Protokoll der Sitzung vom 15.12.2017

die beide abgesagt wurden, und zwar auch auf Basis der schlechten Erfahrungen, die man in Mecklenburg-Vorpommern gemacht hat. Ein Hochschullehrer aus Mecklenburg-Vorpommern hat dazu Gutachten verfasst, die im Landtag von Brandenburg diskutiert worden sind.

(Zuruf von Martina Tegtmeier, SPD)

Ich denke mal, wenn solche Gutachten und Mecklenburg-Vorpommern als Beispiel angeführt werden,

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

um eine Kreisgebietsreform in Brandenburg oder in Thüringen abzusagen, dann ist es absolut in Ordnung und richtig, hier im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern selbst auch noch mal darüber zu sprechen.

Die Empfehlungen liefen letzten Endes darauf hinaus, dass über die Probleme und Folgen von Kreisgebietsreformen anhand von Beispielen aus Mecklenburg-Vorpommern gesprochen werden und dass das aufgeklärt werden muss. Das ist sozusagen die Botschaft, die uns hier aus Brandenburg erreicht und die ich gern noch mal aufgreife.

Die Gebietsreform hat im Grunde genommen drei Dimensionen:

Sie haben zum einen die verwaltungstechnische Dimension, wo sich die Kreishauptorte befinden und wie weit die Entfernungen der Bürger zum Kreishauptort sind. Das ist zum Thema Bürgernähe. Das ist aber auch ein Thema, wie weit es der Mitarbeiter aus der Kreisverwaltung eigentlich in die einzelnen Teile seines Landkreises hat. Auch da sind ja die Entfernungen deutlich angestiegen.

Die zweite Dimension ist sicherlich die politische Dimension. Wie wirkt sich das aus in der Demokratie? Ist es möglich, einen so großen Landkreis überhaupt noch demokratisch zu regieren, oder übergibt man da nicht vielmehr immer wieder an die Verwaltung? Der Landkreis wird nur noch verwaltet und nicht mehr demokratisch selbstbestimmt regiert.

Die dritte Dimension – um die geht es mir heute hauptsächlich – ist eben tatsächlich die wirtschaftliche Dimension. Kann es sein, dass Landkreise, die zu groß sind, in der wirtschaftlichen Entwicklung zurückfallen? Ich behaupte das nicht, ich stelle die Frage und möchte das gern mit Ihnen debattieren.

Wir haben, wenn man mal auf die Fakten schaut, 1991 noch 37 Gebietseinheiten in Mecklenburg-Vorpommern mit 31 Landkreishauptorten, davon 23 im Binnenland, gehabt. Dann gab es 1994 die erste Kreisgebietsreform mit nur noch 18 Gebietseinheiten mit 12 Landkreishauptorten, davon 10 im Binnenland, und jetzt sind es bekanntermaßen seit 2011 nur noch 8 Gebietseinheiten mit 6 Landkreishauptorten und davon nur noch 3 im Binnenland. Also von 23 sind wir im Binnenland runter auf 3.

Die Bevölkerung ist in diesem Zeitraum zahlenmäßig um 19 Prozent gesunken, die Zahl der Kreise um 78 Prozent, das heißt, wir haben einen hohen Zentralisierungseffekt. Sie wissen, es ging einher mit einer Zentralisierung bei den Gerichten, bei den Schulen, bei Landesämtern und bei anderen Versorgungseinrichtungen und öffentlichen Unternehmen.

Aber das Ganze ist ja nicht einfach nur so aus Spaß gemacht worden, weil man gern mal was zentralisieren wollte, sondern wir müssen anerkennen, MecklenburgVorpommern hat auch die niedrigste Finanzkraft pro Quadratkilometer. Wir sind eben gleichzeitig ein großes Bundesland, ein dünn besiedeltes Bundesland und haben nicht die stärkste Finanzkraft, auch wenn man die Erfolge natürlich gern in den Vordergrund stellt.

(Thomas Krüger, SPD: Sie wollen aber trotzdem mehr Geld ausgeben.)

Hören Sie einfach mal zu Ende zu!

Wir hatten zum Beispiel 2015 312.000 Euro je Quadratkilometer Wirtschaftskraft. In Deutschland sind das 952.000 Euro.

(Thomas Krüger, SPD: Und davon wollen Sie für Verwaltung was ausgeben.)

Das heißt, die Zentralisierung, die hier vorgenommen wurde, ist auch eine Art Überlebensstrategie für Mecklenburg-Vorpommern.

