Protokoll der Sitzung vom 22.11.2018

beitsjahren als Rentnerin und Rentner nicht in der Grundsicherung für Arbeit zu landen. Dabei möchte ich betonen, dass man mit einer Rente knapp oberhalb der Grundsicherung keine großen Sprünge machen kann und dass es trotz technischen Fortschritts auch in der Zukunft eine Herausforderung bleibt, überhaupt 45 Arbeitsjahre bei einigermaßen guter Gesundheit zu schaffen.

Wir haben seinerzeit 10 Euro vorgeschlagen. Aufgrund fortschreitender Entwicklungen und aktuellerer Berechnungen zum Beispiel des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages sind inzwischen allerdings mindestens 12 Euro angemessen.

(Torsten Renz, CDU: Das hat die Mindestlohnkommission ausgerechnet, 9,89 Euro.)

Das zeigen auch andere Vergleichsgrößen, Kollege Renz. So lag die Niedriglohnschwelle, die zwei Drittel des mittleren Einkommens in Deutschland markiert, 2010 bereits bei 10,36 Euro und 2014 bei 11,09 Euro. Der gesetzliche Mindestlohn war also auch gemessen an diesem Indikator schon bei seiner Einführung zu niedrig. Er ist es auch mit den aktuell noch geltenden 8,84 Euro und er bleibt es selbst mit den beschlossenen Erhöhungen auf 9,19 Euro beziehungsweise 9,35 Euro jeweils zu Jahresbeginn 2019 und 2020. In den genannten Höhen ist der gesetzliche Mindestlohn schlicht nicht armutsfest.

Ich möchte noch auf einen dritten Aspekt hinweisen: Für alleinstehende Personen, die 38 Stunden, also Vollzeit arbeiten, reicht ein gesetzlicher Mindestlohn häufig nicht aus um den eigenen Lebensunterhalt unabhängig von staatlichen Leistungen zu finanzieren. Ich möchte hier verweisen auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der dortigen Linksfraktion, die ans Licht brachte, dass derzeit in 63 von 401 Kreisen und kreisfreien Städten die Wohnkosten so hoch sind, dass ein solch niedriger Mindestlohn eben nicht ausreicht. Das waren 19 mehr als im Jahr zuvor. Und auch hier kann die geplante Erhöhung das Problem bestenfalls abmildern, aber eben nicht komplett beseitigen.

Mein Zwischenfazit ist daher folgendes: Der gesetzliche Mindestlohn sichert derzeit keine Rente oberhalb der Grundsicherung, ist nicht armutsfest und kann bei Alleinstehenden vielfach nicht einmal sicherstellen, dass sich diese mit ihrer Hände Arbeit das eigene Dach über dem Kopf ohne staatliche Unterstützung leisten können. Deshalb thematisieren wir diese Frage heute erneut im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern.

Wenn man eine Weile dabei ist, kann man in etwa erahnen, welcher Argumentationslinie die politische Konkurrenz, also Sie, meine Damen und Herren, wohl folgen wird. Daher möchte ich schon in meiner Einbringungsrede auf zwei vermutlich zentrale Fragen eingehen.

(Heiterkeit bei Torsten Renz, CDU: Das könnte ein taktischer Fehler sein.)

Die eine betrifft den Vorrang für Tarifverträge. Dazu will ich ganz klar sagen, ja, es wäre schön, wenn die Tarifbindung endlich tatsächlich gestärkt würde und mehr Arbeitgeber mit den Gewerkschaften zu entsprechenden Tarifabschlüssen kommen würden. Faktisch ist das je

doch in den letzten Jahren nicht gelungen. Nach wie vor ist nur jeder fünfte Betrieb im Land tarifgebunden. Und immer noch profitiert auch nur knapp die Hälfte der Beschäftigten von den Regelungstatbeständen eines Tarifvertrages. Deshalb bleibt eine vernünftige Weiterentwicklung des Mindestlohns als Haltelinie im System gerade hierzulande auch weiterhin von größter Bedeutung.

Die zweite Frage betrifft die Systematik der Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns. Gern wird ja als Argument gegen die jetzt vielfach im Raum stehenden 12 Euro ins Feld geführt, man habe doch schließlich eine Mindestlohnkommission gegründet, um einen politischen Überbietungswettbewerb auszuschließen und die Mindestlohnerhöhung an der allgemeinen Tarifentwicklung auszurichten.

(Torsten Renz, CDU: Genau. Genau dem Argument folgen wir.)

