Protokoll der Sitzung vom 10.04.2019

Das Wort zur Begründung hat für die Fraktion DIE LINKE die Abgeordnete Bernhardt.

(Die Abgeordnete Jacqueline Bernhardt spricht bei abgeschaltetem Mikrofon. – Tilo Gundlack, SPD: Mikrofon! Mikro!)

Entschuldigung, Frau Abgeordnete.

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Das kann passieren.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wer schon einmal in der Nebensaison in Griechenland war, der hat mit Sicherheit die Erfahrung gemacht, dass man die kilometerlangen Sandstrände ganz mutterseelenallein entlangspazieren kann.

(Tilo Gundlack, SPD: Nee.)

Das ist einfach herrlich. Gehen Sie mal hin, Herr Gundlack, dann werden Sie es erleben.

(Zurufe von Tilo Gundlack, SPD, und Torsten Renz, CDU)

Das ganz allein macht man dann doch nicht. Immer wieder kommt man an Abschnitten vorbei, wo sich Plastikflaschen, Becher, Kippen, Dosen oder sonst irgendetwas beinahe auftürmt. Das trübt nicht nur das Urlaubsfeeling, sondern ist wirklich alarmierend. Doch wer jetzt sagt, mein Gott, Frau Bernhardt, sollen wir uns hier in Mecklenburg-Vorpommern um das Urlaubsvergnügen und die griechischen Strände kümmern, dem kann ich nur sagen, dass wir dieses Problem auch an der Ostsee und auch in Mecklenburg-Vorpommern haben.

(Tilo Gundlack, SPD: Sehr richtig!)

Dieses Problem rollt wie eine Welle auf uns zu und wird größer und größer.

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Lawine! Tsunami!)

Wie einem Bericht des NDR zu entnehmen war, sammeln Mitarbeiter des Staatlichen Amtes für Umwelt, Naturschutz und Geologie mehrmals im Jahr die Strände ab. In den letzten sieben Jahren wurden dabei 30.000 Müllteile gefunden, und das sind nur die großen Teile, die mit bloßem Auge und ohne zu graben gefunden werden. Also das macht deutlich, es ist nur die Spitze des Eisbergs.

Meine Damen und Herren, das Weltwirtschaftsforum warnt davor, dass es 2050 mehr Plastik in den Meeren geben wird als Fische. Das, finde ich, sollte uns doch wirklich wachrütteln. Fische und Vögel verenden aufgrund von Plastik in ihren Mägen. Wenn Untersuchungen ergeben, dass in Nord- und Ostsee beinahe drei von vier Fischen Mikroplastik im Körper haben, dann können wir das nicht einfach ausblenden, meine Damen und Herren!

Vor einigen Tagen las ich dann auch noch von einem in Italien gestrandeten Pottwal. In seinem Magen wurden 22 Kilogramm Plastik gefunden, sein Baby dagegen war tot im Bauch. Und wenn wir dazuaddieren, dass wir Deutschen mehr als 37 Kilogramm Plastikmüll pro Jahr produzieren, dann ist das nicht nur ein gefühlt hoher Wert, sondern dann sind wir damit in der Spitzengruppe innerhalb Europas.

(Zurufe von Thomas de Jesus Fernandes, AfD, und Dirk Lerche, AfD)

Meine Damen und Herren, auch das Europäische Parlament hat vor wenigen Tagen ein Verkaufsverbot für Plastebesteck, Wattestäbchen und Strohhalme auf den Weg gebracht. Das ist gut, das ist der richtige Weg, der da gegangen wird,

(Thomas Krüger, SPD: Das sehen wir auch so.)

aber es ist leider nur ein winziger Teil des Problems. Zigarettenstummel, Deckel und Verschlüsse, Fast-FoodVerpackungen, Einwegflaschen, Feuchttücher und Tüten,

das sind bis zu 80 Prozent des Mülls, der Natur und Umwelt vergiftet und der die Strände Europas verdreckt.

Meine Damen und Herren, jetzt können wir alle die Arme hochreißen und fragen, was sollen wir denn noch machen, da müssen Bund und EU ran. Die Koalition macht das zum Teil so, ich weiß. Das ist immer schön.

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

Aber dafür sind wir als LINKE da, um hier den Finger in die Wunde zu legen und Wege aufzuzeigen, was auch wir hier im Land machen können, denn, Sie werden es erahnen, es gibt durchaus auch im Land und in den Kommunen Möglichkeiten, wie wir Plastikmüll reduzieren können. Einige wesentliche Maßnahmen davon stellen wir heute mit unserem Antrag vor.