(Thomas Krüger, SPD: Ja, genau. Sag ich ja, eben, eben.)

Ich führe ja auch hier verschiedene Argumente aus, deswegen bitte ich Sie einfach zuzuhören.

Die räumliche Zentralisierung ist aber nun mittlerweile in Mecklenburg-Vorpommern 3,4-mal stärker als im Bundesdurchschnitt nach der Bevölkerung gesehen und 4,3mal stärker in der Fläche. Das heißt, wir haben eine enorme Distanz der Gemeinden zur jeweiligen Kreisstadt und das führt eben auch zur politischen Distanz. Heute haben wir 125 Gemeinden pro Kreis, davon sind sehr viele kleine Gemeinden, 42 Prozent unserer Orte haben weniger als 5.000 Einwohner. Das heißt, dass de facto nicht mehr demokratisch zu regieren ist – 125 Ortschaften und die administrative Gewalt letzten Endes. Die Demokratie ist ein Stück weit entmündigt.

Und wenn Sie sehen, wie das in Landkreisen ist, dann hat man dort hauptsächlich nur noch Geld für die Pflichtaufgaben, relativ wenig Geld oder kaum Geld für freiwillige Aufgaben. Da kommen wir jetzt einen Schritt nach vorn mit dem neuen FAG, das erkenne ich durchaus an, aber so ist im Moment noch die Situation.

Der Durchschnittslandkreis in Mecklenburg-Vorpommern ist 1,5-mal größer als das ganze Saarland und das Saarland hat immerhin sechs Landkreise. Die Entfernung von fast 150 Kilometern von meinem eigenen Wohnort zur Kreisstadt, also nicht von meinem eigenen, sondern von einem beliebigen Wohnort zur Kreisstadt, ist einfach zu weit.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Warum?)

Die räumliche Zentralisierung hat Dimensionen angenommen, die laut Herrn Professor Klüter sonst nur noch in Entwicklungsregionen Osteuropas und Asiens vorkommen.

Dabei gibt es durchaus Unterschiede zwischen dem Westen und dem Osten unseres Landes. Im Westen wurden maximal zwei Kreise zusammengelegt, im Osten mindestens drei, im Bereich der Mecklenburgischen Seenplatte sogar vier. Das heißt, wir haben im Osten einen Verlust von über 60 Prozent der Kreisverwaltungen. Eine Kreisverwaltung ist hier – gerade in unserem Bundesland – durchaus ein Großunternehmen mit über 300 Arbeitsplätzen. Das kann also, denke ich mal, einfach nicht negiert werden, dass das Auswirkungen hat.

Dazu kommt der vollständige Verlust der Kreisfreiheit für alle drei Wirtschaftsschwerpunkte im Osten. Ob das Ganze dann am Ende zu einem Personalabbau geführt hat, ist durchaus fraglich. Wir haben 2011 insgesamt auf Gemeinde- und Kreisebene 13.240 Verwaltungsmitarbeiter gehabt und im Jahr 2015 dann 13.745, damit sogar 500 Mitarbeiter mehr. Es hat also nicht generell zu einem Personalabbau und zu einer Einsparung geführt.

Das Wachstum hat sich aber deutlich unterschiedlich verändert. Wir hatten im östlichen und im westlichen Landesteil bis 2011 annähernd das gleiche Wirtschaftswachstum, wenn Sie 2000 indizieren, und das auf 100 setzen. Dann hatten wir im westlichen Teil im Jahr 2011 127 und im östlichen 122, also gemessen am Bruttoinlandsprodukt, und 2014 ist es deutlich unterschiedlich. Da haben wir im Westen 137 und im Osten 125. Also während es im Westen noch mal zehn Punkte zugelegt hat,

(Andreas Butzki, SPD: Weil da SPD-Landräte sind.)

ist es im Osten nur noch um knapp drei Punkte gestiegen, während wir, wie gesagt, vorher eine annähernd kongruente Entwicklung hatten.

Wir haben eine Auseinanderentwicklung, das ist nicht zu leugnen. Was haben wir dadurch gemacht? Wir haben natürlich Arbeitsplätze in der Peripherie zurückgezogen. Man muss das Gutachten von dem Professor Klüter durchaus kritisch sehen. Ich weiß, dass nicht alle Arbeitsplätze aus den ehemaligen Kreisstädten wirklich zurückgezogen wurden. Wir haben durchaus Behörden und Ämter, die dortgeblieben sind. Das muss man noch mal klar sagen. Ich lade dazu ein, dass wir das wirklich differenzierter betrachten, aber die Tendenz ist schon so, dass tatsächlich aus den ehemaligen Kreisstädten Arbeitsplätze verschwunden und in die neuen Kreisstädte gewandert sind. Dadurch sind dort auch die Kosten gestiegen und, wie gesagt, Personaleinsparungen in dem Sinne gab es nicht.

