Protokoll der Sitzung vom 12.07.2017

Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Ministerpräsidentin! Sie möchten, dass Mecklenburg-Vorpommern ein Land zum Arbeiten, zum Leben und zum Urlaubmachen wird. Das ist doch wohl selbstverständlich. Aber regieren heißt nicht, dass man Selbstverständlichkeiten verkündet oder über die Köpfe und den Willen der Menschen hinweg entscheidet. Wenn demnächst die Unterschriften der Volksinitiativen zur kostenlosen Schülerbeförderung und zur Kinder- und Jugendarmut bei der Präsidentin eingereicht werden, nehmen Sie diese dann wirklich ernst, entscheiden Sie dann mit den Köpfen und für den Willen der Menschen!

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Sie sehen am Beispiel des Krankenhauses Wolgast, was passiert, wenn man unüberlegt regiert, wenn man über die Köpfe der Einwohnerinnen und Einwohner hinweg entscheidet, allein aus der Machtposition heraus.

(Beifall Dr. Ralph Weber, AfD – Tilo Gundlack, SPD: Das ist doch Quatsch! Das ist doch Quatsch, was Sie da erzählen!)

Mecklenburg-Vorpommern muss auch ein Land werden, in dem wieder die Bürgerinnen und Bürger über ihre Belange mitentscheiden können. Das wäre eine ernsthafte Stärkung der Demokratie. Und dazu zählen wir auch den Umgang mit uns, mit meiner Fraktion als Opposition und mit dem Parlament insgesamt, denn die Vorschläge meiner Fraktion, ein gleichstellungspolitisches Rahmenprogramm zu erarbeiten oder Maßnahmen zur Lohnangleichung zu ergreifen, hat dieses Parlament genauso abgelehnt wie unsere Alternativen, die Digitalisierung voranzubringen, mehr Polizistinnen und Polizisten auszubilden oder die Theater und Orchester zu stärken, statt zu schwächen.

Die gesamte Hängepartie mit der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern hätte es jetzt in dem Ausmaß niemals gegeben, wenn sich SPD und CDU ernsthaft mit unseren Vorschlägen zur Ausbildungsplatzplanung beschäftigt hätten. Statt dies zu tun, hat der damalige Bildungsminister, Mathias Brodkorb, den steigenden Bedarf einfach weggerechnet, wenn er behauptete – ich zitiere: „Sie wissen sicherlich, dass wir auf ein neues Geburtentief zusteuern. … Deswegen glaube ich, dass die ganzen Argumente, die Sie jetzt geltend machen“,

(Torsten Renz, CDU: Da ist der Bildungsminister schuld, nicht der Finanzminister, ne?)

„die vielleicht im Moment einen erhöhten Bedarf an Erzieherinnen und Erziehern zur Folge haben, falsch sind. … Deshalb sieht die Landesregierung selbstverständlich keinen Bedarf, … diese Kapazitätsplanung zu überarbeiten.“ Ende des Zitats. Selbstverständlich sahen Sie keinen Bedarf. Selbstverständlich haben Sie unseren Antrag abgelehnt.

Sehr geehrte Damen und Herren, sicherlich kann man über den einen oder anderen Antrag meiner Fraktion streiten, aber genau dieser Streit fehlt. Wenn am Ende einer haarigen Auseinandersetzung die Mehrheit des Parlamentes dazu kommt, unseren Vorschlag begründet abzulehnen, dann können wir damit umgehen. Womit wir aber überhaupt nicht umgehen können, ist die Tatsache, dass Ihnen Floskeln als Begründung für die Ablehnung unserer Alternativen genügen, und manchmal sparen Sie sich selbst diese sogar.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Wir können Ihre ständigen Ausreden nicht mehr hören, dass die Regierung längst an diesem Problem dran ist und es unseres Antrages nicht bedarf, oder die Regierung macht schon, Sie kommen zu spät. Am peinlichsten ist jedoch die Aussage des einen Koalitionspartners, dass der jeweils andere Koalitionspartner dieses Problem gar nicht thematisieren will.

(Jochen Schulte, SPD: Das gab es mit Ihnen aber auch schon mal. – Peter Ritter, DIE LINKE: Siehe Schwimmunterricht!)