Ich weiß nicht, ob ich Sie damit jetzt überrasche, aber am Grundsatz, dass sich auch zukünftige Erhöhungen des gesetzlichen Mindestlohns an der tariflichen Entwicklung orientieren sollen, muss man gar nicht zwangsläufig etwas ändern. Wenn man allerdings feststellt, dass die jetzige Höhe mindestens mal in Ballungsräumen weder existenzsichernd noch armutsfest ist und Beschäftigte auch nach einem langen Arbeitsleben Gefahr laufen, staatliche Hilfe beanspruchen zu müssen, dann darf und dann muss man aus meiner Sicht noch einmal über das Ausgangsniveau diskutieren. Genau deshalb hat beispielsweise Professor Stefan Sell, Volkswirtschaftler in der Bundestagsanhörung, im Herbst des vergangenen Jahres vorgeschlagen, eben jenes viel zu niedrige Ausgangsniveau zunächst in einem einmaligen Schritt auszugleichen. Den politischen Willen vorausgesetzt, ginge das durchaus.

Wenn man die Entwicklung auf der Bundesebene seitdem betrachtet, muss man jedoch ernüchtert feststellen, dass es zwar namhafte Protagonisten, insbesondere aus den Reihen der SPD, wie Thomas Oppermann oder Olaf Scholz gibt, die in den Kolumnen überregionaler Tageszeitungen einer baldigen Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro das Wort reden, allerdings haben sie bislang noch nichts Produktives zustande gebracht, um den dafür notwendigen, eben angesprochenen Schritt auch tatsächlich zu vollziehen. Deshalb bin ich auch ausgesprochen skeptisch, wenn ich gefragt werde, wie ernst man diese Aussagen führender Sozialdemokraten nun tatsächlich nehmen kann.

Mit unserem Antrag geben wir Ihnen, werte Kolleginnen und Kollegen der SPD im Landtag von MecklenburgVorpommern, heute die Chance, sich klar zu positionieren.

(Christian Brade, SPD: Machen wir!)

Mal sehen, was Sie hier in der Debatte vortragen werden und wie Sie sich dann in der namentlichen Abstimmung zu unserem Antrag, die ich schon mal beantragen möchte, verhalten werden.

(Torsten Renz, CDU: Oha!)

Wenn wir gemeinsam auf die Entwicklung seit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zurückschauen, sind mir persönlich noch drei weitere Dinge wichtig:

Erstens möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass die von den Wirtschaftsverbänden vorgetragenen Befürchtungen – manche sprechen ja gar von Horrorszenarien – nicht eingetreten sind. Statt massenhaften Arbeitsplatzverlusten gab es einen Aufwuchs an Beschäftigung und der private Konsum wurde angekurbelt.

Zweitens bleibt es für mich bei der schon oft getroffenen Feststellung, dass jede gesetzliche Regelung am Ende auch nur so gut ist, wie sie effektiv durchgesetzt werden kann. Vielfach haben der DGB Nord und auch meine Fraktion in den vergangenen Jahren darauf hingewiesen, dass die Finanzkontrolle Schwarzarbeit auch in Mecklenburg-Vorpommern personell gestärkt werden muss.

Mehr Mindestlohnkontrolleure für den Norden forderte beispielsweise DGB Nord-Chef Uwe Polkaehn im Februar dieses Jahres, und den Grund lieferte er auch gleich mit dazu. Bei vielen Beschäftigten komme der Mindestlohn deshalb nicht an, weil Arbeitgeber immer noch tricksen und täuschen würden. Das wurde dann im März noch einmal untersetzt durch Zahlen. Durch Verstöße gegen das Mindestlohngesetz wurden Schätzungen zufolge den Beschäftigten mindestens 470 Millionen und den Sozialkassen rund 80 Millionen Euro aus den Sozialabgaben der Arbeitgeber vorenthalten.

Noch einmal wiederholte Uwe Polkaehn folgerichtig auch die Forderung, offene Stellen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit schneller zu besetzen, mehr Planstellen zu schaffen und die Ausbildungskapazitäten auszuweiten, denn nur so könne die Kontrolldichte auch in kleineren Betrieben erhöht werden. Und er warnte ausdrücklich noch einmal davor, Dokumentationspflichten gerade in Sachen Arbeitszeit pauschal als überbordende Bürokratie zu geißeln, weil sie eben notwendig sind, um tatsächlich wirksam prüfen zu können, Verstöße zu ahnden und die Beschäftigten in der vom Gesetzgeber gewünschten Form vor Lohndumping zu schützen.

Und drittens sollten die immer noch im Gesetz stehenden Ausnahmen für bestimmte Personengruppen wie Jugendliche unter 18 ohne abgeschlossene Berufsausbildung oder Langzeitarbeitslose endlich abgeschafft werden. Das IAB hat schon 2016 an einer Studie belegt, dass die Regelung, Letztere während der ersten sechs Monate nach Aufnahme einer Beschäftigung vom Mindestlohn auszunehmen, nicht zu vermehrten Einstellungen geführt hat und letztlich wirkungslos verpufft ist.