Erstens, finden wir, sollten wir einen Blick auf die Landesverwaltung werfen. Das klingt immer sehr abstrakt, deshalb gebe ich Ihnen mal konkrete Beispiele, damit jeder weiß, worum es geht. Es geht um Zuckertütchen, Rührstäbchen aus Plastik, Plastebecher, die süßen kleinen Kapseln mit Kaffeesahne, einzeln abgepackte Kekschen und Keksröllchen, aber auch um Werbemittel wie Kugelschreiber, wo es Alternativen ohne Plastik gibt.

(Torsten Renz, CDU: Machen Sie das in der Praxis auch schon?)

Die Letzte ist wirklich...

(Simone Oldenburg, DIE LINKE: Ja.)

Komme ich gleich zu, Herr Renz, komme ich gleich zu, weil wir genau damit auch gerechnet haben. Die Liste ist wirklich lang, aber ich denke, dass die Beispiele reichen, um zu verdeutlichen, worum es uns heute mit dem Antrag geht.

Was ich gleich dazusagen möchte – weil ich mir ja vorstellen kann, was Sie gleich für Argumente ins Feld führen werden –: Es geht uns mit dem Antrag nicht darum, zu sagen, es muss alles sofort und unverzüglich geändert werden, sondern es geht um das Anstoßen eines Prozesses. Jede Einzelne, jeder Einzelne ist dazu eingeladen, da mitzumachen.

Und auch das sage ich schon mal vorweg, wie es bei uns in der Fraktion aussieht, Herr Renz: Ja, wir sind auch noch nicht lange fertig mit der Umstellung, denn das braucht Zeit. In der Öffentlichkeitsarbeit liegen beispielsweise noch Hunderte Kugelschreiber aus Plastik. Die schmeißen wir jetzt natürlich nicht weg, aber wir haben den Beschluss gefasst, Plastik zu vermeiden. Es geht darum, bei der nächsten Bestellung Alternativen zu prüfen

(Torsten Renz, CDU: Wann haben Sie denn den Beschluss gefasst, wenn ich mal fragen darf?)

und im Hinterkopf zu haben, es geht ums Sensibilisieren für das Thema.

Genau das wollen wir auch in der Landesverwaltung anschieben. Nicht ein radikaler Umbruch, also von heute auf morgen, nein, es geht darum, Optionen zu prüfen, zu vergleichen, und alles, was haushaltstechnisch auch

vertretbar ist, umzusetzen. Und dafür, sagen wir, kann sich die Landesregierung auch die Zeit nehmen, um sich den Iststand herzunehmen und einen Maßnahmenkatalog aufzustellen. Am Ende des Jahres ist dieser dann vorzulegen. Wir finden, das ist machbar und sollte nicht zu hektischen Flecken führen, wenn der Landtag diesen Auftrag gibt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, weiterhin schlagen wir Ihnen vor, dass die Landesregierung mit den Kommunen einen deutlichen Ausbau von Mehrwegsystemen anschiebt. Große Städte wie Rostock, Parchim und Greifswald sind da schon auf einem guten Weg, wir fangen also nicht bei null an. Dort geht es schlicht darum, dass bei öffentlichen Veranstaltungen oder Festen auf Mehrweggeschirr umgestellt wird. Jeder kennt doch auch die Bilder nach einem größeren Fest, wenn sich am Morgen der Anblick von Bergen der Plastikbecher zeigt.

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

Das spricht natürlich für eine ausgelassene Stimmung und viel Freude, zumindest am Abend, aber wir finden, der Müll im Nachhinein ist vermeidbar. Ausgelassen feiern und Getränke zu sich zu nehmen, macht auch Spaß aus Pfandbechern. Dazu braucht es keine Einwegplastikbecher. Hier geht es uns darum, dass die Landesregierung die Kommunen für das Thema fit macht und ihnen, wenn nötig, mit Rat und Tat zur Seite steht – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Und wenn wir dann schon beim Thema Sensibilisieren sind, dann ist es aus unserer Sicht unabdingbar, dass die Aufklärung über die Auswirkungen von Plastikmüll, aber auch über Alternativen deutlich vorangetrieben wird. Eine Informationsoffensive, könnte man so meinen, wäre hier die Lösung, denn Wissen ist Macht und nur über das Wissen kann etwas über die Verhaltensänderungen hervorgerufen werden.

