquetekommission „Älter werden in Mecklenburg-Vorpommern“ befassen wir uns aus diesem Grunde sehr gewissenhaft mit den ganz unterschiedlichen Dimensionen dieser, man kann sagen, fast alle Lebensbereiche umspannenden Herausforderung. Dazu gehören auch das Thema „Medizinische und pflegerische Versorgung“ – das ist übrigens nach dem Thema „Wohnen im Alter“ das nächste Thema im Beratungsfahrplan der Enquetekommission – und darüber hinaus natürlich die Teilhabe am sozialen und die Teilhabe am kulturellen Leben. Gesundheit und Teilhabe sind also beides wichtige Aspekte, wenn wir zum vorliegenden Antrag über die Sucht und die Prävention im Alter sprechen.

Meine Damen und Herren, Alkoholsucht oder Medikamentenabhängigkeit im Alter, um die wesentlichen Süchte zu nennen – es gibt eine ganz große Reihe an Süchten, das ist in der Tat richtig, aber die vorherrschenden Süchte sind Alkoholsucht und Medikamentenabhängigkeit –, sind aufgrund der veränderten Lebenssituation von Seniorinnen und Senioren ganz sicher in diesem Zusammenhang gesondert zu betrachten. Der suchtbedingte Rückzug Älterer fällt natürlich im Gegensatz zu jungen Menschen, die abhängig sind, weniger auf, schließlich sind die älteren Herrschaften in aller Regel nicht mehr im Erwerbsleben und daher gibt es beispielsweise auch keine Probleme am Arbeitsplatz.

Gleiches gilt für die oftmals auch im Zusammenhang mit einer Sucht zu beobachtende unbemerkt voranschreitende Verwahrlosung der immer häufiger allein lebenden und auch sozial isolierten Abhängigen. Die je nach Grad des Alkohol- beziehungsweise Tablettenmissbrauchs beschleunigte Verschlechterung des gesundheitlichen und geistigen Allgemeinzustands sowie sich häufende Stürze werden zuweilen gar nicht mit der Sucht, sondern einfach mit normalen Alterserscheinungen erklärt. Da sagt man, der- oder diejenige ist nun mal alt und wackelig und vielleicht insgesamt ein bisschen hinfällig. Dass aber neben Alkohol auch die dauerhafte Einnahme bestimmter Psychopharmaka das Sturzrisiko um bis zu 90 Prozent erhöht, also fast verdoppelt, ist leider wenig bekannt.

Handelt es sich bei der Sucht um eine Medikamentenabhängigkeit, werden nicht selten die auftretenden Nebenwirkungen der maßlos konsumierten Medikamente als Symptome anderer neuer Erkrankungen interpretiert. Und auch das hat dann wiederum die Behandlung einer neuen Erkrankung zur Folge, die wiederum nur die Symptome und die Nebenwirkungen anderer Medikamente sind.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist ein Teufelskreis.)

Genau. Analysen und Auswege aus diesem Teufelskreis haben wir hier im Landtag vor einigen Sitzungen beim Thema Übermedikation diskutiert.

Meine Damen und Herren, auch die möglichen Ursachen für die Sucht im Alter müssen wir uns selbstverständlich

ansehen. In gewisser Weise liegen diese auf der Hand: Nach dem Ausscheiden aus dem Berufsleben oder nach dem Tod eines Partners oder einer Partnerin verlieren viele ältere Menschen ihr soziales Netzwerk und haben auch nicht allzu selten finanzielle Einbußen hinzunehmen. Ebenfalls gehen die altersbedingt häufiger auftretenden körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen mit individuellem Leid und auch mit Schmerzen sowie einer eingeschränkten Mobilität einher. Das alles sind natürlich keine Rechtfertigungen für den Missbrauch von Suchtmitteln, wohl aber Erklärungsansätze.

Meine Damen und Herren, hinzu kommt, dass bei älteren Suchtkranken allzu oft eine Intervention gescheut wird. Neben dem Hinweis auf das individuelle Recht, nicht nur auf eine freie Entfaltung der Persönlichkeit, sondern auch auf Schnaps und Pillen, kann man sagen, dient des Öfteren auch ein, „Na ja, das bringt eigentlich sowieso nichts mehr bei so alten Patientinnen und Patienten“, als Erklärung für eine in meinen Augen zu passive Haltung gegenüber Sucht im Alter. Und dabei sollten wir dringend darauf achten, den alten und hochbetagten Menschen des Landes Angebote zu machen und Hilfestellungen zu bieten, damit sie selbstbestimmt und selbstbewusst und auch wirklich bewusst, und nicht fremdbestimmt durch ihre Sucht, ihr Leben bis zum Ende leben können. Insofern ist angezeigt, meine Damen und Herren, sich dem Phänomen „Sucht im Alter“ weiter offensiv und auch gemeinsam mit den zahlreichen schon heute beteiligten Akteuren in Mecklenburg-Vorpommern zu stellen.

