Protokoll der Sitzung vom 13.03.2019

(Glocke der Vizepräsidentin)

Einen Moment, Frau Bernhardt!

Da es ja offensichtlich erheblichen Diskussionsbedarf zwischen den Fraktionen gibt, bitte ich doch darum, diesen Diskussionsbedarf draußen …

(Peter Ritter, DIE LINKE: Dieses dumme Gefasel da drüben!)

Also dazu sage ich jetzt nichts.

(Sebastian Ehlers, CDU: Paartherapie!)

Aber jetzt ist ja wieder Ruhe und von daher, Frau Bernhardt, setzen Sie bitte Ihre Rede fort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin!

Ich habe im Vorfeld dieser Debatte heute auch mit Rechtsanwälten im ländlichen Raum gesprochen, die zum Teil für zwei, drei Gerichte zuständig sind, die mir ebenfalls berichtet haben, dass die Zweigstellenlösung zu einer Schwächung der Rechtsanwälte im ländlichen Raum geführt hat. Wenn sie gerade Menschen mit wenigen finanziellen Mitteln über Prozesskostenhilfe vertreten, kriegen sie nur Fahrkosten zum zuständigen Gericht. Die Fahrkosten zu den anderen beiden Gerichten müssen sie selbst tragen oder sie sich von den finanziell schwachen Beteiligten am Gerichtsverfahren wiederholen. Das alles bringt ebenfalls eine Schwächung der Rechtsanwälte mit sich.

Die Personalvertretung der Richter, die als Vorteil der Zweigstellen angeführt wurde, wie heute noch mal von Herrn Friedriszik zu hören, ist nicht eingetreten. Im Gegenteil, eine sinnvolle Vertretung zwischen dem Vorgericht und der Zweigstelle scheitert an der hohen Spezialisierung des Personals und auch an der Verwendung von Fachanwendungen gerade im Bereich der Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger.

Die Richter/-innenvertretung erfolgte in der Regel ohne realen Personalwechsel, das heißt, Akten werden ver

schickt, Ladungsorte geändert, aber es werden keine Richter an anderen Gerichten tätig. Mehrarbeit fällt damit nun regelmäßig an beiden Standorten an, Mehrarbeit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Gerichten, die bei dem Personalbemessungskonzept laut Aussage der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht berücksichtigt werden und dann durch sie auf ihrem Rücken ausgetragen werden.

Die Verfahrenslaufzeiten bei den Gerichten in Mecklenburg-Vorpommern sind nach wie vor hoch. Bürgerinnen und Bürger warten monate-, ja, zum Teil jahrelang auf ein rechtskräftiges Urteil. Gerade wenn es ihre Existenz betrifft, wie Rentenfragen, Fragen zum Lebensunterhalt, schwindet ihr Vertrauen mit jedem Monat, in dem kein Urteil ergeht, in der sie in Unsicherheit leben müssen, wie es nun weitergeht.

Das Vertrauen der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern in den Rechtsstaat schwindet, da helfen auch keine kleinen Filmchen, wie viele Richter oder Staatsanwälte braucht es oder ob der Rechtsstaat gewollt ist. Ein funktionierender Rechtsstaat ist unser aller Verpflichtung im Sinne der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, die ein Recht auf ein schnelles Urteil haben, auf eine schnelle Entscheidung in Nachlass- oder Testamentssachen, auf ein Recht auf ein wohnortnahes Gericht, was nicht zum Teil eine Tagesreise entfernt liegt.

Und genau hier sehen wir das Problem, warum dieser Gesetzentwurf heute Ihnen vorliegt. Der Rechtsstaat wird geschliffen. Bürgerinnen und Bürger in MecklenburgVorpommern müssen Kilometer um Kilometer fahren, um zu Gericht zu kommen, wo sie sich einen Grundbuchauszug holen können, einen Erbschein oder für einen Angehörigen eine Betreuung beantragen können.

