Protokoll der Sitzung vom 16.10.2014

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Borchardt für die Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem meine Fraktion in der letzten Landtagssitzung einen Antrag „Opferschutz justizpolitisch stärken“ eingebracht hat, den Sie, wie ich gestern gelernt habe, selbstverständlich abgelehnt haben, kommen Sie nun mit einem Antrag mit dem Titel „Opfer besser schützen“ um die Ecke.

Ich begrüße es ausdrücklich, dass wir hier in diesem Hohen Haus die Frage des Opferschutzes thematisieren. Wenn ich mir allerdings Ihren Antrag genau ansehe, dann kommen mir doch Zweifel in Bezug auf die Ernsthaftigkeit Ihres Anliegens.

(Torsten Renz, CDU: Nee?!)

Mit Ihrem Antrag wollen Sie erreichen, dass der Landtag feststellt, dass die strafrechtliche Regelung des Paragrafen 238 StGB ein Papiertiger ist. Ja, meine Damen und Herren, das ist wohl so, aber als dieser Paragraf von Ihrer Koalition eingeführt wurde, haben zahlreiche Justiz- und Opferverbände auf die von Ihnen nun beschriebenen Probleme hingewiesen.

Zweitens wollen Sie mit Ihrem Antrag erreichen, dass die Landesregierung im Rahmen einer Bundesratsinitiative auf die Änderung des oben genannten Paragrafen hinwirkt. Die Justizministerin hat jetzt gesagt: und die anderen Bundesratsinitiativen unterstützen.

Sei es, wie es sei, meine Damen und Herren, natürlich ist Opferschutz eine wichtige Sache, das ist gar keine Frage. Dass Opfern von Straftaten Hilfe zuteilwerden muss, darüber sind wir uns, denke ich, alle einig. Die Frage ist nur, die man sich auch stellen muss: Wie erreiche ich dieses Ziel und können die angedachten Maßnahmen tatsächlich zur Stärkung des Opferschutzes beitragen? Bei dem vor

liegenden Antrag ist das zumindest fraglich. Ich werde Ihnen auch erklären, warum.

Im Grunde genommen beziehen Sie sich auf einen Beschluss der 198. Innenministerkonferenz beziehungsweise auf den Beschluss der Justizministerkonferenz. Auf eine Initiative Bayerns hin wurde die Umwandlung des Paragrafen 238 StGB von einem Erfolgsdelikt zu einem Gefährdungsdelikt beschlossen. Die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD haben das aufgegriffen und in ihrem jetzt gültigen Koalitionsvertrag festgeschrieben. Da muss man doch ernsthaft fragen, ob Sie Ihrer eigenen Bundesregierung nicht vertrauen, denn nur so kann man Ihren Antrag deuten. Obwohl die Koalition sich auf Bundesebene bereits festgelegt hat, soll nun die Landesregierung eine Bundesratsinitiative – so steht es in Ihrem Antrag – zum gleichen Sachverhalt starten. Das finde ich schon merkwürdig, aber, meine Damen und Herren, das ist eine rein formelle Bewertung Ihres Anliegens.

Kommen wir zur inhaltlichen Bewertung Ihres Antrages: Im besagten Passus des Koalitionsvertrages wird bemängelt, dass beim Stalking den Strafanzeigen auffällig wenige Verurteilungen gegenüberstünden. Das ist so. Aber ist das denn auch ein wesentliches Interesse eines Stalkingopfers? Wir meinen, nein. Das einzige Interesse von Stalkingopfern ist es, dass das Stalking aufhört, und das so schnell wie möglich und so nachhaltig wie möglich. Wer glaubt, er könne mit einer Strafverschärfung das Problem des Stalkings in den Griff bekommen, verkennt völlig die Ursachen.

Zunächst einmal ist ohnehin mehr als zweifelhaft, dass Strafverschärfungen überhaupt Straftaten eindämmen können.

