Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte zum Abschluss des Redebeitrags des Kollegen Barlen nehme ich mit Interesse zur Kenntnis, sie nährt aber in mir die Hoffnung, dass wir bei der Behandlung dieses wichtigen Themas vielleicht aus diesem starren Korsett – hier die Koalitionsfraktionen, dort die demokratischen Oppositionsfraktionen – herauskommen
und über diese Grenzen hinaus die notwendigen Schlussfolgerungen aus dem NSU-Desaster ziehen können, und das gemeinsam.
Und deshalb, sehr geehrter Herr Innenminister, teile ich Ihre Eingangsbemerkungen zum Umgang mit dem Rechtsextremismus im Allgemeinen und der NPD im Besonderen.
Auch Ihren anfänglichen Verweis auf die Fehler der Ermittlungsbehörden teile ich. Ihre Schlussfolgerung aber, es seien bereits umfängliche Reformvorhaben eingeleitet, teile ich nicht. Ich teile auch nicht Ihre Feststellung, dass es zum Beispiel bei den Gesetzen unseres Landes und den entsprechenden Verordnungen keinen Regelungsbedarf gäbe. Wenn es denn so wäre, stellt sich doch die Frage, warum NSU-Verbrechen auch in Mecklenburg-Vorpommern möglich waren.
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Fraktion kommt daher nicht umhin festzustellen, dass der jetzt vorliegende Bericht nicht das ist, was meine Fraktion erwartet hat, und auch nicht das ist, was der Landtag erwarten musste. Der Bericht erfüllt auch nicht das, was der Deutsche Bundestag gemeint hat,
als er die Landtage aufforderte, seine Empfehlungen nicht ad acta zu legen, sondern wirksam umzusetzen. Auch deshalb ist es zwingend geboten, dass dieser Bericht mit der heutigen Debatte nicht nur zur Kenntnis genommen wird, vielmehr ist es geboten, dass wir bei diesem Verfahrensstand als Landtag mit seinen Ausschüssen noch viel aktiver werden, um uns mit dieser Problematik auseinanderzusetzen.
Aus diesem Grund ist es gut, dass sich die demokratischen Fraktionen darauf verständigt haben, den Bericht
zur weiterführenden Beratung in den Innenausschuss zu überweisen. Aber es wäre auch gut, wenn der Rechtsausschuss des Landtages im Rahmen der Selbstbefassung sich mit diesem Bericht auseinandersetzt, denn das haben die Ausführungen von Herrn Barlen auch deutlich gemacht: Die Befugnisse des Generalbundesanwaltes sind durchaus zu hinterfragen. Wenn nämlich die Befugnisse des Generalbundesanwaltes dazu führen, dass uns in verschiedenen Gremien immer wieder mitgeteilt wird: „Wir können dazu nichts mitteilen, weil der Generalbundesanwalt das Verfahren an sich gezogen hat“, dann ist das für uns wenig hilfreich. Darüber muss man offen reden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ob Auswirkungen der Polizeistrukturreform oder Berichte zur Umsetzung der Landkreisneuordnung, Brandschutz, Datenschutz, kommunale Finanzausstattung – der Innenausschuss wäre auch ohne NSU gut ausgelastet,
aber der NSU-Komplex, seine weitere Aufarbeitung und vor allem das tatsächliche Ziel von praktischen Konsequenzen muss an dieser Stelle oberste Priorität auch für die Arbeit des Innenausschusses haben. Die Gefahr, in alte Routine zu verfallen – auch das macht der Bericht leider überdeutlich –, ist auch in Mecklenburg-Vorpom- mern keinesfalls gebannt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident! Herr Innenminister! Frau Justizministerin! Lassen Sie mich meine Hauptkritik deshalb an dieser Stelle auf den Punkt bringen. Sollte dieser Bericht der Landesregierung den Reformstand in der Arbeit der Ermittlungs- und Sicherheitsbehörden in Mecklenburg-Vor- pommern tatsächlich umfassend, vollständig und auf dem aktuellen Stand wiedergegeben haben, dann fehlt mir bei aller gebotenen fairen und sachlichen Betrachtung das Vertrauen in Versicherungen, dass sich in unserem Land etwas Derartiges wie der NSU nicht wiederholen kann. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich deshalb zu diesem Bericht vier
Erstens. Es ist gut, dass es nun endlich diesen öffentlichen Bericht gibt. Landtag und Landesregierung wissen nun voneinander, und im Grunde wissen beide, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die 47 Reformempfehlungen als Minimalkonsens fraktionsübergreifend vom Deutschen Bundestag getragen und deren schnellstmögliche landesspezifische Umsetzung von den demokratischen Fraktionen des Landtages einstimmig beschlossen wurde, wird der vorliegende Bericht den hieraus erwachsenen Anforderungen und Erwartungen insgesamt nicht gerecht. Im Gegenteil, der Bericht spricht sich weit überwiegend gegen den Auftrag des Landtages nach landesspezifischer Analyse und Umsetzung der Empfehlungen aus.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, rund 15 Empfehlungen des Bundestages wären in der Lesart der Landesregierung für unser Land überflüssig. Das geforderte Handeln sei in Mecklenburg-Vorpommern schon immer gang und gäbe gewesen. Deliktübergreifende Einschätzungen, spezialisierte Opferberatung, interkulturelle Kompetenz, V-Leute-Definition – alles schon immer so gehabt, alles kann so bleiben. Da sagt meine Fraktion
