Protokoll der Sitzung vom 14.12.2017

Warum führe ich das eigentlich aus, warum führe ich überhaupt die Lebenshaltungskosten an? Die führe ich deswegen an, weil sie bei der Suche nach einer rechtssicheren Vergabe von Mindestlohn sehr wichtig sind. Es gibt gutachterliche Expertise, die besagt, dass die Höhe des Vergabemindestlohns umso angreifbarer wird, je stärker die Steigerung im Vergleich zum bundesweit festgelegten Mindestlohn ist. Nehmen wir an, wir wären dem Beispiel aus Schleswig-Holstein gefolgt, ein Gesetz, das meines Erachtens – Herr Schulte hat es angespro

chen – in der Form wohl nicht mehr lang übrigbleiben wird. Das wären 9,99 Euro Vergabemindestlohn gewesen, übrigens der höchste vergabespezifische Mindestlohn in der Bundesrepublik und dennoch 10 Cent unter dem Vorschlag, den DIE LINKEN uns gemacht haben.

Wären wir ähnlich maßlos vorgegangen, dann wäre jetzt unter Außerachtlassung der Realitäten, was die Volkswirtschaft hergibt, das Vergabegesetz möglicherweise beklagt worden. Ich bin mir sicher, dass diese Klage auch erfolgreich gewesen wäre, denn eine exorbitante Steigerung des Vergabelohns ließe sich überhaupt nur noch durch entsprechend hohe Lebenshaltungskosten rechtfertigen. Diese müssen dann exorbitant anders sein als in vergleichbaren oder in anderen Bundesländern. Und das ist eben nicht der Fall. Das gilt auch für Mecklenburg-Vorpommern nicht.

Ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das in kürzester Zeit wieder eingefangen worden wäre, ergibt erkennbar keinen Sinn, und mit leeren Versprechungen ist auch niemandem geholfen. Das wäre verantwortungslos. Deswegen wird es ein Überholmanöver mit der Harakirisetzung der LINKEN mit uns nicht geben, denn das wäre nicht nur nicht vorausschauend, das wäre zu kurz gedacht und würde am Baum enden. Das sage ich übrigens auch mit Blick auf die Änderungsanträge der LINKEN zum Mittelstandsförderungsgesetz im Wirtschaftsausschuss, doch dazu in einer späteren Tagesordnung.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns weiter maßvoll vorausschauen und konstruktiv an der Zukunft Mecklenburg-Vorpommerns arbeiten. Die Regierungskoalition ist dabei auf einem sehr guten Weg. Ich möchte, was ich eingangs gesagt habe, zum Schluss noch einmal wiederholen: Ich möchte ausdrücklich den Vertragspartnern, den Verhandlungspartnern für diesen gelungenen Kompromiss danken. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Herr Foerster.

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Also dass das Thema „Gute Löhne“ wichtig ist, für uns insbesondere, das zeigen ja mehrere Themen, mit denen wir uns im Rahmen dieser Landtagssitzung auch zu einem späteren Zeitpunkt noch befassen werden. Ich darf daran erinnern, gestern hat der DGB Nord darauf hingewiesen, dass 53 Prozent der Beschäftigten in Mecklenburg-Vorpommern ohne Tarifvertrag arbeiten, und insofern unterstreicht das nur noch einmal den Handlungsbedarf, den wir an dieser Stelle haben.

Allerdings wurde ich beim Lesen des Titels der Aktuellen Stunde – da reden Sie ja von „Überholspur“ – erinnert an „Ich düse, düse, düse, düse im Sauseschritt“,

(Zurufe von Thomas Krüger, SPD, und Dietmar Eifler, CDU)

und zumindest mit Blick auf Ihr Agieren im Zusammenhang mit dem Vergabegesetz kann davon wahrlich keine Rede sein.

(Heiterkeit bei Andreas Butzki, SPD: Kennen Sie die Wahlwerbung von Herrn Holter noch mit dem Audi A8, links überholen?)

