Der dritte und aus Sicht meiner Fraktion notwendige Schritt besteht darin, die EU deutlich sozialer zu machen. Erste zarte Pflänzchen, um das ganz vorsichtig auszudrücken, sprießen ja bereits. Nachdem Kommissionspräsident Juncker das Bekenntnis zu einer Europäischen Säule sozialer Rechte abgegeben hat, wurde dieses Paket von 20 sozialen Grundsätzen und Rechten Ende 2017 von Parlament, Rat und Kommission in Göteborg auch proklamiert. Aber Bekenntnisse alleine reichen nicht und daher fordern wir heute erneut die Einführung einer sozialen Fortschrittsklausel in den europäischen Verträgen. Es muss endlich Schluss damit sein, dass die Wettbewerbsregeln des EU-Binnenmarktes vor sozialen Grundrechten und vor sozialem Fortschritt Vorrang haben. Hier brauchen wir dringend eine grundlegende Änderung.
Dennoch möchte ich an dieser Stelle gar nicht verhehlen, dass es in den letzten Jahren gelungen ist, auch kleine Fortschritte zu erzielen. Ich denke da zum Beispiel an die Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbe
dingungen. Durch die Verankerung eines einheitlichen Arbeitnehmerbegriffs sollen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in atypischen Arbeitsverhältnissen Schutzrechte geschaffen werden. Es ist schon erstaunlich zu beobachten, mit welcher Vehemenz Wirtschaftsverbände versucht haben, gegen diesen ersten und richtigen Schritt zu intervenieren. Da staune ich.
Wenn ich an Fortschritte denke, denke ich aber auch insbesondere an die Arbeitnehmerentsenderichtlinie. Mit Stimmen von Sozialdemokraten, von GRÜNEN, auch von LINKEN ist es gelungen, dass Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ im Europaparlament ein Stück weit durchzusetzen. Künftig müssen entsandte Mitarbeiter so entlohnt werden wie Einheimische. Traurig eigentlich, dass das nicht bereits seit Langem eine Selbstverständlichkeit ist. Man stelle sich das mal vor: Man arbeitet auf einer Baustelle, man hat die gleiche Ausbildung wie die Kollegen gemacht, schuftet genauso hart wie diese, aber trotzdem kriegst du am Ende des Monats ein Drittel weniger Lohn, von Urlaub, Krankengeld und anderen Leistungen gar nicht zu sprechen. Da schreit die Ungerechtigkeit doch bis zum Himmel, das kann doch nicht wahr sein, meine Damen und Herren.
Mit der Reform der Entsenderichtlinie ist ein erster wichtiger Schritt gegen Sozialdumping erreicht worden, wenngleich das Prinzip noch nicht für alle Branchen gilt. Ich denke da insbesondere ans Speditionsgewerbe, ein Bereich, wo nachgelegt werden muss. Wie bei allen Regeln gilt jedoch, dass sie nur so gut sind, wie sie umgesetzt und dann auch überwacht werden. Daher fordern wir die Landesregierung auf, sich für eine bundesweite Umsetzung und eben auch Überwachung starkzumachen. Denn schwarze Schafe gibt es überall, letztendlich zum Schaden für alle anderen, die sich an Recht und Gesetz halten.
Ein nicht minder wichtiger Punkt ist die Umsetzung des von der EU-Kommission vorgeschlagenen Pakets zur sozialen Gerechtigkeit. Unabhängig von Art und Dauer des Beschäftigungsverhältnisses sollen alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Selbstständige einen Zugang zu allen der sozialen Sicherungssysteme haben, also Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Die Umsetzung dessen wäre ein weiterer Schritt in die richtige Richtung.
Das Gleiche gilt natürlich auch für eine europäische Mindestlohnrichtlinie. Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer in der EU sollte einen Lohn erhalten, von dem er nicht nur leben kann, sondern der auch nicht zu Altersarmut führt. Nicht in jedem Land gibt es einen Mindestlohn und Deutschland nimmt hier ganz sicher keine Vorreiterrolle ein. Die Löhne müssten oberhalb von 60 Prozent der mittleren Verdienste in den jeweiligen Ländern liegen. Für Deutschland angewendet hieße das 12 Euro Mindestlohn – übrigens auch eine Forderung der Sozialdemokraten.