deutlich Nein. Hier ist von dem gemeinsamen Versagen etwa des Verfassungsschutzverbundes keine Rede mehr. Mecklenburg-Vorpommern erscheint als Insel der Glückseligen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei weiteren rund 20 Empfehlungen müsse dann erst eine Reaktion der Bundesebene abgewartet werden. Die zentrale Blockadeformel auf Seite 22, Fußnote 26, „Bundesrecht bricht Landesrecht“, überzeugt in diesem Zusammenhang überhaupt nicht. Der Landtag, speziell der Innenausschuss wird sich daher auch selbstkritisch fragen müssen, ob er nicht letztlich gegenüber den zuständigen Ministerien zu gutgläubig gewesen ist. In unserem Beschluss wurde nämlich neben einem Bericht auch gefordert, dass über die weitere Entwicklung in regelmäßigen Abständen im zuständigen Ausschuss zu berichten ist. Das ist ab und an erfolgt, aber immer nur nach Aufforderung meiner Fraktion oder der Fraktion der GRÜNEN. Selbstständige Berichterstattung durch das Innenministerium, so wie beschlossen, hat kaum stattgefunden. Das muss sich zwingend ändern.
Zweitens. Meine sehr verehrten Damen und Herren, statt Selbstgerechtigkeit ist in Mecklenburg-Vorpommern mit einem NSU-Mordfall und zwei Banküberfällen eine selbstkritische Reflexion der eigenen Sichtweise unserer Behörden auf die Mordserie und den unterschätzten Rechtsterrorismus dringend geboten. Der Bericht ist hier- von noch weit entfernt. Inhalt und Duktus des Berichtes offenbaren vielmehr, dass die Behörden, die Ende 2011 nach dem Auffliegen der NSU-Terrorzelle auch in Mecklenburg-Vorpommern vor den Trümmern ihrer Arbeit standen, zur alten Routine zurückgefunden haben. Wer hier Zweifel hat, der möge im Bericht nachlesen, welche Prämissen Grundlage des Reformprozesses in Mecklenburg-Vorpommern sein sollen. Der Kollege Barlen ist darauf eingegangen.
Werden aber die Ursachen für die fatalen Fehleinschätzungen durch den Verfassungsschutz, durch Polizei und Justiz nicht deutlich und umfassend benannt, dann allerdings müssen Reformforderungen wie ein Fremdkörper empfunden werden. Das spiegelt sich im gesamten Bericht wider. Die Frage, warum auch in Mecklenburg-Vor- pommern die NSU-Täter trotz V-Leute-Einsatzes, trotz Observationsmöglichkeiten und trotz G-10-Maßnahmen unerkannt blieben, diese Frage wird nicht beantwortet, weil sie nämlich erst gar nicht gestellt wurde.
Der Bericht spricht eine ganz andere Sprache. Im Polizeibereich wird für V-Personen aktuell kein Änderungsbedarf gesehen. Für den Verfassungsschutz wird stolz verkündet, dass sich die derzeitige Rechtslage für den Einsatz von Vertrauenspersonen bewährt hat. „Bewährt hat“ – vor dem Hintergrund der NSU-Verbrechen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, soll man deshalb hier lachen oder weinen? Das Lachen vergeht einem spätestens dann, wenn man zur Umsetzung der Bundestagsempfehlung Nummer 38 kommt. Hier wird gefordert, dass der Verfassungsschutz ein neues Selbstverständnis der Offenheit und keine Schlapphut-Haltung der Abschottung braucht. Der Innenminister ist darauf eingegangen. Aber hier kommt der vorliegende Bericht nicht umhin, den Landtag eines Besseren zu belehren,
wie es auch der Innenminister in seinen Ausführungen heute wieder getan hat, denn der erhobene Vorwurf der Schlapphut-Haltung treffe auf den Verfassungsschutz unseres Landes so nicht zu.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Realität sieht aber anders aus. Wenn zum Beispiel Behörden unseres Landes im Wege der Amtshilfe Einsicht in das Protokoll einer öffentlichen Zeugenvernehmung des Untersuchungsausschusses des Bundestages beantragen und erhalten, dann ist das normal. Wenn zur Begründung allerdings angeführt wird, man brauche dieses Protokoll einer öffentlichen Sitzung, um in Mecklenburg-Vorpommern die PKK unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu unterrichten, dann reibt man sich nicht nur in Berlin verwundert die Augen. Dann ist das eben nicht mehr normal und nicht mehr in Ordnung, dann ist das Schlapphut-Mentalität und nichts anderes, und das dürfen wir uns nicht länger gefallen lassen.
