Protokoll der Sitzung vom 15.12.2017

Herr Weber, nur für Sie: Über die Haushalte der Jobcenter befinden wir nicht im Landtag von MecklenburgVorpommern. Deswegen haben wir in den Antrag auch geschrieben, wir fordern die Landesregierung auf, sich auf der Bundesebene dafür zu engagieren,

(Zuruf aus dem Plenum: Macht sie ja auch.)

dass hier die bedarfsgerechte Ausstattung sichergestellt wird. Ich habe auch nicht die Jobcenter an der Stelle in den Fokus meiner Kritik gerückt, sondern wir wollen ja mit dem Antrag gerade dafür sorgen, dass die so ausgestattet sind, dass sie ihren Job ordentlich machen können. Eine individuelle Betrachtung der Problemlagen, die für die von Langzeitarbeitslosigkeit betroffenen Personen verantwortlich sind, erfordert nämlich entsprechende personelle Ressourcen und individuelle, auch langfristig angelegte Instrumente. Denn soll nach langer Abwesenheit vom Arbeitsmarkt die Wiedereingliederung gelingen, dann braucht es neben Netzwerken zum Abbau von sogenannten Vermittlungshemmnissen natürlich auch die nötige Geduld, die richtigen Förderinstrumente und das entsprechende Geld.

Sowohl das Personal der Jobcenter als auch die Instrumente müssen finanziert werden. Tatsächlich ist es aber so, dass den Jobcentern insbesondere in Ostdeutschland im kommenden Jahr nach den bislang bekannten Orientierungswerten des entsprechenden Bundesministeriums für die Verwaltungskosten 58,9 Millionen Euro weniger bei den, wie gesagt, Verwaltungskosten und 126,6 Millionen Euro weniger bei den Eingliederungsmitteln zur Verfügung gestellt werden sollen. In Mecklenburg-Vorpommern stehen den Jobcentern daher im kommenden Jahr 11,8 Millionen Euro weniger für die Verwaltungskosten und 19,14 Millionen Euro weniger für die Eingliederungsleistungen zur Verfügung.

(Minister Harry Glawe: Stimmt nicht!)

Die Folgen, die das Ganze hat – und da wird es dann interessant –, hat der Geschäftsführer des Jobcenters Nordwestmecklenburg Martin Greiner am Beispiel seines Jobcenters mal beschrieben, und die sind ganz konkret:

Fehlende Mobilität – ein großes Thema, wenn ich

Langzeitarbeitslose wieder integrieren will. Da ist es jetzt so, dass künftig die Förderung von Pkw-Führerscheinen nur noch im Einzelfall möglich sein wird.

Fehlende Qualifikation nach jahrelanger Arbeitslosig

keit – auch ein großes Vermittlungshemmnis. Da sagt er, statt 50 Umschulungen, wie bislang, wird er künftig nur noch 12 genehmigen können.

Finanzielle Unterstützung bis zur ersten Lohnzahlung.

Da sagt er, die gibt es künftig nur noch in Einzelfällen. Selbst die Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber, die Langzeitarbeitslose einstellen, muss der Geschäftsführer des Jobcenters künftig kürzen.

Auch beim Blick auf die personelle Situation findet Herr Greiner deutliche Worte, er sagt nämlich – und das darf ich zitieren –: Irgendwann sei „der Punkt erreicht, an dem … das Weniger nicht mehr“ kompensiert werden könne, denn die „Fixkosten, beispielsweise fürs Personal“, blieben gleich. Zudem lässt der Bund bei seinen jährlichen Zuwendungen die Tariferhöhung für die Kolleginnen und Kollegen außen vor. Das heißt, die Jobcenter müssen ihren Mitarbeitern diese Tariferhöhung aus dem ohnehin sinkenden Budget zahlen, und da sind fürs nächste Jahr schon mal drei Prozent mehr eingepreist. Deswegen sagt er, wenn er jetzt sparen muss, könnte er es eigentlich nur noch, indem er Personal abbaut.