Ich habe ehrlich gesagt auch angestrengt überlegt, was die Ursache sein kann für diese Alice-im-WunderlandStimmung, die Sie heute mit dem Titel dieser Aktuellen Stunde ganz offensichtlich suggerieren wollen, und bin dann darauf gestoßen, dass es wahrscheinlich die Ankündigungen nach der Kabinettssitzung in der vergangenen Woche sind, die Sie dazu motiviert haben, das heute auf die Tagesordnung zu setzen. Deshalb reden wir heute erneut über gute Löhne – wie gesagt, das ist wichtig –, aber leider immer noch nicht über einen konkreten Gesetzentwurf.

So einig sind sich die beiden Koalitionsfraktionen dann auch nicht, wie Sie es hier teilweise transportiert haben. Die SPD-Fraktion hat – ja, soll ich es sagen – sich dafür gefeiert,

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

dass es ein neues vergabespezifisches Mindestentgelt gibt, was sie durchgesetzt hätte, und die CDU hat im Nachklapp zu dieser Kabinettssitzung erklärt, sie sei der eigentliche Sieger nach den Verhandlungen,

(Zuruf von Wolfgang Waldmüller, CDU)

denn – das darf ich an der Stelle auch mal sagen – schließlich bliebe ja das neue Mindestentgelt deutlich hinter den Regelungen Schleswig-Holsteins zurück.

(Zuruf von Jochen Schulte, SPD)

Und noch kurioser wird das Ganze, Herr Kollege Waldmüller, Herr Kollege Schulte, wenn ich mir die Wortmeldung zur Neuausrichtung der Wirtschaftsförderung anschaue. Herr Schulte hat heute Morgen noch mal gesagt, aus Sicht der Sozialdemokratie ist das der Einstieg in das Thema Tarifbindung auch im Zusammenhang mit der Wirtschaftsförderung, und …

(Thomas Krüger, SPD: Das ist uns wichtig.)

Da sind wir uns einig, Herr Krüger.

(Thomas Krüger, SPD: Sehr schön.)

... Herr Waldmüller hat natürlich unter den Tisch fallen lassen,

(Jochen Schulte, SPD: Sagen Sie doch einfach, was die Regierung macht, ist gut! – Zuruf von Rainer Albrecht, SPD)

dass Sie sich letzte Woche noch dahin gehend in den Medien geäußert haben, dass auch Sie das Thema GRW-Richtlinie als Erfolg sehen,

(Zuruf von Jochen Schulte, SPD)

und zwar deshalb, weil circa 80 Prozent der Unternehmen, die nicht tarifgebunden sind, dennoch von der Förderung profitieren würden.

(Tonausfall – allgemeine Unruhe – Zurufe aus dem Plenum: Mikro! – Ministerin Stefanie Drese: Jetzt geht es wieder.)

Ich habe wieder Ton, also Sie dürften vielleicht auch welchen haben. Versuchen Sie es mal!

(Heiterkeit bei Jochen Schulte, SPD: Herr Foerster, ich war nicht dafür verantwortlich. – Heiterkeit bei Simone Oldenburg, DIE LINKE: Das wissen wir.)

Als besonderes Schmankerl hatte Vincent Kokert den Medien letzte Woche noch erklärt, mit 9,54 Euro bliebe dann wenigstens die Tarifautonomie gewahrt. Sie haben das jetzt auch noch mal ausgeführt. Da muss ich mich schon fragen: Was wollen Sie uns denn damit jetzt tatsächlich sagen? Doch nicht etwa, dass unser Gesetzentwurf und die 10,09 Euro, die der vorsieht, das Ende der Tarifautonomie und damit der Untergang des Abendlandes oder zumindest von Mecklenburg-Vorpommern wären?! Also vermutlich hat sich der Kollege Kokert gedacht, dass wir alle mal eine Kerze aufgrund der wirtschaftspolitischen Kompetenz der CDU anzünden sollten, die das verhindert hat.