Drittens. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der entsprechende Bericht der Bundesregierung vom 26. Februar 2014 an den Bundestag ist zumindest bemüht, den Umsetzungsstand im Einzelnen nachvollziehbar und mit ausdrücklichem Verweis auf die jeweilige Empfehlung darzustellen. Dagegen weckt der vorliegende Bericht der Landesregierung den Verdacht, genau dies verhindern zu wollen. Der interessierten Öffentlichkeit und auch dem Landtag fällt somit ein Abgleich zwischen den 47 Empfehlungen des Bundestags-PUAs und dem Untersuchungsbericht sehr schwer.
Wir haben das dennoch getan und die 47 Empfehlungen in einer Tabelle neben den Bericht gelegt. Und wenn man das macht, wird man schnell erkennen, dass kaum eine der 47 Empfehlungen des Bundestages bislang umgesetzt worden ist oder dass kaum zu erkennen ist, dass eine der 47 Empfehlungen des Bundestags-PUAs umgesetzt werden soll. Der Mühe sollten wir uns also unterziehen, dies auch im Innenausschuss noch einmal zu dokumentieren. Da wir das Innenministerium an dieser Stelle nicht überfordern wollen, sind wir auch gern bereit, die von uns erarbeitete Tabelle dem Innenausschuss zur Verfügung zu stellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die vierte Anmerkung resultiert ebenfalls aus einem Vergleich mit dem Bericht der Bundesregierung, und das ist für mich sozusagen auch eine Messlatte im Herangehen. Während die Bundesregierung eine Ausweitung der parlamentarischen Kontrolle ausdrücklich befürwortet und entsprechende Initiativen aus dem Bundestag begrüßen würde, hat unsere Landesregierung zu den Empfehlungen Nummer 41 bis 43 ein völlig anderes Verständnis. Ihr Reformverständnis orientiert sich nicht auf die Stärkung der parlamentarischen Kontrolle, sondern lediglich auf die personelle und finanzielle Ausstattung beziehungsweise Stärkung der Verfassungsschutzbehörde. Hier müssen wir entschieden entgegensteuern, liebe Kolleginnen und Kollegen, und deshalb möchte ich namens meiner Fraktion den demokratischen Fraktionen des Landtages vorschlagen, dass wir uns zeitnah mit einer grundsätzlichen Positionierung zu einer PKK-Reform hier im Land MecklenburgVorpommern befassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, an dem vorliegenden Bericht intensiv weiterzuarbeiten, das sind wir selbstverständlich zunächst und zuerst den Opfern des NSUTerrors und ihren Freunden und Angehörigen schuldig. Das parlamentarische Vorantreiben notwendiger Reformen ist aber auch geboten, um das notwendige Vertrauen der Öffentlichkeit in die Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden wieder zu stärken.
Das wollen wir auch, weil man in einer Situation des Misstrauens nicht arbeiten kann. Aber Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Das alte Sprichwort kennen wir alle.
Ich will das auch deshalb an dieser Stelle sagen, weil wir dieses Vertrauen auch gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Behörden schuldig sind. Hier ist kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander gefragt. Das will ich auch deutlich seitens meiner Fraktion anbieten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor allen Dingen des Innenausschusses, lassen Sie uns zügig über ein Verfahren zum weiteren Umgang mit dem Bericht beraten. Ich möchte einen zweiten Vorschlag daher heute schon an dieser Stelle unterbreiten. Ich möchte vorschlagen, Mitglieder des NSU-Bundestagsuntersuchungsausschusses und aus den Landtagen, wo es Untersuchungsausschüsse zu dem Thema gegeben hat, in unseren Innenausschuss zu einem Gedankenaustausch einzuladen, um kennenzulernen, wie die Empfehlungen des BundestagsPUAs und die Erkenntnisse aus den anderen Landtagen, wo es solche Untersuchungsausschüsse gegeben hat, hier im Land umgesetzt werden können.
Etwas trockener, aber auch notwendig, scheint mir eine Berichterstattung der betroffenen Ministerien über den Stand der Überarbeitung verwaltungsinterner Vorschriften in Auswertung des NSU-Komplexes. Denn der Aussage des Innenministers, wir haben keinen Regelungsbedarf, kann ich hier und heute noch keinen Glauben schenken, es sei denn, er belehrt mich im Innenausschuss eines Besseren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen handeln – rasch, und meine Bitte ist: gemeinsam. – Danke schön.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich zu dem Thema ausführen will, möchte ich eigentlich gerne noch zwei Vorbemerkungen vorausschicken. Die könnte ich sicherlich auch irgendwo in meine Rede einbauen, aber ich denke, die sind vielleicht an dieser Stelle nicht verkehrt.
Zum Ersten: Ich stelle immer wieder fest, wenn Menschen über den Verfassungsschutz diskutieren, betrachten sie ihn wie einen normalen Teil
(Udo Pastörs, NPD: Als Spitzenorganisation wird das von den Menschen begriffen. Die sind nicht so blöd, wie Sie hoffen.)