Allerdings – das wissen wir alle – ist gerade bei Langzeitarbeitslosen ein höherer Betreuungsaufwand vorhanden und dann spielt natürlich der Betreuungsschlüssel eine elementare Rolle. Da sagt er, offiziell liegt der Betreuungsschlüssel für Langzeitarbeitslose in seiner Einrichtung bei 1 : 116, das heißt, ein Vermittler betreut 116 Arbeitslose. In Wirklichkeit ist dieser allerdings für 200 bis 250 Menschen zuständig, und das, wie gesagt, obwohl der Beratungsaufwand steigt, weil Langzeitarbeitslose eben heute intensiver betreut werden müssen als noch vor zehn Jahren. Deswegen sage ich, besser kann man es eigentlich kaum auf den Punkt bringen. Ihnen, meine Damen und Herren, war dieser Hilferuf wieder einmal schnurzpiepegal.

Dabei sollten Sie sich vielleicht einmal überlegen – und da bin ich mir noch nicht so sicher –, ob das, was der Minister für sein Bürgerarbeitsprogramm angekündigt hat, am Ende tatsächlich auch Wirklichkeit wird, dass die Grundlage für die Finanzierung dieses Instruments ja die Förderung von Arbeitsverhältnissen ist, im Paragrafen 16e SGB II festgehalten. Das ist ein bis zu 75-prozentiger Lohnkostenzuschuss, mit dem dann gearbeitet wird und wo das Land ja mit seinen 6.000 Euro andocken möchte, um Langzeitarbeitslosen den Weg zurück auf den Arbeitsmarkt zu ebnen. Ich darf mal darauf hinweisen, dass nach den jetzigen Regularien die Förderung nach Paragraf 16e SGB II, also die Förderung von Arbeitsverhältnissen gedeckelt ist, denn gemeinsam mit der freien Förderung dürfen die Jobcenter maximal 20 Prozent ihrer Mittel für diese beiden Instrumente verwenden. Insofern werden wir uns bei Gelegenheit wieder sprechen und sehen, ob das, was Sie hier angekündigt haben, auch tatsächlich für alle von Ihnen angekündigten Arbeitsplätze ausfinanziert ist.

In der Vergangenheit war es nämlich eher so, dass dieses Instrument „Förderung von Arbeitsverhältnissen“ bei den Jobcentern unbeliebt war, um nicht zu sagen, ein Ladenhüter. Auch viele Träger und Kommunen haben das Instrument vor allen Dingen deshalb nicht eingesetzt, weil es einen so hohen Eigenanteil hat. 25 Prozent müssen sie als Eigenanteil bringen und das ist gerade für kleinere Träger am Arbeitsmarkt ein großes Problem. Und nur ganz am Rande sei darauf hingewiesen, über ein Jahr

nach dem Regierungsantritt gibt es immer noch keine neue Vereinbarung zwischen der Landesregierung und der Bundesagentur für Arbeit. Offensichtlich möchte man keine öffentliche Diskussion darüber, wie man arbeits- lose Frauen und Männer in Mecklenburg-Vorpommern integrieren kann. Die Mühe, ein Arbeitsmarktprogramm zu entwerfen und öffentlich zu diskutieren, will man sich offensichtlich nicht mehr machen, denn, um ein historisches Zitat leicht abgewandelt zu nutzen, die Vollbeschäftigung in ihrem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf.

(Heiterkeit bei Minister Harry Glawe)

Aber träumen Sie ruhig weiter, Herr Glawe! Und negieren Sie weiterhin diese Probleme! Ich wage mal die Prognose, das Thema wird uns bald wieder einholen. Ich will Ihnen auch sagen, warum. Denn eine große …

(Zuruf von Minister Harry Glawe)

Hören Sie doch jetzt auch mal mir zu! Ich habe Ihnen doch auch aufmerksam zugehört.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Herr Renz, im nächsten Jahr kommen 3.800 Flüchtlinge aus den Sprachkursen. Dann haben wir die große Herausforderung, diese 3.800 Flüchtlinge in MecklenburgVorpommern an den Arbeitsmarkt zu bringen.

(Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)

Das wird ein großes Problem, wenn Sie dafür weniger statt mehr Mittel …

(Dietmar Eifler, CDU: Herr Foerster, Sie reden über Probleme und wir lösen Probleme. – Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Ach, Herr Eifler, Sie lösen das Problem?!

(Dietmar Eifler, CDU: Ja.)

Na gut, ich werde das bei meinen nächsten Gesprächen den Jobcenterleitern übermitteln, zusammen mit Ihrer Anschrift und Ihrer Telefonnummer. Falls es dann nicht klappt, können die sich bei Ihnen melden.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Wenn er nicht gerade unterwegs ist. – Zuruf von Minister Harry Glawe)

Wenn er nicht gerade unterwegs ist, ja.

(Minister Harry Glawe: Herr Radloff hört immer zu.)

Herr Glawe, ich will das ja gar nicht ins Lächerliche ziehen. Dass Sie jetzt Koordinatoren einsetzen für Planungsregionen, dass Sie Joblotsen auf den Weg bringen,

(Zuruf aus dem Plenum: Genau.)

das sind durchaus Maßnahmen, die ihren Sinn haben, aber diese allein werden nach meiner Prognose nicht reichen, um gerade das Problem, was ich eben beschrieben habe, auch tatsächlich einer Lösung zuzuführen.

Mit Blick auf die Kürzung der Eingliederungsmittel ist übrigens die Haltung der kommunalen Ebene – und die sind dann vor Ort diejenigen, die sich dem Thema zuerst stellen müssen – ganz anders. Wismars SPD-Bürgermeister, Thomas Beyer, hat zum Beispiel zu diesen Kürzungen gesagt, die seien völlig inakzeptabel, denn gerade jetzt, wo die wirtschaftliche Entwicklung auch Chancen für Menschen biete, die lange arbeitslos waren,

(Torsten Renz, CDU: Es war Wahlkampf. Es sind gerade Bürgermeisterwahlen gewesen.)

seien Bundestag und Bundesregierung in der Pflicht, deutlich nachzubessern.

(Tilo Gundlack, SPD: Das sagt er auch ohne Wahlkampf.)

Der Kollege hat es verstanden, etliche im Haus hier leider nicht. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 7/1257. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Die Gegenprobe. – Gibt es Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktion DIE LINKE auf Drucksache 7/1257 mit den Stimmen der Fraktionen von SPD, CDU und BMV und einer Stimme aus der Fraktion der AfD, bei Zustimmung der Fraktion DIE LINKE, ansonsten Enthaltung der Fraktion der AfD abgelehnt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 24: Aussprache gemäß Paragraf 43 Ziffer 2 der Geschäftsordnung des Landtages zum Thema „Wachstumsverluste im östlichen Landesteil durch die Auswirkungen der Kreisgebietsreform vom 04.09.2011“.

Aussprache gemäß § 43 Ziffer 2 GO LT zum Thema Wachstumsverluste im östlichen Landesteil durch die Auswirkungen der Kreisgebietsreform vom 04.09.2011

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 180 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat für die Fraktion der BMV der Fraktionsvorsitzende Herr Wildt.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Werte Gäste! Man kann die Fragestellung auch leicht umformulieren: Wäre das Wirtschaftswachstum im östlichen Landesteil in den letzten Jahren höher gewesen, hätte es die Gebietsreform nicht gegeben? Das ist die Frage, über die ich gern heute mit Ihnen diskutieren möchte, und ich denke, eine Aussprache ist dazu das geeignete Mittel, um wirklich darüber nachzudenken oder diese Debatte noch mal in Gang zu kriegen, ob die Gebietsreform sich wirtschaftlich positiv, negativ oder neutral für unseren östlichen Landesteil ausgewirkt hat.

Anlass für diese Debatte sind die geplanten Kreisgebietsreformen in Brandenburg und Thüringen gewesen,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Die abgesagt wurden.)

die beide abgesagt wurden, und zwar auch auf Basis der schlechten Erfahrungen, die man in Mecklenburg-Vorpommern gemacht hat. Ein Hochschullehrer aus Mecklenburg-Vorpommern hat dazu Gutachten verfasst, die im Landtag von Brandenburg diskutiert worden sind.