Protokoll der Sitzung vom 02.02.2012

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Die angemeldete Redezeit wurde um zwölf Minuten überschritten. Gemäß Paragraf 85 Absatz 1 steht der über die vereinbarte Redezeit hinausgehende Zeitraum den Oppositionsfraktionen zusätzlich zur Verfügung.

(Michael Andrejewski, NPD: Und was ist mit Schmerzensgeld?)

Das Wort hat der Abgeordnete der CDU-Fraktion Herr Texter.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Dieser Grundsatz gilt für alle Demokraten und natürlich auch für die Christdemokraten. Das ist ein hohes Gut, das wir zu bewahren haben. Und Aufgabe der Politik wird es stets sein, Missstände, sofern sie denn da sind, zu erkennen, zu analysieren und geeignete Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Dennoch, für Sozialverbände, Gewerkschaften und die Linksfraktion kam der UN-Bericht zur sozialen Lage in Deutschland im Juni letzten Jahres wahrscheinlich wie gerufen. Eine solche vermeintliche Steilvorlage für Kritik an der Sozialpolitik der Bundesregierung hat es so wahrscheinlich noch nicht gegeben und dazu noch von den Vereinten Nationen.

Um es gleich klarzustellen, dieser Aufschrei war unbegründet, denn ein genauer Blick auf das Zustandekommen des Berichts lässt ganz erhebliche Zweifel an der Aussagekraft der dortigen Feststellungen aufkommen.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Oh, hallo! – Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

Wenn man sich den Bericht genauer anschaut und damit auseinandersetzt, dann fragt man sich, wie sehr diese UN-Rüge eigentlich die aktuelle Situation in Deutschland widerspiegelt.

(Barbara Borchardt, DIE LINKE: Ach, jetzt hat sich was gebessert?)

Der Bericht behauptet, 1,3 Millionen Menschen in Deutschland würden von ihrer Arbeit nicht leben können, 13 Prozent der Bevölkerung in Deutschland würden unterhalb der Armutsgrenze leben. Weiterhin wird dort aufgeführt, dass die Arbeitslosenquote in Ostdeutschland immer noch doppelt so hoch sei wie im Westen

(Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: Das ist es doch auch.)

und insbesondere, dass 25 Prozent der Schüler ohne Frühstück zum Unterricht gingen und von Mangel- und Unterernährung bedroht seien, weil nicht in allen Schulen ein Mittagessen bereitgestellt würde.

Die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme im Juli letzten Jahres aufgeführt, dass die aufgestellten Kritikpunkte in keiner Weise wissenschaftlich belegt sind. Es gibt kein einheitliches Raster, keinen UN-weiten einheitlichen Standard, keine allgemein definierten Maßstäbe, an denen Deutschland gemessen wurde. Die Ministerin Frau Schwesig hat eben schon ausgeführt, man vergleicht hier Äpfel mit Birnen. Das ist so nicht sachgerecht.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Das ist Obst.)

An dieser Stelle sei einmal kurz skizziert, wie der UNAusschuss zu seinen Feststellungen gekommen ist. Der Ausschuss tagt zweimal jährlich. Deutschland muss alle fünf Jahre Bericht erstatten. Die Bundesregierung legte dem Gremium ihre Sicht zur Sozialpolitik dar, auch die Nichtregierungsorganisation, die ATEC, der Bundesverband Psychiatrieerfahrener und der Verein intersexueller Menschen durften im Bericht und in Fragestunden ihre Sicht der Dinge schildern.

Mithilfe dieser Informationen verfasste der Ausschuss dann seinen Bericht. Darin heißt es dann unter anderem, der Ausschuss beobachte mit Sorge, dass 25 Prozent der Kinder, ich sprach es an, ohne Frühstück zur Schule gehen und dabei die Gefahr der Unterernährung besteht, weil nicht an allen Schulen die Möglichkeit für ein Mittagessen besteht. Belege und Quellen lieferte der Report allerdings nicht. Vielmehr bezog sich der Report auf den vorgelegten Bericht von ATEC und von dem Forum „Pflege aktuell“. Dieser hat wiederum seine Zahlen auf der Grundlage von Zeitungsartikeln aus dem Jahr 2008 verfasst. Wenn man sich dieses Vorgehen anschaut, kann man die Kritik der Bundesregierung nur zu gut nachvollziehen, wie ich meine, die sich ungerecht behandelt fühlt und den Bericht der UN als nicht nachvollziehbar zurückgewiesen hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, darüber hinaus bin ich der Auffassung, dass in Deutschland sozial Schwache im internationalen Vergleich gut, wenn nicht sogar sehr gut versorgt sind.

