Protokoll der Sitzung vom 12.04.2019

Meine Fraktion ist daher auch nicht prinzipiell gegen eine Diskussion über den Achtstundentag, nur darf sich diese

nicht immer nur in eine Richtung bewegen. Bislang sind es stets die Beschäftigten, die noch flexibler arbeiten sollen. Oft werde ich von Besuchergruppen hier im Landtag gefragt, was eigentlich mit all denjenigen passiert, deren Arbeitskraft künftig nicht mehr benötigt wird. Meine Antwort darauf ist stets, dass die Effizienz- und Produktivitätsgewinne aus dem Einsatz neuer Technologien auch und vor allem den Menschen zugutekommen müssen. Schon deshalb wird man über die Verteilung von Arbeit und die Entwicklung von Arbeitszeit reden müssen. Möglicherweise wird Vollzeit in nicht allzu ferner Zukunft auch anders definiert werden müssen als heute. Diskussionen über einen Sieben- oder gar Sechsstundentag sind so abwegig nicht.

Aber selbst, wenn man den Blick gar nicht so weit in die Zukunft richten will, dann muss man doch feststellen, dass Arbeitszeitfragen inzwischen eine zentrale Rolle bei Tarifverhandlungen in unterschiedlichsten Branchen spielen. IG Metall und EVG haben in den letzten Tarifrunden bereits interessante Modelle für ihre Mitglieder entwickelt, weitere, wie die NGG, werden folgen. Das ist auch nur konsequent, denn Vereinbarkeitsfragen spielen bei der neuen, der jungen Generation, die jetzt auf den Arbeitsmarkt drängt, eine viel größere Rolle. Es geht dabei nicht nur um Beruf und Familie, sondern auch um das Verhältnis von Arbeit und Freizeit. Arbeitszeit spielt also bei der Entscheidung pro oder kontra Jobantritt eine ganz zentrale Rolle.

Ist also die Forderung dieses Antrages, die Angriffe auf das Arbeitszeitgesetz zu stoppen, zeitgemäß oder nicht? Ich meine ja, denn die im Arbeitszeitgesetz enthaltenen Regelungen sollen vor allem eines: Sie sollen die Beschäftigten schützen. Es ist vielfach belegt, dass nach der achten Arbeitsstunde das Risiko von Unfällen signifikant ansteigt. Der „Arbeitszeitreport Deutschland“ aus dem Jahr 2016 weist zudem nach, dass längere Arbeitszeiten das Risiko zu erkranken, stark erhöhen, und das übrigens schon ab zwei Überstunden pro Woche. Er zeigt auch die Diskrepanz zwischen der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 43,5 Stunden und der Wunscharbeitszeit der Beschäftigten bei Vollzeit von 36 Stunden auf.

Dennoch kommt an der Spitze der Arbeitgeber, die permanent einer Flexibilisierung das Wort reden, ausgerechnet und immer wieder der Hotel- und Gaststättenverband daher, obwohl es inzwischen genügend Erkenntnisse darüber gibt, warum gerade dieser Bereich es so schwer hat, seinen Fachkräftebedarf zu decken. Der Branchenmonitor Hotellerie und Gastronomie kam schon 2016 zu dem Schluss, dass junge Leute mit der Branche vor allen Dingen Folgendes verbinden: lange und überlange Arbeitszeiten, regelmäßige Wochenend- und Feiertagsarbeit, hohe Fluktuation und Personalmangel. Auch die Folgen für die Beschäftigten sind ihnen gut bekannt. Sie wissen, dass heute schon ständiges Arbeiten am Limit Alltag ist und zu den schwierigen Arbeitsbedingungen oft auch noch eine schlechte Entlohnung kommt.

Laut Bundesarbeitsministerium arbeiten immer noch etwa zwei Drittel der Kolleginnen und Kollegen im Hotel- und Gaststättengewerbe im Niedriglohnbereich. Das sollte eigentlich Grund genug zum Nachdenken sein, und das haben die Arbeitgeber auch getan. Aber was ist das Ergebnis? Statt sich um bessere Arbeits- und Entgeltbedingungen zu kümmern, wird eine Kampagne zur weite

ren Flexibilisierung von Arbeitszeit aufgelegt. Statt 8 bis 10 Stunden täglich zu arbeiten, dürfen es dann also gern auch mal 11, 12 oder 13 sein.

