Protokoll der Sitzung vom 02.02.2012

Und wenn wir dann hier sagen, bis 2020 garantieren wir, dass es weiterhin 35,8 Millionen Euro im Land gibt, dann ist das eine deutliche Zusage, die weitaus höher ist als das, was wir zum Beispiel in vielen anderen Bereichen –

auch bei der Polizei oder sonst wo – zusagen können, und sagen, wir lassen das Geld hier stabil. Ich sage ganz klar, wir können uns – und da können wir auch bei sinkenden Bevölkerungszahlen und zurückgehenden Solidarpaktmitteln die Augen nicht vor verschließen – die jetzige Struktur nicht mehr leisten. Das können sich auch nicht die Kommunen leisten. Da sehen wir, was gerade auch Schwerin und Neubrandenburg betrifft, dass gerade diese Städte doch mit ihren Haushalten zu kämpfen haben und sich eigentlich nicht mehr leisten können, noch deutlich mehr Geld für ihre Theater und Orchester auszugeben. Deshalb muss es hier zu Strukturveränderungen kommen.

Ich ganz persönlich habe ja schon immer dafür plädiert, dass wir genau wie in Schleswig-Holstein auch in Mecklenburg-Vorpommern perspektivisch dazu kommen, statt vier zwei Orchester im Land zu haben, die dann alle Häuser bespielen, weil wir dort in der Tat das große Kostenproblem haben.

(Jürgen Suhr, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist doch mal ein Vorschlag.)

Das haben wir nicht im Schauspiel, dort werden ja zum Teil Gehälter bezahlt, die doch sehr niedrig sind. Da ist es für mich kein Problem. Und wenn perspektivisch die vier Orchester oder die vier Orchester tragenden Kommunen zu Entscheidungen kommen, die es uns dann erleichtern, hier entsprechend zwei hochqualitative Orchester vorzuhalten, glaube ich, sind wir auf dem richtigen Weg.

Der Minister und der Staatssekretär, die sind rumgereist, sie haben fast alle Theaterstandorte besucht oder werden in Kürze alle Theaterstandorte besucht haben. Sie sind dort im Gespräch mit den Trägern, mit den Kommunen, mit den Intendanten, mit Politikern vor Ort. Aber auch die Theater und Orchester sind hier in der Verantwortung, jetzt zusammen in diesen von der Landesregierung angestoßenen Moderationsprozess ihre Konzepte einzubringen und nachzuweisen, dass diese tragfähig sind und dass wir diese auch in Zukunft finanzieren können. Wenn das gelingt, dann wird es uns auch gelingen, die zweite Stufe unseres Theater- und Orchesterkonzeptes umzusetzen, und dann kommen wir hier endlich mal zu tragfähigen Strukturen und springen nicht immer von einem Jahr ins nächste. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Koplin von der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sehr gern entgegengenommen. Wir unterstützen ihn voll und ganz.

Und ich danke Ihnen, Frau Berger, auch für die Einbringungsrede,

(Jörg Heydorn, SPD: Kollege „Wünsch dir was“.)

weil es ja wichtig ist, dass wir uns neben all den finanziellen und strukturellen Problemen über unser Kulturverständnis unterhalten.

Ich möchte gern die Frage aufgreifen, die Herr Minister Brodkorb hier in den Raum gestellt hat und für sich beantwortet hat: Ist dieser Antrag hilfreich? Wir sagen dreimal Ja, er ist hilfreich.

Er ist erstens deshalb hilfreich, weil die Probleme nach wie vor existenziell sind für die Theaterstandorte allesamt im Land. Schwerin – die akuten Probleme sind nur die Spitze des Eisbergs und auch nach der Ablehnung der letzten Anträge, in diesem Falle von uns, hat sich nichts getan, im Gegenteil, die Problemsituation ist lediglich aufgeschoben worden.