Wie sagte ein Anzuhörender hier im Landtag bei der Anhörung im Rechtsausschuss im Januar: Die Hauptaufgabe von Gerichten ist es, für die Bürgerinnen und Bürger da zu sein. Und gerade das sehen wir als LINKE immer mehr in Gefahr. Wie mir bei meinem Besuch in einer Zweigstelle berichtet wurde, empfinden Bürgerinnen und Bürger die langen Wege zum Amtsgericht als Rückzug der Gerichte,

(Thomas Krüger, SPD: 1,5-mal im Leben!)

der Verwaltung und letztendlich des Staates aus der Fläche. Es schwindet das Vertrauen der Menschen in den Staat, einen Staat, der nicht mehr erreichbar ist oder wenn, dann mit einer Tagesreise verbunden ist. Ich denke, das kann alles nicht unser Ziel sein.

Genau dieses Vertrauen wird aber durch die Zweigstellenlösung weiter gestört, wenn nicht gar zerstört. Die Zweigstellen sind aus unserer Sicht nicht zukunftssicher. Da müssen wir nichts evaluieren. Sie sind nicht zukunftssicher, auch wenn sie beispielsweise im Gesetz noch niedergeschrieben sind. Schon damals im Gesetzgebungsverfahren hieß es, die Zweigstellen seien auch in Zukunft sicher und deshalb seien sie im Gesetz. Aber es kommt nicht darauf an, ob eine Zweigstelle im Gesetz festgeschrieben ist oder nicht. Gesetze können schnell geändert werden. Das Entscheidende ist, was diese Zweigstelle für die Bürgerinnen und Bürger erledigt,

(Zuruf von Patrick Dahlemann, SPD)

und genau darauf haben wir weder als Landtag noch als Regierung Einfluss.

Sie erinnern sich vielleicht noch, dass die ursprüngliche Zweigstellenverordnung – Herr Manthei ist vorhin schon darauf eingegangen –, die die Zuständigkeit der Zweigstellen regeln sollte, in Teilen vom Oberverwaltungsgericht Greifswald gekippt wurde. Hintergrund war, dass die richterliche Geschäftsverteilung Sache der Präsidien ist und eben nicht in einer Rechtsverordnung geregelt werden kann. Insofern können weder wir noch die Regierung den Fortbestand, die Aufgaben einer Zweigstelle sichern.

(Torsten Renz, CDU: Doch, wir ja.)

Das liegt in ganz wesentlichen Teilen einfach nicht in unserer Kompetenz.

Abgesehen davon wurde in Gesprächen diesbezüglich noch ein weiteres Problem an mich herangetragen. Es ist die Personalgewinnung für die Zweigstellen. Das Präsidium des Amtsgerichts Neubrandenburg wird jetzt richterliche Tätigkeiten von der Zweigstelle Demmin an den Hauptstandort verlagern. Insofern sind die praktischen Auswirkungen schon da, Frau Justizministerin, weil sich einfach kein Richter findet, der einen vor der Pensionierung stehenden Richter in Demmin ersetzen muss. Das führt natürlich zu einer Aushöhlung der Zweigstelle. Nach und nach werden Aufgaben von der Zweigstelle in das Volksgericht verlagert. Damit sind die Zweigstellen in ihrer Zukunft unsicher und das zeigt sich dann auch bei den Unsicherheiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Die Zweigstellen, ich hatte es gesagt, werden schon jetzt weiter ausgehöhlt und werden bald nur noch ein Schild an ihrer Tür tragen, derer man sich schnell entledigen wird.

(Torsten Renz, CDU: Olé, Frau Bernhardt!)

Auch wenn Sie jetzt hier tausendmal beteuern, dass es nicht zum Abbau der Zweigstellen kommt, bereits 1993 war es so

(Torsten Renz, CDU: Sie wollten nicht in die Vergangenheit zurückschauen!)

und wir werden es auch dieses Mal erleben.

(Vincent Kokert, CDU: 1893.)

Meine Damen und Herren, deshalb hilft es auch nicht, dass Sie das Gerichtsstrukturreformgesetz irgendwann mal evaluieren wollen. Ich kann ja verstehen, dass Sie sagen, Frau Justizministerin, es bedarf einer Wirkphase von fünf Jahren. Aber ab wann, das ist die erste Frage, gilt diese Wirkphase? Ab dann, wo das Gesetz in Kraft getreten ist? 2013, das wäre 2018, also letztes Jahr gewesen, wo wir keine Evaluierung hatten. Oder gilt es mit letztem Schritt dieser Gerichtsstrukturreform im Jahr 2017? Dann wäre es 2023 dran.