Aber wäre die Regierung schon unterwegs gewesen, dann hätten wir jetzt nicht den Mangel an Hausärztinnen und Hausärzten. Wäre die Regierung schon dran, wäre nicht jede dritte Kommune verschuldet. Würde die Regierung schon handeln, hätten wir die kostenlose Kita. Und wäre die Regierung aktiv, würde die Pflegeausbildung in

Mecklenburg-Vorpommern – wie in den meisten anderen Bundesländern längst üblich – auch kostenfrei sein und wir müssten nicht drei weitere Jahre warten.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Würden CDU oder auch SPD mal wollen – denn einer von beiden ist ja immer schuld –, dann würden die Polizisten, Richter und Lehrkräfte nicht zigtausende Überstunden leisten müssen und der Krankenstand wäre viel geringer.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Würde die Regierung schon machen, bekämen mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Lohn, von dem sie leben können und der sie vor Armut schützt. Beenden Sie Ihr Ablehnungsroulette und diskutieren Sie unsere Vorschläge und Ideen ernsthaft!

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Sehr geehrte Damen und Herren, die Anzahl der Schulabbrecher und der Jugendlichen, die ihre Ausbildung hinschmeißen, ist in keinem anderen Bundesland höher als bei uns. Das liegt unter anderem auch daran, dass die Bildung in Mecklenburg-Vorpommern immer noch sehr stark vom Einkommen der Eltern abhängig ist. Wir sind weit entfernt von kostenloser Bildung, solange Eltern jährlich Abgaben zu leisten haben, solange die Fahrten zur Schule abhängig sind von ominösen Entfernungen, um sie bezahlt zu bekommen, solange die Fahrt zum Praktikum, das Bestandteil des Unterrichts ist, von den Eltern bezahlt werden muss und solange Eltern für den Schwimmunterricht zahlen müssen.

Wir wollen, dass Mecklenburg-Vorpommern ein Land der klugen Köpfe wird, in dem nicht das Einkommen der Eltern über die Bildungschancen der Kinder entscheidet.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Unterstützen Sie uns im Kampf gegen die Kinderarmut, denn in dem Land, das Sie zum Arbeiten, Leben und Urlaubmachen entwickeln wollen, lebt fast jedes dritte Kind in Armut! Armut bedeutet bei uns selbstverständlich nicht, dass es den Kindern grundsätzlich an Essen und Trinken mangelt, obwohl selbst dies leider vorkommt. Armut in Mecklenburg-Vorpommern bedeutet vor allem, dass es diesen Kindern an Bildung und an Teilhabe mangelt, denn ihre Eltern haben oft keine Arbeit und diese Eltern können keinen Urlaub mit ihren Kindern machen. Für sie ist Mecklenburg-Vorpommern kein Urlaubsland. Fast 70.000 Kinder in Mecklenburg-Vorpommern werden von der Teilhabe, von der Bildung, vom Sportverein und vom Kinobesuch ausgeschlossen.

Und wenn ich dann folgende Aussage der Sozialministerin Drese höre – ich zitiere: „Immer weniger Kinder im SGB II- und Kindergeldbezug erhalten … immer mehr Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes. Das ist ein wesentlicher Beitrag für mehr soziale Gerechtigkeit“, Ende des Zitats –, dann verliere ich wirklich den Glauben. Frau Drese, Sie verkennen hier Ursache und Wirkung! Erst, wenn die Kinder ins Wasser gefallen sind, schicken Sie ihnen eine löchrige Rettungsweste hinterher. Das ist keine seriöse Strategie gegen Kinderarmut. Das ist keine soziale Gerechtigkeit. Das ist fahrlässiges Verhalten.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Unterlassen Sie derartige Botschaften und kommen Sie lieber mit uns über unsere Charta für Kinderrechte ins Gespräch! Wir wollen, dass Mecklenburg-Vorpommern tatsächlich ein Land für Kinder und für Jugendliche wird.

Sehr geehrte Damen und Herren, damit hier Kinder gern und unbeschwert leben und aufwachsen können, muss für ihre Eltern die ungleiche Bezahlung für gleiche Arbeit endlich beendet werden. Was die Regierung – auch im Bund – bisher vorzuweisen hat, ist eine Luftnummer, denn die Gleichstellung der Geschlechter muss sich auch in der Vergütung widerspiegeln.