(Zuruf von Manfred Dachner, SPD)

Beim Stalking gilt das umso mehr. Aus diesem Grund hat sich DIE LINKE immer generell gegen diese Norm ausgesprochen, denn Stalking hat eine völlig andere Basis als andere Straftaten. Soziale Phänomene bekommen Sie nicht durch das Strafrecht in den Griff. Strafrechtliche Verurteilungen können hier am Ende sogar das Gegenteil des ursprünglich Gewollten bewirken.

Zweitens. In der Bundesrepublik gibt es bereits jetzt zahl- reiche rechtliche Bestimmungen, die angewandt werden müssen, so zum Beispiel die Regelungen des Gewaltschutzgesetzes, wie Platzverweise oder Kontaktverbote, die aus unserer Sicht viel mehr bewirken können und zum Erfolg führen. Das Gefahrenschutzgesetz kommt in allen Fällen zum Tragen, in denen eine einzelne Tathandlung eine physische oder psychische Verletzung bewirkt und die Schutzanordnung der Vorbeugung einer weiteren Schädigung dient. Ein einmaliger Vorgang reicht somit aus, allerdings bedarf es einer positiven Prognose bezüglich eines Wiederauftretens der betreffenden Haltung.

Bereits bei den Beratungen der Gesetzesnorm im Rechtsausschuss des Bundestages im Jahre 2006 wurde kritisch hervorgehoben, dass eine Stalkinggesetzgebung, die mit einer Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen operiere – und darin liegt das Problem –, zwangsläufig zu einer hohen Einstellungsrate der Verfahren führen müsse und das Vertrauen auf eine effektive strafrechtliche Verfolgung von subjektiv als Unrecht empfundenen Beeinträchtigungen somit schwinde. Und schauen Sie sich die

Verfahrensdauer an! Sie beträgt beim Gefahrenschutzgesetz im Mittel 6,6 Monate, beim Paragrafen 238 StGB 11,8 Monate.

Bei der Umsetzung des Gewaltschutzgesetzes kommt der Polizei eine besondere Rolle bei Erstkontakten mit den Opfern zu, wie zum Beispiel die Information über Verhaltensempfehlungen für die Opfer und weitere Informationen zum Verfahren, Aufklärung über Maßnahmen zum Gewaltschutzgesetz, verweisen auf Beratungsstellen und so weiter. Gemäß den hier an die Strafvorschriften angepassten Polizeigesetzen verfügt also die Polizei über eine Reihe von Maßnahmen zur Eindämmung des Tatbestandes und damit zum Schutz der Opfer.

Meine Damen und Herren, ich habe bereits darauf hingewiesen, dass ein grundlegendes Problem des Stalkingparagrafen von Anfang an seine Unbestimmtheit war. Wenn nicht klar ist, was schwerwiegende Beeinträchtigungen der Lebensgestaltung überhaupt sind, erübrigt sich die Frage, ob die nun konkret oder abstrakt vorliegen. Hieran ändert auch der Änderungsvorschlag nichts.

Weiterhin soll die Strafverschärfung damit begründet werden, dass die Ausgestaltung als Erfolgsdelikt von der persönlichen Konstitution des Opfers abhängt. Es wird kritisiert, dass eine Strafbarkeit davon abhängt, wie hart- oder weichgesotten ein Opfer ist. Das wird als unhaltbarer Zustand dargestellt. Man übersieht aber, dass es bei der Nötigung auch so ist, ohne dass sich hieran bisher jemand gestört hat. Das Argument der unterschiedlichen Empfindsamkeit der Opfer überzeugt also nicht.

Meine Damen und Herren, man muss sich auch fragen, ob eine Strafverschärfung überhaupt notwendig ist und, wenn ja, ob der hier vorgeschlagene Weg der richtige ist.

(Manfred Dachner, SPD: Es spricht doch auch niemand von Verschärfung.)