Entschuldigung, meine Damen und Herren, aber wer von Ihnen glaubt eigentlich ernsthaft, dass sich mit der Ausdehnung der Arbeitszeit und der Verkürzung der Ruhezeiten zwischen zwei Schichten tatsächlich mehr junge Leute oder auch Quereinsteiger motivieren lassen, einen Job im Hotel- und Gaststättengewerbe anzutreten? Vermutlich nur die von Ihnen, die in ihrer Ankleide auch eine Kneifzange für ihre Hose liegen haben. Richtig absurd erscheint da, dass die Landesregierung dem DEHOGA gleichzeitig einen Millionenbetrag in die Hand drückt, um das aus den eben genannten Gründen doch arg ramponierte Image der Branche wieder aufzupolieren. Die modernsten Foodtrucks können aber so viel Werbung vor Schulen machen, wie sie wollen, dabei echt cool sein und das beste Essen servieren – wenn damit nur von den realen Bedingungen abgelenkt werden soll, kann man sich dieses Geld auch sparen.

Meine Damen und Herren, offensichtlich gibt es aber im Bund und auch hierzulande genügend Politiker, die solchen Kampagnen immer wieder auf den Leim gehen. Wie anders ist es sonst erklärbar, dass die schwarzgelbe Landesregierung aus Nordrhein-Westfalen im Bundesrat jüngst wieder mit der Forderung nach der Novellierung des Arbeitszeitgesetzes um die Ecke gekommen ist. Es ist richtig, dass die hiesige Landesregierung sich zu diesem Antrag im Bundesrat enthalten hat. Meine Fraktion möchte die Ministerpräsidentin dahin gehend bestärken, dass solche Vorstöße im Bundesrat auch künftig konsequent abgelehnt werden.

Doch wer nun glaubt, dass unser Antrag überflüssig wäre, weil die Landesregierung – wie immer – schon alles macht, der ist auf dem Holzweg. Sie agiert allerdings dabei nicht so plump wie CDU und FDP in NordrheinWestfalen. Sie fordert derzeit öffentlich keine Änderungen am Arbeitszeitgesetz. Dennoch hat auch das hiesige CDU-geführte Wirtschaftsministerium still und heimlich an einer weiteren Flexibilisierung von Arbeitszeiten gearbeitet, so heimlich übrigens, dass diese Aktivitäten selbst an der sonst sehr rührigen Gewerkschaft NGG vorbeigegangen sind.

Wovon rede ich hier? Nun, im Arbeitszeitgesetz gibt es auch heute schon diverse Ausnahmeregelungen. Eine von diesen bezieht sich auf sogenannte Saisonbetriebe. Das sind eigentlich Unternehmen, die lediglich während einer bestimmten Zeit, also zum Beispiel von Juni bis September, geöffnet haben. Mit Blick auf die damit verbundenen besonderen Herausforderungen, zum Beispiel zur Erntezeit in der Landwirtschaft, können diese einen Antrag auf Ausnahmegenehmigung stellen und ihre Beschäftigten dürfen dann bis zu zwölf Stunden arbeiten, sofern die Verlängerung der Arbeitszeit über acht Stunden werktäglich hinaus durch eine entsprechende Verkürzung der Arbeitszeit zu anderen Zeiten ausgeglichen wird. So weit, so gut.

Diesem Prinzip folgend wurden in Mecklenburg-Vorpommern von 2011 bis 2018 ganze 126 Genehmigungen erteilt. Das war nun offensichtlich weder der Hotel- und Gastronomiebranche noch dem Wirtschaftsministerium genug. So änderte man mal eben die Definition dafür, was einen Saisonbetrieb ausmacht. Zukünftig können nun auch Unternehmen, die ganzjährig geöffnet sind,

solche Ausnahmegenehmigungen beantragen. Einzige Bedingung: Sie erreichen in bestimmten Monaten einen deutlich höheren Umsatz als im restlichen Jahr. Ich sage, ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

Auf Nachfrage erklärte die Landesregierung dann auch sogleich, dass die neue Regelung nicht zum Ziel habe, mehr Ausnahmegenehmigungen zu erteilen, sondern einzig der Vereinfachung des Verfahrens und der Sicherung von Transparenz diene. Da sage ich, wer es glaubt, wird selig. Wir glauben das nicht, deshalb kann ich Ihnen jetzt schon versichern, dass wir diese Entwicklung sehr genau beobachten und die Entwicklung der Anträge auf Erteilung von Ausnahmegenehmigungen für Saisonbetriebe in Zukunft auch regelmäßig abfragen werden – auch die Gewerkschaft NGG wird dies tun –, übrigens auch, weil ein Lieblingsthema der Ministerpräsidentin bekanntlich die Steigerung der Tarifbindung ist. Die ist, nebenbei bemerkt, so wichtig, dass sie im neuen Zukunftsbündnis gar nicht mehr besprochen werden soll.