Zweitens sagen wir Ja zu dem Antrag der LINKEN und sagen damit auch Ja dazu, dass der Antrag hilfreich ist, weil die Theater und Orchester, wenn sie denn umstrukturiert werden sollen, wenn sie sich konzeptionell neu aufstellen wollen, Zeit brauchen. Es müsste gelingen, in den kommenden zwei Jahren nicht nur ein Konzept zu erarbeiten, um Zielvereinbarungen zu treffen, sondern gleichzeitig auch praktikable Lösungen zu finden und ein tragfähiges Finanzierungsmodell zu erarbeiten, das die Sicherung der Theater und Orchester in MecklenburgVorpommern ermöglicht. Dies geht in einem dialoghaften und transparenten Prozess jedoch nur mit Zeit. In dieser Zeit sollen die Schauspielerinnen und Schauspieler, Musikerinnen und Musiker et cetera pp. die Möglichkeit haben, ihrer Berufung, ihrem Beruf nachzugehen, ohne ständig existenzielle Ängste ausstehen zu müssen, denn es ist doch ein Unding, dass wir verlangen, dass in einer solchen Situation permanenter Insolvenzgefahr erwartet wird, dass die Künstlerinnen und Künstler jeden Abend auf die Bühne gehen und beste Qualität abliefern.

Und ein dritter Punkt ist hilfreich. Das ist aus aktuellem Anlass, Sie wissen, heute Nachmittag werden die Unterschriftenlisten der Volksinitiative überreicht. Es sind jetzt noch Unterschriften aus dem Raum Stralsund von den Chormitgliedern mitgebracht worden und es haben Belegschaftsmitglieder des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Neustrelitz Unterschriften gesammelt. Es werden heute Nachmittag 50.787 Unterschriften über- geben.

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist doch ein tolles Zeugnis dafür, wie verbunden die Menschen in diesem Land mit ihren Theatern und Orchestern sind. Es haben natürlich viele unterschrieben, die regelmäßig oder häufig ins Theater gehen. Es haben aber auch viele unterschrieben – junge Muttis und Vatis mit ihren Kinderwagen vorweg – und haben gesagt, wir wollen wenigstens die Möglichkeit haben, dass die Theater und Orchester für uns offen sind und für unsere Kinder dann auch etwas bieten.

Ist das Konzept gescheitert, ist die Frage, und diese Frage verwundert mich aus Ihrem Mund aus folgendem Grunde: In Ihrer Koalitionsvereinbarung haben Sie geschrieben, dass das Konzept für die Theater und Orchester in diesem Land grundsätzlich überarbeitet werden muss.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Richtig.)

Was heißt das, grundsätzlich überarbeiten? Heißt das, dass vom Grunde her ein neuer Ansatz gefunden werden muss? Also das ist ein anders Wort für scheitern, ja? Und

nun sagen Sie, nein, wir sind ja auf gutem Wege und wir machen. Was ist aber der Maßstab für das Gelingen eines Konzeptes? Der Maßstab kann doch nur sein, dass es an seiner eigenen Zielstellung gemessen wird und nicht am Wohlbefinden oder an der Gefühlslage von zwei Intendanten. Also das kann es ja wohl nicht sein.

Es gab zwei Ziele, die mit dem Konzept verbunden waren und die mit ihm verbunden sind:

Erstens, die Sicherung der Qualität. Was das betrifft, unter diesen schwierigsten Bedingungen darf man davon ausgehen, dass nach wie vor Qualität in den Theatern und Orchestern des Landes geleistet wird.

Die zweite Zielstellung ist meilenweit verfehlt worden. Die zweite Zielstellung heißt nämlich: langfristige Sicherheit für die Theater- und Orchesterstrukturen in diesem Land. Das ist mitnichten so. Da brauche ich jetzt gar nicht die Zeitung zu wälzen und irgendwelche Zitate zu bringen, wenn Sie ehrlich zu sich selber sind, wissen Sie das selbst, dass es hinten und vorn nicht hinhaut, und in einem guten Moment haben Sie das selbst in Ihrer Koalitionsvereinbarung dargelegt. Es braucht also eine grundsätzliche Überarbeitung.

Die Frage ist doch auch, dass wir an dieser Stelle mal darüber nachdenken, was bedeuten Theater und Orchester für uns aus kulturpolitischer Sicht? Sie sind weit vernetzt mit den Literaturhäusern, vernetzt mit den Musikschulen. Das ist doch ungeheuer wichtig, dass es dieses Netzwerk gibt und dass es keine Risse bekommt.

Zweitens, der bildungspolitische Aspekt. Gerade Sie seitens der SPD und seitens der CDU haben in Ihrer Koalitionsvereinbarung massiv betont, wie wichtig kulturelle Bildung ist. Dann nehmen Sie sich doch mal selber beim Wort!

Und das Dritte ist arbeitsmarktpolitisch. Wir kämpfen, Herr Ministerpräsident, doch nach wie vor um jeden Arbeitsplatz. Warum denn nicht um die fast 1.500 Kolleginnen und Kollegen in den Theatern und Orchestern? Sind das Arbeitsplätze zweiter oder dritter Klasse? Das kann doch wohl nicht sein.