Tatsache ist, dass das Gewaltschutzgesetz eine Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten gegen Stalker bietet. Tatsache ist auch, dass in schweren Fällen des Stalkings meist andere Straftatbestände wie Nötigung, Bedrohung oder Hausfriedensbruch mit erfüllt sind, die dann greifen. Fasst man zusammen, bleibt als notwendiger Handlungsbedarf der Bereich, wo ein Täter so hartnäckig ist, dass das Gewaltschutzgesetz nicht ausreicht und er Tathandlungen begeht, die noch keinen anderen Straftatbestand erfüllen.

Ich sehe vorliegend jedoch nicht, wie die Umwandlung von einem Erfolgs- in ein Gefährdungsdelikt explizit diesen Bereich angreift, weil nur darin ja das Problem liegen kann. Wie gesagt, alles andere wird bereits durch bestehende Regelungen effektiv abgedeckt.

Meine Damen und Herren, richtig ist, dass die Opferschutzverbände eine Strafverschärfung sicherlich be- grüßen werden. Das respektieren wir. Wenn wir ehrlich sind, liegt das wohl auch daran, dass die Hürden für eine Verurteilung wegen Stalkings sehr hoch liegen und jede Veränderung, die eine Verbesserung sein könnte, erst einmal willkommen ist, denn zunächst muss die Tathandlung nachgewiesen werden, dann der Taterfolg, also die schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung, und zuletzt auch der entsprechende kausale Zusammenhang.

Vergessen darf man an dieser Stelle aber auch nicht, dass die Hürden beim Stalking bewusst vom Gesetz- geber hoch gelegt wurden. Richtig ist, dass die schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung schwer nachzuweisen ist, denn: An welchen Parametern wird sie festgemacht? Nach außen ist sie kaum erkennbar. Dass die Opfer vielfach stark beeinträchtigt sind und sich einer erheblichen Drucksituation ausgesetzt sehen, steht für mich außer Frage. Aus diesem Blickwinkel würde die hier vorgeschlagene Strafverschärfung sogar zielführend sein, aber sachgerecht ist sie deshalb nicht, denn dafür muss man auch rechtsstaatliche Grundsätze ins Auge fassen.

Man sollte schauen, ob sich eventuell andere Möglichkeiten bieten, den Paragrafen 238 StGB aus Opferschutzgesichtspunkten zu verbessern, denn dass er in seiner jetzigen Form eine Fehlkonstruktion ist, denke ich, ist unbestritten. Zum Beispiel könnte man die Einführung psychologischer Beeinträchtigungen als zusätzlichen Tat- erfolg festschreiben. So wird es gefordert vom Frauennotruf in Rheinland-Pfalz.

Meine Damen und Herren, meine Fraktion steht zur Stärkung des Opferschutzes, eine Festschreibung des Paragrafen 238 StGB nur in eine bestimmte Richtung halten wir aber für falsch. Wir Politikerinnen und Politiker sollten sehr verantwortlich mit Strafverschärfung umgehen. Bei aller Achtung gegenüber den Opfern dürfen wir nicht den Eindruck vermitteln, dass wir mit Strafverschärfung die Probleme lösen können. Das sieht man schon jetzt an der Fehlkonstruktion des bestehenden Paragrafen.

Meine Fraktion wird dem Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zustimmen und sich ansonsten zu Ihrem Antrag der Stimme enthalten. Wir hoffen allerdings, wenn der im Koalitionsvertrag festgeschriebene Ansatz im Bundestag behandelt wird, dass alle Möglichkeiten zum Schutz der Opfer – wie vor Stalking – auf den Tisch gepackt werden, damit den Opfern wirklich geholfen werden kann. Beruhigungspillen helfen da nicht weiter. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Frau Borchardt.

Das Wort hat jetzt der Fraktionsvorsitzende, nein, die Abgeordnete Frau Gajek für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN.