Auch hier mache ich es Ihnen wieder konkret. Ich behaupte mal, dass 50 Prozent der Raucher an unseren Stränden nicht wissen, dass Zigarettenstummel fast ein Viertel des Plastikmülls an unseren Stränden ausmachen, und in den Meeren finden sich die Kippenreste dann zuhauf. Ein Forscherteam hat in acht Liter Wasser ein paar Wasserflöhe eingesetzt, dazu ein paar genutzte Zigarettenfilter. Ich glaube, ich brauche nicht weiter zu erzählen, was nach 48 Stunden mit den Flöhen dann passiert war. Und wenn in 70 Prozent untersuchter Seevögel Filter zu finden sind, dann wird das Problem noch deutlicher. Hier muss es aus unserer Sicht um mehr Aufklärung gehen, um die Menschen dazu zu bewegen, sich anders zu verhalten.

Doch, meine Damen und Herren, auch der Staat muss sich anders verhalten, nämlich bei der öffentlichen Beschaffung. Meine Fraktion hatte mit der Vorlage eines eigenen Vergabegesetzes unter anderem viel Wert gelegt auf verpflichtende Regelungen für eine nachhaltige und ökologische Beschaffung. Die Koalition hat das damals abgelehnt und bleibt im Vergabegesetz bei halbgaren Regeln mit Müsste/könnte/sollte-Formulierungen. Das muss sich endlich ändern aus unserer Sicht. Auch Sie können doch nicht die Augen davor verschließen und sich auf den Standpunkt stellen, dass „Hauptsache billig eingekauft“ das Beste ist. Mit der Geiz-ist-geil-Mentalität muss endlich Schluss sein, auch wenn es um ökologische Aspekte im öffentlichen Einkauf geht. Das kann aus

unserer Sicht nicht der richtige Weg sein, und das ist er für uns LINKE definitiv auch nicht.

Doch auch hier wollen wir im Antrag nicht gleich mit Maximalforderungen kommen und haben deshalb die Hand ausgestreckt und das Angebot deutlich gemacht, dass die Landesregierung verbindliche und konkrete Regeln aufstellt. Lassen Sie uns darüber diskutieren und einen Kompromiss finden, wie das am Ende aussehen könnte. Wichtig ist, dass auch das Land hier mutiger wird.

Und last, but not least ein Mammutthema, die Verpackung im Einzelhandel. Ja, der Verbraucher hat es oft selbst in der Hand, aber gehen Sie heutzutage einmal einkaufen und versuchen Sie, auf unnötige Verpackung zu verzichten. Das ist fast unmöglich. Die Salatgurke ist mit Plastik überzogen, die Tomaten in der Plastikschale verpackt, bloße Champignons können ja nicht alle einzeln in den Korb geworfen werden, dafür stehen Plastiktütchen bereit. Lose Brötchen brauchen ein Sichtfenster aus Plastikfolie in der Tüte. Das Sechserpack Cola in der Einwegflasche gibt es im praktischen Plastikmantel mit Henkel. Das Schnitzel gibt es nicht an der Theke, sondern praktisch in einer überdimensionierten Verpackung. Ja, manche Sachen können vermieden werden, andere aber aus Hygienegründen nicht.

Ich weiß, dass auch hier die Landesregierung mit dem Einzelhandel aus dem Land das eine oder andere Mal am Tisch sitzt. Die Bundesregierung macht das auch so, doch am Ende des Tages ist es, wie so oft, es wird geredet, gebeten, philosophiert, fabuliert,

(Tilo Gundlack, SPD: Wann hörst du auf zu rauchen?)

bis am Ende keiner mehr weiß, was alles locker und unverbindlich besprochen wurde. Da wird sich dann im Kreis gedreht, und am Anfang angekommen, wird sich dann weitergedreht.

Deshalb wollen wir, dass die Landesregierung auch hier einmal verbindliche Regelungen prüft, wie unnötige Verpackungen aus dem Einzelhandel verbannt werden können. Ja, das ist ein hartes Thema, aber es gibt gute Beispiele von Unverpackt-Läden auch in MecklenburgVorpommern,

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

beispielsweise in Röbel. Deshalb, es ist möglich, lassen Sie uns rangehen, stimmen Sie dem Antrag zu! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 150 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen und ich eröffne die Aussprache.