Und das Vierte, der wirtschaftspolitische Aspekt. Es gibt eine ganz enge Verbindung zwischen Theatern und Orchestern und dem Tourismus, Theatern und Orchestern und der Gastronomie, hier ließe sich vieles aufzählen.

Ich möchte abschließend etwas zum Geld sagen. Also zu dem Geld: Die Einnahmepotenziale sind unbestreitbar, die es in den Theatern und Orchestern gibt. Das sehen die Kolleginnen und Kollegen dort selbst so, das sehen auch die Intendanten so, aber wie gesagt, wenn sie nicht die Zeit haben, dann beißt sich die Katze in den Schwanz. Sie können sich die Bilanzen anschauen anhand der Theaterstatistik der letzten drei Jahre. Jede Geschäftsführung, jeder Aufsichtsrat muss wissen, wo da die Schwachstellen sind, die sind anhand der Bilanzen leicht zu finden, wo es Einnahmepotenziale gibt.

Aber die Ländervergleiche, die wir hier haben, hauen doch hinten und vorne nicht hin. Wir müssen uns nämlich erst verständigt haben, was sie uns in unserem Land bedeuten, und nicht immer im Vergleich mit anderen. Wir haben uns letztens hier mit der Vorlage vom Landesrechnungshof so schwergetan. Da steht drin, das Saar

land gibt 25 Millionen Euro für die Theater und Orchester aus, wir geben 36 Millionen Euro aus. Ja, wir haben vier Mehrspartentheater und zwei Einspartentheater. Das Saarland hat ein Theater und gibt für das eine Theater 25 Millionen Euro aus. Also wir können uns sozusagen die statistischen Daten um die Ohren hauen, das entzieht uns nicht der Aufgabe oder wird nicht zu machen sein, ohne zu klären, was die Theater und Orchester uns bedeuten.

Und dann noch etwas: Was wäre wenn? Also, Herr Rein- hardt, mit welcher Leichtigkeit Sie über das Abwickeln von Orchestern reden, das treibt mir Schauer über den Rücken. Ja.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Sehr richtig.)

Ich sage Ihnen nämlich, Sie spielen auch mit dem Gelde, ja. Sie tun so, als würde man dadurch Einsparungen erzielen. Ich will Ihnen ganz kurz sagen, was es bedeuten würde, zwei Orchester abzuwickeln: Die Orchester haben natürlich Tarifverträge, haben Ansprüche daraus. Das ist gut so.

(Marc Reinhardt, CDU: Ich hab das auch perspektivisch gesagt.)

Ja natürlich, perspektivisch oder sofort, das können Sie jetzt nehmen, wie Sie wollen.

(Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

Aber sicher.

Das Vorpommern-Theater hat mal durch die Geschäftsführer, Herrn Dr. Steffens und Herrn Westphal, ausrechnen lassen, was es heißen würde, ein Orchester von der Größe in Greifswald/Stralsund abzuwickeln.

(Marc Reinhardt, CDU: Einfach die neuen Stellen nicht besetzen.)

Die neuen Stellen nicht besetzen? Die spielen alle Flöte am Ende, oder was? Also das ist ein Kulturverständnis …

(Beifall vonseiten der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Peter Ritter, DIE LINKE: Mundharmonika.)

Aber ich bleibe mal bei den Zahlen, weil ich denke, Sie sind hochgradig inkompetent auf der Strecke.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Sehr richtig. Sehr richtig.)

Die Abwicklung eines Orchesters kostet zwischen 8,5 und 9 Millionen Euro Abfindung, mal zwei sind das round about 17 Millionen Euro Abfindung, plus – vom Landesrechnungshof attestiert – 2,9 Millionen Euro Mindererlöse,

(Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

weil ein Orchester, das es nicht mehr gibt, natürlich nicht spielen kann. Summa summarum: Was kommt dabei heraus? Dabei kommt heraus, dass Sie volkswirtschaftlich gesehen vor dem Jahr 2022 einen Effekt überhaupt nicht erzielen werden. Das heißt, Sie werden mehr ausgeben, als es Ihnen an vermeintlicher Ersparnis bringt.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das ist wie bei der Kreisgebietsreform.)

Aber der kulturelle Schaden, der wird da sein und der ist nicht akzeptabel.

Das alles ist uns Grund genug, zu sagen,