(Patrick Dahlemann, SPD: 2022!)

Ich denke, die faktischen Auswirkungen sind bereits jetzt erkennbar. Deshalb sagen wir, wir bedürfen jetzt keiner Evaluierung, um zu schauen, ob sich die Gerichtsstrukturreform bewährt hat. Wir sehen die Auswirkungen schon jetzt. Herr Manthei hat es für Anklam gezeichnet,

ich hatte es für Demmin ausgeführt. Wenn wir so weitermachen, werden ganz faktisch Tatsachen geschaffen und die Zweigstellen werden abgeschafft. Das hat nichts mit Schwarzseherei oder Schlechtmalen zu tun, sondern das sind einfach die Fakten, wie sie in der Praxis da sind.

Insofern kann ich nur noch mal appellieren, stimmen Sie der Überweisung des Gesetzentwurfes zu.

(Vincent Kokert, CDU: Auf keinen Fall.)

Wir können uns dann im Rechtsausschuss noch mal mit Expertinnen und Experten hinsetzen und schauen, ob nicht doch an der einen oder anderen Stelle eventuell in unserem Gesetzentwurf auch noch mal nachgebessert werden muss. Aber hier heute so zu tun, als gäbe es keine Probleme in den Zweigstellen, und diese Überweisung abzulehnen, das fände ich aus Ihrer Sicht das falsche Zeichen an die Bürgerinnen und Bürger für einen funktionierenden Rechtsstaat. Insofern, lassen Sie uns konstruktiv nach vorne blicken und im Rechtsausschuss über diesen Gesetzentwurf diskutieren! – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der AfD und DIE LINKE)

Ums Wort gebeten hat für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Sellering.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! In der Tat kenne ich die Reform ganz gut,

(Vincent Kokert, CDU: Warum zeigst du jetzt auf mich?!)

war durchaus an ihr beteiligt und stehe nach wie vor zu ihr.

Und, liebe Frau Bernhardt, ich glaube, dieser durchgängig aggressive Tonfall, den Sie haben, der hilft ja nicht, wenn die Sachkenntnis fehlt.

(Heiterkeit und Beifall vonseiten der Fraktion der SPD – Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Nehmen wir zum Beispiel Ihren immer wieder geäußerten Verdacht, dass wir selbstverständlich die Nebenstellen irgendwann abschaffen wollen, und zwar so wie 1993. Da wäre es vielleicht mal ganz vernünftig, jeweils ins Gesetz zu schauen. In 1993 stand für jede einzelne Nebenstelle, jede einzelne Zweigstelle das Datum fest, wann die abgeschafft werden sollte. Wenn Sie die Materialien des jetzigen Gesetzes nachlesen, dann war immer völlig klar, dass wir die Zweigstellen selbstverständlich ohne so eine Frist ins Gesetz schreiben, damit ganz klar ist, dass sie nur abgeschafft werden können, wenn aus der Mitte dieses Parlaments entsprechende Anträge kommen, wie heute von Ihnen erstaunlicherweise.

Ich finde übrigens den Antrag ganz spannend, dass Sie sagen, die Zweigstellen sind als solche so klein, dass sie gar nicht lebensfähig sind, und deshalb sollen sie richtige Gerichte werden.

(Heiterkeit vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Das ist irgendwie, wie ich finde, eine fantastische Argumentation.

Herr Manthei hat eben die Reform in einen größeren Zusammenhang gestellt, völlig zu Recht, und er hat zu der Gebietsreform gesagt, wir hätten die größten Kreise überhaupt in Deutschland. Ich weiß nicht, wie das Wort war, das Sie gebraucht haben, ob Sie gesagt, das war ein Rekord, aber so was in der Art. Dazu muss man wissen, dass dieses Land schon eine Besonderheit, einen Rekord darstellt. Wir sind nämlich das am dünnsten besiedelte Bundesland,

(Thomas Krüger, SPD: Mit Abstand!)