Ja, Überraschung! Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie Sie das eben schon mitbekommen haben, ursprünglich wollte Herr Suhr reden, der kommt ja aus dem Rechts- und Europaausschuss, aber ich denke, diese Debatte braucht auch eine sozialpolitische Komponente, und so verstehen Sie bitte auch unseren Antrag.

Frau Kuder, ja, Opfer dürfen wir nicht alleinelassen, so, wie Sie gesagt haben, und ich denke, da sind sich alle demokratischen Parteien einig. Auch ich und meine Fraktion denken, dass nur – ich bin jetzt, wie gesagt, keine Rechtlerin – die Umschreibung eines Erfolgsdeliktes in ein Eignungsdelikt nicht ausreicht.

Ich möchte verweisen auf eine Anhörung, die am 19.03. dieses Jahres in Nordrhein-Westfalen durchgeführt wur

de, wo sich auch unterschiedliche Menschen positioniert haben. Als Erstes möchte ich auf die Frage der Opfer eingehen. Es ist hier immer wieder gesagt worden, dass von Stalking meistens Frauen betroffen sind. Ja, aber es gibt auch betroffene Männer, und dort sind die Zugänge möglicherweise nicht immer so gut, nämlich die zur Beratung, Betreuung und Begleitung. Auch gibt es gleichgeschlechtliches Stalking.

(Vincent Kokert, CDU: Wo findet das statt, Frau Gajek? Liegen da konkrete Fälle vor?)

Das sind Punkte, die man in diesem Kontext durchaus betrachten muss.

Aber ich möchte jetzt zum Eignungsdelikt kommen. Es ist ja die Frage, und das hat Frau Borchardt sehr gut ausgeführt: Bietet das Eignungsdelikt einen besseren Opferschutz?

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Die Diskussionen, die geführt werden, sind eben ein Pro und Kontra, und so, wie Herr Wolf Ortiz-Müller von „Stop Stalking“ Berlin in der Anhörung gesagt hat, kann man sehr wohl auch von Symbolpolitik sprechen.

(Vincent Kokert, CDU: Ach, wir übertragen wieder Kompetenzen an ehrenamtliche Vereine, oder was?)

Ich nehme aber Herrn Texter und die CDU-Fraktion in- sofern sehr ernst, weil sie ja bei den Opferverbänden waren. Ich kann mir vorstellen, dass es im Kontext des Gespräches nicht nur um den Paragrafen ging, sondern insbesondere auch um Hilfe, Begleitung und Vernetzung.

(Udo Pastörs, NPD: Genau, ja.)

Ich kann mir nicht vorstellen, dass das in diesem Zusammenhang nicht genannt wurde.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Ich möchte ein Zitat, wenn die Präsidentin erlaubt, vortragen, und zwar: „Unsere Erfahrung aus fünf, sechs Jahren Täterarbeit ist, dass sich Stalker oft nicht durch Strafandrohung steuern lassen. Sie befinden sich in psychischen Verfasstheiten, Ausnahmezuständen, in denen sie einen Mangel an Impulskontrolle haben, in denen sie ihr Verhalten nicht steuern können, in denen psychische Störungen zugrunde liegen, die sie aber nicht der Strafmündigkeit entheben; das ist ganz wichtig zu sagen. Sie brauchen dann professionelle Beratung, Behandlung, Therapie.“

(Gelächter bei Udo Pastörs, NPD)

„Die Strafverfolgungsandrohung schafft die Basis, ist dafür aber nicht hinreichend.“

(Udo Pastörs, NPD: Sie brauchen einen Therapeuten, ja.)

Deshalb haben wir einen Änderungsantrag geschrieben, und ich werbe hier für die Unterstützung unseres Änderungsantrages, weil es eben nicht nur um eine Gesetzesänderung geht, sondern es geht um einen anderen

Umgang. Es steht immer oder häufig der Täter im Fokus, und die Frage ist doch, wie Opfer unterstützt werden.