Protokoll der Sitzung vom 14.09.2018

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir können nicht hinnehmen, dass Menschen bedroht werden, weil sie anders aussehen. Wir können nicht hinnehmen, dass Menschen bedroht oder eingeschüchtert werden, weil sie von den Ereignissen berichten wollen als Journalisten. Wir können nicht hinnehmen, wenn Menschen durch Chemnitz ziehen und das Gewaltmonopol des Staates infrage stellen, und natürlich können wir nicht hinnehmen, dass Menschen durch die Straßen ziehen und den Hitler-Gruß zeigen. Um es ganz klar zu sagen: Wir werden es auch nicht hinnehmen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Das, was wir in Chemnitz erlebt haben, das war keine freie Meinungsäußerung, das ist kriminell, und gegen Kriminelle gehen wir mit Mitteln des Rechtsstaates vor. Dazu haben wir die Polizei, die Justiz und, meine Damen und Herren, ich hoffe, auch den Verfassungsschutz. Als Ostdeutscher reagiere ich, insbesondere als Ostdeutscher reagiere ich da besonders empfindlich, wenn es Zweifel daran gibt, dass der Verfassungsschutz in besonderer Weise darauf schaut, dass der Erhalt der freiheitlich-demokratischen Grundordnung gewährleistet bleibt. Und ich sage Ihnen ganz offen, ich habe keinerlei Verständnis dafür, wie Herr Maaßen sich in den letzten Wochen generiert hat.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Ich denke, der ist nicht im Amt zu halten.

(Zurufe von Dirk Lerche, AfD, und Dr. Ralph Weber, AfD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei den Demonstrationen wurde gerufen „Wir sind das Volk!“. Mir ist wichtig zu betonen, dass wir alle das Volk sind: Demonstranten und Gegendemonstranten. Und ja, richtig, es gibt in der Bevölkerung Unmut und auch Ängste. Gespeist werden diese Gefühle sowohl von realen Vor

kommnissen als auch von falschen, bewusst verdrehten Darstellungen. Unsere Aufgabe ist es aufzuklären, und da, wo reale kriminelle Machenschaften, von wem auch immer, laufen, diese konsequent zu unterbinden. Dafür ist die Polizei der erste Ansprechpartner, und unsere Polizistinnen und Polizisten machen einen guten Job, meine Damen und Herren.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Wichtig und richtig ist aber bei der ganzen Diskussion um Schuld, dass Schuld immer etwas sehr Individuelles ist, und Schuld muss dann auch individuell festgestellt werden. Nur, weil beispielsweise zwei Rothaarige ein Verbrechen begehen, kann man nicht sagen, dass alle Rothaarigen Verbrecher sind.

(Zuruf von Stephan J. Reuken, AfD)

Auch wenn ein Syrer, ein Afghane oder welche Nationalität auch immer, wenn jemand ein Verbrechen begeht, dann kann man nicht sagen, dass alle Menschen dieser Volksgruppe schuldig sind. Würden wir diese Verallgemeinerung zulassen, meine Damen und Herren, stünden wir wieder in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts, als man seinerzeit pauschal den Juden mit einem gelben Stern die Schuld zugewiesen hat. Was danach kam, wissen wir alle.

Meine Damen und Herren, unsere Demokratie lebt vom engagierten Menschen, von kritischen Bürgern, die auch Widerspruch ausüben und für ihre Interessen auf die Straße gehen. Es muss aber für jedes demokratische Engagement eine absolute, eine niemals zu überschreitende Grenze geben: Das ist die Grenze von Gewalt, Rassismus, Menschenverachtung. – Besten Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, DIE LINKE und Vincent Kokert, CDU)

Zunächst möchte ich ein Versäumnis nachholen, worauf ich nicht sofort reagiert habe, aber was ich sehr wohl wahrgenommen habe. Der Abgeordnete Förster hat eine persönliche Beleidigung gegenüber dem Fraktionsvorsitzenden hier vorgebracht. Dafür erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.

Jetzt hat das Wort für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Ritter.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Herz schlägt für dieses Land.

(Christoph Grimm, AfD: Na, das glaube ich nicht.)

Und weil das so ist, möchte ich zu Beginn meiner Rede mal den große deutschen Dichter zitieren, nämlich Heinrich Heine:

„Denk ich an Deutschland in der Nacht, Dann bin ich um den Schlaf gebracht, Ich kann nicht mehr die Augen schließen, Und meine heißen Tränen fließen.“

Diese erste Strophe in Heinrich Heines bekanntem Gedicht „Nachtgedanken“ ist für mich aktueller denn je.

(Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)

In Chemnitz oder Köthen kam es jüngst zu Gewaltverbrechen, Verbrechen, wie sie in Deutschland leider täglich vorkommen. Für die betroffenen Familienangehörigen und Freunde ist der Verlust des Sohnes, des Ehemannes, des Vaters oder der Mutter oder Tochter ein schwerer Schlag. Sie müssen das Schicksal verarbeiten. Trauer mischt sich mit Entsetzen, Wut oder Fassungslosigkeit. Mit all dem müssen die Hinterbliebenen klarkommen. Und auch wenn es nur ein schwacher Trost sein kann, wir sind heute mit den Gedanken bei den Familien und Freunden der Opfer.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir führen diese Debatte aber nicht nur deshalb, um den Hinterbliebenen öffentlich zu kondolieren. Wir führen die Debatte vor allem deshalb, um unser Entsetzen über die schrecklichen Ereignisse nach den Verbrechen klar zum Ausdruck zu bringen. Und weil wir das fraktionsübergreifend machen, möchte ich die Bundeskanzlerin zitieren, die vorgestern im Bundestag sagte, dass es „keine Entschuldigung und Begründung für Hetze, zum Teil Anwendung von Gewalt, Nazi-Parolen, Anfeindung von Menschen, die anders aussehen, die ein jüdisches Restaurant besitzen, Angriffe auf Polizisten“ gibt. Die Bundeskanzlerin verwies in ihrer Rede auf das Demonstrationsrecht. Sie sagte aber auch, ich zitiere: „Ich lasse aber nicht gelten, dass das eine Entschuldigung für menschenverachtendes Verhalten ist.“ Es dürfe bei der Achtung der Menschenwürde keinen Rabatt geben, „für niemanden“. Zitatende.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gebe der Bundeskanzlerin nicht oft recht, in dieser Bewertung stimme ich ihr aber in vollem Umfang zu, so, wie ich sie in ihrer humanen Haltung während der Flüchtlingskrise aus vollem Herzen unterstützt habe, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE)