(Michael Andrejewski, NPD: Wir sind nicht in der Sahelzone. – Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Die positiven Entwicklungen am Arbeitsmarkt und bei der Bekämpfung der Kinderarmut wurden im Bericht ebenfalls nicht berücksichtigt, sondern komplett ignoriert. Es fehlt auch das neu abgeschlossene Bildungspaket und die Hartz-IV-Erhöhung, die ebenfalls stattgefunden hat, bevor der Bericht veröffentlicht wurde.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Deutschland hat in den vergangenen Jahren …

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Ich weiß gar nicht, was das damit zu tun hat, aber es ist so.

(Udo Pastörs, NPD: Eine Menge.)

Deutschland hat in den vergangenen Jahren insbesondere im Sozialbereich eine positive Entwicklung genommen, die weltweit hoch anerkannt ist.

(Zuruf von Udo Pastörs, NPD)

Ich verweise hier mal auf die Zahlen, die im Bundeshaushalt für 2012 eingeplant sind: Circa 155 Milliarden Euro, das sind 50,6 Prozent des gesamten Haushaltsvolumens, sind für den Bereich Gesundheit, Soziales und Arbeit eingeplant. Im Landeshaushalt 2011 war ein Budget für Gesundheit und Soziales von über 900 Millionen Euro bereitgestellt worden.

Die Jugendarbeitslosigkeit ist eine der niedrigsten weltweit. Die Beschäftigungszahlen, gerade in der letzten Zeit, werden immer besser. Kinderbetreuung und Ganztagsschulen sind gut ausgebaut. Dies ist das Ergebnis einer wirkungsvollen Sozialpolitik der vergangenen Jahre. Den UN-Bericht möchte ich an dieser Stelle als veraltet bezeichnen. Er basiert auf Zahlenmaterial aus den Jahren 2006 bis 2008. Die Kritik der UN greift hier also in die Datenmottenkiste.

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

Im Übrigen frage ich Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE: Wie kommen Sie eigentlich darauf, den Bericht jetzt, acht Monate nach der Veröffentlichung, zu thematisieren?

(Helmut Holter, DIE LINKE: Weil Sie noch nicht im Landtag waren.)

Die Diskussion über diesen Bericht hier im Landtag kommt meines Erachtens mindestens ein halbes Jahr zu spät.

(Regine Lück, DIE LINKE: Das hat bisher noch gar nicht stattgefunden. Das ist doch das Entscheidende.)

Konkrete Vorschläge wären hier hilfreich gewesen. Über die vielen, vielen Maßnahmen hat Frau Ministerin Schwesig hier umfangreich berichtet. Konkrete Vorschläge und Initiativen Ihrerseits wären hier durchaus besser gewesen. Namens meiner Fraktion bitte ich Sie, den vorliegenden Antrag der LINKEN abzulehnen. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Das Wort hat nun der Fraktionsvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Suhr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Wahrung der Menschenrechte ist ein grundsätzliches Fundament unserer Politik und die Vertreterin der Fraktion DIE LINKE hat schon darauf hingewiesen, die Basis dafür ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948. Über 60 Jahre nach deren Verabschiedung durch die Vereinten Nationen bleibt diese Allgemeine Erklärung ein hochaktuelles Dokument. Bereits in der Präambel wurde von einem gemeinsam zu erreichenden Ideal gesprochen und bis heute repräsentiert die Erklärung der Menschenrechte die Hoffnungen und Wünsche von Millionen Menschen, die sich aus Angst, Not, Unfreiheit oder Gewalt befreien wollen.

Die Allgemeine Erklärung basiert auf den Prinzipien der Universalität und der Unteilbarkeit der Menschenrechte. Alle Menschen sind demnach gleich an Würde und an Rechten. Es gibt keine Rangordnung und es gibt keine Gegensätze zwischen den bürgerlichen und politischen Rechten einerseits und den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten andererseits. Soweit die Erklärung und das damals – und ich wiederhole das noch mal – zu erreichende Ziel als deklariertes Ideal. Für viele Menschen ist dieses Versprechen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte bis heute nicht eingelöst. Entrechtung, Unterdrückung, Ausbeutung, Krieg, Hunger und Verwüstung prägen stattdessen das Leben von Millionen. Der dauernde Kampf ums Überleben, um Zugang zu Nahrung, Wasser, Bildung und Gesundheit ist für viele alltägliche Realität.

Der Klimawandel verschärft schon heute die globale Armut durch die Zerstörung von Lebensgrundlagen und treibt Millionen Menschen in die Flucht. Die Abschottungspolitik der Europäischen Union an den EU-Außengrenzen steht im klaren Gegensatz zur Genfer Flüchtlingskonvention. Und gleichwohl – und da möchte ich der Ministerin ausdrücklich recht geben – sollten wir sehr wohl differenzieren zwischen den Menschenrechtsverletzungen, die in

vielen anderen Ländern an der Tagesordnung sind, und dem, was der entsprechende Ausschuss hier für die Bundesrepublik Deutschland festgestellt hat. Das teile ich ausdrücklich.

