Protokoll der Sitzung vom 13.03.2019

(Thomas Krüger, SPD: Mit Abstand!)

und zwar das mit Abstand am dünnsten besiedelte Bundesland. Und deshalb, meine Damen und Herren, stellt sich der Politik in ganz vielen Feldern die Frage: Was ist wichtiger, Nähe oder Qualität? Darum geht es.

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Nähe und Qualität.)

Man braucht beides. Übrigens, dieser Kompromiss mit den Zweigstellen soll genau das sicherstellen, dass wir weiter vor Ort sind und trotzdem die notwendige Qualität da ist.

Ich nehme an, dass nicht alle wissen, dass für Richter eine gewisse Besonderheit besteht: Wenn man Richter wird, bekommt man eine Urkunde und da steht nicht drin „wird zum Richter ernannt“, sondern da steht „wird zum Richter am Amtsgericht Bergen ernannt“ zum Beispiel. Und wenn Sie dem Richter dann sagen, ich brauche dich jetzt aber dringend, weil da ständig Krankheitsausfälle sind, in Wolgast, dann sagt der, guckt dir mal meine Urkunde an, da ist nichts zu machen. Das ist bei Zweigstellen anders. Das ist ein Gericht – das Hauptgericht und die Zweigstelle. Deshalb besteht da die Möglichkeit, einen vernünftigen Austausch zu machen.

Zur Qualifikation. Wenn man eigene Beispiele bringt, ist das immer ein bisschen problematisch. Ich habe eine Urkunde über 25 Jahre Verwaltungsrichter. Verwaltungsrichter sind sehr spezialisiert. Ich habe in meinem Berufsleben ab und zu die Materien gewechselt und ich sage Ihnen, das ist etwas sehr Spannendes, da muss man sich sehr vertieft einarbeiten. Es ist schon gut, wenn man auf einen Richter trifft, der Spezialist ist in seiner Materie.

Ich habe während der Diskussion damals ab und zu das Beispiel gebracht: Stellen Sie sich vor, Sie haben einen schweren Meniskusschaden, gehen zum Arzt, und zwar zu einem, der schnell erreichbar ist, jetzt „Erreichbarkeit/Qualität“, der wohnt um die Ecke, und der sagt, das ist ja spannend. Also das wollte ich immer mal machen, so eine Operation wollte ich immer mal machen. Seit ich studiert habe, denke ich daran. Schön, dass ich Sie treffe, ich würde das gerne mal versuchen.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktion der CDU und Christel Weißig, Freie Wähler/BMV)

Ich glaube, jeder von Ihnen würde sagen, nee, nee, nee, also da gucke ich doch lieber, ob wir eine Universitätsklinik haben, wo spezialisierte Leute sind. Um diese Idee geht es auch bei den Gerichten, dass man das Gefühl hat, ich habe da jemanden, der sieht nicht zum ersten

Mal so einen Fall, sondern der kann das richtig beurteilen. Ich glaube, dass das eine wichtige Sache ist.

Jetzt zu der Frage, hat denn die Reform überhaupt was gebracht. Man könnte natürlich sagen, die Reform hat verhindert, dass die Dinge zusammengebrochen sind. Ja, wenn wir weniger Fälle haben. In der Justiz, das wissen wahrscheinlich die meisten auch nicht, ist es so, dass immer ganz genau erfasst wird, wie viele Fälle haben wir und wie viele Richter brauchen wir dafür, und dann wird auch entsprechend nachgesteuert. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir sagen, ja, es hat hier keinen Zusammenbruch der Justiz gegeben, sondern es ist wirklich so, dass sogar die Bearbeitungszeiten besser geworden sind.

Nun können wir nicht so tun, als hätte dies nichts mit der Struktur zu tun. Da komme ich wieder auf den Arzt zurück. Der Arzt, der zum ersten Mal ein Knie operiert, braucht ein bisschen länger. Ich hoffe jedenfalls, dass er sich etwas vorbereitet, und dann braucht der einfach länger. Wenn Sie spezialisierte Leute haben, dann erledigen die die Fälle selbstverständlich viel schneller. Der Richter kriegt ganz neu eine Akte und er sagt, Mensch, das kenne ich doch, schreibt die Parteien an und sagt, wir haben schon 13-mal so entschieden, überlegen Sie sich, ob Sie die Klage beibehalten wollen, und schon ist der Fall erledigt. Das ist, glaube ich, eine ganz wichtige Sache.