Meine Damen und Herren, ich denke, damit unseren Antrag umfassend begründet zu haben, und möchte Sie zum Schluss darauf hinweisen, wie die jetzt geplante Erhöhung in den sozialen Netzwerken nicht ohne Sarkasmus kommentiert wird. „2019 wird der Mindestlohn um 39 Cent erhöht, der Porsche ist bestellt, die Reise auf die Malediven gebucht – jetzt wird endlich gelebt“, steht beispielsweise dort zu lesen,

(Zuruf von Beate Schlupp, CDU)

oder etwas ernsthafter: „Gebt den Politikern den Mindestlohn und schaut dann, wie schnell sich die Dinge ändern können.“ Zeigen wir also all jenen Spöttern und Zweiflern, dass es auch anders geht, und tun wir etwas! – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 120 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Für die Landesregierung hat ums Wort gebeten der Minister für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit. Herr Glawe, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Herr Foerster, Sie haben völlig recht, der Deutsche Bundestag hat gute Gründe, den Mindestlohn nicht vom Staat festlegen zu lassen, sondern von einer Mindestlohnkommission. Sie ist paritätisch mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzt. Sie empfiehlt dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, wie hoch künftig der Mindestlohn sein soll. Das wird dann auch umgesetzt. Der Mindestlohn folgt bestimmten festgelegten Kriterien, die Mindestlohnkommission berichtet dazu, sodass deren Empfehlungen transparent und nachvollziehbar sind.

Um diesen Grundsatz zu ändern, müssten Sie sozusagen den Deutschen Bundestag bewegen, die Kriterien und die Festlegungen, die er bei der Feststellung des Mindestlohns getroffen hat, und die Mindestlohnkommission zu thematisieren – da würde ich Sie bitten, dass Sie das Ihren Kollegen im Deutschen Bundestag in besonderer Weise mitteilen,

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU – Torsten Renz, CDU: Ja. – Zuruf von Marc Reinhardt, CDU)

dass sie dafür kämpfen und nicht immer die Dinge bei uns hineintagen, für die wir eigentlich in dem Sinne nicht zuständig sind. Das liegt Ihnen gut: Da, wo keine Verantwortung ist, da tragen Sie es hin, und da, wo die Verantwortung dann ausgeübt werden soll, da höre ich gar nicht so viel von den LINKEN im Deutschen Bundestag.

(Henning Foerster, DIE LINKE: Ach so!)

Es gibt drei gute Gründe, weshalb der Staat den Mindestlohn in Höhe von 12 Euro ablehnen soll:

Erstens. Ich bin der festen Überzeug, dass, wenn die Festlegung der Mindestlöhne eine rein staatliche Aufgabe wäre, der Mindestlohn dann politisch sozusagen festzulegen wäre. Die Folge wäre ein Überbietungswettbewerb, vor allen Dingen vor Wahlen.

(Henning Foerster, DIE LINKE: Haben Sie nicht zugehört, was ich eben dazu konkret vorgeschlagen habe?)

Ja. Dazu haben Sie Ihre einschlägigen Erfahrungen.

(Zuruf von Henning Foerster, DIE LINKE)

Das ist etwas, was uns von den LINKEN unterscheidet. Wir sind …

(Zuruf aus dem Plenum: Wer ist denn „uns“? – Zuruf von Torsten Koplin, DIE LINKE)

„Uns“ ist die CDU zum Beispiel, auch andere, aber ich rede hier für die CDU. Von daher kann ich das mit Fug und Recht sagen, uns, die CDU.

(Unruhe vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Ich bin immer noch CDU-Minister.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Karen Larisch, DIE LINKE)

Wir würden den Mindestlohn als Spielball politischer Kräfte vollkommen von allen wirtschaftlichen Zusammenhängen abkoppeln. Das halte ich schlicht und ergreifend für schädlich. Wir wollen, dass die Tarifpartner bei der Festlegung der Empfehlungen der Mindestlöhne mitwirken. Der Mindestlohn ist dabei kein Mindestlohn der Tarifparteien. Daher ist es wichtig, dem Mindestlohn nicht den Charakter von tarifautonomer Gestaltung zu geben. Dazu muss sich der Mindestlohn nachlaufend an den Tarifentwicklungen orientieren. So wird ja auch verfahren, wie es vom Statistischen Bundesamt festgestellt wird.

Die für die amtliche Mindestlohnkommission geltende Geschäftsordnung sieht daher zu Recht und zum Schutz der Tarifautonomie diese weitgehende Bindung an den Tarifindex vor. Die Mindestlohnkommission hat also eine subsidiäre Struktur und schützt die Freiheit. Wir wollen eine soziale und freiheitliche Wirtschaftsordnung, keine reglementierte, meine Damen und Herren.

Zweitens. Ein Mindestlohn von 12 Euro würde andere niedrige Tarifabschlüsse in besonderer Weise unterlaufen. Herr Foerster, wollen Sie wirklich, dass die mit den Gewerkschaften vereinbarten Vergütungssysteme unterhalb dieser Schwelle hinzugefügt werden?