Protokoll der Sitzung vom 29.01.2015

Das Wort hat jetzt für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Herr Dr. AlSabty.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Abschiebehaft kann man aus vielen Gründen ablehnen. Es gibt juristische beziehungsweise rechtsstaatliche Bedenken. Es gibt Zweifel an der Notwendigkeit dieser Maßnahmen.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Genau.)

Der finanzielle Aufwand wird zunehmend kritisch hinterfragt. Meine Fraktion lehnt diese Haft zur Durchsetzung staatlichen Verwaltungshandelns vor allem aus humanitären Gründen ab.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Unser prinzipielles Ziel ist es, dieses Instrument staatlichen Handelns zu überwinden. Aus diesem Grund unterstützen wir natürlich den vorliegenden Antrag.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung darf nicht Realität sein, denn es geht dabei um Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und ich bin mir nicht so sicher, ob die Verfasser dieses Gesetzes sich dieser Tatsache bewusst sind. Im Zweifel empfehle ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Abschnitt des Gesetzes zu den Kosten zu lesen. Da ist auf Seite 27 zu erfahren, dass bei den Ländern ein „Mehrbedarf an Sach- und Personalmitteln“ entsteht. Dieser kann derzeit „nicht beziffert werden“. „Im Zusammenhang mit Aufenthaltsbeendigungen“ sei „bei den Ländern“ aber „mit einer Vollzugssteigerung zu rechnen. Hierdurch können auch Einsparungen bei den Ländern bzw. Ausländerbehörden entstehen.“ Das ist für mich bürokratisch und nicht human.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einige Seiten weiter, auf Seite 32, ist dann zu erfahren unter Punkt „Sonstige Kosten“, ich zitiere: „Auswirkungen auf die Einzelpreise und das Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.“ Ende des Zitates. Durch den derzeit nicht näher zu bestimmenden Anstieg der Anzahl der Ausweisungen kann es aber „zu Einsparungen“ kommen, „zum Beispiel im Bereich der Gewährung von Sonderleistungen“. Ich habe mich beim Lesen dieser Zeilen wirklich geschämt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Dieser Gesetzentwurf darf nicht Realität in Deutschland sein.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sehr verehrte Damen und Herren, gestern haben wir von einer gemeinsamen Verantwortung für Flüchtlinge gesprochen. Heute überprüfen wir, welche Auswirkungen die Abschiebung von Flüchtlingen auf unser Verbraucherpreisniveau hat. Das darf dieser Landtag nicht geschehen lassen, hieran müssen wir die Bundesregierung hindern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, „die Bundesregierung wird dieses Gesetz spätestens fünf Jahre nach seinem Inkrafttreten evaluieren.“ Dabei geht es um positive und negative Ansätze dieses Gesetzes. So ist es auf Seite 33 zu erfahren. Dabei geht es um Akzeptanz sowie Anwendbarkeit der Regelung bei den Mitarbeitern der Behörden, bei Ausländern und bei Migrationsberatungsstellen. Von den Betroffenen, die inzwischen ausgewiesen worden sind, ist hier nicht die Rede. So ein Gesetzentwurf muss in Deutschland verhindert werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz ist in seiner Gesamtanlage hinterhältig und infam, denn es spielt Einwanderergruppen gegeneinander aus. Es verbindet positive, längst überfällige Bleiberechtsregelungen mit einer drastischen Verschärfung im Abschiebungs- und Ausweisungsrecht.

(Silke Gajek, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Das ist der Preis.)