Jetzt ist gesagt worden, ja, das ist so eine Riesenarbeit, die Akten hin- und herzutransportieren. Wir alle gehen davon aus, dass wir demnächst die elektronische Akte haben, und dann fällt dieses Argument weg. Ich bitte, diese Reform in dem Kontext zu sehen, dass wir als das am dünnsten besiedelte Bundesland diese schwierigen Entscheidungen immer wieder zu treffen haben, wie organisieren wir das. Ich will deutlich sagen, ich glaube auch, dass wir das im Gesundheitswesen machen müssen, dass wir sehr genau ordnen müssen, was ist mit den kleinen Krankenhäusern, die ich alle erhalten möchte. Aber sollen die in Zukunft immer alles machen oder muss man die spezialisieren? Was ist mit den Universitätskliniken? Auch da wird man einen klugen Plan brauchen.

Ich halte viel davon, dass man, wenn man solche Reformen macht, ganz viel mit den Leuten spricht. Das sollten wir dann auch tun. Gerade bei der Gesundheit ist das, glaube ich, eine Riesengeschichte. Das haben wir ja gesehen in Wolgast. Da muss man einfach genug werben, damit die Leute verstehen, worum es geht. Es geht nicht darum, dass ich vor meiner Tür ein Gericht finde, das irgendwie urteilt, sondern es geht darum, dass ich die bestmögliche Behandlung kriege bei der Gesundheit, in der Verwaltung und auch vor Gericht. Das ist das Ziel.

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Vor Gericht und auch in der Kita.)

Ja, so ist es.

(Dr. Ralph Weber, AfD: Kein Gericht urteilt irgendwie, das sollten Sie als Richter genau wissen!)

Bitte? Irgendwie?

(Dr. Ralph Weber, AfD: Das hatten Sie gesagt!)

Nein, okay, sagen wir noch mal zwei, drei Sätze mehr. Wenn Sie ein Gericht haben, das mit dreieinhalb Leuten besetzt ist, und da fällt einer dauerhaft aus oder vielleicht eineinhalb oder eine der jungen Richterinnen, auf die wir stolz sind, bekommt ein Kind, so, wenn Sie da nicht die Möglichkeit haben, dass Sie gegensteuern können, dass da genug am Gericht sind, dann wird das ein Riesenproblem sein. Es geht um die Rechtsuchenden, es geht um die Bürgerinnen und Bürger des Landes, dass sie ihr Recht kriegen.

(Zuruf aus dem Plenum: Genau.)

Denen ist es, glaube ich, lieber, dass sie schnelle Urteile bekommen, und nicht, dass sie etwas weniger fahren müssen bei dem einen Mal in fünf Jahren, bei dem sie vor Gericht sind. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Ums Wort gebeten hat noch einmal für die Fraktion DIE LINKE die Abgeordnete Frau Bernhardt.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin!

Sehr geehrter Herr Sellering, ich schätze Sie wirklich sehr als ehemaligen Ministerpräsidenten. Auch als Justizminister durfte ich Sie noch erleben. Aber mich hier abzutun aufgrund der Art und Weise meines Auftretens, ist, finde ich, einfach anmaßend. Ich versuche jetzt, meine folgenden Argumente etwas freundlicher rüberzubringen,

(Andreas Butzki, SPD: Na, da sind wir mal gespannt!)

vielleicht trifft es ja dann eher auf Ihre Zustimmung.

Ich finde, Ihre Geschichten sind wirklich schön, aber die Argumente sind alt und sie haben sich in der Praxis eben nicht bewahrheitet.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Zuruf von Thomas Krüger, SPD)

Der Verdacht, dass wir Zweigstellen abschaffen und dass wir das prophezeien, das ist einfach faktisch jetzt schon gegeben. Herr Manthei hatte es für Anklam wirklich sachlich beschrieben, wie dort schon jetzt kein Richter mehr vorhanden ist, der in Pasewalk aushelfen könnte und dort einen Personaleinsatz geben könnte. Ich hatte die Situation für die Zweigstelle Demmin berichtet: Von ehemals acht Richtern sind heute noch vier da. In Neubrandenburg wurde uns mitgeteilt, dass sie noch nicht wissen, wie sie den am Ende des Jahres in Ruhestand gehenden Richter ersetzen wollen, weil einfach keiner mehr nach Demmin möchte in die Zweigstelle, weil einfach faktisch schon jetzt eine Aufgabenaushöhlung stattfindet.

(Thomas Krüger, SPD: Ich habe gedacht, das wären Beamte. – Peter Ritter, DIE LINKE: Tja, so kann man sich manches denken, Thomas, die Realität ist eine andere!)