Am Ende kommt dann der Herr Professor zu einer Verlustberechnung im Wirtschaftswachstum von über 4 Milliarden Euro in diesen wenigen Jahren. Das ist eine sehr beachtliche Zahl, wenn Sie daran denken, dass wir vorgestern über einen Landeshaushalt von 8 Milliarden Euro gesprochen haben, wenn wir also tatsächlich Wirtschaftsverluste oder Wachstumsverluste von 4 Milliarden im Osten hätten. Das sind, wie gesagt, Zahlen, über die wir noch sprechen müssen.

Ich denke, diese Aussprache heute ist erst mal nur der Auftakt in dieser Debatte. Ich möchte, dass das Thema nicht verlorengeht. Es kann nicht sein, dass in anderen Landtagen über Mecklenburg-Vorpommern diskutiert wird und wir selbst uns diesem Thema nicht stellen. Sie wissen auch, dass es eine althergebrachte Strukturpolitik in Deutschland immer schon gewesen ist, gerade in strukturschwachen Räumen etwas anzusiedeln, also staatliche Aufgaben anzusiedeln. Besonders deutlich war das im Militärbereich. Es wurden immer Kasernenstandorte gern dort angesiedelt, wo wenig Arbeitsplätze vorhanden waren, nicht nur, weil sie da weniger gestört hätten,

(Zuruf von Manfred Dachner, SPD)

sondern weil es einfach auch ein deutlicher Wirtschaftsfaktor in dieser Region war.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Da hatten sie auch weiten Platz zum Üben.)

Am Ende soll ja diese Debatte in einem Prozess auch mal dazu führen, dass wir überlegen können, wie man diese Auswirkungen mildern kann.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Die Arbeits- plätze waren eine logische Folge.)

Wie kann man es erreichen, dass tatsächlich die Wachstumsimpulse im Osten wieder stärker gegeben werden? Es ist nicht wahr, dass das ignoriert werden würde. Auch die Landesregierung selbst erkennt das an. Nicht umsonst gibt es diesen Parlamentarischen Staatssekretär für Vorpommern, weil anerkannt wird – ich glaube, sogar auf Vorschlag der CDU –, dass es Probleme im östlichen Landesteil gibt.

(Torsten Renz, CDU: Ich äußere mich mal jetzt lieber nicht.)

Ich wüsste eigentlich – ich weiß nicht, wer von der Landesregierung, ich vermute, Herr Minister Glawe, dazu ein paar Worte sagen wird – insbesondere gern, was die SPD dazu sagt,

(Martina Tegtmeier, SPD: Ja klar.)

denn meiner Erinnerung nach hat gerade die SPD diese Gebietsreform unbedingt gewollt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich freue mich auf die Debatte.

(Beifall vonseiten der Fraktion der BMV)

Ums Wort gebeten hat zunächst der Minister für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrter Herr Fraktionsvorsitzender Wildt, natürlich ist die Debatte wichtig, die Sie hier anstoßen wollen, aber ich will darauf hinweisen, die Kreisgebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern hat insgesamt, glaube ich, zehn Jahre gebraucht, vielleicht nicht ganz, aber acht, neun Jahre. 2011 ist sie ja dann umgesetzt worden. Die Ausgangslage war schon Anfang 2002 diskutiert worden. Das Ergebnis war, dass auch in Mecklenburg-Vorpommern eine Kreisgebietsreform abgesagt wurde, fünf Jah

re später wurde sie dann umgesetzt. Das ist durchaus in Thüringen oder auch in Brandenburg noch nicht das letzte Wort beziehungsweise muss es nicht sein, jedenfalls jetzt hat man abgesagt. In Thüringen müssen wir bald einen Landtag wählen, nämlich 2019. Von daher ergibt sich das eine oder andere politische Thema.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Nicht, dass da die CDU vom Chefankläger zum Chefreformer wird, Herr Glawe!)

Ja, das wissen wir doch alles, Herr Kollege Parlamentarischer Geschäftsführer. Sie haben damals regiert und sind daran sozusagen gescheitert.

(Heiterkeit bei Peter Ritter, DIE LINKE: Und Sie waren der Chefankläger und waren dann der Chefreformer. – Zuruf von Torsten Renz, CDU)