Für den Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat dieses Gesetz eine einladende und eine abweisende Botschaft. Beide seien ein Teil einer Gesamtstrategie. Für den deutschen Anwaltsverein verknüpft der Entwurf das Bleiberecht mit tiefgreifenden Änderungen des Aufenthaltsrechts, die zulasten der Betroffenen gehen. Der Stellungnahme der deutschen Bischöfe ist zu entnehmen, dass die neuen Haft- und Ausweisungsregelungen aus Sicht der Kirchen Anlass zur Sorge bieten. Eine zustimmende Stellungnahme habe ich nirgendwo gelesen.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sehr verehrte Damen und Herren, in Punkt 3 des vorliegenden Antrages geht es um Abschaffung der Abschiebehaft und darum, dass die Landesregierung an der Entwicklung von Alternativen arbeiten soll. Unser Innenminister hat heute in seinen Ausführungen auch gesagt, er ist nicht der Auffassung seines Amtskollegen von SchleswigHolstein zum Thema Abschiebehaft. Herr Caffier sieht daher keine Notwendigkeit einer Bundesratsinitiative mit dem Ziel einer generellen Abschaffung der Abschiebehaft. Einer Pressemitteilung des Innenministers vom 26. März letzten Jahres ist aber auch ein gewisses Unbehagen unseres Innenministers zu entnehmen, ich zitiere: „Mir und uns allen ist natürlich bewusst: Abschiebehaft ist für die Betroffenen sehr schwer … und genau deshalb hat der Gesetzgeber bereits jetzt … die Hürden zur Anordnung der Inhaftnahme …“

(Im Plenarsaal klingelt wiederholt ein Handy.)

Einen Moment, einen Moment, Herr Dr. Al-Sabty.

Ich weiß nicht, wer jetzt hier irgendwie seine technischen Geräte an hat, ich fürchte mal, Herr Renz. Wenn Sie das nicht geregelt kriegen, gehen Sie bitte raus und versuchen Sie, das draußen zu regeln.

(Heiterkeit bei Peter Ritter, DIE LINKE: Das ist Neuland für Herrn Renz.)

Ich lasse nicht zu, dass hier noch mal irgendwie Musik gespielt wird, während wir eine Parlamentsdebatte führen.

Jetzt können Sie weitermachen, Herr Dr. Al-Sabty.

Ich wiederhole, ich zitiere den Innenminister: „Mir und uns allen ist natürlich bewusst: Abschiebehaft ist für die Betroffenen sehr schwer … und genau deshalb hat der Gesetzgeber bereits jetzt die Hürden zur Anordnung der Inhaftnahme sehr hoch gesetzt. Die Abschiebehaft ist Ultima Ratio“, Ende des Zitates.

Sehr geehrter Herr Innenminister, der neue Gesetzentwurf der Bundesregierung hat fast alle Hürden eingerissen und der Abbruchhammer hierfür befindet sich in Paragraf 2 Absatz 14, das heißt, es geht um die Definition des Wortes „Fluchtgefahr“. Die Bundesregierung will künftig Fluchtgefahr genau mit den Merkmalen definieren, die einen Flüchtling typischerweise charakterisieren: Wenn einer keinen Ausweis hat, wenn einer seinen Einreiseweg nicht richtig nennt, wenn einer unter Umgehung

der Grenzkontrolle eingereist ist, ein Flüchtling, der nicht alles dafür tut, dass er sofort in Abschiebehaft genommen werden kann, der kommt wegen Fluchtgefahr in Aufnahmehaft. Der Flüchtling kann also künftig tun, was er will, es gibt immer einen Grund, ihn in Haft zu nehmen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das ist der Hintergrund der ganzen Geschichte.)

Aufnahmehaft und Abschiebehaft, so definiert der Gesetzentwurf der Bundesregierung das Wort „Willkommenskultur“, liebe Kolleginnen und Kollegen. Abschiebehaft ist somit nicht mehr die Ultima Ratio, nein, sie wird der Regelfall. Künftig kann fast jeder Flüchtling, der nach Deutschland kommt, inhaftiert werden. Das widerspricht unserer gemeinsamen Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen, von der wir gestern gesprochen haben.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich meine Gedanken abschließend in zwei Bemerkungen zusammenfassen:

Erstens. Eine Abschiebung, also zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht, von Ausländern bedeutet für die Betroffenen einen schwerwiegenden Einschnitt in ihr Leben. Lassen Sie mich von meinem Job als Dolmetscher sprechen. Ich habe Abschiebefälle begleitet und ich war Dolmetscher vor vier Jahren für einen 23-jährigen Algerier. Als er abgeschoben werden sollte, hat der Mann eine Rasierklinge vor dem Tag seiner Abschiebung runtergeschluckt. Auf die Frage, warum er das getan hat, sagte er, lieber hier sterben und nicht in Algerien.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Nun überlegen Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen, was bedeutet das für einen 23-jährigen jungen Mann aus Algerien? Das zerstört Hoffnungen. Der vorliegende Antrag fordert richtigerweise, Abschiebungshaft nicht auszuweiten, sondern zu vermeiden.