(Zuruf von Dietmar Eifler, CDU)

Ich werde auch drei Kerzen anzünden am nächsten Wochenende, allerdings hat das mit Advent zu tun, und nicht mit Ihrem Agieren.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Dietmar Eifler, CDU)

Im Übrigen sehen Sie mich wirklich erstaunt ob so viel profunder Sachkenntnis. Bisher, Herr Waldmüller, habe ich die CDU immer ein bisschen auf den Arm nehmen wollen, wenn ich gesagt habe, dass Sie offenbar nicht so richtig verstanden haben, was Tarifautonomie bedeutet,

(Zuruf von Maika Friemann-Jennert, CDU)

aber so langsam glaube ich, wir müssten mal eine Aussprache anmelden, dann können wir hier auch einen Crashkurs machen.

Also deswegen für Sie noch mal zum Mitschreiben: Tarifautonomie beschreibt das Recht von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, Löhne, Gehälter und andere Arbeitsbedingungen selbstständig und unabhängig, also möglichst ohne staatliche Einflussnahme zu regeln. So weit korrekt. Falsch ist aber der Glaube, die Festlegung von Mindestlöhnen und Mindestentgelten bedeute einen unzulässigen Eingriff in die Tarifautonomie, denn in der Regel stellen Mindestlöhne nur eine sichernde Untergrenze dar. Oberhalb derer kann sich Tarifautonomie auch frei entfalten.

(Zuruf von Thomas Krüger, SPD)

Herr Waldmüller, es tut mir ja leid, dass ich darauf immer wieder rumreiten muss, aber es fällt Ihnen offensichtlich immer noch schwer zu begreifen, dass wir diese ganze Debatte um Mindestlöhne und Mindestentgelte eigentlich nur führen müssen, weil sich Arbeitgeber in diversen Branchen nach wie vor der Verhandlung von Tarifverträgen verweigern

(Zuruf von Wolfgang Waldmüller, CDU)

oder – das ist dann die andere Seite, die gehört zur Wahrheit auch dazu – die Verhandlungsmacht der Beschäftigten nicht ausreicht, um auskömmliche Entgelte zu verhandeln.

(Zuruf von Thomas Krüger, SPD)

Ein erheblicher Anteil des ostdeutschen Arbeitsmarktes – das werden Sie auch nicht negieren – zeichnet sich leider dadurch aus, dass bestimmte Branchen oder Gebiete nicht oder nicht mehr durch tarifvertragliche Regelungen erfasst werden.

(Jochen Schulte, SPD: Du musst mir nur zuhören. – Susann Wippermann, SPD: Genau.)

Und das Kuriose ist, dass diejenigen, die immer am lautesten beklagen, dass sich der Staat da jetzt einmischt, um dem entgegenzuwirken, in der Regel selbst ein gerüttelt Maß an Verantwortung dafür tragen, dass wir hier überhaupt solche Debatten führen müssen. Aber ich möchte auch mal konkret auf das eingehen, was Sie angekündigt haben. Mehr gibt es ja, wie gesagt, nicht: Ankündigungen! Ein Dokument oder einen Gesetzentwurf haben wir bislang nicht.

Der DGB hat diese 9,54 Euro als erklärungsbedürftig bezeichnet. Das kann ich auch nachvollziehen, denn während der Vorschlag von 10,09 Euro in unserem Vergabegesetz ja einer inneren Logik folgt, weil er sagt, wenn das Land Aufträge nach draußen gibt als öffentlicher Auftraggeber, dann sollen diejenigen, die ihn ausführen, wenigstens nach der untersten Entgeltgruppe des Tarifvertrages der Länder bezahlt werden, scheint mir Ihre Summe von 9,54 Euro so ein bisschen dem innerkoalitionären Jahrmarkt entsprungen zu sein.

Erleichtert war ich allerdings, als ich gelesen habe, dass Sie uns endlich erhört haben und unsere jahrelange Forderung, dass ein vergabespezifisches Mindestentgelt auch für die Kommunen, wo ja zwei Drittel der Aufträge dann tatsächlich ausgelöst werden, gelten soll, aufgenommen haben.

(Andreas Butzki, SPD: Wer hat es erfunden?)

Die Anwendung des Gesetzes durch alle öffentlichen Vergabestellen erhöht natürlich dessen Wirkung erheblich, immer vorausgesetzt, wir gucken uns dann noch mal die Schwellenwerte an, für die das gilt, denn wenn die zu hoch angesetzt sind, rutschen unterm Strich wieder zu viele Unternehmen durch.