Im Zusammenhang mit der neuen Möglichkeit von Ausnahmegenehmigungen für Saisonbetriebe geraten jetzt aber potenziell diejenigen unter Druck, die in Tarifverträgen andere Regelungen zur Arbeitszeit getroffen haben. Das ist durchaus problematisch. Wieso Anreize dafür geschaffen werden sollen, gerade in dieser schwierigen Branche, mehr Unternehmen für tarifliche Vereinbarungen zu gewinnen, erschließt sich mir nicht, aber vielleicht erklärt uns das gleich der Wirtschaftsminister.

Offensichtlich haben wir auch mit unserer Anfrage reichlich Staub aufgewirbelt. Mehr als sechs Wochen ließ die Antwort auf sich warten. Erst als wir die Aufsetzung auf die Tagesordnung der Landtagssitzung beantragten, da flatterte sie, oh Wunder, plötzlich ins Haus. Vermutlich war man sich auch zu diesem Thema wieder einmal uneins zwischen den Koalitionären – nähere Ausführungen dann nachher in der Debatte. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Ums Wort gebeten hat für die Landesregierung der Minister für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit Herr Glawe.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Kollege, Ihre Ausführungen waren wieder mal bemerkenswert. Angriffe auf das Arbeitszeitgesetz hat das Wirtschaftsministerium nicht vor, sondern wir wollen mit unserem Modell erreichen, dass wir Transparenz herstellen, dass wir Planungssicherheit aufgreifen und dass wir in besonderer Weise auch Begriffsbestimmungen definiert haben, die wir natürlich mit den Beteiligten abgesprochen haben. Es geht darum, Saisonbetriebe zu definieren, und zwar so, dass einerseits derjenige, der Anträge stellen will, auch weiß, was er beantragen kann,

(Henning Foerster, DIE LINKE: Das wusste er bisher nicht?)

andererseits geht es darum, dass auch der Entscheider, die Behörde, weiß, nach welchem Kriterium zu entscheiden ist. Von daher verstehe ich Ihre Kritik jetzt nicht.

Ihre Kollegen von der Gewerkschaft waren bei mir, die haben so eine vehemente Kritik nicht vorgetragen. Ich habe ihnen auch erklärt, dass wir hier sozusagen ein Modellprojekt für die nächsten zwei Jahre auf den Weg gebracht haben, und zwar geht das vom 07.01.2019 bis zum 07.01.2021. In dieser Zeit wird eine Evaluierung vorgenommen. Wir haben dazu einen Leitfaden entwickelt und die Begriffsbestimmung, das habe ich schon gesagt. Entscheidend ist, dass wir insgesamt gucken wollen, wie sich die Sache im Bereich der Landwirtschaft, aber auch im Bereich von DEHOGA entwickeln wird.

Ich kann Ihnen sagen, zurzeit liegt nur ein Antrag vor. Also ich verstehe jetzt die große Aufregung gar nicht, die Sie hier vortragen. Wenn wir in zwei Jahren – was hatten Sie gesagt? – 161 Anträge bearbeitet haben, heißt das noch lange nicht, dass alle genehmigt sind, sondern es wird nach einem strikten Muster genehmigt und dann kann auch die Entscheidung der Beamten nachvollzogen werden. Die jeweiligen Betreiber von Saisonbetrieben brauchen erst mal die Anerkennung. Die Definition nach dem Schweizer Modell haben Sie de facto vorgetragen, das will ich mir jetzt ersparen.

Ich sehe darin nicht das Problem, dass wir das Arbeitszeitgesetz unterlaufen wollen, sondern wir wollen dafür sorgen, dass wir insgesamt dafür werben können, dass weiterhin Fachkräfte gut bezahlt werden, andererseits die Familienfreundlichkeit in den Unternehmen eine Rolle spielen muss und wird. Wenn Sie jetzt kritisieren, dass wir den Beruf oder das Berufsbild im DEHOGA-Bereich mit einer Förderung von 1 Million untersetzen, muss ich Ihnen auch sagen, die Unternehmen beteiligen sich zu einem Viertel an den Kosten. Das ist ein neuer Weg, den es früher noch nie gegeben hat. Früher haben die Unternehmer immer darauf geguckt, was der Staat einsetzt.