Und ich füge hinzu, nicht der Umstand, dass ein Mensch einen anderen Menschen getötet hat, führte zu den schlimmen Ereignissen in Chemnitz, es war der Umstand, dass Asylbewerber einen Deutschen getötet hatten. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, selbstverständlich muss die Täter die Härte des Gesetzes treffen. Das aber ist Angelegenheit der unabhängigen Justiz. Und statt einer würdevollen Trauer mussten wir mitansehen, dass der Tod eines Menschen für eine gefährliche und menschenverachtende Hetze instrumentalisiert wurde.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass der Tod von Daniel H. von Rechtsradikalen missbraucht wird, ist doch nicht nur mein Eindruck oder gar die Überzeugung nur meiner Fraktion oder der antragstellenden Fraktionen. Lesenswert in diesem Zusammenhang ist ein Artikel etwa in der taz vom 3. September dieses Jahres.

(Dr. Ralph Weber, AfD: Die ist ja auch so liberal, ne?)

Ist auch so liberal, Herr Professor Weber.

In diesem Bericht äußern sich die Witwe und die Freunde von Daniel H. Vielleicht hören Sie bis zum Ende zu.

Daniel H. hätte demnach die politische Instrumentalisierung nicht gewollt. Er habe selbst aufgrund seiner Herkunft zu Lebzeiten Rassismus erlebt. Ein Freund äußerte sich wie folgt, ich zitiere: „Diese Rechten, die das als Plattform nutzen, mit denen mussten wir uns früher prügeln, weil sie uns nicht als genug deutsch angesehen haben.“ Zitatende.

(Christoph Grimm, AfD: Das macht die Sache besonders tragisch.)

Ein weiterer Bekannter erzählte, Daniel H. sei kein Freund der AfD gewesen. Auch auf Facebook hat H. sich selbst politisch geäußert. Ein wenn auch derbes Zitat möchte ich wiedergeben: „Die Nationalität ist völlig egal! Arschloch ist Arschloch!“ Zitatende.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Definition von Professor Weber folgend war Daniel H. also im Übrigen gar kein Biodeutscher, sondern Deutschkubaner. Aber selbst dieser Umstand stört die Rechtsextremisten und die AfD-Politikerinnen und -Politiker nicht,

(Dr. Gunter Jess, AfD: Wir sind auch keine Rechten.)

denn unter dem Deckmantel der Trauer konnten sie gegen Ausländer hetzen und gegen Migranten Jagd veranstalten. Und das tun sie noch heute, auch verbal.

(Dr. Gunter Jess, AfD: Das ist eine Verleumdung! Das ist eine Verleumdung!)

Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, die in diesem Zusammenhang geführte Debatte, ob es sich nun um eine Hetzjagd gehandelt hat oder nur um Hetze oder um Jagd, die ist völlig überflüssig.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE – Zuruf von Dr. Gunter Jess, AfD)

Gegen diese Hetze, ob in Chemnitz oder sonst wo in unserer Bundesrepublik, stellen sich die Fraktionen der SPD, der CDU, DIE LINKE und BMV mit ihrem heutigen Antrag. Wer Hitler-Grüße zeigt, wer Parolen skandiert, wie „Wir sind die Krieger, wir sind die Fans, Adolf Hitler, Hooligans“, wer Polizistinnen und Polizisten, Journalistinnen, Journalisten attackiert, wer zu Gewalt und Hass aufstachelt und wer all das verharmlost, ignoriert, toleriert oder begrüßt oder eben einfach nur mitläuft, der sorgt für noch mehr Hass, Gewalt und Intoleranz, und der trägt zur weiteren Spaltung unserer Gesellschaft bei.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Und da sind Sie, werte Herren von der AfD, eben mittendrin. Das ist die Mutter aller Probleme, liebe Kolleginnen und Kollegen,

(Thomas Krüger, SPD: Das ist wohl wahr.)

und nicht die Migrantinnen und Migranten. Ungerechtigkeit und Krieg – das ist die Ursache aller Probleme.

Und, lieber Kollege Manthei, wenn Menschen hier im Land den Antrag auf Asyl stellen, dann tun sie das auf Grundlage geltender Rechte, auch auf der Grundlage des Artikels 16a unseres Grundgesetzes.

(Zurufe von Dirk Lerche, AfD, und Dr. Matthias Manthei, BMV)

Wer hier verallgemeinernd von illegaler Einwanderung spricht, der bedient nur am Ende den Stammtisch, lieber Kollege Manthei.

(Zuruf von Jens-Holger Schneider, AfD)

Nennen wir also das Problem beim Namen! Das Problem heißt nicht Migration, das Problem heißt Rassismus, liebe Kolleginnen und Kollegen.