Ein letzter Punkt – und darüber haben wir hier im Landtag schon häufiger gesprochen – sind die im Vorschlag der EU-Kommission für den mehrjährigen Finanzrahmen nach 2020 vorgesehenen Kürzungen im Bereich der Kohäsionspolitik. Sollte es da zu erheblichen Kürzungen
kommen, rückt ein sozialeres Europa in weitere Ferne. Wer das nicht glauben kann, kann sich auch mal unsere Haushalte angucken und schauen, wie viele Projekte aus den Mitteln des ESF finanziert werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich werde nicht müde zu betonen, dass sich meine Fraktion klar zur EU bekennt, wir uns aber auf den Weg machen müssen, um die EU sozialer zu machen. Der heutige Antrag ist dazu ein kleiner Schritt und ich bitte um Ihre Zustimmung. – Vielen Dank.
Ehe ich die Aussprache eröffne, möchte ich auf der Besuchertribüne wiederum Schülerinnen und Schüler der Niels-StensenSchule in Schwerin begrüßen. Herzlich willkommen!
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 60 Minuten vorzusehen. Widerspruch dazu kann ich nicht erkennen, so verfahren wir. Ich eröffne die Aussprache.
Kollege Kolbe, ob die Einführung der europäischen Arbeitszeitrichtlinie, zumindest so, wie wir sie in Deutschland ausüben, der große Wurf ist und sozusagen Sympathie bringt, darüber kann man sich mit mir sehr streiten, denn wenn wir in der praktischen Umsetzung die Einszu-eins-Umsetzung immer als einziges Land in Europa machen, dann hat das nicht unbedingt in jedem Fall mit Wettbewerbsvorteilen zu tun.
Aber zunächst zu Ihrem Antrag, den Sie zu Papier gebracht haben: Der liest sich ja erst mal ganz nett – sozialer Schutz, faire Arbeitsbedingungen, Solidarität und, und, und, nichts, wogegen, glaube ich, irgendjemand hier im parlamentarischen Raum Einwände einbringen würde –,
aber es geht ja auch darum, was sich hinter all diesen verheißungsvollen Allgemeinplätzen verbirgt. Sie haben das ein oder andere schon angesprochen. Da rezitieren Sie in den ersten drei Punkten ihres Antrages erst einmal den Stand der Dinge auf europäischer Ebene.
Außerdem stellen Sie hier die Notwendigkeit für einen längst gefassten Beschluss fest, nämlich der Europäischen Säule sozialer Rechte. Das ist erst mal nicht schädlich, wirklich notwendig ist diese Wiederholung allerdings nicht. Ja, Kommission, Rat und Europäisches Parlament haben sich auf diese Säule verständigt. Im Mittelpunkt dieser Säule stehen dabei die Bereiche Bildung/Beschäftigung, außerdem geht es um Bildung/Wohnen und die Sozial- und Gesundheitsversorgung. Angestrebt werden faire und gut funktionierende Arbeitsmärkte und Sozialsysteme, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen sind.
Aber, meine Damen und Herren, lieber Kollege Kolbe, dieses ist ein politisches Programm. Es ist von einer Aufwärtskonvergenz in Richtung bessere Arbeits- und Lebensbedingungen in Europa die Rede. Da werden außerdem die in der EU und im internationalen Abkommen bereits bestehenden Rechte bestätigt und in Kategorien zusammengefasst. Bei dieser Säule geht es also darum, eine bestimmte Richtung bei der Umsetzung sozialer Rechte in Europa vorzugeben. Das ist auch überhaupt nicht verkehrt. Schließlich sollen die Bürgerinnen und Bürger Europa nicht nur als wirtschaftliches, sondern eben auch als soziales Projekt wahrnehmen. Klar ist aber auch, für den Großteil der hier zusammengefassten Maßnahmen sind die Mitgliedsstaaten zuständig, und zwar abhängig davon, wie stark das jeweilige Wirtschafts- und das jeweilige Sozialsystem ist. Wie viel vom gemeinsamen Kuchen wofür zu verteilen ist, hat jedes Land immer noch selbst für sich zu entscheiden. Das sollte nach meinem Dafürhalten auch so bleiben.