Man sollte auch daran denken, dass sie hier eine Aufgabe haben. Wir sind Tourismusland, wir sind in dieser Frage gut aufgestellt. Natürlich müssen wir unsere Gäste vernünftig versorgen, das ist doch wohl unstrittig.

(Henning Foerster, DIE LINKE: Ist es auch! Weil die Unternehmer müssen erst mal ihre Hausaufgaben machen.)

Und dass die meisten das auch mit Freude tun – die Unternehmer sind keine Verbrecher, das will ich hier mal sagen. Die Unternehmer sorgen dafür, dass Beschäftigung stattfindet, dass Qualität stattfindet und dass die Leute auch gut verdienen. Unternehmer arbeiten in der Regel jede Woche 60 Stunden und mehr. Ist Ihnen das nicht bekannt, oder was?!

(Beifall vonseiten der Fraktionen der CDU und Freie Wähler/BMV)

Also, Herr Foerster, Sie sind von der Gewerkschaft, Sie kennen das Prinzip. Ich kann auch verstehen, dass Sie sozusagen für Ihre Mitglieder kämpfen, das ist alles in Ordnung, aber wir brauchen attraktive, familienfreundliche Unternehmen und Saisonbetriebe, die anerkannt und definiert sind. Von daher verstehe ich Ihre Kritik nicht, zumal wir nach zwei Jahren auch vorlegen werden, wie sich die Dinge entwickelt haben und was vielleicht noch

verbessert werden muss und was nicht und wo noch Schwachstellen sind. Das ist alles vorgesehen. Die Evaluierung kostet übrigens kein Geld, jedenfalls wird die Evaluierung durch das Ministerium und das Landesamt für Gesundheit vorgenommen.

Von daher hätte ich eigentlich eher von den Gewerkschaften Zustimmung erwartet. Die Kritik kann ich nicht richtig verstehen, zumal ich mit Ihren Kollegen darüber gesprochen habe

(Henning Foerster, DIE LINKE: Ja, nachdem alles in Sack und Tüten war.)

und ihnen auch Transparenz zugesagt habe. Die werden im nächsten halben Jahr eingeladen, da werden wir über die ersten Ergebnisse sprechen. Alles ist mit Ihren Gewerkschaftskollegen besprochen, wahrscheinlich reden die mit Ihnen nicht. Dafür kann ich aber nichts. Von daher verstehe ich auch diesen Antrag nicht so wirklich.

(Henning Foerster, DIE LINKE: Gehen Sie mal davon aus, dass wir vorher gesprochen haben!)

Und klamm und heimlich macht die Landesregierung grundsätzlich nichts. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Herr Lerche.

(Vizepräsidentin Dr. Mignon Schwenke übernimmt den Vorsitz.)

Verehrte Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürger im Land! Werte Gäste!

Ja, liebe Linkspartei, Mecklenburg-Vorpommern hat die schlechteste Wirtschaftskraft in der gesamten Bundesrepublik.

(Zuruf von Simone Oldenburg, DIE LINKE)

Das haben Sie in Ihrem Antrag mit dem Titel „Aufbau Ost – besorgniserregenden Entwicklungen MecklenburgVorpommerns im wirtschaftlichen Angleichungsprozess entgegentreten“ im Oktober 2018 dargelegt. Jetzt muss man sich aber die Frage stellen: Wie holen wir diesen Abstand wieder ein, wie kommen wir aus dem Keller wieder raus?

Sie wollen einen Angleichungsprozess an die Verhältnisse in Westdeutschland, aber Ihre Lösung dafür ist, wie häufig, nicht zielführend. Die Lösungen, die Sie uns hier permanent präsentieren, sind fromme Wünsche: mehr Lohn und weniger arbeiten.

(Henning Foerster, DIE LINKE: Wir reden über das Arbeitszeitgesetz. Bleiben Sie beim Thema!)

Diese Zauberformel, mehr Ertrag bei weniger Eingabe, hat wenig mit der Realität zu tun, …

Das gehört zum Thema.

… es hat eher was mit roter Rhetorik und Wahlkampf zu tun.

(Henning Foerster, DIE LINKE: Natürlich.)

Besonders kämpferisch ist dabei aber vor allem die Wortwahl. Da wird dann vom „Angriff“ oder einer „Aushöhlung des Arbeitszeitgesetzes“ in Ihrem Antragstext gesprochen. Angriff!