(Stefan Köster, NPD: Den würde ich sofort abschieben.)

Zweitens. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung läuft auf das Gegenteil hinaus. Er will Abschiebehaft nicht vermeiden, sondern erleichtern und deutlich ausweiten. Der Gesetzentwurf darf nicht Wirklichkeit in unserem Deutschland sein.

Sehr verehrte Damen und Herren, der Gesetzentwurf hat auch positive Ansätze, zum Beispiel: Die Zuwanderung von Fachkräften in sogenannten Engpassberufen, insbesondere Krankenpflege, wird erleichtert. Noch eine positive Änderung sehe ich in den Regelungen für Opfer von Menschenhandel. Die Interessen des Opfers werden stärker in den Fokus gerückt. Das alles wiegt aber nicht die enormen Verschärfungen dieses Gesetzes auf, die ich bereits erwähnt habe.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Gesetz ist, wie gesagt, infam und inhuman. Deshalb ist die Zustimmung zum vorliegenden Antrag dringend geboten. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ums Wort gebeten hat noch einmal der Minister für Inneres und Sport Herr Caffier.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist eher unüblich, aber in dem Fall sehe ich mich doch noch mal veranlasst, weil Sie so viel Unwahres oder Halbrichtiges im Raum haben stehen lassen, das man so nicht stehen lassen kann. Obwohl die Kollegin Kaselitz und auch ich schon sehr ausführlich zu der Thematik ausgeführt haben, wird keine Willkür eingeführt, im Gegenteil. Ich habe darauf verwiesen, dass es immer eines richterlichen Beschlusses bedarf. Im Übrigen habe ich auch darauf verwiesen, wenn Sie sagen meine Fraktion, dann gilt das in der Tat …

(Dr. Hikmat Al-Sabty, DIE LINKE: Herr Minister, das sind Richter am Amtsgericht.)

Sie können ja gerne noch mal reden.

(Dr. Hikmat Al-Sabty, DIE LINKE: Herr Minister, Sie haben wenig Ahnung.)

Sie können ja gerne noch mal reden, ich mache jetzt nur die Ausführung.

(Zuruf von Dr. Hikmat Al-Sabty, DIE LINKE)

Wissen Sie, ich bin als Innenminister zuständig für Recht und Gesetz in Mecklenburg-Vorpommern und das habe ich umzusetzen. Da können Sie nicht mit irgendwelchen nicht gesetzlichen Regelungen ankommen. Wir als Große Koalition in Berlin bringen mit dem neuen Gesetz eine wesentliche Verbesserung auf den Weg. Ich habe Ihnen noch mal ausdrücklich ausgeführt, dass wir auch dem EU-Recht unterliegen, und im EU-Recht gibt es nach der geltenden Verordnung Rückführungsrichtlinien, die für alle gelten. Die gelten auch für Deutschland. Und wenn sie für Deutschland gelten, gelten sie auch für Mecklenburg-Vorpommern.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU – Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie haben doch gar kein Interesse, das zu verändern.)

Da können Sie nicht kommen und sagen, hier in Mecklenburg-Vorpommern machen wir eine andere Regelung oder ich kann das nicht verstehen.

(Zuruf von Silke Gajek, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch mal: Wir haben hier geltendes Recht umzusetzen, das Recht in Deutschland gilt für alle und das machen wir gemeinsam. Das hat nichts – und da kann ich mich nur anschließen – mit dem zu tun, was wir gestern in der Aktuellen Stunde besprochen haben. Natürlich unterstützen wir alle, die hierher als Flüchtlinge kommen.

(Der Abgeordnete Peter Ritter bittet um das Wort für eine Anfrage.)

Natürlich unterstützen wir auch die dementsprechende Willkommenskultur, das ist vollkommen außer Frage. Aber wir haben nichtsdestotrotz auch geltendes Recht umzusetzen. Das tue ich und ich beantworte keine Anfragen. – Danke.