Ihr Gesetz, Frau Ministerpräsidentin, das dem herrschenden Missstand zu Leibe rücken sollte, ist gerade für Mecklenburg-Vorpommern schlicht wirkungslos. Und allein eine Ministerpräsidentin eines Bundeslandes macht noch längst keine Gleichstellung. Wenn Frauen und Männer für gleichwertige Arbeit auch gleich vergütet werden, wenn Mecklenburg-Vorpommern aus dem Lohnkeller der Bundesrepublik klettert, dann, erst dann kann Mecklenburg-Vorpommern auch ein Land zum Arbeiten und zum Leben werden. Bisher ist es hauptsächlich eines zum Urlaubmachen – Urlaub für andere. Dieses Urlaubsland sind wir aber nur durch die unermüdliche Arbeit der Restaurantfachfrauen, der Kellner, der Köchinnen, der Hotelfachmänner und der Zimmermädchen.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Es ist nicht alleine das Verdienst der Regierung, sondern das Verdienst der Köche und Kellner. Wir wollen durch mehr Tarifbindung erreichen, dass auch genau diese Frauen und Männer Urlaub machen können und nicht nur den Urlaub für andere zur schönsten Zeit des Jahres werden lassen.

(Torsten Renz, CDU: Was schlagen Sie da konkret vor?)

Sehr geehrte Damen und Herren, bei der Rente haben Sie den größten Misserfolg vergangener Jahre, ja, Jahrzehnte eingefahren. Die CDU hat die frühere Rentenangleichung verhindert und wieder ist es offenbar der falsche Koalitionspartner, wenn die Ministerpräsidentin nun ankündigt, sich für eine frühere Angleichung starkzumachen.

(Torsten Renz, CDU: Wenn wir Ihre Rentenpolitik aus DDR-Zeiten genommen hätten, hätten wir gleich einpacken können.)

Da, sehr geehrte Frau Schwesig, ist mein Glaube etwas getrübt. Wenn jeder von Ihnen, ob SPD oder CDU, irgendwie immer den falschen Koalitionspartner hat, dann müsste Ihnen auffallen, dass da irgendetwas schiefläuft.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Warum die SPD Sie als Koalitionspartner...

(Torsten Renz, CDU: Warum hat denn die SPD den Koalitionspartner 2006 gewechselt?)

Na, ich kann Ihnen sagen, warum Sie als Koalitionspartner ausgewählt worden sind: Weil Sie keine Ansprüche stellen.

(Beifall und Heiterkeit vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Zurufe von Torsten Renz, CDU, und Peter Ritter, DIE LINKE)

Wir erwarten einen gemeinsamen und geschlossenen Einsatz im Bund für die Anerkennung der Lebensleistungen endlich auch der ostdeutschen Rentnerinnen und Rentner. Mecklenburg-Vorpommern muss ein Land werden, in dem niemand mehr in Altersarmut leben muss.

Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin, unsere wichtigsten Forderungen haben wir Ihnen vergangene Woche übergeben. Wir freuen uns darauf, Ihre Botschaft zu vernehmen, dass wir endlich die kostenfreie Kita haben, dass die Eltern kein Geld mehr für die Bildung ihrer Kinder berappen müssen. Und gespannt erwarten wir auch Ihre Botschaft, dass wir zusätzliche Erzieher und Lehrkräfte eingestellt haben und dass Sie sich gemeinsam mit uns erfolgreich für die Wiedereinführung der Vermögensteuer eingesetzt haben. Wenn wir Ihre Botschaft hören, dass die Koalition unseren Regionalbudgets für die Gestaltung strukturschwacher Räume genauso zugestimmt hat wie der kostenlosen Schülerbeförderung, dann, Frau Schwesig, dann glauben wir an Ihre Botschaften und an Ihre Regierungsarbeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der CDU der Fraktionsvorsitzende Herr Kokert.

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Da bin ich jetzt aber mal gespannt. – Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin! Ich will, bevor ich mit meiner eigentlichen Rede anfange, vielleicht sagen, ich dachte, es geht heute um die Regierungserklärung

(Thomas Krüger, SPD: Tja.)

und nicht um so einen mexikanischen Rundumschlag in alle Richtungen. Aber ich gestehe,

(Beifall Enrico Komning, AfD)

ich gestehe gern natürlich auch der Opposition zu, dass man das als gewisse Generaldebatte nutzt. Ich will aber noch mal darauf zurückkommen, warum wir heute eigentlich hier miteinander zusammengekommen sind und eine neue Regierungserklärung nach zehn Monaten hören, und ich will Ihnen zurufen, dass uns alle, ich glaube, auch sehr persönlich, das Schicksal von Erwin Sellering, und da hängt ja die Familie dran, sehr erschüttert hat. Ich will für mich sagen, ich habe zu ihm persönlich ein sehr vertrauensvolles, ordentliches und offenes Verhältnis gehabt. Wir versuchen, das eine oder andere Mal regelmäßig miteinander zu kommunizieren, und ich möchte ihm von dieser

Stelle aus für sich selbst und für seine Familie alles Gute und Gottes Segen wünschen.