Diese Aufgabenaushöhlung kann man hier auch nicht wegreden. Das ist schon jetzt Fakt, wenn Sie vor Ort gehen. Ich kann nur empfehlen, gehen Sie wirklich jetzt

mal zu den Gerichten, informieren Sie sich, reden Sie mit den Direktoren, mit den Zweigstellenleitern. Genau diese Probleme werden Ihnen dann berichtet. Deshalb sage ich auch, die Argumente sind alt. Es ist auch gar keine Frage, dass Sie das heute noch mal in Schutz nehmen, weil Sie die Gerichtsstrukturreform ja maßgeblich mit vorangetrieben haben.

(Erwin Sellering, SPD: So ist es.)

Aber faktisch ist es schon so, dass der Personaleinsatz flexibel eben nicht stattfindet zwischen einer Zweigstelle und einem Vollgericht. Das liegt zum einen an der Spezialisierung der Richter in beiden Gerichtsstandorten, weshalb uns mitgeteilt wurde, dass dieser flexible Personaleinsatz nicht der Fall ist, und weshalb wir sagen, es kann wieder zum Vollgericht umgewandelt werden, weil dann wäre die Unsicherheit, ob die Zweigstelle weiter besteht oder nicht, nicht mehr gegeben. Wenn es ein Vollgericht ist, bleibt es weiterhin bestehen.

Insofern kann ich genau diese Argumente, die Sie vorgetragen haben, nicht teilen. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, bei der Frage, ob Nähe oder/und Qualität, steht meine Fraktion ganz eindeutig dafür, es muss die Nähe und die Qualität von Gerichten gegeben sein, von richterlichen Entscheidungen. Und genau das müssen wir hinbekommen. Ich finde, von 31 auf jetzt 10 zu minimieren – 31 Amtsgerichte ehemals, das sind zwei Drittel weniger –, schon das zeigt eigentlich, dass wir uns nach und nach immer weiter vom Bürger entfernt haben, dass die Nähe schon heute fraglich ist. 50 Kilometer zum nächsten Gericht zu fahren, ist wirklich für viele Leute schon gar nicht mehr zu leisten. Gerade wenn man auf ÖPNV, auf Bus und Bahn, angewiesen ist, schafft man das gar nicht mehr. Also die Nähe ist schon heute wirklich fraglich. Und dann noch zu sagen, na, wir müssen uns entscheiden zwischen Nähe oder Qualität, dann stimmt das einfach nicht.

(Thomas Krüger, SPD: Und wie ist das beim Arbeitsgericht?)

Wir müssen Nähe und Qualität gewährleisten. Genau das ist unsere Pflicht.

Ich hoffe, meine Stimme, meine Stimmlage hat Ihnen jetzt besser gefallen, und ich konnte Sie überzeugen.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU – Peter Ritter, DIE LINKE: Glaube ich nicht! Glaube ich nicht! – Zuruf von Erwin Sellering, SPD)

Vielleicht können SPD und CDU sich doch noch mal dazu durchringen, diesen Gesetzentwurf in den Rechtsausschuss zu überweisen. – Wir danken.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Patrick Dahlemann, SPD: Vorwärts immer! – Zuruf von Sebastian Ehlers, CDU)

Ums Wort gebeten nach noch einmal für die Fraktion Freie Wähler/BMV der Abgeordnete Herr Dr. Manthei.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nur noch drei Anmerkungen zu den Vorrednern, einmal zu

der Spezialisierung. Das ist damals in der Reform ebenfalls behauptet worden. Ich glaube nicht, dass es eine Spezialisierung gab durch die Reform. Wir hatten früher auch schon Spezialisierungen durch die Konzentrationsverordnung. Also es ist schon immer so gewesen, dass bestimmte Gerichte für bestimmte spezielle Rechtssachen zuständig waren.

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)

Das war schon immer so und das könnte man zum Beispiel auch erweitern, sage ich, dafür bin ich ganz offen. Aber es geht eigentlich um die allgemeinen Gerichtssachen. Also Spezialisierung ist kein Argument.

Das Zweite ist die Sache mit den Zweigstellen, die Frage bleibt.

Herr Sellering, klar, Sie haben gesagt, das ist gesetzlich fest, aber die Frage ist: Wie sichern wir, dass diese Zweigstellen auch irgendwas tun? Sie haben selbst damals in den Gesetzentwurf geschrieben, Sie wollen amtsgerichtliche Kernaufgaben behalten. Das ist eben die Frage. Und da, meine ich, ist es nicht möglich, diese abzusichern.

(Zuruf von Vincent Kokert, CDU)