Außerdem ist der soziale Dialog in jedem Land anders ausgestaltet. Deutschland geht da einen sehr auf Konsens ausgelegten Weg mit starken und sehr aktiven Sozialpartnern. Andere Länder haben sich – sicherlich auch geschichtlich gewachsen, das sollte man dann respektieren – für andere Wege entschieden. Nicht ohne Grund enthält die soziale Säule also keinerlei Rechtsnormen, eben weil die Mitgliedsstaaten zuständig sind. Aber dieser Gedanke spielt – so habe ich das jedenfalls wahrgenommen – in Ihrem Antrag keine Rolle oder Sie wollen die Standards für andere vorgeben. Das hielten wir für falsch.
Dann machen Sie die Forderung auf, pauschal jede Kürzung der Kohäsionsfonds abzulehnen. Dabei wissen Sie, dass sich die Landesregierung mit aller Kraft für eine bestmögliche Regelung für unser Bundesland auf allen Ebenen einbringt. Man muss aber zum Schluss auch realistisch bleiben und feststellen, dass nach dem Brexit schlicht weniger Mittel zur Verfügung stehen – ob man das wahrhaben will oder nicht –, die über die Kohäsionsfonds verteilt werden. Das wird sich zum Schluss auch für unser Bundesland bemerkbar machen. Da wird kein Weg dran vorbeigehen. Außerdem geht diese Forderung, bis auf den ESF, komplett am Thema vorbei. Es geht hier nicht um eine Generaldebatte zum europäischen Haushalt, sondern um einen Antrag zur Europäischen Säule sozialer Rechte.
Nun zu den übrigen Punkten Ihres Antrags: Da wissen Sie, dass wir bereits jetzt Mindeststandards im sozialen Beschäftigungsbereich, die Durchsetzung der Arbeitnehmerentsenderichtlinie oder auch im Falle der Bundesregierung die Ausgestaltung des Paktes zur sozialen Gerechtigkeit, unterstützen. Insofern wird in Deutschland und gerade auch bei uns in M-V bereits alles getan, was Sie mit diesem Antrag fordern. Deshalb sollte mir als zuständiger Landesminister Ihr Antrag auch keine größeren Sorgen bereiten.
Was mir aber schon auffällt, ist, dass Sie es trotz aller Erfolge der sozialen Marktwirtschaft immer noch fertigbringen, auch hier wieder mit einem Antrag zu kommen, der nahelegt, es würde bei uns in Deutschland nicht genügend im Bereich Soziales getan. Dabei ist die soziale Marktwirtschaft, die es übrigens auch in anderen europäischen Ländern gibt, um Längen erfolgreicher als jeder Sozialismus, der je existiert hat.
Allein Deutschland steckt von seinen 3 Billionen Euro Wirtschaftsleistung Jahr für Jahr 1 Billion ausschließlich in den Bereich Soziales. Was wollen Sie denn noch mehr? Die Menschen zu Sklaven einer zentralistisch organisierten Planwirtschaft machen, in der keiner mehr für sich, sondern nur noch für den Staat arbeitet?
Der Antrag, den Sie hier formuliert haben, liest sich ähnlich wie ein Papier aus dem letzten Jahrhundert in der ehemaligen DDR. Das will ich jetzt nicht weiter vertiefen,
Wer Dinge verteilen will, muss zumindest auch erst mal dafür Sorge tragen, dass die Dinge erwirtschaftet werden können.
Und wenn immer wieder das gleiche Prinzip gilt, dass auch noch reiche Länder dafür sorgen sollen, dass in anderen Mitgliedsstaaten die gleichen Standards herrschen wie bei uns, dann hört bei mir zumindest der Spaß auf, denn ich habe immer gesagt, wir müssen die einzelnen Standards der Länder auch bei der Verteilung berücksichtigen. Dann müssen Sie auch so ehrlich sein und dem deutschen Wähler sagen, was Sie wirklich wollen, nämlich, dass der deutsche Steuerzahler und Wähler die Sozialleistungen für andere Mitgliedsstaaten finanzieren soll.
Das, meine Damen und Herren, ist eben nicht die Idee eines subsidiär organisierten Europas, in dem zuallererst die unterste Ebene Aufgaben wahrnehmen soll.
Die Menschen wollen nicht für Dinge geradestehen, die andere Länder nicht regeln können oder wollen, die aber
wohl in die Kernzuständigkeiten der jeweiligen Länder fallen. Aus diesem Grund kann ich dem Parlament nur empfehlen, Ihren Antrag abzulehnen, und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.