So fand beispielsweise gerade gestern die Fachveranstaltung „Sucht im Alter“ der Landesstelle für Suchtfragen statt. Dort wurde über das vom Bundesministerium für Gesundheit finanzierte Projekt „Sucht im Alter“ diskutiert,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Worauf wir uns beziehen.)

das zwischen 2011 und 2013 von der Landesstelle in den Modellregionen Rostock und Greifswald durchgeführt wurde. Die Ergebnisse werden eine gute Grundlage bieten, auch in anderen Regionen die ohnehin bestehenden Netzwerke hinsichtlich der Sucht im Alter zu sensibilisieren und sie ebenfalls besser zu verzahnen.

Das geförderte Projekt der Landesstelle hatte den ersten Punkt des vorliegenden Antrages, nämlich die bessere Vernetzung zwischen den Akteuren in der Sucht- und Altenhilfe

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Genau.)

sowie die Qualifizierung der Pflege, genau diesen Punkt hatte das Projekt zum Inhalt,

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und darauf sollte man aufbauen.)

und hier möchte ich mich ausdrücklich dem Vorschlag von Ministerin Hesse anschließen, dass wir zunächst einmal die Vorstellung des Abschlussberichtes in allen beteiligten Gremien abwarten und dann sehen sollten, wie die Ergebnisse auch auf andere Landkreise übertragen werden können.

Meine Damen und Herren, hierbei schaffen wir durch eine kontinuierliche Landesförderung die Voraussetzung

für eine funktionierende Beratung vor Ort. In diesem Zusammenhang ist es sehr gut und sehr richtig, dass wir uns als Land Mecklenburg-Vorpommern finanziell an der Landeskoordinierung beteiligen und die Kommunen finanziell dabei unterstützen, ihrer Aufgabe nach Paragraf 21 ÖGDG M-V nachzukommen und ein solches gutes Beratungsangebot für Suchtkranke und von Sucht Bedrohte zu schaffen.

Und, liebe Frau Gajek, die von Ihnen initiierte Kleine Anfrage 6/2445 gibt auch auf einen anderen Punkt Ihres Antrages bereits eine klare Antwort, die es zur Kenntnis zu nehmen gilt. So trägt nämlich beispielsweise die im Oktober 2013 erlassene Richtlinie für die Gewährung von Zuwendungen an die Träger von Beratungs- und Behandlungsstellen für Sucht- und Drogenkranke und -gefährdete ganz eindeutig dazu bei, dass schon heute auf Betroffene zugehende Strukturen möglich sind und dass auch schon heute mobile und zugehende Lösungen praktiziert werden.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch die Forderung nach einer Berücksichtigung suchtbezogener Inhalte in den Kurrikula der Pflegeausbildung ist insofern entbehrlich, als dies schon heute der Fall ist. Hinzu kommen die aktuellen Arbeitsergebnisse der Arbeitsgemeinschaft des Bundesministeriums für Gesundheit zu allen Projekten „Sucht im Alter“, in der auch vonseiten Mecklenburg-Vorpommerns mitgearbeitet wurde. Entstanden ist ein gesondertes siebzigstündiges Modul zur Medikamenten- und Alkoholabhängigkeit im Alter.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Da frage ich mich, warum man dann noch mal so was macht.)

Zudem hat Ministerin Hesse in ihrer Rede zugesichert, eine zielführende statistische Datenerfassung auf Bundesebene zu unterstützen. Somit ist auch dieser Punkt des Antrages erledigt.

Zum Thema „Einrichten einer Informationskampagne zu ‚Sucht im Alter‘“ sollte man sich nicht nur über die Zielgruppe und Instrumente klar werden, sondern man sollte auch wirklich kritisch hinterfragen, wer eine solche Informationskampagne denn tragen sollte, wenn nicht die sehr zahlreichen und vor allen Dingen öffentlich zu diesem Zweck geförderten Beratungsstellen.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Wie bitte?)

Die sind ja, also eine Beratungsstelle ist dazu da, zu beraten

(Heiterkeit bei Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Mit dem Geld?!)

und der Öffentlichkeit Informationen zur Verfügung zu stellen.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Auf Projektförderungsebene?)

Meine Damen und Herren, wie schon bei der Debatte zur Übermedikation in einigen Landtagssitzungen in der Vergangenheit möchte ich auch mit dem Blick auf den