Gleichwohl ist es zutiefst bedauerlich, dass auch in Deutschland menschenrechtliche Defizite an der Tagesordnung sind, sei es die Gewalt gegen Minderheiten, die Diskriminierung gegen Menschen aus anderen Kulturkreisen, zunehmende Armut gerade von Kindern, Barrieren beim Zugang zu Bildung, ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern bis hin zu unzureichenden Betreuungs- und Pflegebedingungen im Alter. Verletzungen und Mängel ziehen sich durch viele Bereiche. Menschen anderer Hautfarbe, anderer Religionen oder anderer sexueller Orientierungen werden auch in der Bundesrepublik Opfer von Hetze und tödlicher Gewalt, genauso wie Obdachlose oder Menschen mit Behinderungen.

Ich möchte auf eine dieser genannten Gruppen besonders eingehen, denn wir haben in Mecklenburg-Vorpom- mern, und auch darauf ist Frau Schwesig eingegangen, ein nachhaltiges Problem, was die Kinderarmut angeht, wie auch erhebliche Missstände, was den gleichberechtigten Zugang zu Bildung betrifft.

Laut einem Bericht der Bertelsmann Stiftung, das war vor der Entwicklung der Zahlen, auf die Sie eingegangen sind, im April 2011 leben in Mecklenburg-Vorpommern 28 Prozent aller Kinder unter der Armutsgrenze. Schwerin und Uecker-Randow als große Stadt oder große Landkreise standen da an der Spitze. Und auch wenn sich diese Zahl inzwischen positiver entwickelt hat, so müssen wir einfach einräumen, dass hier ein nachhaltiges Problem für unser Bundesland liegt, denn Kinderarmut manifestiert sich in schlechter Ernährung, mangelnder Bildung, unzureichender ärztlicher Versorgung und eingeschränkten sozialen Beziehungen. Hauptursache für Kinderarmut ist die Einkommensarmut der Eltern und das, Herr Texter, würde ich an dieser Stelle nicht abtun. Und ich möchte mal ganz praktisch aus einem Erfahrungsbereich von mir berichten. Bevor ich hier Mitglied dieses Hohen Hauses sein durfte, durfte ich in einer Produktionsschule mitwirken, übrigens eine Einrichtung, von der ich sehr begrüße, dass die Landesregierung sich hier für eine Förderung entschieden hat.

(Heinz Müller, SPD: Die sind sehr gut. Die sind sehr gut.)

Dort erleben Sie tagtäglich, wenn junge Menschen kommen, die ausgegrenzt sind und sich ausgegrenzt fühlen. Das sind Menschen, und das beschreibt das Dilemma derjenigen, die sich in jungen Jahren oftmals für Kinder entschieden haben, und das sind die Kinder, die im dritten Durchlauf einer Generation nichts anderes erlebt haben, als dass ihre Eltern und inzwischen auch ihre Großeltern davon leben müssen, dass sie Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Das sind Kinder, die tagtäglich Gewalt erleben, die mit Drogenkonsum ihrer Eltern konfrontiert werden

(Udo Pastörs, NPD: Die Sie ja freigeben wollen.)

und von denen wir erwarten, dass sie sich integrieren.

Ich will an dieser Stelle einmal deutlich machen, dass es Kinder sind, die aus eigenen Ressourcen heraus gar

nicht die Chance haben, sich in die Gesellschaft zu in- tegrieren, wo wir alle gemeinsam die große Aufgabe haben, hier zur Seite zu stehen, wo wir ihnen begegnen müssen mit viel Toleranz und mit viel Akzeptanz und nicht dazu beitragen dürfen, sie weiter auszugrenzen. Das ist eine gemeinsame Aufgabe und das ist ein typisches Beispiel dafür, dass in der Tat nicht gleiche Rechte, gleiche Chancen in unserem Bundesland gegeben sind und dass hier eine große Aufgabe auf dieses Landesparlament wartet.

Sehr geehrte Damen und Herren, Menschenrechte sind unteilbar und die Beseitigung von Defiziten und Verfehlungen liegt auch in unserem Verantwortungsbereich. Ich bin gerade in diesem praktischen Beispiel darauf eingegangen. Wir halten es für richtig, dass die Landesregierung aufgefordert werden soll, und da möchte ich mich wegbewegen von der Anforderung, es müsse hier konkret Vorschläge geben. Lassen Sie uns daran arbeiten, hier geht es um einen Bericht.